Samstag

Am kommenden Dienstag stellen wir wieder vier neue Bücher vor.
Diesmal geht es um eine verworrene Liebesgeschichte, um einen Brief, der von Libyen in den Irak transportiert wird und um einen alten Japaner, der in der Welt der Zahlen(kombinationen) lebt. Dazu stellt der Ulmer Stefan Plöger seinen neuen Roman vor.
Beginn ist 19 Uhr, der Eintritt, wie immer frei.
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Da war ich mal wieder zu schnell und habe die heutigen Geburtstagskinder schon gestern veröffentlich.
Am Freitag, den 30.8.1945 hatte Libuse Monikova Geburtstag, die leider schon lange tot ist.
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Auf das Buch, das ich heute vorstelle, haben viele gewartet und verwundert im Buchladen nachgefragt, warum überall schon Besprechungen auftauchen, warum das Buch schon der SWR-Bestenliste im September steht und warum es noch nicht im Buchladen steht. So langsam wurde mir dann auch mulmig. Vielleicht hat der Verlag mich vergessen, vielleicht ist beim Versand etwas schief gegangen. Doch gestern war es dann soweit. In einem großen Rowohlt-Paket lagen die bestellten Exemplare von Daniel Kehlmanns neuem Roman. Wir haben ihn sofort ins Fenster gestapelt, an die Kasse gelegt, die resevierten Exemplare zur Seite gelegt und da ich nachmittags nach Hause durfte, waren die 380 Seiten gelesen.

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Daniel Kehlmann: „F
Rowohlt Verlag € 22,95
als eBook € 19,99

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„Jahre später, sie waren längst erwachsen und ein jeder verstrickt in sein eigenes Unglück, wusste keiner von Arthur Friedlands Söhnen mehr, wessen Idee es eigentlich gewesen war, an jenem Nachmittag zum Hypnotiseur zu gehen.“ Dies ist der erste Satz, mit dem Daniel Kehlmann uns auf eine litarerische Reise durch das Deutschland während des letzten Wirtschaftsabsturzes an der Börse mitnimmt.
F wie Familienbande. F wie Fälschung. F wie Fiktion. F wie Arthur Friedland, F wie Finanzkrise. Oder was weiss ich, was Kehlmann noch hinter diesem Buchstaben versteckt hält. Wenn wir die einzelnen Fs durchgehen, bekommen Sie einen kleinen Eiblick in das Werk, wenn Sie nicht schon diverse Besprechungen in den Zeitungen gelesen haben.
F wie Familienbande:
Arthur Friedland ist ein Schriftsteller, der nichts verkauft und vom Geld seiner Frau lebt. Von der ersten hat er einen Sohn, Martin, von der zweiten zwei eineiige Zwillinge, Eric und Iwan. Nach dem Besuch des Hynpothiseurs bekommt er vom Magier (F wie Fälschung) den Tip, sich zu trauen und endlich etwas zu wagen. Arthur verschwindet auf längere Zeit, lässt seine Familien im Ungewissen und seine Söhne werden ihn erst wieder sehen, wenn sie erwachsen sind. Diese drei Söhne sind, genau wie Vater und Hypnotiseur, Betrüger, Schwindler. Eigentlich haftet allen Personen dieser Makel an. Martin, der älteste ist katholischer Pfarrer, glaubt nicht (mehr) an Gott und hat auf schwierige Fragen seiner Zöglingen die Antwort: „Es ist ein Mirakel“ parat. Während der Beichte kaut er Schokoriegel, da er durch sein Übergewicht ständig Hunger hat. Auch während dieses Beichtvorganges lügt sowohl der Beichtling, als auch er, als er verneint, dass er gerade am Kauen ist. Sein Stiefbrüder Eric ist ein Finanzjongleur, der das Geld eines Kunden in den Sand gesetzt hat und nicht mehr zurückzahlen kann. Seit Jahren schon legt er ihm fingierte Bilanzen vor, obwohl kein Cent mehr von den Millionen vorhanden ist. Iwan wollte Künstler/Maler werden, stellt nun aber in einem abgeschiedenen Atelier Bilder her, die er für die Werke eines alten Künstlers ausgibt und versucht, damit Geld zu verdienen. Sie merken schon, überall ist das Sand im Getriebe. Aber auch Nebenpersonen, wie Erics Chauffeur ist nur am Schimpfen und Rumfluchen, wenn er die Limouse durch den Verkehr fährt. Ein Jugendlicher, der den Pfarrer Martin besucht und mit ihm über eine Messerstecherei redet, bei der er aber nicht das Messer gezückt haben will, steht später als Messdiener in der Kirche. Dass das mit der Messerstecherei so aber auch nicht war, stellt sich später heraus. Damit sind wir eigentlich schon bei dem Punkt, was mir an dem Roman am Besten gefallen hat. Kehlmann verknüpft seinen einzelnen Kapitel, bei denen immer einer der Brüder zu Wort kommt so wunderbar, dass wir Situationen aus zwei unterschiedlichen Perspektiven lesen können und dann erst klar wird, wie es wohl wirklich war (siehe Messerstecherei). Auch bei einem Gespräch zwischen zweien der Brüder wird nicht klar, warum sich Eric so komisch verhält. Erst als seine Version zu lesen ist, bekommen wir die andere, klärende Seite. Kehlmann zeigt uns die Personen von verschiedenen Blickwinkeln, auch deren Veränderungen durch die Jahre. Ein gekonntes Spiel, das Kehlmannschon bei seinem letzten Erzählband vorgeführt hat. Alles ist ein Spiel mit verdeckten Karten. Das Schiksal (F wie Fatum) spielt eine weitere Rolle und wie wir damit umgehen (wollen).
Was die Rezensenten aber nicht erwähnt haben, dass Kehlmann einige Grossstädte wie London, Paris, New York, München einfließen lässt, dass aber (komischerwiese) zweimal Ulm darin vorkommt. Wie kommt er denn darauf? Aber es stützt meine These, dass Ulm in der Literatur nur als Beiwerk dient und so im Vorüberfahren wahrgenommen wird.
„Bei Ulm bezichtigte ihn ein Kaufmann, er haben ihm Geld gestohlen, …“
„Aber ich bin kein Aristrikrat. Mein Vater hatte eine kleine Fabrik in Ulm. Die habe ich verkauft, als ich zwanzig war.“
Insgesamt ein literarisches Vergnügen, ein Verwirrspiel, eine Varietenummer mit etwa Suspense und bestens geeignet für ein paar angenehme Lesestunden.

