Heute haben Emily Bronte * 1818 Dominique Lapierre * 1931 Renate Feyl * 1944 Geburtstag und der Nobelpreisträger Patrick Modiano. _________________
Conrad Ferdinand Meyer
Der schöne Tag
In kühler Tiefe spiegelt sich Des Juli-Himmels warmes Blau, Libellen tanzen auf der Flut, Die nicht der kleinste Hauch bewegt.
Zwei Knaben und ein ledig Boot – Sie sprangen jauchzend in das Bad. Der eine taucht gekühlt empor. Der andre steigt nicht wieder auf.
Ein wilder Schrei: »Der Bruder sank!« Von Booten wimmelts schon. Man fischt. Den einen rudern sie ans Land, Der fahl wie ein Verbrecher sitzt.
Der andre Knabe sinkt und sinkt Gemach hinab, ein Schlummernder, Geschmiegt das sanfte Lockenhaupt An einer Nymphe weisse Brust.
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Brigitte Kronauer ist letzte Woche gestorben. Ein neues Buch von ihr steht noch aus und erscheint ca. in eine Woche. Im Lyrik-Regal fiel mir dieses schmale Heftchen in die Hände. 2010 in einer Auflage von 400 Stücke im Miniverlag Keicher in Handarbeit erschienen. Darin schreibt Brigitte Kronauer über Sprache, über Wörter und Worte und wie sie von ihnen begleitet wird. Die Titelgeschichte entstand aus dem Wettbewerb: „Das schönste Wort“. Laut Kronauer könnte es Gemüt oder Waldeinsamkeitsein. Oder natürlich Nachtigall. Allein schon die einzelnen Vokale, Konsonanten und Silben lassen sie schwärmen und an den Vogel denken. Das kehlige ch und dann das offene aam Ende. Ihr Wort ist dann doch Nachtviole geworden. Und dann die Krönung: Sie findet in einem Park ein Schildchen bei der blau blühenden Blume, auf dem Nachtviölken steht. Ja, und das muss es dann sein. Der Druck auf dem Umschlag des Heftchen ist schon etwas abgerieben vom vielen Warten im Regal und das gibt dem verschwundenen Wort noch mehr Bedeutung. Die drei anderen Texte gehen über die kurzen Sätze der Handynutzer und die langen verschachtelten, verschwurbelten Sätze, die sie selbst benutzt. Königgrätz steht im Mittelpunkt der dritten Geschichte. Wieder so ein Wort, das laut gesprochen ganz besonders wirkt. Eine Wohltat, diese Texte wieder zu lesen. So getan bei einer Tasse Espresso.
Heute haben Simon Dach * 1605 August Stramm * 1874 Chester Himes * 1909 Harry Mulisch * 1927 Sten Nadolny * 1942 Geburtstag. Aber auch Ulrich Tukur, Mikis Theodorakis und Dag Hammarskjöld. ____________________________________
Simon Dach
Die Lust hat mich bezwungen, zu fahren in den Wald, wo durch der Vögel Zungen die ganze Luft erschallt. Ihr strebet nicht nach Schätzen durch Abgunst Müh und Neid. Der Wald ist eu’r Ergötzen die Federn euer Kleid. ____________________________________
Emilia Wiltschek (13 Jahre) empfiehlt:
Maureen Johnson: „Ellingham Academy“ Band 1: Was geschah mit Alice? Aus dem Amerikanischen von Sandra Knuffinke und Jessika Komina Loewe Verlag € 18,95 Jugendbuch ab 12 Jahren
Stevie Bell der größte Fan von Sherlock Holmes, Miss Marple und Co. Sie bekommt die große Chance auf einen Platz in der berüchtigten Ellingham Academy. Für sie wird damit ein Traum war. Denn vor mehreren Jahren spielte sich genau dort das Mysterium der Ellingham Affäre ab. Nicht nur, dass dort zwei Morde und eine Erpressung eine Rolle spielen, nein, der Fall wurde auch nie so richtig gelöst und das will Stevie nun ändern. Was sie nicht ahnt, ist, dass auch im hier und jetzt krumme Dinger abgewickelt werden. Und als schließlich ein Mitschüler verschwindet und seine Leiche in einem alten Tunnel gefunden wird, weiß Stevie dass sie nicht nur den Fall der Vergangenheit lösen muss. Aber wem kann sie schon trauen? Das Buch ist sehr spannend geschrieben und toll zum Darinverschwinden. Man kann es nur empfehlen!
