Frei-Tag

Bevor der Schnee kam
Bevor der Schnee kam

Dies ist kein Schreibfehler, sondern tatsächlich ein freier Tag.
Der nächste Blogeintrag folgt am Montag wieder, da ich auch am Samstag frei habe..
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Eiskunst im Auto

Heute haben
Henry Longfellow * 1807
John Steinbeck * 1902
Lawrence Durrell * 1912
Elsiabeth Borchers * 1926
und Rasmus
Geburtstag
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Am Tag darauf, dem ersten Dienstag im Monat, gibt es keine vier neue Bücher sondern das zweimal jährlich stattfindende „Shortlistlesen„.
Clemens Grote liest aus den vier nomonierten belletristischen Büchern für den Leipziger Buchpreis 2015 vor. Danach stimmen wir ab und ermitteln unser eigenes Siegerbuch.

Mit im Rennen sind:

Ursula Ackrill: “Zeiden, im Januar”
Teresa Präauer: “Johnny und Jean”
Norbert Scheuer: “Die Sprache der Vögel”
Jan Wagner: “Regentonnenvariationen”
Michael Wildenhain: “Das Lächeln der Alligatoren”

In den Kategorien Sachbuch/Essayistik und Übersetzung wird auch noch eine Siegerin/ein Sieger ermittelt.

Sachbuch/Essayistik

Philipp Felsch: “Der lange Sommer der Theorie. Geschichte einer Revolte. 1960 bis 1990″
Karl-Heinz Göttert: “Mythos Redemacht. Eine andere Geschichte der Rhetorik”
Reiner Stach: “Kafka. Die frühen Jahre”
Philipp Ther: “Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent. Eine Geschichte des neoliberalen Europa”
Joseph Vogl: “Der Souveränitätseffekt”

Übersetzung

Klaus Binder: übersetzte aus dem Lateinischen: “Lukrez: Über die Natur der Dinge”
Elisabeth Edl: übersetzte aus dem Französischen: “Patrick Modiano: Gräser der Nacht”
Moshe Kahn: übersetzte aus dem Italienischen: “Stefano D’Arrigo: Horcynus Orca”
Mirjam Pressler: übersetzte aus dem Hebräischen: “Amos Oz: Judas”
Thomas Steinfeld: übersetzte aus dem Schwedischen: “Selma Lagerlöf: Nils Holgerssons wunderbare Reise durch Schweden”
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Ein Nachtrag noch zu unserer Literalotto-Veranstaltung am vergangenen Rosenmontag.
Ein Foto des spontanen Gedichtes habe ich zwar schon veröffentlicht, hier kommt nun die transkribierte Fassung.


Egoist

Laufen fast schon als erster den Kopf drehen
Leise wandert der See gegen neugierige Zaungäste
Sind wir eher Feinstaub an roten Ampeln
An mich vor einem Spiegel
erdachten Augen in einem Mondkrater die längste Nacht
Nahtlos und sauber im Brennnesselschatten
vergessen und „in uns ist Glut!“
Wie die Spinne im Netz lauert
Warnung bodenlose Gemeinheit: Dank eines Doppelschlages
selbst mit offenen oder geschlossenen Zähnen
gehen auf Monsterjagd Zweifel
darum herrscht dicke Luft an diesem Septembertag
handeln bald überflüssig
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Auf eine weitere Veranstaltung bei uns in der Buchhandlung möchte ich Sie noch aufmerksam machen.

Freitag, 27.März um 19 Uhr
Thomas Thiel: Als Militärpfarrer
in Afghanistan
Bei uns in der Buchhandlung

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Thomas Thiel berichtet über seinen monatelangen Aufenthalt als Seelsorger in deutschen Camps in Afghanistan.
Eingeholt hat mich diese Thema bei der Lektüre von Nobert Scheuers Buch: „Die Sprache der Vögel“, das für den Leipziger Buchpreis 2015 nominiert ist. (s.o.)
Geschildert wird im Roman die Zeit eines jungen Soldaten in einem deutschen Camp in Afghanistan und seine wahnsinnige Sehnsucht über den Schultzwall zu steigen und heimlich an einem etwas entfernten See Vögel zu beobachten. Dass dies alles nicht gut ausgehen kann, versteht sich von selbst.
Thomas Thiels Tatsachenbericht bekommen wir dann in seinem Vortrag, den er mit Bildern unterfüttert hat.
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Ich wünsche Allen ein schönes Wochenende.

Donnerstag

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Heute haben
Victor Hugo * 1802
Hermann Lenz * 1913
Elizabeth George * 1949
Michel Houellebecq * 1958
Atiq Rahimi * 1962
Geburtstag
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Und bei Victor Hugo sind wir schon beim Thema.
Gestern war Dr.Horst Lauinger bei uns im Laden und stellte den Manesse Verlag vor, den er seit 15 Jahren leitet.
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Gleich zu Beginn stellte er klar , dass dies keine Verkaufsveranstaltung für Heizdecken sei, dass das Leben ohne ein (Manesse)-Buch jedoch sinnlos sei. So, oder so ähnlich. Bei meiner Begrüßung erzählte ich kurz, wie ich ihn getroffen hatte. Vor eineinhalb Jahren stand ein größerer Herr am Klassikerregal und als ich fragte, ob er Hilfe bauche, meinte er, dass wir hier ordentlich viel Manesse-Bücher haben. Ich brummelte etwas von naja und ich weiss nicht. Doch, doch, hier und hier und hier stehen sie doch. Und er stellte sich mir als der Verlagsleiter des Verlages vor, der gerade auf dem Weg nach Biberach sei. Dort wurde Eike Schönfeldt der Wieland-Preis für seine Übersetzung von „Winesburg, Ohio“ überreicht, das im Manesse Verlag erschienen ist.
Darauf meinte gestern abend Herr Lauinger, dass der zum einen feststellen will, dass er bei mir tatsächlich noch ein Kinderbuch gekauft habe und bei den anderen Ulmer Buchhandlungen keines seiner Bücher gefunden hatte und sich auch nicht geoutet hätte. So war dies also auch geklärt und er konnte beginnen. Er überreichte mir eine kleine Stofftasche und ein Parfumtuch – beides Werbeartikel aus längst vergangenen Tagen, die er in irgendwelchen Verlagsschubladen gefunden hat. So versprach ich, das feine Tüchlein am nächsten Samstag als Einstecktuch im Jackett zutragen.