Freitag

Heute haben
Fabrizia Ramondino * 1936
Wolfgang Hilbig * 1941
Geburtstag
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Annette von Droste-Hülshoff
Sommer

Du gute Linde, schüttle dich!
Ein wenig Luft, ein schwacher West!
Wo nicht, dann schließe dein Gezweig
So recht, dass Blatt an Blatt sich presst.

Kein Vogel zirpt, es bellt kein Hund;
Allein die bunte Fliegenbrut
Summt auf und nieder übern Rain
Und lässt sich rösten in der Glut.

Sogar der Bäume dunkles Laub
Erscheint verdickt und atmet Staub.
Ich liege hier wie ausgedorrt
Und scheuche kaum die Mücken fort.

O Säntis, Säntis! läg‘ ich doch
Dort, – grad‘ an deinem Felsenjoch,
Wo sich die kalten, weißen Decken
So frisch und saftig drüben strecken,
Viel tausend blanker Tropfen Spiel;
Glücksel’ger Säntis, dir ist kühl!

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LouvreTitel

David Prudhomme:Einmal durch den Louvre
Verlag Reprodukt € 20,00

Wie schon „angedroht“, hier eine weitere Neuerscheinung aus dem Verlag Reprodukt. Eine weitere Graphic Novel. Diesmal sind wir nicht in Spanien, sondern in Frankreich, genauer in Paris und noch genauer im Louvre. Bis auf die letzten paar Seiten.
Er läuft durch den Louvre und ist eigentlich mit Jeanne unterwegs. Irgendwie haben sie sich verloren. Alle Versuche mit ihr Kontakt aufzunehmen, misslingen, so dass er große Teile der Ausstellung durchläuft. Zuerst sehr distanziert, betrachtet er die Betrachter. Wir bekommen das durch die feine Art der Zeichnungen von David Prudhomme mit, der zwischen scharz-weiss und farbig wechselt und so auch die Realitäten, die so langsam verschwimmen. (Äh … hatten wir das nicht gestern schon?). Er läuft also durch die verschiedenen Säle, betrachtet die Bilder, aber mehr noch die Personen, die die Bilder betrachten. Wir sehen sie in verschiedensten Körperhaltungen. Viele mit einer Digitalkamera in der Hand, um die Kunstwerke, oder die Partnerin vor den Kunstwerken, oder einfach sich selbst mit der Kunst abzufotografieren. Im Laufe des Buches jedoch merken wir, dass sich Betrachter und Betrachtendes immer mehr ähneln. Eine junge Frau trägt die gleichen Gesichtszüge, wie eine ägyptische Plastik. Ein Torso ohne Kopf dient ständig als Objekt für eine Fotografie mit einem Menschen dahinter. Was schauen eigentlich die vielen, vielen Menschen an? Was wird da denn in Massen fotografiert. Durch die Menschentrauben kommen wir auch nicht in den Genuß. Gottseidank hält jemand seine iPad hoch und drückt ab. Jetzt wird es klar. Es ist die Mona Lisa. Aber was sieht Mona Lisa. Aus ihrer Sicht natürlich jede Menge Menschen. Ein Schulklasse vereint sich beim Abzeichnen des Flosses der Medusa mit dem Bild. Eine Führerin hält den Arm mit dem Wimpelchen so hoch, wie die Freiheits-Marie auf dem weltbekannten Bild. Und so geht es weiter. Immer mehr verschwimmen Bilder mit den Betrachtern, werden zu einem. So lange, bis er unsichtbar wird, bis nur noch der Kopf zu sehen ist und er eventuell dem Standhal-Syndrom anheimfällt. Für ihn also der richtige Zeitpunkt die Hallen zu verlassen und nach Hause zurückzukehren. Trotz des Schocks der Buntheit in der Metro wissen wir oft nicht, ob wir nicht doch noch im Museum sind. Sind die Metrowagenfenster nicht Bilderrahmen, die Mitfahrenden nicht gerade noch auf einem Bild im Louvre gewesen. Dass er sein eigentliches Tagesprojekt total vergessen hat, merkt er auf dem letzten Bild und wir verlassen ihn mit groß aufgerissenen Augen.