„Ein kunstvoller und komplexer Roman, den man unbedingt lesen sollte!“ John Green, Autor von „Das Schicksal ist ein mieser Verräter „.
Heute auf dem Gedichtekalender: Wilhelm Runge Blumen flattern Sommer
Blumen flattern Sommer Duft nimmt beide roten Backen voll Falter wiegen Wald Goldkäfer schreien Mücken strampeln himmelauf und ab heiß im Arm der Fische hängt das Bächlein Unken patscht Libellenflügel wach Zweige lachen tuscheln sonnen strömen Vögel wogen Wiesen liegen flach ziehn die Ahorndolden an den Händen böse schelten Bienen in den Bart Zwitschern streckt die sommerschweren Glieder taumelnd tollt des Atems Flügelschlag und der Augen wilde Rosen springen
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Susanne Link empfiehlt:
Holly Goldberg Sloan und Meg Wolitzer: „An Nachteule von Sternhai“ Aus dem Englischen von Sophie Zeitz Hanser Verlag € 17,00 Jugendbuch ab 12 Jahren
Absolut großartig: Zwei fantastische Autorinnen schreiben einen email-Roman für Kinder ab 10 Jahren. Bett und Avery kennen sich nicht, leben an Ost-bzw. Westküste der USA und teilen auch sonst nichts miteinander – bis ihre Väter versuchen, die beiden im gleichen Sommercamp unterzubringen und so beginnt aus Protest ihre E-Mail-Korrespondenz. Schlagfertig, eigenwillig und der Beginn einer ganz besonderen Freundschaft. Ein bißchen hat es mich an Kästners „Doppeltes Lottchen“ erinnert, doch es ist eine moderne Variante, die ihre Eigenständigkeit mehr als verdient und glücklich macht.
Das steht auf der Hanser-Homepage: 5 Fragen an Holly Goldberg Sloan und Meg Wolitzer
Was hat Sie beide veranlasst, dieses Buch zu schreiben? HGS: Meg und ich waren vor allem durch unsere eigene Freundschaft inspiriert, und außerdem schätzen wir die Arbeit der anderen sehr. MW: Ja, genau. Und zudem haben wir beide sehr lebendige und starke Erinnerungen an die Freundschaften, die uns mit 12 Jahren wichtig waren.
Was war die größte Herausforderung beim Schreiben dieses Buches? HGS: Wir mussten einen Weg finden, wie zwei sehr unterschiedliche Autorinnen mit zwei sehr unterschiedlichen Stimmen zusammenarbeiten können. MW: Noch profaner: Wie können wir »zusammen« schreiben, obwohl wir so weit voneinander entfernt leben?
Wie war es, mit einer anderen Autorin zusammenzuarbeiten? HGS: Wir hatten jede Menge Spaß! Uns trennen 3000 Meilen, aber dank der technischen Möglichkeiten heutzutage fühlte es sich an, als wären wir Tür an Tür. MW: Ich fand es wunderbar, dass eine von uns irgendwo ganz woanders war tagsüber, oder eben auch einfach nur ganz normal schlafen ging am Abend, und trotzdem wurde die Geschichte fortgeschrieben. Das fühlte sich für mich an wie ein Wunder.
Was würden Sie gern bei den Lesern erreichen? HGS: Wir haben das Buch geschrieben, um die Leser gut zu unterhalten, um Leser zum lachen zu bringen, und um zu zeigen, dass Familie sehr verschiedene Formen haben kann. MW: Ich könnte es nicht besser ausdrücken.
Wenn Sie ein Tier sein könnten, egal welches, welches Tier wäre das? HGS: Ich liebe Delfine, sie sind so kluge Tiere. Ich lebe an der Küste und jedes Mal, wenn ich am Strand entlang gehe und Delfine sehe, ist das ein magischer Moment. Wenn ich kein Delfin sein könnte, dann wäre ich gern ein Vogel. Ich beneide sie um die Fähigkeit zu fliegen. MW: Um in diesem Kosmos zu bleiben, sollte ich wohl ein Tier aus der Eulenfamilie wählen. Ich bewundere die majestätische Würde von Eulen sehr. Und doch wäre ich wohl am liebsten ein Labrador. Diese Hunde sind schön und freundlich und sie haben so ausdrucksstarke Augen.