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Gegründet wurde der Verlag und seine Reihe: „Bibliothek der Weltliteratur“ im Jahre 1944 (!) in der Schweiz. Die Idee stand schon 1942 fest. Die Vorstellung, zu dieser Zeit, als noch niemand wusste, wie es in Europa weitergeht, einen Verlag mit den besten literarischen Werken aus der ganzen Welt auf die Beine zu stellen, klingt  verwunderlich und zeigt schon die Richtung, an der der Verlag immer noch festhält. Nicht nur an die Autoren des eigenen Landes zu denken und deren Klassiker auf hohe Sockel zustellen, war die Idee, sondern uns Leser auf eine Reise um die Welt mitzunehmen. Die Rechung ging auf, wenn auch langsam, und in den 50er- und 60er-Jahren hatte der Verlag die höchsten Auflagen, da das Bildungsbürgertum ausgehungert war, die Bibliothek zerstört, das Fernsehen noch nicht das Ablenkungsmedium Nummer eins war.
Das Format war eine Kopie einer Klassikerreihe des englischen Oxford Verlages und die hochwertige Qualität sollte mit der Weltliteratur im Inhalt korrespondieren. Endlich gab es Bücher aus Japan, aus dem vorderen Orient, aber auch Entdeckungen aus den USA und Europa. Ein einziges Mal gelang es dem Verlag mit einem Buch auf Platz eins der Spiegel Bestsellerliste zukommen. Es war das Buch mit Robert Redford, erzählte Horst Lauinger lachend und meinte natürlich Tanja Blixens Roman: „Jenseits von Afrika“, dessen Verfilmung gerade mit Reford in der Hauptrolle im Kino lief.
Horst Lauinger berichtete über die Wertigkeit seiner Bücher, über die Art der Herstellung, warum es keine Lederausgaben mehr gibt, wie sich das Leseverhalten geändert hat und wie Manesse versucht, darauf zu reagieren, um weiterhin Klassiker produzieren zu können. Ein Punkt ist, dass das kleine Format sich aufgelöst hat und dass es seit einigen Jahren auch Romane im „normalen“ Format und in Übergrößen gibt. Zum Beispiel das Buch „Wildfrüchte“ von Henry David Thoreau, das in rotem Leinen und Schuber aufgelegt wurde. Der Text wurde neuübersetzt und zeigt Thoreaus Tagebuch während seiner Zeit im Wald. Ihn hat damal schon genervt, warum seine Mitbürger asiatische Pflanzen im Garten haben, wo doch die einheimische Natur so reichhaltig ist. Manesse fand eine Illustratorin, die gleichzeitig auch noch Botaniker ist und so auch wusste wie und was sie zeichnen sollte. Ein Glückstreffer für den Verlag und für uns Leser. Der dicke Schuber mit den zwei Bänden mit den „Geschichten des Prinzen Genji“ hat auch eine schöne Anektode auf dem Buckel. Längst war es im Verlag vergriffen und eine neue Auflage lohnte sich nicht. Da fand sich ein Schweizer Ehepaar, die sich dieses Buch täglich und in Endlosschlaufe gegenseitig vorlas. Die wollten das Werk wieder lieferbar wissen und traten als Sponsoren auf den Plan. Bedingungen: Keine Neuübersetzung, keine Fehlerkorrektur und im kleinen Manesse-Format. Auf die ersten beiden Punkten ging der Verlag ein, das Format wurde tatsächlich auch wegen einer besseren Lesbarkeit verändert. Und wie! Die Bände schimmern in einem Stoff, dass an einen Kimono erinnert, stecken in einem herrlichen Schuber und präsentieren diesen ersten Roman der Weltliteratur, der von einer Frau geschrieben worden ist.

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Horst Lauinger erzählte von Henry James und dass der Farbschnitt von hand aufgetragen wird,  von Ernest Hemingway, von Problemen der Übersetzungen und las dann auch Teile aus Briefen vor, die den Verlag diesbezüglich erreichten. Und somit sind wir endlich bei Victor Hugo, wie oben schon erwähnt. Der Verlag hatte schon lange eine Übersetzungen der „Elenden“ im Programm, und entdeckte, dass daran etwas nicht stimmen könne und dass große Teile des Originales fehlen würden. Der Übersetzer rechtfertigte sich in einem Brief, warum er Passagen ausgelassen habe. Die Franzosen kennen wohl alle dieses dicke Werk, aber die Wenigsten haben es wohl zur Gänze gelesen. Viele Passagen seine für deutsche Leser nicht wichtig und belanglos. Aber gleichzeitig sei seine Übersetzung angemessen und modern. Und so ging es weiter und wir Zuhörer hatten ordentlich zu schmunzeln. Auch eine Kritik von Dennis Scheck an einer Jane Austen-Übersetzung (war es das, ich hab’s vergessen), trug Herr Lauinger vor und es war zum Brüllen komisch, wie Scheck seinen Text immer wieder mit Original-Zitaten aus dem Buch schmückte. Herrlich. Sie sehen, meinte der Verlagsleiter, auch solche Dinge passieren.
Dies als kleine Zusammenfassung eines schönen Abends. Sicherlich habe ich viele wichtigen Dinge vergessen. Über allem stand jedoch, wie wichtig Bücher für uns Menschen sind. Wie wichtig es ist, dass wir das Lesen nicht verlernen  und dass es eine große, schwierige Aufgabe in den Schulen ist, den Schülern die Angst vor den Werken der großen Toten zu nehmen.
Vielen Dank, Herr Lauinger für den schönen Abend, und dass Sie trotz Nockerberg und Champions League zu uns gekommen sind. Sie werden bei uns auch weiterhin Manesse-Bücher im Regal finden.
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Und mit einem satten Mond un einem von innen beleuchteten Münster ging es dann wieder auf die Alb.

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Mittwoch

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Heute haben
Carlo Goldoni * 1707
Karl May * 1842
Anthony Burgess * 1917
Erica Pedretti * 1930
Amin Maalouf * 1949
Franz Xaver Kroetz * 1946
Geburtstag

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„Für das, was in einem einzigen Menschen Platz hat, ist die Aussenwelt zu klein, zu eindeutig, zu wahrhaftig.“
Franz Kafka in einem Brief an Felice Bauer
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Franziska Gehm und Horst Klein (Ill.): „Was macht der Mann denn da?“
Klett Kinderbuch Verlag € 12,95
ab vier Jahren