Wussten Sie dass der Louvre 403 Räume hat, 243.00 qm Hölzböden (für den 2.500 Liter Wachs benötigt werden)? Dass es 2.410 Fenster und 3.000 Türschlösser gibt, 10.000 Stufen zu 72 Ebenen, 40 Aufzüge, 28 Rolltreppen, 8.000 Brandmelder? Dass monatlich 800 Liter Seife, 1.000 km Toilettenpapier und 3.000 Müllsäcke benötigt werden?
Durchschnittlich besuchen 30.000 Menschen täglich da Museum. Sie legen im Schnitt 2 Kilometer in einer Zeit von 3 Stunden zurück und schauen ca. 10 Sekunden auf ein Bild. In diesem Tempo bräuchte man vier Tage und Nächte für alles.
Brummt Ihnen jetzt auch der Kopf? Mir schon!

David Prudhommes: „Einmal durch den Louvre“ ist Roman, Kunstwerk, Kunstbuch , … in einem und macht riesig Spaß. Achtung: Sie werden auch beim dritten Mal Anschauen, noch nicht alle Feinheiten entdeckt haben. Wie soll das auch gehen, bei der Fülle der Bilder, der Bilder, der Bilder.

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Donnerstag

Heute haben Ernst Kreuder (*1903) und Michael Jackson (* 1958) Geburtstag.
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Gestern schrieb ich sehr begeistert über ein besonderes Buch aus Frankreich und vormittags packte ich dann Bücher aus dem Verlag Reprodukt aus. Früher hätte man gesagt, dass der Verlag Comics macht, heute heisst das dann meist Graphic Novels. Sei’s drum. Früher mussten wir uns heimlich Mickey Mouse kaufen und heute gehören die Bilderromane zum guten Ton.
Und so ging es mir dann schon wieder, dass ich ganz begeistert war von den Neuheiten, die aus der Bücherkiste kam. So stelle ich heute eines der Bücher vor und morgen gleich das zweite.

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Paco Roca: „Kopf in den Wolken
Reprodukt Verlag € 18,00

Allein schon die ersten Seiten haben mich gepackt. Paco Roca hat mich komplett hereingelegt, so dass ich dachte, was ist denn hier in dieser Bankfiliale los? Was ist denn mit dem Bankdirektor los?

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Aber kaum habe ich umgeblättert, löst sich Fall sehr schnell. Und genau mit diesem Mittel arbeitet der Autor und Zeichner. Er führt uns immer wieder hinters Licht und zeigt somit gleichzeitig auf, was in den Köpfen der Menschen vorgeht, die er hier beschreiben will.

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Es geht in dieser Graphic Novel um Menschen, die vergesslich, die dement werden, bei denen Alzheimer diagnostiziert wird. Unsere Hauptperson Emilio wird von seinen Kindern in ein Heim eingewiesen, da sie beide berufstätig sind und sich nicht professionell um ihn kümmern können.

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Was dann kommt, ist das Wandeln zwischen den Zeiten, den Welten.
Emilio ist auch so einer, dem seine Erinnerungen immer mehr zur Wirklichkeit werden. Und so auch hier. Diese Situation der Einweisung in dieses Heimt, wirft ihn zurück in seine eigene Vergangneheit.

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Die nächsten Seiten zeigen den ersten Eindruck seiner Mitbewohner. Da ist Miguel, mit dem er ein Zimmer teilt und der sich mit Kleinkriminalität und Schlitzohrigkeit seinen Alltag verschönt. (Weiss er eigentlich, was er da tut?). Es gibt Juan, der nur noch wiederholt, was er gerade hört. Es gibt eine alte Dame, die am Fenster sitzt und meint, sie fährt mit dem Orient Express nach Istanbul. Ein Ehepaar, bei dem sie sich rührend um ihn kümmert, der sich kaum noch äußern kann. Wir haben ein bunte Gruppe von alten Menschen und schauen in ihren mehr als tristen Alltag. Es gibt Seiten, auf denen wir sie auf Stühlen sitzend sehen und wie am oberen Bildrand die Uhr abläuft.
Aber, und das ist das Schöne an dem Buch, Paco Roca erzählt mit großem Witz und Empathie. Er erzählt vom Bingonachmittag und die Mitspieler sich ein, zwei Seiten darüber unterhalten, was denn nun für ne Zahl dran war. Auch das mehrfache Wiederholen der 20 nützt nichts. Wieder fragt jemand nach. Das erinnert an die lustigen Szenen aus dem Kuckucksnest-Film. Auch die Fluchtszene aus dem Buch. Das Schlitzohr Miguel besorgt ein Cabrio und zu dritt wagen sie die Reise in eine neue Welt ohne Zäune und Zwänge. Dass dies nicht gut ausgehen kann, liegt auf der Hand.
„Der Kopf in den Wolken“ erzählt liebenswert über alte Menschen, über die vielen Personen in den Altersheimen und über das Vergessen in deren Köpfen. In diesem Heim gibt es einen zweiten Stock, in den sich nicht einmal Miguel traut, da dort die sind, die sich an gar nichts mehr erinnern können. Dass Emilio genau dort landen wird, erahnen wir schon, aber dass er von Miguel, der ihm allerlei seiner Habseligkeiten abgegaunert hat, umsorgt wird, zeigt die Warmherzigkeit des Buches. Durch die Karft der Bilder werden wir als Leser in eine zweite Dimenson geführt. Nicht nur durch Worte erfahren wir vom Verschwinden der Wirklichkeit. Rocas Bilder zeigen uns Gesichter mit verschwommenen Konturen, oder nur noch mit Rändern ohne Inhalt. Er zeigt uns Emilios Hemd ohne Knöpfe, so dass er es nicht mehr zumachen kann. dazu braucht es keine Worte. Ein Bild genügt und wir wissen um den Zustand Emilios.
Großes Lob für dieses Buch, das ich für jedes Alter empfehle. Warum sollen Kinder und Jugendliche nicht auch diese Gesichte anschauen und lesen, wo viele von uns doch auch eine vergessliche Oma, oder einen Opa im Heim haben.