Heute haben Max Dauthendey * 1867 Elias Canetti* 1905 Paul Watzlawick * 1921 Geburtstag. ____________________________
Max Dauthendey
Blütenleben
Lauer Schatten. Ein blühender Birnbaum auf altem müden Gemäuer. Bronzefarbenes Moos quillt über die Kanten und Risse. Ringsum Gras, junggrün und durchsichtig. Es neigt sich leise und schmiegsam. Harte blaßgelbe Winterhalme zittern dazwischen, farblos und schwach, wie vergrämte greise Haare. Aschgraues und purpurbraunes Laub, mit feinem Metallschimmer, wie tiefes gedunkeltes Silber deckt den Grund. Hie und da ein weißes Blütenblatt mit blaßrosiger Lippe. Leicht, zart, aber müde. Das Geäst biegt sich dicht und tief zur Erde. Sacht zerrinnt Blüte um Blüte und gleitet weiß, zögernd nieder. Die Zweige senken sich tief, bis zu den einsam gefallenen Blüten. Das Alter hat den Stamm zerschürft. In der gefurchten Rinde ziehen die Ameisen eine Straße hoch hinaus zur Krone. Emsig und flink rennt es aneinander vorüber. Und dann oben die Bienen. Sie saugen schwerfällig und lüstern von den süßen Lippen und klammern trunken an den weichen Blütenrändern. Ein üppiges Summen ist in der Laubkrone, ein einförmig gärender Ton. Die Blüten zittern leise, und die jungen Blattspitzen Zittern. Der alte Baum wiegt sich und seufzt. Duft löst sich, schwebt hinaus in den blauen Sonnenschein, warmsüß und scharf herb. ___________________________
Christian Neuhäuser: „Wie reich darf man sein?“ Über Gier, Neid und Gerechtigkeit Reclam Verlag € 6,00
Nach seinem Buch „Reichtum als moralisches Problem“ in der Wissenschaftsreihe des Suhrkamp Verlages, ist jetzt dieses handliche, leicht verständliche Buch über „Reichtum“ erschienen. Der Reclam Verlag hat ein sehr glückliches Händchen in der Auswahl der Titel. Die Themen könnten nicht aktueller sein. Ich bin mitten in der Lektüre und wenn mir nicht immer die Augen zufallen würden, hätte ich große Lust mir eine halbe Nacht um die Ohren zu hauen, so interessant finde ich Christian Neuhäusers Heransgehensweise. Was heisst eigentlich reich? Wie definiert der Duden dieses Wort? Man ist reich an Glück, aber kann man auch reich an Unglück sein? Wie reich ist ein Millionär im Gegensatz zu einem superreichen Milliardär? Es gibt immer mehr Superreiche, immer weniger Menschen haben immer mehr Geld. Ist das moralisch vertretbar? Was spielen Gier, Neid und sozialen Gerechtigkeit für eine Rolle? Und: Gibt es überhaupt die Möglichkeit einer gerechten Verteilung von Reichtum. Ich bin gespannt, was mich auf den restlichen Seiten noch erwartet.
Inhalt:
1. Was ist Reichtum? Vielfalt des Reichtums Ökonomischer Reichtum Geldreichtum
2. Wer ist reich? Superreiche Reiche Wohlhabende
3. Ist Reichtum immer ungerecht? Reichtum und Macht Reichtum und Demokratie Reichtum und Würde
4. Ist Reichtum verdient? Talent und Leistung Erbschaften und Glück Geld und Verdienst
5. Geht es bei der Kritik am Reichtum um Gier und Neid? Neid und Ideologie Individuelle und kollektive Gier Sinn für Gerechtigkeit
6. Was wäre ein gerechter Umgang mit Reichtum? Gerechte Kooperation Reichtum steuern Globaler Wohlstand
Heute haben Alexandre Dumas d.Ä. 1802 Frank Wedekind * 1864 Hermann Kasack * 1896 Banana Yoshimoto * 1964 Geburtstag. _______________________ Frank Wedekind Bajazzo
Seltsam sind des Glückes Launen, Wie kein Hirn sie noch ersann, Daß ich meist vor lauter Staunen Lachen nicht noch weinen kann!