Etwas durchgedreht ist das Bilderbuch schon. Aber kennen wir nicht die englischen Gundschulverse, die wirklich auch nicht politisch korrekt sind. Hier also ein (tatsächliches) Mutter-Kind-Gespräch, in dem alltägliche Situationen ganz anders erklärt werden. Und es stellt sich wirklich die Frage: Ist es vielleicht nicht tatsächlich so? Ich meine, wer von uns versteht schon, wenn wir auf unseren Smartphones herumwischeln und mit Siri und Frau Google reden, wie das funktionieren kann? Siehe Kafka. Und machen wir uns nicht (heimlich) über bestimmte Verhaltensweisen von Mitmenschen auf der Straße lustig? Sind nicht die Walker die Mantafahrer der Marathonläufer?
Hier bekommen Sie endlich erklärt, was die Menschen in ihren Handflächen suchen und finden und warum sie darauf herumwischeln. (Sehr schön nachzulesen in der Leseprobe). Oder warum die Person mit hochrotem Kopf und Skistöcken durch die Stadt hetzt. Und wenn der Mann an den leuchtenden Laternenmast pinkelt, dann dient es dazu, dass die gelbe Farbe in die Lampe kommt. Der Raucher kann vielleicht auch gleich Feuer spucken. Achtung. Und weil die Chefin der Mama auch immer wieder Feuer spuckt, wird sie von der Mama auch Drachen genannt, sagt ihr kleiner Sohn. Dem tätowierten Mann gehen immer die Malpapiere aus und so schreiben seine vielen Kinder auf seiner Haut weiter. Und der Kleine meint, dass die vielen Ringe in seinem Gesicht sicherlich von seinen vielen Frauen sind. Und so weiter und so weiter.
Dazu die wirklich frechen, ausdrucksstarken Holzschablonendrucke von Horst Klein, die dieses Buch zu einem besonderen Bilderbuch machen.
Wie gesagt: überdreht, frech. Aber warum kein Spiel daraus machen und sich die Umwelt mal ganz anders erklären. So vieles ist einfach da, alle wissen wofür sie nützlich sind. Aber stimmt das wirklich? Ich meine, ich sitze hier vor einer kleinen Maschine mit Bildschirm und hämmere auf Tasten und gleichzeitig nimmt mich die eingebaute Kamera auf und Obama hat seine Freude mit mir. Alles nicht ganz so eindeutig.
Also los gehts. Nehmen Sie ihre Kleinen und schauen sich die Nachbarschaft mit anderen Augen an. Sie finden sicherlich einen Sack voller Erklärungen. Einfach neugierig bleiben.

Leseprobe
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Sind Sie neugierig, was sich im Manesse Verlag alles tummelt und tut?
Dann schauen Sie heute abend ab 19 Uhr bei uns in die Buchhandlung.
Der Verlagsleiter Horst Lauinger stellt uns den Verlag mit den vielen Klassikern vor.
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Dienstag

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Die Dichterwerkstatt der Klasse 5b des Humboldt Gymnasium stellt eigene Gedichte aus und ein unbekannter Fenstergucker hat auch etwas dazugeschrieben.

 

Heute haben
Wilhelm Grimm *1786
Keto von Waberer * 1942
Leon de Winter * 1954
Geburtstag und es ist der Todestag von Uwe Johnson (+ 1984)
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Dörte Hansen: „Altes Land“
Knaus Verlag € 19,99
auch als Hörbuch, gelesen von Hannelore Hoger € 19,99
und als eBook € 15,99

Wie ich schon „angedroht“ habe, stelle ich heute das Debüt von Dörte Hansen vor. Gestern abend habe ich das Buch zuendegelesen. An den Beinen den prasselnden Holzofen und im Kopf im hohen Norden, in Hamburg und im Alten Land.
Dörte Hansen ist Journalisten beim NDR und das merkt man ihrer flotten, frechen Schreibe an, ihrem genauen Blick auf das Szeneviertel Hamburg-Ottensen und das ganz andere Leben auf dem Land.
Was seht nun im Mittelpunkt dieser verzweigten, verzwickten Patchwork-Familiengeschichte?
Ein Haus, oder zwei Flüchtlinge?
Beides, würde ich sagen. Denn es geht um Heimat, um die eigenen Wurzeln, um die Suche nach einem sicheren Boden unter den Füssen. Eine Sinnsuche der besonderen Art hat Dörte Hansen hier zu Papier gebracht, woraus ich immer wieder laut lachend vorlesen musste. Seien Sie gespannt, wenn Sie das im April von Clemens Grote zu hören bekommen.
„Das „Polackenkind“ ist die fünfjährige Vera auf dem Hof im Alten Land, wohin sie 1945 aus Ostpreußen mit ihrer Mutter geflohen ist. Ihr Leben lang fühlt sie sich fremd in dem großen, kalten Bauernhaus und kann trotzdem nicht davon lassen. Bis sechzig Jahre später plötzlich ihre Nichte Anne vor der Tür steht. Sie ist mit ihrem kleinen Sohn aus Hamburg-Ottensen geflüchtet, wo ehrgeizige Vollwert-Eltern ihre Kinder wie Preispokale durch die Straßen tragen – und wo Annes Mann eine Andere liebt. Vera und Anne sind einander fremd und haben doch viel mehr gemeinsam, als sie ahnen.“
Dies ist die Kurzfassung, die uns der Knaus Verlag anbietet und ich übernehme sie gerne, da sie die wichtigsten Aspekte zusammenfasst, ohne sich in den verschiedenen Familienzweigen zuverzetteln, die zwar vorhanden sind, sich jedoch auf diese beiden Personen verdichten lässt.
Mit großer Anteilnahme und spitzer Feder schreibt die Autorin über die Zeit nach dem Krieg, als die Bewohnerin des Bauernhauses und die Flüchtlingsfrau mit Kind sich bekämpfen, bis eine davon im Dachstuhl hängt. Diese Situation wird von drei Personen gleichzeitig und beiläufig geschildert und zeigt, wie gekonnt Dörte Hansen mit dramatischen Szenen flott umgehen kann.
Der Sprung ins heutige Hamburg-Ottensen ist dann das genaue Gegenteil. So wie Kathrin Hartmann in ihrem Sachbuch „Ende der Märchenstunde“ über diese Neureichen, die die Welt retten wollen, in dem sie mit dem großen Volvo im Biosupermarkt einkaufen, so lesen wir hier über diese jungen Familien, die ihre Kinder wie Preispokale vorsichhertragen. Zum Brüllen komisch.
Aus dieser Welt flüchten Anne mit ihrem kleinen Sohn Leon, weil sie es nicht mehr aushält als Musiklehrerin in der Musikfrüherziehung und weil ihr Mann ein Geliebte hat. Sie flüchtet aufs Land, ins Bauernhaus ihrer Tante, die dort sehr für sich ihr eigenes Leben führt, ohne sich groß um die Nachbarschaft und das alte Bauernhaus zu kümmern.
Dörte Hansens Beschreibungen einzelner Typen (den Aussteigerjournalisten, der für ein Landlust-Magazin Reportagen schreibt, die Marmeladekochwut aus alten Obstsorten der dazugehörenden Frau, der Obstbauer mit seinen Kindern, …) lesen sich wie Satiren und sind doch purer Ernst, denn wir sehen einzelne Szenen immer wieder, wenn wir die oben genannten Magazine durchblättern. Wohl wissend, dass „Landlust“ die höchsten Auflagenzahlen einfährt.
Diese Mischung aus Spurensuche (bis zurück nach Polen), Familienbande und dem, was uns wichtig ist, macht diesen Roman zu einer wunderbaren Mischung und kommt meiner Meinung nach ohne Klischees aus.