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Reservieren

Mittwoch

Heute haben
Johann Wolfgang von Goethe * 1749
Ernst Weiß * 1884
Janet Frame * 1924
und
Ai Weiwei * 1957
Geburtstag
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Johann Wolfgang von Goethe
Denn was man Schwarz auf Weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen
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Heute vor 50 Jahren hielt Martin Luther King seine berühmte „I have a dream“-Rede. Hier können Sie den kompletten Text nachlesen.

Am kommenden Dienstag veranstalten wir in unserer Buchhandlung wieder „Die erste Seite„. Wie an jedem ersten Dienstag im Monat stellen wir von 19 bis 20 Uhr vier neue Bücher vor. Diesmal ist unser Ehrengast der Ulmer Stefan Plöger mit seinem Buch: „Der Klang der Hingabe„. Marion Weidenfeld ersetzt Clemens Grote als Vorleserin. Sie stellt selbst ein Buch vor und ich erzähle dann zu den beiden anderen Büchern noch etwas.
Der Eintritt ist, wie immer frei.
Wir beginnen pünktlich und freuen uns auf Ihr Kommen.
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„Tschick“-Autor: Wolfgang Herrndorf ist tot.
Nach langem Kampf mit seinem Gehirntumor hat er wohl Selbstmord begangen.
Große Trauer. Hoffentlich findet er jetzt ein paar Mitstreiter, damit er mit ihnen auf die Reise gehen kann.
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Julia Deck: „Viviane Élisabeth Fauville
Aus dem Französischen von Anne Weber
Wagenbach Verlag € 16,90
als eBook € 11,99

Was für ein Buch! Was für eine Geschichte!
Die Übersetzerin Anne Weber, die selbst als Autorin unterwegs ist und deren Bücher wir hier im Buchladen schon vorgestellt haben, haben mich noch schneller zu diesem Buch einer mir unbekannten Autorin greifen lassen. Gut, dass ich es gemacht und den Roman gelesen habe. Obwohl, ich gestehe es, mich der Text sehr verwirrt zurückgelassen hat. Julia Deck schreibt über eine psychisch angeschlagene 40jährige Frau mit kleinem Kind, die von sich denkt, dass sie ihren Psychiater ermordet hat. Es ist jedoch kein Krimi oder Thriller, wie sie meterweise im Buchregal stehen. Vivianes Geschichte wird in der Ich-Person, dann wieder in der dritten Person Singular erzählt. Es wechseln die Perspektiven. Und all dies lässt uns ordentlich durch den literarischen Nebel tappen. Viviane wurde von ihrem Mann wegen einer Jüngeren verlassen und sie schnappt sich ihr einjähriges Kind und zieht aus dem großbürgerlichen Haus aus. Gleichzeitig ist sie mit ihrem Leben, mit ihrer Arbeit überfordert. Sie verliert ihre Stelle und ist unter psychologischer Begutachtung. Dies führt dazu, dass sie Sitzungen bei einem Analytiker hat. Bei ihrem letzten Treffen mit ihm, findet sie ihn erstochen auf. Da sie seit längerer Zeit keinen glasklaren Gedanken fassen kann, reift in ihr der Gedanke, dass sie womöglich die Mörderin ist. Der erste Besuch bei der Polizei bringt keine Klärung, sie kann jedoch jede Schuld von sich weisen. Als der Polizist jedoch beim zweiten Treffen erwähnt, dass Vivianes Mutter seit Jahren schon tot ist, obwohl sie doch etwas ganz anderes erwähnt hat, kommen ihm Zweifel. Verschiedene Personen aus dem Umfeld des Toten werden von der Polizei vernommen. Es kommt sogar zu Festnahmen. Gleichzeitig unternimmt Viviane Untersuchungen auf eigene Faust, um für sich Klarheit zu erlangen. Julia Deck schafft es mit ihrer Erzähltechnik uns Leser im Unklaren zu lassen. Viviane ist auch nicht das typische Opfer und Sympatieträgerin. Um ungestört ihren Nachforschungen nachgehen zu können, gibt sie ihrer kleinen Tochter ein Schlafmittel und legt sie in eine Schublade ihres Hotelzimmers. Nicht gerade die feine Art. „Viviane Elisabeth Fauville“ ist ein extrem gutes, literarisches Spiel mit Wahn und Wirklichkeit. Ein Spiel mit Erinnerungen und mit der eigenen Biografie.
Mein Tipp für alle, die etwas Besonderes lesen wollen. Eine neue Stimme, eine neue Autorin und ein Erstlingswerk.
Dabei verwundert es dann gar nicht mehr, dass die Bücher von Anne Weber in eine ganz ähnliche Richtungen gehen. Darin geht es um Beziehungen, um verschrobene Situationen, die sich erst langsam auflösen und uns Leser immer wieder verstört zurücklassen.
Hier zwei Romane von Anne Weber: „Tal der Herrlichkeiten“ und „Luft und Liebe„, für den sie mit dem Preis der Leipziger Buchmesse geehrt wurde.
Und eine weitere Übersetzung eines Romanes von Pierre Michon:Leben der kleinen Toten„, von dem wir auch schon zwei Bücher hier auf dem Blog vorgestellt haben.