Aber freilich steht auf festen Füßen selbst der Himmel kaum, Drum schlägt auch der Mensch am besten Täglich seinen Purzelbaum.
Wem die Beine noch geschmeidig, Noch die Arme schmiegsam sind, Den stimmt Unheil auch so freudig, Daß er′s innig liebgewinnt! _______________________
Emilia Wiltschek (13 Jahre) empfiehlt:
Serena Valentino: „Das Biest in ihm“
übersetzt von Ellen Flath Carlsen Verlag € 12,00 Jugendbuch ab 12 Jahren
Wie wurde aus dem Prinzen eigentlich das Biest? Oder war der Prinz immer schon innerlich ein Biest? Diese Geheimnisse werden mit diesem Buch gelüftet. Die Vorgeschichte von „Die Schöne und das Biest“. Der Prinz ist eitel. Das war er schon immer gewesen. Die Frauen wollte alle mit ihm verheiratet sein und er selbst war Prinz und hatte alles, was sich ein Mensch nur wünschen konnte. Und endlich nach einigen Jahren hatte er sich tatsächlich verliebt. In die wunderschöne Circe. Von ihrer Herkunft wusste er nicht viel, nur dass sie behauptete, adelig zu sein. Doch sein bester Freund Gaston stellte Nachforschungen an und fand heraus, dass die hübsche Circe gar nicht adelig war, sondern die Tochter von Schweinehirten. Doch der Prinz wollte seinem treuen Freund nicht glauben und überzeugte sich selber, indem er zu dem von Gaston angegebene Hof ritt und dort tatsächlich Circe im Schlamm arbeitend fand. Er war so erbost über die Lügen von Circe, dass er die Hochzeit kurzfristig abblies. Circe die darüber nun auch erbost war, redete mit ihren Schwestern. Denn das hatte der Prinz nicht herausgefunden: sie stammte zwar von Schweinehirten ab, aber aus einer Zauberfamilie und besaß wie ihre drei Schwestern die Fähigkeit, Magie auszuüben. Sie verfluchte den Prinzen, in dem sie ihm prophezeite, dass er sich langsam in ein Biest, das er innerlich war, verwandeln würde und niemand es auch nur in seiner Nähe aushallten würde. Der Prinz lachte nur darüber und so wurden auch seine Angestellten und das komplette Schloss verflucht. Erst passierte gar nichts und der Prinz lebte seinen Alltag weiter. Doch dann langsam merkte er Veränderungen an sich und als auch plötzlich einer seiner Angestellten nach dem andren verschwanden und statt ihnen nur neue Haushaltsgeräte auftauchten, bemerkte der Prinz, dass Circes Fluch tatsächlich exestierte und er sich nun ganz in ein lebendes Monster verwandelte. Und wie es weiter geht und ob der Prinz noch gerettet werden kann, müsst ihr selber nachlesen! Ein sehr spannender und einfühlsamer Roman über Eitelkeit, Schönheit, Hass und natürlich Liebe.
Heute haben Raymond Chandler * 1888 Elio Vittorini * 1908 Hubert Selby * 1928 Alex Capus * 1961 Kai Meyer * 1969 Thea Dorn * 1970 Geburtstag. __________________________
Heute auf dem Gedichtekalender:
Max Herrmann-Neiße
Heimatlos
Wir ohne Heimat irren so verloren und sinnlos durch der Fremde Labyrinth. Die Eingebornen plaudern vor den Toren vertraut im abendlichen Sommerwind.
Er macht den Fenstervorhang flüchtig wehen und läßt uns in die lang entbehrte Ruh des sichren Friedens einer Stube sehen und schließt sie vor uns grausam wieder zu.