Achtung! Wir haben alle unsere Exemplare verkauft und warten auf Nachlieferung.

Hier kommt eine Leseprobe und ein Interview mit der Autorin.


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Morgen ist es soweit.
Ich hoffe, es finden sich ein paar Interessierte bei uns ein.

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Montag

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Heute haben
Samuel Pepys * 1633
Elisabeth Langgässer * 1899
Erich Kästner * 1899
Geburtstag

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Linus Reichlin: „In einem anderen Leben“
Galiani Verlag € 19,99

Letzte Woche haben wir im Laden noch darüber geredet, dass wir von us-amerikanischen Romanen überschüttet werden, ohne dabei kaum noch auf deutschsprachige Bücher aufmerksam zu werden.
An diesem Wochenende steckten wir unsere Nasen jedoch nur in deutsche Bücher und waren hellauf begeistert. Rasmus Schöll entdeckte Kai Weyands Buch: „Applaus für Bronikowski“, das wir auch sehr sehr gut fanden. Ich bin gerade noch in den letzten Zügen von „Das alte Land“ von Dörte Hansen und muss dauernd vorlesen, so treffend lustig sind viele Teile des Buches.
Lange lag Linus Reichlins Buch im Laden. Es kam vor Wochen schon als Leseexemplar, wurde von mir aber nicht beachtet. Jetzt, nachdem es auf dem Neuerscheinungstisch liegt, habe ich es mitgenommen und am Samstagabend in einem Rutsch durchgelesen.
Grossartig!
Am Ende dieser Buchvorstellung können Sie einen Trailer zum Buch anschauen, in dem der Autor Bilder seiner Eltern zeigt. Diese Aufnahmen sind von zentraler Wichtigkeit für den Beginn des Romanes und fast mag man denken, dass dies alles gar nicht wahr sein kann und alles nur Fiktion ist.
Leider ist die Musik dazu viel dramatischer, als die Schreibweise des Buches, die nämlich sehr locker daherkommt. In einem unbedarften, kindlichen, jugendlichen Ton schreibt Reichlin die Zeit mit seinen Eltern auf, bis er auszieht in die weite Welt und von der Schweiz bis nach Berlin kommt.
Linus wächst also in der Schweiz auf. Seine Mutter kommt aus dem Tessin und verliebt sich junge Frau beim Baden in einen Schönling. Es wird bald geheiratet und kurz darauf ist auch schon Luis auf der Welt. Alles könnte so gut laufen, wenn Luis‘ Vater nicht trinken (saufen) würde. Schon im ersten Kapitel schreibt der Autor, dass dies das Unglück der Ehefrau sein würde.
Reichlin stellt seine Schreibweise hier schon vor. Er verflechtet Ereignisse, Musiktitel, Modebegriffe und Gebrauchsartikel in den Text, die zur damaligen Zeit (es beginnt in den 50er Jahren) in Gebrauch waren. So sind es die Atombombenabwürfe auf dem Bikini-Atoll, der noch unbekannte Elvis, mit denen wir auf den ersten Seiten in Kontakt kommen. Es folgen natürlich die Beatles, später Marc Bolans T-Rex und Led Zeppelin, bestimmte Getränke und Ausdrücke, Automarken und politische Ereignisse. Und damit gekommen wir diese Zeit sehr plastisch vor Augen geführt.
Luis merkt, dass hinter der Fassade seiner Eltern, die einmal mit Elizabeth Taylor und Richard Burton verglichen worden sind, einiges nicht stimmt. Sein Vater ist Zahnarzt, versäuft aber nicht nur seinen guten Ruf, sondern nach und nach auch sein ganzes Vermögen. Es herrscht Ehekrieg im Elternhaus. Es fliegen Türen und Gläser, bis seine Mutter mit dem Auto verunglückt und seitdem als Pflegefall im Rollstuhl sitzt.
Mittend drin Linus, der sich seine Träume selbst erfüllen muss und sei es nur mit geklautem Geld von seinem Vater, sich eine E-Gitarre zukaufen und mit einem Kumpel ein Marc Bolan Coverband zu gründen. Dass er bei der Musik nie den Takt halten kann, und immer ein wenig zu schnell ist, zieht sich durch das ganze Buch und ist sicherlich symptomatisch für das Leben von Luis, der noch nicht seinen eigenen Rhythmus gefunden hat. Als seinem Vater das Geld immer mehr durch die Finger rinnt, möchte er ein wertvolles Bild verkaufen. Seine Ehefrau bekommt dadurch eine starke, lebensbedrohliche körperliche Krise, so dass der junge Luis auf die Idee kommt, dieses Bild nachzumalen, damit sich seine Mutter wieder erholt.
Diese beiden Bilder spielen im zweiten Teil des Buch noch eine wichtige Rolle und verändern das Leben von Linus noch einmal grundlegend.
Linus erlebt die erste Liebe, zieht von daheim aus und lebt in einer kleiner Studentenbude in einer größeren Stadt in der Schweiz. Als diese Beziehung in die Brüche geht, kommt der große Schritt nach Berlin.
Es gäbe noch so viel über Luis und seine Eltern zu erzählen. Auch darüber, ob es wirklich Linus Reichlins Eltern und sein Leben ist, das er hier beschreibt. Auch, ob Luis sich von seinem Whisky trinkenden Vater lösen kann, der von großer Löwenjagd träumte, oder ob er ins gleiche Fahrwasser gerät. Ob solche Veranlagungen erblich sind und ein Fluch auf ihm und seiner Familie liegt, oder ob er ein neues, eigenes Leben gestalten kann.
Linus Reichlin schriebt dies, wie schon erwähnt, sehr locker und frech auf, so dass wir das Leben dieses Taugenichtes nicht mehr aus der Hand legen wollen und können und mit ihm leiden und hoffen und ihm die Daumen drücken, dass es noch irgendwie hinhaut.
Für mich lohnende. mitreissende Entdeckung, eine Lektüre über die engen Bande der Familie und die vielen versteckten Fallen, die wir erst im Rückblick entdecken.

https://www.youtube.com/watch?v=6Z5CjnPNEB0
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Werner Färber Ungereimtheiten sind Oscar aktuell:

UNGEREIMTHEIT DER WOCHE (aus der Tierwelt …):
SCHICKSAL EINES FROSCHES (2. Versuch)
 
Es hockt auf einem großen Blatt
der Seerose ein Frosch und hat
noch nicht bemerkt, dass ihn die Schlange
im Visier hat schon recht lange.
 