Dienstag

Heute hat Undine Gruenter (* 1952) Geburtstag.
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Die SWR Bestenliste September ist veröffentlicht.
Wir haben die meisten Bücher eh auf unserem Neuerscheinungstisch liegen und Sie können darin stöbern.
Hier geht es zur Liste.
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Moonrise Kingdom
Regie, u.a.Produzent, u.a. Drehbuch Wes Anderson
DVD ab 12 Jahren € 9,99

Wenn Ihnen der Namen Wes Anderson nichts sagt, dann vielleicht die Titel seiner Filme, die alle als DVD lieferbar sind und sicherlich im TV hoch und runtergespielt worden sind:
2001: Die Royal Tenenbaums (The Royal Tenenbaums)
2004: Die Tiefseetaucher (The Life Aquatic with Steve Zissou)
2007: Darjeeling Limited (The Darjeeling Limited)
2009: Der fantastische Mr. Fox (Fantastic Mr. Fox)
2012: Moonrise Kingdom

Wenn Wes Anderson ruft, dann stehen sie Schlange, die Hollywood Stars. Und so auch bei „Moonrise Kingdom“, der die Filmfestspiele in Cannes im letzten Jahr eröffnete.
Bill Muray, Bruce Willis, Tilda Swinton, … haben sicherlich/hoffentlich einen großen Spaß am Film und an den Dreharbeiten.
Schon in der ersten Einstellung, wenn die Kamera das Wohnhaus der Familie von Suzy abfilmt, meint man in eine Puppenstube zu schauen. Und so schlecht liegen wir gar nicht, wenn wir das Making Of anschauen. Dort wird nämlich klar, dass dies alles nur Holzaufbauten im Studio sind. Durch diesen Blick in die Puppenstube, seine schöne Farbigkeit und die sich steigernde Musik hat mich Anderson sofort gefesselt. Luzys Blick durch ihr Fernglas und die Stimme aus dem tragbaren Plattenspieler setzen noch eins obendrauf. Was soll das eigentlich? Wo soll das langgehen? Wir befinden uns im Jahre 1965 auf einer kleinen Insel (25 km lang erklärt uns ein Erzähler, der aussieht, wie ein Wichtelmann) irgendwo in den USA. Hier gibt es nicht viel und doch alles. Viel Wasser, grüne Wiesen, eine Kirche, einen Sheriff, jede Menge Pfadfinder, ein paar Familien und einen Sturm der jedes Jahr pünktlich am 5.September übers Land fegt. (Also demnächst. Augen auf!) Durften wir also einen Blick in Suzys Familie werfen, sind jetzt die Pfandfinder unter der Leitung von Oberfinder Ward dran. Alles sehr straf organisiert und doch skuril durchgeknallt bis ins Detail. Ein Junge aus der Gruppe 55 fehlt. Eine Zeltkontrolle (Diese Zelte, großartig) ergibt, dass er sich verdünnisiert hat. Und so nimmt die Geschichte seinen Lauf. Suzy hat aus Sicht ihrer Familie einen Knall und Sam (der Pfadfinder) wird auch von keiner seiner Jungs geliebt und gilt als Sonderling. In einer Bsprechnung der Pfadfinder im merkwürdigsten Baumhaus aller Zeiten sprechen sie über ihn und es wird klar, dass keiner ihn leiden kann. Sam und Suzy finden also zueinander. Und das in Zeit vor Mobilfunk, Twitter und SMS. Es müssen also Briefe geschrieben werden, die Wes Anderson allerdings so schnell ineinanderschneidet, dass die Daumen unserer Kinder am Telefon Schwierigkeiten hätten, mitzukommen. Beide hauen also ab und treffen sich auf einer Wiese, um danach gemeinsam in der Wildnis zu verschwinden. Wildnis, welche Wildnis? Wes Anderson richtet ihnen eine schöne kleine Bucht ein, in der sie zusammen ins Meer springen.
Eine wilde Verfolgungsjagd durch die ganze Insel beginnt. Mit dem Wasserflugzeug, per Moped und zu Fuß wird die Natur durchkämmt.
Ich will Ihnen jedoch nicht den ganzen Film erzählen. Schauen Sie selbst rein und genießen Sie jede Minute dieses warmherzigen, skurilen, liebeswerten Film, in dem Bücher (ja Bücher!!) und Vorlesen (Ja, Vorlesen!!!) eine wichtige Rolle spielen. Und in welchem Film passiert das schon. Wes Anderson hat einen Kinderfilm für Erwachsene gedreht, in dem es um die ganz große Liebe geht. Aber auch darum: Wer ist eigentlich verrückt? Und sind nicht eigentlich alle auf der Insel etwas eigenartig? Und dennoch ist dann doch die Dame vom Jugendamt (Tilda Swinton), die das größte Durcheinander anrichtet und der einfälltige Sheriff derjenige, der das größte Herz hat.
Noch eins: Achten Sie auf die Musik und die vielen Geräusche.
Hier geht es zur website des Filmes mit Trailern, Clips, Infos, Interviews. Und wenn Sie das dann immer noch nicht überzeugt, dann, ja dann machen Sie sich mal auf die Suche nach dem Kind in Ihnen.

Montag

Heute hat der Mond wohl das Sagen. Im Arche Kinderkalender kommt ein spanisches Mondgedicht, im Italienischkalender heisst es „Poesia alla luna“ von Giacomo Leopardi und im Gedichtekalender schreibt Babette Wert u.a. „… Einbrecher, der Mond steigt uns allen aufs Dach.“ Und wie es der Zufall so will, kommt in meinem Buchtipp ein Schiff namens „Moonlight“ vor.
Und das kam gerade auf einem Blog hereingetrudelt:

“I’m staring right at the fucking moon and I don’t care who knows it.“
Nicholson Baker, Traveling Sprinkler.