Die herrenlosen Katzen in den Gassen, die Bettler, nächtigend im nassen Gras, sind nicht so ausgestoßen und verlassen wie jeder, der ein Heimatglück besaß
und hat es ohne seine Schuld verloren und irrt jetzt durch der Fremde Labyrinth. Die Eingebornen träumen vor den Toren und wissen nicht, daß wir ihr Schatten sind __________________________
Susanne Link empfiehlt:
Andrea Liebers & Susanne Göhlich; „Das Schulschwein“ Hammer Verlag € 9,90 ab 6 Jahren
Zum Vorlesen wunderbar geeignet und zum Selberlesen mit größeren Buchstaben ab 2.Klasse einfach herrlich. Laila möchte neben Finn sitzen. Finn findet das in Ordnung, doch Mehmet stört das und wer versöhnt die drei und bringt einen superschnellen Klassenzusammenhalt? Miss Piggy! Eine munter Schulgeschichte, die Lust macht auf mehr.
Heute haben W.M.Thackeray * 1811 Ricarda Huch * 1864 Nathalie Sarraute * 1900 Nelson Mandela * 1918 Georg Kreissler * 1922 Ludwig Harig * 1927 J.Jewtuschenko * 1933 Geburtstag. __________________________
Ricarda Huch
Mondfahrt
Schien das süße Mondenlicht Über Berg und Tal hin wie Opal; Schläft mein Leib, doch meine Seele spricht: Nimm mich mit dir, bleicher Strahl!
In dem silberhellen Kahn Fliegt sie lautlos durch die Nacht dahin, Wie am Himmel zarte Wolken ziehn, Wie ein weiß beschwingter Schwan.
Fliegt zu meines Gatten Haus, Wo er liegt und schläft, das schöne Bild. „Kommt ein Traum, der meine Sehnsucht stillt? Wie mein Liebchen sieht er aus.“
– Bin kein Traum, bin dein Gemahl; Bin kein Traum, bin dein geliebtes Weib; Schmiegen will ich mich an deinen Leib Und dich küssen hundertmal.
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Claudia Wiltschek empfiehlt:
Delia Owens: „Der Gesang der Flusskrebse“ Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann Hanser Verlag € 2,00 „Where the Crawdads Sing“ € 19,90
„Marschland ist nicht gleich Sumpf. Marschland ist ein Ort des Lichts, wo Gras in Wasser wächst und Wasser in den Himmel fließt. Träge Bäche mäandern, tragen die Sonnenkugel mit sich zum Meer, und langbeinige Vögel erheben sich mit unerwarteter Anmut – als wären sie nicht fürs Fliegen geschaffen – vor dem Getöse tausender Schneegänse.“ So beginnt der ergreifende Roman von Delia Owens. Kya Clark lebt mit ihrem alkoholkranken Vater, ihrer Mutter und mit drei Geschwistern in diesem ungewöhnlichem Land. Erst verlassen ihre Geschwister die Familie und eines Tages ist auch ihre Mutter verschwunden, alle ertragen den gewalttätigen, ständig betrunkenen Vater nicht mehr. Kya ist noch ein kleines Kind, muss sich selbst und ihren Vater versorgen, der bis auf eine kurze alkoholfreie Zeit, nicht fähig ist, dem Kind das zu geben, was es braucht. Dann taucht auch er nicht mehr auf und Kya ist allein. Kein Geld, kein Essen, kaum Kleidung – aber Kya hält durch, gerade mal 6 Jahre alt. Sie kennt jeden Stein und Seevogel, jede Muschel und Pflanze und die Natur hilft ihr zu wachsen und durchzuhalten. Das “ Marschmädchen “ wird sie genannt und lebt als ungeliebte Aussenseiterin ihr Leben. Nur zwei Menschen, selbst vom Rassismus ins Abseits getrieben, sind auf ihrer Seite. Ein Buch voller Natur, berauschend. Mit einem Kind aus dem eine starke Frau wird, die alle in den Schatten stellt. Einfach wunderbar !
