Freitag, 11.November

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Heute haben
Fjodor Dostojewski * 1821
Kurt Vonnegut * 1922
Noah Gordon * 1926
Carlos Fuentes * 1928
Hans Magnus Enzensberger * 1929
Geburtstag
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Theodor Storm
Mit einer Handlaterne

Laterne, Laterne!
Sonne, Mond und Sterne,
Die doch sonst am Himmel stehn,
Lassen heut sich nimmer sehn;
Zwischen Wasserreih und Schloß
Ist die Finsternis so groß,
Gegen Löwen rennt man an,
Die man nicht erkennen kann!

Kleine freundliche Latern‘,
Sei du Sonne nun und Stern:
Sei noch oft der Lichtgenoß
Zwischen Wasserreih und Schloß
Oder – dies ist einerlei –
Zwischen Schloß und Wasserreih!
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„Jeden Morgen betrittst du die übliche Bar, um zu frühstücken. Seit du allein lebst – eine ganze Weile schon – kannst du das zu Hause nicht mehr. Zu Abend essen ja, manchmal auch zu Mittag. Aber Frühstücken irgendwie nicht. Also gehst du jeden Morgen in die Bar. Mal stellst du dich an den Tresen, mal lässt du es gemütlicher angehen und setzt dich an ein Tischchen. Da bist du nicht festgelegt, es kommt ganz darauf an, wie du dich fühlst – oder wie du dich nicht fühlst – auf’s Wetter, darauf, ob du was zu tun hast oder nicht, auf den Zufall. Keine Ahnung, warum du dich mal hinsetzt und mal nicht.“

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Gianrico Carofiglio: „Am Abgrund aller Dinge
Originaltitel: Il Bordo Vertiginoso Delle Cose
Aus dem Italienischen von Verena von Koskull
Goldmann Taschenbuch € 9,99

Gianrico Carofiglio wurde 1961 in Bari geboren und arbeitete in seiner Heimatstadt viele Jahre als Antimafia-Staatsanwalt. 2007 war er als Berater des italienischen Parlaments für den Bereich organisierte Kriminalität tätig. Von 2008 bis 2013 war Gianrico Carofiglio Mitglied des italienischen Senats. Berühmt gemacht haben ihn vor allem seine Romane um den Anwalt Guido Guerrieri, von denen wir die ersten drei immer auf Lager haben.

Carofiglio bleibt seiner Heimatstadt treu. In seinem neuen Roman kehrt Enrico Vallesi aus Florenz zurück nach Süditalien, weil ihm eine Zeitungsmeldung nicht mehr aus dem Kopf geht. Ein ehemaliger linksradikaler Kämpfer, der auch längere Zeit im Gefängnis saß, wurde bei einem Bankraub erschossen. Beim Namen Salvatore klingeln bei ihm alle Glocken. Er erinnert sich an seine Schulzeit, an seine Zeit bei seinen Eltern daheim. Er war ein angepasster, schmächtiger Junge, der seine Zeit in seinen eigenen vier Wänden verbrachte und viel gehänselt worden ist. In der Schule ist er unauffällig und er wundert sich sehr, als ein deutlich älterer Schüler zu ihm in die 11.Klasse kommt. Salavtore sieht schon richtig männlich aus und nicht so knabenhaft wie er und seine Kumpels. Auch lässt sich dieser neue Schüler nichts gefallen, kontert den Aussagen des Lehrers mit linken Thesen, schimpft über die kommunistische Ikone Gramsci, der die kommunistische Partei verraten hätte. Alle Augen sind auf Salvatore gerichtet und das neue Schuljahr wird wohl einiges Neues bringen.
Carofiglio wechselt die Perspektiven vom heutigen Bari, in das während der Schulzeit Enricos. In der Gegenwart trifft er nach langer Zeit wieder seinen Bruder und seine Familie, die sich in der Stadt mit ihrem Wohlstand gut eingerichtet haben, er trifft auf ehemaligen Mitschüler, aus denen er mehr über Salvatore herausfinden will. Aber eigentlich will er mehr über sich herausfinden. Was ging ihm tatsächlich im Kopf herum? Wie sahen ihn seine Freunde und Bekannten? Wie sieht seine erste Freundin ihn heute? All diese Szenen sind eingebettet in Enricos Schulzeit, in der dann auch noch eine Aushilfslehrerin für Philosophie auftaucht, in die er sich als 16jährigen unsterblich verliebt. Natürlich nur im Kopf. Aber vergessen hat er sie nie.
Enrico ist fasziniert von Salvatore und als er Enrico zu sich einlädt, taucht er tatsächlich in seiner Wohnung auf. Dort trainiert Salavatore junge Männer für den Kampf gegen die Faschisten, die ihnen immer wieder auflauern. Diese Ausbildung ist äusserst brutal. Enrico bekommt alle Tricks beigebracht, wie er als Sieger aus einem Zweikampf hervorgeht. Salvatore bringt ihm bei Motorrad zu fahren, mit echten Pistolen zu schiessen, damit sie gemeinsam ein Attentat auf den berüchtigten Faschistenführer der Stadt verüben können. Dies geht schief, aber Enrico steckt mittendrin in dieser Untergrundgruppe. Er führt ein Doppelleben und kann sich niemandem mitteilen. Als er sich dann auch noch gegen Salvatore zur Wehr setzt, gewinnt er zwar das Ansehen der ganzen Schule, verliert jedoch seinen Freund aus den Augen.
Enricos Spurensuche im heutigen Bari bringt ihn immer näher an die damalige Zeit. Es öffnen sich immer mehr Türen und Fenster und er dringt in dunkle, vergessene Ecken in seinem Gehirn vor.
Gianrico Carofiglio hat auch hier wieder einen Protagonisten geschaffen, der als einsamer Cowboy durch die Straßen zieht, wie wir es aus seinen ersten drei Krimis kennen. Enrico ist voller Zweifel, eine leichte Melancholie schwebt über ihm. Deshalb will er auch so hartnäckig herausfinden, was damals geschah. Diese Atmosphäre hat der Autor hervorragend eingefangen und dem Roman eine ganz spezielle Note gegeben. Wer Guido Guerrieri gemocht hat, wird auch Enrico Vallesi ins Herz schließen.