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Heute haben
Guillaume Apollinaire * 1880
Jules Romains * 1885
Christopher Isherwood * 1904
Julio Cortazar * 1914
Geburtstag
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Mein Buchtipp für den Tag erschien im amerikanischen original unter dem Titel „The Slave Dancer“, kam 1979 als „Sklavenfracht für New Orleans“ im Ravensburger Verlag heraus und wurde dieses Jahr neuübersetzt und verlegt unter: „Jessies Melodie“ im Boje Verlag.

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Paula Fox: „Jessies Melodie
Boje Verlag € 12,99
als eBook € 9,99
Übersetzt von Kai Kilian
Jugendbuch ab 12
Leseprobe

Wir befinden uns am Ende des 19.Jahrhunderts in New Orleans. Jessie ist 13 Jahre und wohnt mit Schwester und Mutter sehr ärmlich. Das Nähen von schönen Kleidern für die feine Gesellschaft ist die einzige Einnahmequelle der kleinen Familie. Jessie wundert sich oft, was so eine kleine Nähnadel für Auswirkungen hat. Jessies Lieblingsbeschäftigung ist das Flötenspiel. Er verdient sich ein paar Groschen dazu, in dem er im Hafen für die Matrosen spielt. An diesem Tag schickt ihn seine Mutter los, um Kerzen zu kaufen. Sie hat einen großen Auftrag zu nähen und muss die Nacht durcharbeiten. Jessie zieht los, leiht sich von seiner ungeliebten Tante noch etwas Geld, kommt aber gar nicht dazu seinen Auftrag auszuführen, weil er von Unbekannten in einen Sack gesteckt und verschleppt wird. Im Laufe der nächsten Stunden wird ihm klar, dass er auf einen Schiff kommen soll. Ihm wird allerdings nicht warum. Er merkt jedoch schnell, dass er keine Chance hat zu fliehen. Zu brutal sind die Männer, die ihn umgeben. Einer der Matrosen scheint dennoch ein Ansprechpartner zu sein und durch ihn erfährt Jessie dass die „Moonlight“ nach Afrika ausläuft und dass er in vier Monaten wieder bei seiner Mutter sein wird. Jessie kann es nicht fassen. Es wird jedoch noch verwirrender für ihn, als er erfährt, dass es sich um ein Sklavenschiff handelt, das illegal unterwegs ist. Sie fragen sich nun sicherlich, warum diese Matrosen Jessie entführt haben. Der Kapitän der „Monnlight“ hat von Jessies Flötenspiel erfahren und weiss um den Wert seiner Fracht, die er in Afrika an Bord nehmen wird. Sklaven, die nur eingesperrt unter Deck liegen, sterben ihm weg wie die Fliegen. Während der Wochen der Überfahrt sollen sie immer wieder zu Jessies Flötenspiel tanzen und sich bewegen und vielleicht ihr Leid vergessen. Das dient jedoch nicht zur Unterhaltung der Sklaven, sondern nur der Werterhaltung der Ladung. Jessie sieht viel, lernt viel, sieht Dinge, von denen er noch nicht einmal gehört hat. Die Brutalität auf dem Schiff ist eigentlich nichts für den 13jährigen Jungen. Aber er kann sich ihr nicht entziehen und kommt einmal auch unter die Räder. Nachdem die Sklaven an Bord sind, ändert sich auch Jessies Alltag und seine Aufgaben auf dem Schiff.
Wie das Buch nun ausgeht und dass alles doch noch ne andere Wendung einschlägt, verrate ich hier nicht.
Paula Fox, die alte Dame der amerikanischen Literatur (geboren 1923), lebt immer noch in Brooklyn, hat viele Preise für ihre Bücher für Erwachsene und Kinder/Jugendliche erhalten und war auch immer wieder für den Nobelpreis im Gespräch. Dieses Buch ist jetzt schon 30 Jahre alt und in einem Stil geschrieben, der nicht der lauten, schnellen Art entspricht, wie heute Jugendbücher geschrieben werden. Paula Fox schreibt ruhig, betrachtend und wir merken sehr bald von wen ihr Herz schlägt. Sie hat hier ein gelungenes Abenteuerbuch gegen die Sklavenhaltung in den USA geschrieben und ich kann mir denken, dass dieses Buch in vielen Schulen der USA Thema war. Ich könnte mir vorstellen, dass auch wir hier in Europa mit dem Buch viele Parallelen finden können, mit all den Flüchtlingen aus Afrika, die täglich in Italien und Spanien landen.
Obwohl es nicht sehr umfangreich ist und groß gedruckt, empfehle ich dieses Buch erst für Jugendliche ab 12. Nicht weil es brutal ist, sondern weil das Thema vielleicht für 10jährige etwas zu früh ist.