Delia Owens, worum geht es in Ihrem Debütroman? Der Gesang der Flusskrebse ist eine Kriminalgeschichte, eine Liebesgeschichte und ein Gerichtsdrama, aber vor allem geht es um Eigenständigkeit, ums Überleben und darum, wie die Isolation menschliches Verhalten beeinflusst. Wir sind soziale Säugetiere, rein genetisch wollen wir zu eng verbundenen Gruppen wie Familien und Freundeskreisen dazugehören. Doch was passiert, wenn ein junges Mädchen – so wie Kya, die Heldin des Romans – sich ganz allein und ohne Anbindung an eine Gruppe wiederfindet? Natürlich fühlt sie sich einsam, bedroht, unsicher und unfähig. Kya verhält sich außerdem seltsam: Sie versteckt sich hinter Bäumen, wenn andere Menschen sich am Strand nähern, meidet das Dorf. Sie zieht sich tief in die Wildnis der Marsch zurück, weit weg von den Menschen, und lernt dabei direkt von der Natur. Diese Lektionen helfen ihr, zusammen mit dem instinktiven Verhalten, dass aus der Isolation entsteht, zu überleben und sich zu schützen. Mehr als das sogar: Aus ihrer Eigenständigkeit zieht sie so viel Selbstvertrauen, dass ihr Dinge gelingen, von denen sie nicht einmal zu träumen wagte. Der Roman befasst sich mit isolierten Individuen, mit ihrem von der Norm abweichenden Verhalten und damit, wie sehr wir uns verändern, wenn wir Zurückweisung durch andere erfahren. Allein und ausgeschlossen verhalten sich Menschen auf einmal so ähnlich wie die Urmenschen, die in den Savannen überlebten oder wie Menschen, die dort leben, „wo die Flusskrebse singen“.
Wie kann Ihre Hauptfigur, Kya Clark, die im Alter von zehn Jahren von ihrer Familie verlassen, von den Bewohnern der Kleinstadt zurückgewiesen und verachtet wird, nicht nur einfach überleben, sondern ein erfülltes Leben für sich aufbauen?
Kya ist zugleich ein kleines Mädchen wie jedes andere und eines von einer Million. Kya ist wie wir alle, sie steht für das, was wir sein können, wenn wir es müssen. Ich glaube von ganzem Herzen an sie. Wir alle können mehr schaffen, als wir uns vorzustellen wagen, sofern das Leben es erfordert. Ich habe mir Mühe gegeben, Kyas Überleben so realistisch und glaubwürdig wie möglich zu beschreiben. Die Geschichte musste unbedingt plausibel sein. Es ist Absicht, dass Pa noch so lange da ist, bis Kya zehn wird, ein Alter, in dem sie selbständig Nahrung und Feuerholz sammeln, kochen und mit dem Boot die Marsch und das Meer durchqueren kann. Und natürlich gelingt es ihr in dem Alter auch, wegzurennen und sich zu verstecken. Als sie also ganz alleine zurückbleibt, ist es durchaus möglich für sie, aus eigener Kraft zu überleben. Und wer in der Wildnis überleben kann – Feuer machen in strömendem Regen, im Dunklen den Weg finden –, glaubt wirklich an sich selbst. Aber wir dürfen nicht vergessen, Kya ist auch abenteuerlustig, intelligent und mutig. Und voller Liebe. Sobald sie mit anderen zusammen ist, treten ihre verborgenen Charakterzüge hervor.
Kya wächst in Einsamkeit und Isolation auf. Sie haben ebenfalls an sehr isolierten Orten gelebt. Hat Ihre Erfahrung als Forscherin in abgelegenen Gegenden des afrikanischen Kontinents die Figurenentwicklung von Kya beeinflusst? Große Teile meines Erwachsenenlebens, über dreiundzwanzig Jahre, habe ich in extremer oder zumindest teilweiser Isolation verbracht. Sieben Jahre lang lebte ich zusammen mit einer anderen Person in der Kalahari Wüste, wir waren die einzigen zwei Bewohner eines Gebiets von der Größe Irlands (es gab ein paar nomadische Gruppen von Buschleuten im Süden, aber so weit von uns entfernt, dass wir sie nie zu Gesicht bekamen). Im Luangwa Nationalpark war mein Lager in einem einsamen Teil. Und selbst heute in Idaho sehe ich meistens nur ein- oder zweimal die Woche andere Leute (Anmerkung: Inzwischen ist Delia Owens nach North Carolina, an den Schauplatz ihres Romans gezogen).Meine Erfahrungen sind also ganz sicher in die Erschaffung von Kya eingeflossen. Ich weiß, was es bedeutet, alleine zu sein. Sich mit Pavianen und Hyänen anzufreunden, weil keine Freundinnen in der Nähe leben. Die Isolation kann dich verunsichern und ein Gefühl von Unzulänglichkeit erzeugen. Ich weiß, wie es ist, in die Stadt zu gehen und den Menschen auszuweichen, weil du dich nicht zugehörig fühlst. All das ist auch Kya: allein, unsicher, ungeschickt im Umgang mit Menschen, aber auch zugleich stark, ausdauernd, kenntnisreich und sehr mutig. Am Ende gibt ihr das Vertrauen, dass durch ihr selbständiges Überleben in der Natur entsteht, die Stärke in der menschlichen Welt zu reüssieren.