Nach angewandter Blick-Hypnose
schnellt die Schlange Richtung Rose,
macht ihr Maul auf und zu –
und der Frosch hat seine Ruh.
UNGEREIMTHEIT DER WOCHE (… fies bis böse – anlässlich der Oscar Verleihung)
 
EISVERKÄUFER VS. CINEAST

Erleichtert ist das Publikum,
nachdem die Werbung endlich um.
Doch jeder Kinogänger weiß:
dreht sich der letzte Spot um Eis,
wird’s Licht noch einmal angemacht
und Eiscreme in den Saal gebracht.
Das kalte Naschwerk soll sodann
verkauft werden an Frau und Mann.

Heut‘ ruft jedoch ein Cineast,
der derlei Unterbrechung hasst:
„Wer ein Eis kauft, wird erschossen!“
Wie ein Pudel steht begossen,
der Eisverkäufer blass und still,
merkt äußerst schnell, dass niemand will
– da alle haben Angst vorm Sterben -,
käuflich von ihm was erwerben.

Er hat das rettende Gespür,
flink zu verschwinden durch die Tür.
Der Rufer (welcher waffenlos)
ist höchst erfreut – der Film geht los.

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Übermorgen ist es so weit.
Am Mittwoch ab 19 Uhr stellt Herr Lauinger den Manesse Verlag vor.
Schauen Sie vorbei. Es würde mich und den Verlagsleiter sehr freuen.
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Samstag

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Heute haben
Chuck Palahniuk * 1962
David Foster Wallace * 1962
Ljudmila Ulitzkaja * 1943
W.H.Auden * 1907
Anais Nin * 1903
Raymond Queneau * 1903
Geburtstag
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W. H. Auden
Lullaby

Lay your sleeping head, my love,
Human on my faithless arm;
Time and fevers burn away
Individual beauty from
Thoughtful children, and the grave
Proves the child ephemeral:
But in my arms till break of day
Let the living creature lie,
Mortal, guilty, but to me
The entirely beautiful.

Soul and body have no bounds:
To lovers as they lie upon
Her tolerant enchanted slope
In their ordinary swoon,
Grave the vision Venus sends
Of supernatural sympathy,
Universal love and hope;
While an abstract insight wakes
Among the glaciers and the rocks
The hermit’s carnal ecstasy.

Certainty, fidelity
On the stroke of midnight pass
Like vibrations of a bell,
And fashionable madmen raise
Their pedantic boring cry:
Every farthing of the cost,
All the dreaded cards foretell,
Shall be paid, but from this night
Not a whisper, not a thought,
Not a kiss nor look be lost.

Beauty, midnight, vision dies:
Let the winds of dawn that blow
Softly round your dreaming head
Such a day of welcome show
Eye and knocking heart may bless,
Find the mortal world enough;
Noons of dryness find you fed
By the involuntary powers,
Nights of insult let you pass
Watched by every human love.
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Michael Cunningham: „Die Schneekönigin“
Originaltitel: The Snow Queen
Aus dem Amerikanischen von Eva Bonné
Luchterhand Verlag € 21,99
Auch in der Originalausgabe und als eBook erhältlich

Immer gefährlich, wenn Autoren Bücher nach Märchen schreiben, oder wenn sie Motive daraus entnehmen und weiterentwickeln. Trotzdem habe ich in den neuen Roman von Michael Cunningham reingeschaut, da mir seine anderen Romane sehr gut gefallen haben. Wir kennen noch alle seienn Roman „Stunden“ über Virginia Woolf, der auch ins große Kino gekommen ist.
Hier also die Schneekönigin von Andersen, die als Motto vorangestellt wird. Dort zerbricht ein Zauberspiegel und wenn jemand einen Spliter davon ins Auge bekommt, sieht er weiterhin alles in einem negativen Licht. Ttrifft ein Splitter das Herz, wird dies kalt wie Eis. Soweit das Märchen. Cunningham beginnt mitten im tiefsten Winter in Bushwick/Brooklyn und als Tyler nachts aufsteht um das Fenster zu schließen, da der Wind Schnee ins Schlafzimmer geweht hat, spürt er einen Splitter im Auge.
Seine Frau Beth liegt mit Krebs im Bett neben ihm und im Zimmer nebenan wohnt sein schwuler Bruder Barrett, der gerade mal wieder eine Abfuhr von einem Freund bekommen hat. Alle drei sind im besten Alter und haben die Stufen der großen Karriereleiter noch nicht erklommen. Tyler, ein begnadeter Musiker, möchte gerne das ultmatives Liebeslied auf seine Frau komponieren und wartet inständig auf einen Plattenvertrag. Barrett hat Literaturwissenchaft studiert, ein Unternehmen gegründet, arbeitet jedoch im Secondhand-Laden von Beth, in dem Designer-Klamotten verkauft werden. Beth selbst liegt im Sterben, rappelt sich wieder auf und ihre Krebszellen verschwinden so schnell, wie sie gekommen sind.
Mit im Boot sind noch ein befreundetes Paar, die alle dort wohnen, wo die Mieten noch erschwinglich sind, die alle vom großen Glück träumen, die eng aufeinander sitzen, vieles von den anderen wissen und doch bewahrt jeder ein Geheimnis für sich.
In der Nacht, als Tyler im verschneiten Schlafzimmer aufwacht, sieht Barrett im Central Park eine ungewöhnliuche Lichterscheinung am Himmel. Er traut sich nicht Tyler dies zu erzählen, da er ihn nur lächerlich machen würde, aber er vergisst dieses Phänomen nicht, trägt es jahrelang mit sich herum.
Die großen Hoffnungen und die dagegenstehende Realität zeigen sich in den einzelnen Kapiteln, die meist vor einer großen Präsidentenwahl in den USA beginnen. Zu Beginn des Romanes steht die zweite Amtszeit von George W.Bush an. Alle hoffen schwer, dass dieser Kerl nicht noch einmal Präsident wird und  dass die Wähler diesem Verbrecher nicht glauben. In einem späteren Kapitel stehen wir vor dem Konkurrenzkampf McCain – Obama und sehen sich schon unter einer Aussenministerin, die Afrika für einen Staat hält und Wölfe vom Helikopter aus schiesst. Wie das jeweils ausging, bschreibt Cunningham in keiner Zeile.
Wie leben mit diesen Personen eng zusammen. Belauschen sie bei ihren intimen Beredungen, oder im Miteinander auf einer Silvesterparty. Dort, wo Wünsche für das neue Jahr ausgesprochen werden. Wir hoffen mit ihnen und wünschen ihnen nur das Beste. In den weiteren Kapiteln, die einige Monate, oder Jahre später spielen, sieht die Welt um die beiden Brüder ganz anderes aus. Die Karten wurden neu gemischt. Cunningham hält sich nicht lange mit Erklärungen auf, sondern wirft uns ohne Vorbereitung in die jeweilige neue Situation, belohnt uns aber mit einem Ende, das gut aussieht, jedoch sich alle Optionen offenhält.
Der Ton des Romanes ist so wohlwollend warm und einfühlsam, dass es mir beim Lesen richtig gut getan hat, ohne einen Moment kitschig zu sein. Er beschreibt zwar die einzelnen Stadtteile Brooklyns und die Straßenkreuzungen sehr genau, das Buch könnte jedoch in vielen anderen Grossstädten der Welt spielen. Die Hoffnungen sind überall die selben.
Michael Cunningham hat eine Hymne auf den Glauben an die Liebe und das Leben geschrieben, der nicht in den Kanon der Weltliteratur aufgenommen werden wird, aber mir ein paar sehr angenehme Lesestunden beschert hat.