Samstag

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Heute haben
Jean Rhys * 1896
und
Jorge Luis Borges * 1899
Geburtstag
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Florian Werner: „Verhalten bei Weltuntergang
Mit Illustrationen von Nikolaus Heidelbach
Nagel & Kimche Verlag € 19,90

Diese Buch gibt es nicht als Hörbuch und eBook.
Ha! Warum wohl nicht? Was steckt dahinter?
Nur als Buch auf Papier?
Sehr verdächtig.
Dazu hat es keinen Schutzumschlag (wofür gibt es eigentlich Schutzumschläge? Das sind doch mittlerweile Werbeträger und schützen unser Auge für der billigen Pappe, in der die meisten Bücher geklebt worden sind), ist am Buchrücken eckig und nicht einschmiegsam rund. Auf dem Titelbild blasen fürnf Totenköpfe auf den Trompeten von Jericho, oder die Fanfaren zum Weltuntergang. Dazu noch die gruseligen Bilder von Nikolaus Heidelbach. Muss ich mir das antun? Das das alles nicht zum Fürchten genug?
Nein! Das Buch erweist sich als den idealen, alleinigen Begleiter, wenn Sie dem Antichristen begegnen.
Damit sind wir gleich mitten im Thema: Woran erkennen Sie den Antichrist? Ganz einfach! Ein bisschen Zahlenmagie und losgeht’s. Nehmen wir mal den Namen HITLER und geben dem Buchstaben A den Zahlenwert 100, B=101, C=102, usw., dann ergibt sich (wer hätte es gedacht) bei der Adition der sechs (!) Buchstaben die Zahl 666. Was soll’s schreibt Florian Werner. Auch ohne dieses Zahlenbeispiel wissen wir, was der Kerl auf dem Kerbholz hat und 6 Millionen ermordete Juden sprechen eine ganz andere Zahl.
Aber nochmals auf die 666 zurückzukehren. WWW = Word Wide Web entspricht im Hebräischen der Buchstabenfolge „waw waw waw“ und der Zahlenwert diese Buchstaben ergibt 6. Noch Fragen?
Warum aber Papst Johannes Paul II auch eindeutig der Antichrist ist, ergibt sich laut Florian Werner gemäß Offenbarung 13.3. nachzulesen auf Seite 52 des Buches.
Aber warum auch Bill Gates, der im richtigen Leben William Henry Gates III heisst, warum also Bill Gates III auch die 666 ergibt wundert uns doch gar nicht, wenn mal wieder unser PC abschmiert mit seinem verdammt beschi…. Windows. Verdammt und zugenäht. Zum Teufel damit!
Florian Werner listet aber auch ganz besondere Tiere auf und erklärt deren Bedeutung: Drachen, Chimären, Dinosaurier, Kraken, Schlangen, Pferde, Rinder und Ziegen und allerlei anderes Getier. Froschlurch will hier doch noch erwähnen.
Aber um nochmals auf den Antichristen zurückzukommen: Florian Werner zeigt uns eine Tabelle mit u.a. hebräischer, griechischer Zahlschriften, anderen Alphabeten einer ASCII-Codierung im Dezimalsystem. Dort können Sie also zum Beispiel den Namen eines Politkers eingeben und solange umrechnen bis Sie auf die 666 kommen. Florian Werner schreibt: Wenn trotz allem nicht die 666 herauskommt und alle Umarbeitungen nicht funktionieren, dass ist die Person dennoch der Antichrist, Sie haben nur noch nicht die passende Formel gefunden.
Dies schreibt der Verlag dazu:
„Jüngstes Gericht. Armageddon. Atomkatastrophe. Schuldenkrise. Klimakollaps. Egal, wie man es nennt, sicher ist: Der nächste Weltuntergang kommt bestimmt. Aber wann genau? Welche Musik hört man dazu?“
Das sind weitere wichtige Themen, die hier abgehandelt werden.
„Florian Werner führt durch die Kulturgeschichte der Apokalypse, untersucht die Prognosen aus Theologie und Philosophie und ihre Konsequenzen für die Gesellschaft. Wer sich diesem Buch und den grausig schönen Bildern von Nikolaus Heidelbach anvertraut, hat final vorgesorgt und braucht sich vor nichts mehr zu fürchten. Ein ideales Buch für Kultur- und andere Pessimisten – und für alle, die eine Geschichte mit bösem Ausgang zu schätzen wissen.“
Und was soll das Ganze?
Keine Ahnung. Aber: Es macht verteufelt Spass.
Und vielleicht wäre eine passende App gar nicht so schlecht. So hätten wir im Falle eines Falles immer eine Lösung in der Tasche.
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Freitag

Heute haben
Alfred Lichtenstein * 1889
Arthur Adamov
und Ephraim Kishon * 1924
Geburtstag.

Alfred Lichtenstein wurde leider nicht sehr alt und starb im Ersten Weltkrieg 1914.
Hinterlassen hat er viele expressionistische Gedichte, aber auch folgendes:

Bin gerad nicht blöd

Bin gerad’ nicht blöd, bin gerad’ nicht hell
Ich bin ein lustiger Gesell
Und trinke Wasser, trinke Wein
Und lasse fünfe gerade sein.
Erst stopf ich mir mein Pfeifchen
Dann pfeif ich mir ein Lied
Vormittag’s hab’ ich Hunger
Nachmittags Appetit.

Ich wandre durch die weite Welt
Die mir ausnehmend gut gefällt
Und schlaf im Bette, schlaf im Stroh
Denn sterben tut sich’s so wie so.
Erst stopf ich mir mein Pfeifchen
Dann pfeif ich mir ein Lied
Und hab’ ich gerade nicht Hunger
Dann hab ich Appetit

Kommt geradewegs ein Dirndl her
Trägt einen Korb mit Äpfeln schwer
Ihr Fuß ist nackt, ihr Kleid ist rauh
Doch ist ihr Auge treu und blau
Erst stopf ich mir mein Pfeifchen
Dann pfeif ich mir ein Lied
Auf die Äpfel hab ich Hunger
Auf das Dirndl Appetit
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Umso mehr ich mich im Netz umgeschaut habe, destomehr musste ich schmunzeln und lachen. Daniel Handler ist wirklich nicht auf den Mund gefallen. Im Theater würde man sagen, er sei ne Rampensau. Er weiss sich zu präsentieren und der Erfolg vonEine Reihe betrüblicher Ereignisse, das er unter seinem Pseudonym Lemony Snicket geschrieben hat, gibt ihm mehr als Recht. Hier nun sein neues Buch, in dem es jede Menge Illustrationen gibt, die wirklich nicht nur als Beiwerk zu betrachten sind.
Bitte klicken Sie sich durch die Links durch. Gerade seine Interviews in Grand Central, oder das Loblied auf Bibliotheken sind sehr prima.