Im Roman wird die Küstenmarsch in North Carolina fast selbst zum Protagonisten. Warum haben Sie gerade dieses Setting gewählt?
Die Küstenmarsch in North Carolina und überhaupt Natur ist definitiv ein Protagonist des Buches. In einem Satz heißt es „Kya legte ihre Hand auf die atmende nasse Erde, und die Marsch wurde ihr zur Mutter“. Nachdem ihre Familie sie verlassen hat, kann Kya nur noch von der Natur etwas über das Leben lernen. Durch ihre Beobachtung der Krähen lernt Kya, Muscheln zu ernten. Unehrlichkeit begegnet ihr bei den Signalen der Glühwürmchen Loyalität und Freundschaft bei den Möwen.
Ich habe die Marsch ausgewählt, weil sie mir vertraut ist, als Kind bin ich mit meiner Mutter mit dem Kanu campen gegangen im Okefenokee Sumpf und an anderen Orten in der Wildnis. Ein anderer wichtiger Grund: Es wurde bisher nur sehr wenig über die historische Bevölkerung geschrieben, die seit über vierhundert Jahren in den ungezähmten Deltas und Ästuaren lebt. Eine Mischung aus meuternden Schiffsleuten, Schiffbrüchigen, Schuldnern und Flüchtigen, Ausreißern und befreiten Sklaven. Sie ignorierten die Regeln ihrer Zeit, ob britisch, amerikanisch oder die der Bundesstaaten, lebten von dem, was das Land abwarf und balgten sich wie Bisamratten über ihre abgesteckten Reviere. Kya wurde in den 1940ern geboren und wäre damit möglicherweise Teil der letzten echten Bevölkerung der Marsch, die über Generationen in ihrer eigenen Nation zwischen Land und Wasser gelebt haben. (Anmerkung: Auf keinen Fall möchte ich die Populationen der Native Americans vergessen, die dort noch länger als alle anderen, seit vielen hunderten Jahren lebten. Um sie geht es jedoch nicht in diesem Roman. Sie waren zivilisiert und lebten in strenger sozialer Ordnung, starken Familien und mit Regelwerken.) Ebenfalls für die Marsch als Setting spricht, es ist zwar ein wilder Ort, aber dennoch vorstellbar, dass Kya dort alleine überleben kann. Nahrung zum Sammeln gab es im Überfluss, das Klima ist mild, es gibt unzählige Verstecke. Und Gefährten wie Jumpin’ und Mabel sind nicht allzu weit entfernt.
Und können Flusskrebse wirklich singen? Rein wissenschaftlich-technisch können Flusskrebse nicht singen. Ich habe jedoch eigene Studien betrieben. Ich habe dabei Folgendes herausgefunden: Als erstes musst du – ganz alleine – ein einfaches Lager in der echten Wildnis aufschlagen. Also an einem Ort, weit weg von Straßen oder Dörfern. Kein Park, sondern ein abgelegenes, wildes Fleckchen Land voller irdischer Kreaturen. Bei Beginn der Dämmerung musst du tief in den Wald hineinlaufen. Dort stehst du ungeschützt und ganz alleine, während sich die Dunkelheit um dich legt. Wenn du fühlen kannst, wie der Planet unter deinen Füßen und die Bäume um dich herum sich bewegen, musst du mit offenen Ohren zuhören – und ich verspreche, du wirst die Flusskrebse singen hören. Und tatsächlich wird es ein ganzer Chor sein.