Leseprobe

Michael Cunningham redet über seinen Roman und liest daraus vor.
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Nächsten Mittwoch stellt Herr Lauinger seinen Manesse Verlag vor.
Nutzen Sie diese einmalige Gelegenheit.
Beginn ist 19 Uhr, de Eintritt kostenlos.
Ich freue mich sehr auf Ihr Kommen.
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Freitag

Endlich Sonne
Endlich Sonne

Heute haben
Heinz Erhardt * 1909
Curt Cobain * 1967
Pierre Boulle * 1912
Rolf Italiaander * 1913
Alfonso Sastre Salvador * 1926
Julia Franck * 1970
Geburtstag
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Nehmen Sie sich die vier Minuten Zeit und schauen sie sich das Filmchen zum Buch an. Es gewährt uns einen kleinen Einblick in die Denke von Sibylle Berg, die wir auch gleich als Chloe im Schlafanzug sehen können. Herr Brandt gibt den Ehemann Rasmus.

Sibylle Berg: „Der Tag, als meine Frau einen Mann fand“
Hanser Verlag € 19,90

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Frau Berg hat wieder zugeschlagen und bleibt bei ihrem Thema: Liebe kontra Sex.
Chloe und Rasmus sind seit fast 20 Jahren ein Paar. Alles lief irgendwie ganz gut. Sie haben sich aneinander gewöhnt, wissen wie der andere tickt. Sie hätten wohl gesagt: „Alles bestens!“, wenn man sie nach ihrer Beziehung gefragt hätte. Rasmus war ein junger, hochtalentierter Regisseur. Ihm standen alle Türen offen. Wie es aber so ist, ein paar schlechte Arbeiten und er war weg vom Fenster. Nun versucht er sein Glück in Afrika, in einem Land am Meer, an dem sich die Touristen tummeln, um mit jungen Leuten vor Ort Theater zu proben. Schnell merkt er jedoch, dass die Männer nur auf das abendliche, kostenlose Bier warten. Chloe liegt am Strand, beobachtet Menschen. Aus der vermeindlichen Idylle, wird knallharte Realität, als beide ihre Augen öffnen. Der Tourismusort liegt neben stinkender Industrie, sie merken, dass sie in einer Sackgasse stecken und langweilen sich. Aus der trauten Zweisamkeit wird ein leiser, aber knallharter Paarkampf.

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Sibylle Berg lässt jedes Kpitel abwechselnd von Chloe oder Rasmus erzählen. Länger als ein paar Seiten sind diese Abschnitte nicht. Wir bekommen dadurch sehr schnell beide Seiten der jeweiligen Situation zu lesen und merken, was ihnen im Kopf herumspukt. Das Paar hat ihre Jugend längst hinter sich gelassen und will nicht wahrhaben, dass diese Zeit nicht mehr zurückzuholen ist. Sibylle Berg ist in diesem Buch frech, sehr böse, trifft immer wieder genau die Stelle, wo es weh tut. Sehr weh. Mir blieb das Lachen im Halse stecken, ich habe mich geekelt und wollte das Buch weglegen und genau in dem Moment kommt wieder ein Satz, der mich Anhalten lässt, da er so grossartig ist. Banales mischt sich mit genauesten Beschreibungen und es zeigt sich auch hier wieder, dass sie eine ausgezeichnete Schriftstellerin ist, die sich in ihrem Thema sehr gut auskennt. Da sie selbst viele Theaterstücke geschrieben hat, weiss sie, wie man Dialoge, oder hier besser Monologe komponiert.

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Als Chloe sich in Benny verliebt, hat sie den Sex ihres Lebens. Es gibt für sie keinen Morgen mehr. Liebe die ganze Nacht, egal was Rasmus davon hält. Chloe blüht auf, Rasmus stürzt ab. Daheim angekommen scheint sich die Lage nicht zu bessern. Sie eskaliert vielmehr, als zum einen Benny dort auftaucht und in die Wohnung einzieht und gleichzeitig die durchgeknallte Mutter von Chloe auftaucht.
Ein peferktes Theaterstück. Szenen einer Ehe im 21.Jahrhundert.
Sibylle Berg wird mit diesem Roman immer wieder mit Houellebecq verglichen. Worauf sie in ihrer Art antwortet: „Der hat doch von mir abgeschrieben!“ So ist sie die Frau Berg und deshalb lieben wir sie.
In diesem Roman zeigt sie sich wieder als große Gesellschaftskritikerin und eine der besten Schriftstellerinnen im deutschsprachigen Raum und stellt die These in den Raum: Ist Sex so wichtig, und was ist mit Liebe?

Donnerstag

Heute haben
Sven Hedin * 1865
Paul Zech * 1881
Giorgios Sefaris * 1900
Kay Boyle * 1902
Carson McCullers * 1917
Marin Sorescu * 1936
Thomas Brasch * 1945
Siri Hustvedt * 1955
Helen Fielding * 1958
Jonathan Lethem * 1964
Geburtstag
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Julie

Julie Fogliano und die Illustratorin Erin A. Stead: „Und dann ist Frühling!“
Aus dem Amerikanischen von Uwe-Michael Gutzschhahn
Bilderbuch ab 3 Jahren
Sauerländer / S.Fischer Verlag € 14,99

Wir kennen die beiden von ihrem Walbilderbuch, in dem ein Wal gesucht wird, der im Prinzip ständig auf dem Bild zu sehen ist und doch nicht erkannt wird.
Jetzt erscheint im Deutschen, rechtzeitig zum Ende des Winters, allerdings mit drei Jahren Verspätung, das „neue“ Bilderbuch der beiden. 2012 kam es in den USA auf den Markt. Wir holen das jetzt nach. Und da es jedes Jahr einen Frühling gibt, machen auch die Jahre nichts aus.
„Und dann ist Frühling!“ – Schön wär’s. Zuerst ist erstmal der Winter vorbei, aber es ist noch bitter kalt, so wie der Junge in seinen Schal eingemummelt ist und die die Rauchwolken aus dem Schornstein in den Himmel steigen.
„Zuerst hast du Braun, überall nur Braun.“, ist der erste Satz des Buches. „Dann kommen die Samenkörner…“ lesen wir, wenn wir umdrehen und können sehen, wie der Junge, mit seinem treuen Hund, ein Loch gebuddelt hat und darin ein Samenkorn fallen lässt. Links von ihm ist sein Bollerwagen voll mit Gärtnerutensilien, die von einem Hasen neugierig begutachtet werden. Aber so schnell geht das nicht mit dem Wachsen. Auch als endlich der Regen einsetzt, scheint sich nichts zu rühren. Der Junge sieht ganz zerknirscht aus und wartet. Genauso wie die Tiere um ihn herum. Alles ist eingesät, vergraben und beschriftet. Alle schauen auf die kleinen Hügelchen, ob sich da schon etwas tut. Die Tiere halten die Ohren auf den Boden, um die Pflanzen zu belauschen. Sie hören (wahrscheinlich) nichts, aber wir sehen schon die kleinen Wurzeln, die tief ins Erdreich dringen. Aber die Wochen vergehen und es sind noch keine Pflanzen in Sicht. Der Vogel hat sich vor dem Schild mit dem Apfel hingesetzt und sich schon einen Latz umgebunden. Doch das Frühjahr ist lang und braun ist und bleibt die Natur. Bis der Junge fast schon nicht mehr drandenkt und endlich voller Freude schaukelt, … Ja dann …Aber das verrate ich Ihnen jetzt nicht.

Ein kleiner poetischer Text fügt sich mit diesen zarten Bildern zu einem kleinen Kunstwerk zusammen, in dem es um Geduld und Warten, Natur, Tiere und Pflanzen geht. Ein kleines Stück Magie, das sich jährlich wiederholt und hier festgehalten worden ist. Auch der matte Einband und die Papierart passen zu dieser Geschichte und lassen das Bilderbuch aus den anderen Bilderbüchern herausstechen.

Leseprobe

Es ist schon toll, wieviele schöne, besondere Bücher für die Kleinen auf den Markt kommen. „Nana in the City“, „Sam und Dave graben ein Loch“, die Geschichte mit dem Faultier habe ich hier schon vorgestellt und es scheint immer weiter zu gehen. Prima!
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Und für uns Alten gibt es nächste Woche einen Leckerbissen:

Mittwoch, 25.Februar um 19 Uhr
Herr Lauinger stellt seinen Manesse Verlag vor.

Er erzählt über alte, dicke, ganz kleine Bücher und wie sich so ein Verlag immer noch in der sich so schnell drehenden Welt halten kann.
Haben wir nicht alle irgendeins dieser schönen Leinenbändchen daheim?
Ich jedenfalls, habe in den letzten Jahren immer wieder schöne Entdeckungen gemacht, die ich hier dann vorgestellt habe und bin deshalb sehr gespannt auf nächsten Mittwoch.

Mittwoch

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Alexander Kielland * 1849
Hedwig-Courths-Mahler * 1867
Nikos Kazantzakis * 1883
André Breton * 1896
Toni Morrison * 1931
Elke Erb * 1938
haben heute Geburtstag
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Jones

Cynan Jones: „Der Graben“
Aus dem Englischen von Peter Torberg
Liebeskind Verlag € 16,90

Das ist einer dieser Romane, die einen zutiefst bewegen. Das Titelbild zeigt eine Dachsjagd mit Hunden. Was sich dahinter versteckt, mag man kaum glauben, wenn wir den Klappentext lesen.
Hier gibt es keine Naturromatik, keine „Landlust“, oder „Liebes Land“
Hier wird um das Überleben gekämpft, sowohl seelisch, als auch materiell.
Gleich zu Beginn des schmalen Buches begegnen sich die beiden Männer, ohne sich zu erkennen. Da ist auf der einen Seite Farmer Daniel, der alleine seine Tiere versorgt und seinen Haushalt irgendwie gebacken bekommt. Eigentlich schafft er es nicht. Es ist ihm alles zuviel. Aber er macht weiter. Was bleibt ihm auch übrig. So denkt er. Daniel hat durch einen blöden Unfall seine Frau verloren. Dass sie schwanger war, braucht Daniel gar nicht wissen. Es hätte seine Situation noch unerträglicher gemacht. So geht er jeden Tag seiner Arbeit dem den Schafen nach. Ist Geburtshelfer und Mädchen für alles. Sein Bauernhof hätte eine helfende Hand dringend nötig, doch er lässt in seiner Trauer niemanden in die Nähe.
Der Gegenspieler wird nur der „große Mann“ genannt. Er wohnt auf einem anderen Gehöft in der Nähe, züchtet Jagdhunde, u.a. auch für illegale Hundekämpfe und illegale Dachsjagden. Er war auch schon deswegen im Gefängnis, kümmert sich nicht um Gesetze und ist das pure Gegenstück zu Daniel; die Verkörperung des Bösen.
Dass diese beiden Menschen Aufeinandertreffen, ist unausweichlich. Wie wir uns jedoch mit dem Autoren Jones diesem Moment nähern, ist von höchster Spannung und fast unerträglicher Beschreibungen, wie solche Dachsjagden vorsichgehen. Nicht, dass Jones auf Gewaltexzesse aus ist, wie in einem Thriller. Diese archaischen, genauen Schilderungen aus der Tierwelt, die Bemerkungen dieser derben Männer dazu, gehört zum Stärksten, was ich in dieser Art gelesen habe und hat mich mehrfach an den höchstausgezeichneten Roman „Vor dem Sturm“ von Jesmyn Ward erinnert, den ich hier auch schon vorgestellt habe.

Leseprobe
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Werner Färbers UNGEREIMTHEIT DER WOCHE (aus der Tierwelt …):
 
SCHICKSAL EINES FROSCHES (1. VERSUCH) 
 
Es hockt auf einem großen Blatt
der Seerose ein Frosch und hat
noch nicht erkannt, dass er in Not
sein Leben wird vom Storch bedroht!
 
Kaum hat der Storch den Frosch entdeckt,
ist sein Hunger auch geweckt.
Wie ein Pfeil saust er hinunter,
schluckt die Beute einfach runter.
UNGEREIMTHEIT DER WOCHE (… fies bis böse)
 
 
KÖRPERLICHE ZÜCHTIGUNG – MIT WÜRDE VOLLZOGEN
 
Es wirkt schon reichlich angestaubt,
doch der Papst hat’s jetzt erlaubt:
Als Fachmann in Erziehungsfragen,
sagt er, man dürfe Kinder schlagen.
 
Allerdings, so meint er, soll
man dieses tun nur würdevoll.
 
Vor einer Züchtigung zieht man
zunächst einmal die Handschuh‘ an.
Während man ernste Miene trägt,
holt würdevoll man aus und schlägt.
 
Dem Kind, das einem schutzbefohlen,
kann man dann den Arsch versohlen.
 
Mir ist die Vorstellung ein Graus!
und ich sag‘ hierzu frei heraus:
Wer strafend Kinder schlägt, der ist:
a) würdelos und b) Sadist.

 

Dienstag

Heute haben
Friedrich Maximilian von Klinger * 1752
Georg Weerth * 1822
Chaim Potok * 1929
Ruth Rendell / Barbara Vine * 1930
Frederik Hetmann * 1934
Geburtstag
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Georg Weerth
Der Wein

Und dem Weisen ist zu gonnen,
Wenn am Abend sinkt die Sonnen,
Daß er in sich geht und denkt,
Wo man einen Guten schenkt.

I

Der Gott, der uns die Rebe gab,
Der hat uns auch geheißen:
Zu trinken bis ans kühle Grab
Den Roten wie den Weißen.

II

Es liegt die Welt voll Sonnenschein,
Die grünen Wälder winken.
Wir wolln in einem guten Wein
All unser Leid vertrinken.

Der Wein erfrischt das alte Mark,
Trink nun den Wunderkühlen!
Du wirst dich wie ein Simson stark
In deinen Knochen fühlen.

III

Du blondgelockter Kleiner,
Geh, sage deinem Herrn:
Ein Fläschlein Nierensteiner,
Den tränk ich gar zu gern.

Du bist ein schönes Kind,
Du blondgelockter Kleiner –
Geh, hole mir geschwind
Ein Fläschlein Nierensteiner!


Das geht noch ewig so weiter!
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Barnes

Julian Barnes: Lebensstufen“

Aus dem Englischen von Gertraude Krueger
Kiepenheuer & Witsch Verlag € 16,99
auch als Originalausgabe in englisch und als eBook

Julian Barnes ist wahrlich großer Meister. Er packt besondere Themen an, oder vermischt in seinen Büchern Dinge, die auf den ersten Blick nicht kombinierbar sind. Vor ein paar Wochen habe ich einen alten, neuaufgelegten Roman von ihm vorgestellt, der aus verschiedenen Erzählungen zusammengesetzt ist. Es kommen Holzwürmer, Richter und das Floß der Medusa darin vor. Und trotzdem schafft es Barnes die Fäden in der Hand zu halten und ein Ganzes daraus zu weben.
Hier erzählt er uns drei Geschichte, die vordergründigt fremd nebeneinander stehen. Die Entwicklung der Heiss- und Gasluft-Ballonfahrt, eine der Liebesgeschichte der Diva Sarah Bernhardt und seine eigene Trauer nach dem Tod seiner Frau Pat Kavanagh. Um von hinten her zu erzählen: Julian Barnes und seine Frau waren 30 Jahre verheiratet. Bei ihr wird ein Tumor entdeckt und es bleiben exakt noch 27 Tage bis zu ihrem Tod. Dies ist sicherlich das beindruckenste Kapitel in diesem Buch. So persönlich, wie Barnes hier auftritt, haben wir ihn in keinem seiner Bücher erlebt. Er zitiert aus Trauerbriefen seiner Freunde, wiederholt Sätze, die zu ihm als Trost gesagt worden sind und wir begreifen, dass diese Trauer kein Vergessen kennt. Dass es zum Verrücktwerden ist, dass es keinem Vergleich mit einer anderen Situation geben kann. Zumindest nicht für Julian Barnes.
Und nun kommen wir zu den beiden anderen Kapiteln. Auch hier geht es um Liebe, um Euphorie, um den Verlust. Träume zerplatzen, Menschen verschwinden und doch dreht sich Welt weiter. Aber: ein Trost ist dies auch nicht. Essayhaft schreibt er das Ballonkapitel, bald wie ein Sachbuch. Im Bernhardt-Kapitel sind wird mitten drin in der Scheinwelt des Theaters, in der Welt dieser Exzentrikerin Bernhardt, der Barnes eine Liebschaft mit einem englischen Offizier andichtet.
Barnes spielt, er komponiert und dies so locker und leicht, wie wir es selten lesen. Er schreibt über den Orpheus und Eruridike-Mythos, schimpft über Orpheus, versteht ihn dann doch, ist verärgert über die Götter und verwirft auch das wieder. Auch hier ein Verlust, der allerdings von den Göttern gelenkt wird. Im wahren Leben hat der Tod seiner Frau nichts mit Gott zu tun und der Trost eines christlichen Freundes verpufft sehr sehr schnell.
Selten habe ich ein so intensives, persönliches Kapitel über Tod, Verlust und Trauer gelesen.

Leseprobe
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Die erste Ausgabe von „Literalotto“ ging gestern über die Bühne.
Vielen Dank an all diejenigen, die mitgemacht haben und diejenigen,
die gekommen sind.
Wir haben Musen zu Dichtern zugeordnet, den Schluss der „Jahrestage“ von Uwe Johnson erst mit großer Hilfe herausbekommen und bekamen dafür von Florian Arnold, zwei von Gewinnern herausgesuchte Buchstellen, vorgelesen. Zum einen aus Robert Seethalers: „Der Trafikant“ und dann noch von Verena Rossbacher: „Schwätzen und Schlachten“. Den ersten Roman kannten alle, den zweiten niemand. Auch das war bemerkenswert. Zumal die vorgelesene Passage sehr interessant klang.
Ehrengast Tommi Brem, der gerade in der Griesbadgalerie ausstellt, brachte Bücher seines Lieblingsautoren Philip K.Dick mit und Florian Arnold hielt seinen Lieblingsautoren W.G.Sebald in die Höhe und pries dessen Buch: „Die Ausgewanderten“.
Zum Schluß waren dann wieder alle gefragt und aus Zeitungsüberschriften sollte das „Spontane Gedicht“ entstehen, das nach Beendigung von Florian Arnold gekonnt vorgetragen wurde.

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Wir hatten die Zeit von einer Stunde kaum überschritten, danach verzweifelt einen neuen Termin für die zweite Folge „Literalotto“ gesucht und erst im Juni etwas gefunden.