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Daniel Handler:43 Gründe, warum es aus ist
Mit Illustrationen von Maira Kalman
Übersetzt aus dem Englischen von Birgitt Kollmann
Hanser Verlag € 18,90
als eBook € 14,99
Das amerikanische Original „Why We Broke Up kostet € 12,99

Daniel Handler interviewt Menschen in der New Yorker Grand Central Station, die sich auch getrennt haben.
Daniel Handler und Maira Kalman reden über ihr Buch.
Und hier singen sie sogar noch ein Loblied auf Bibliotheken.
Maira Kalman redet in der MOMA über ihre Kunst.
Hier kommen Sie auf die „Whywebrokeupproject“-Seite und können Ihre Trennung(en) in zwei Sätzen formulieren. Gleichzeitig gibt es noch viele Infos zum Buch und zu den Illustrationen.

Min, eigentlich Minerva, die römische Göttin, die … (so erklärt sie jedem Fremden ihren Namen) und Ed treffen aufeinander. Die beiden könnten nicht unterschiedlicher sein und auch der Freundeskreis ist sehr erstaunt, als sie anfangen sich zu „daten“. Min lebt praktisch in der Welt alter Filme, zitiert zu jeder Situation den passenden Film; Ed, der Co-Kapitän der Basketballmannschaft steht eher auf einfache Rockmusik und witzige Filme. Aber eigentlich gibt es ausser Basketball und Herumhängen nicht viel in seinem Leben. Ach ja: Ausser dass halt alle Mädels scharf auf ihn sind. Aber nun sind die beiden ein Paar geworden. Oder vielmehr: Sie waren ein Paar. Min packt ihm nämlich eine Kiste, in die sie 43 Gegenstände packt, die mit ihren Beziehung zutun haben/haben. Chronologisch erkärt sie uns nun was es mit deinen Sachen auf sich hat. Eine Kinoeintrittskarte, ein Spielzeugauto, ein Stück eines Posters, Ohrringe, ein Zuckerstreuer, bis hin zu einer Kondompackung. Aus Mins Sicht bekommen wir nun mit, warum die Beziehung in die Brüche ging (Why we borke up). Sehr witzig und frech (so ist Daniel Handler im wahren Leben wohl auch) erfahren wir nun die ganze, wahre Geschichte von Anfang bis zum Schluss, wobei es eh nur ein paar Wochen/Monate waren. Aber: Ist es wirklich die ganze Wahrheit? War es denn wirklich so? Das überlasse ich Ihnen als Leser und Leserin. Denn, wir lesen ja nur das, was Min erzählt und irgendwie ist sie doch auch schon sehr speziell und eigen. Vielleicht hat sie sich die eine und andere Situation auch passend zurechtgebogen. Handler meint dazu, dass sich Ed als zweiter Erzähler nicht geeignet hätte, da seine Äußerungen zu Min, ihrer Beziehung und dessen Ende wohl auf einen Bierdeckel gepasst hätte. Nicht so bei Min: es sprudelt nur so aus ihr heraus. Handler hat hier ein großes Stück Jugendliteratur erzählt. Diese wenigen Wochen der beiden Teenager sind so detailgenau nachvollziehbar und wenn wir uns etwas zurücklehnen, fallen uns sicherlich auch ganz ähnliche Situationen aus unserer Vergangenheit ein. Ach ja: Handler hat ein Blog eingerichtet, auf dem Sie in zwei Sätzen Ihre Trennungssituation aufnotieren können/sollen. Da sind sehr besondere Einträge zu finden.
Ich wünsche diesem Buch sehr viel Erfolg und noch mehr Leser und Leserinnen.

Donnerstag

Heute haben Dorothy Parker * 1893
Ray Bradbury * 1920
Wolfgang Schnurre * 1920
Irmtraud Morgner * 1933
Geburtstag
und es ist der Todestag von Nikolaus Lenau (* 1850)
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Passend zu diesem Jahrestag und auch für alle, die aus dem Urlaub zurückkehren gibt es heute das Gedicht „Heimatklang“.

Nikolaus Lenau
Heimatklang

Als sie vom Paradiese ward gezwungen,
Kam jeder Seele eine Melodie
Zum Lebewohl süß schmerzlich nachgeklungen,
Darauf umschloß die Erdenhülle sie.
Noch ist dies Lied nicht völlig uns verdrungen,
Doch tönt es leiser stets auf Erden hie.
Gib acht, o Herz, daß in den Schütterungen
Dir nicht des Liedes letzter Hauch entflieh!
Ein Nachhall dieses Liedes ist entsprungen
Des Morgenlandes süße Poesie,
Von Jugendträumen wirds manchmal gesungen,
Doch dunkel, unbewußt woher? und wie?
Wem aber einmal klar und voll geklungen
Die wunderbare Heimatmelodie,
Der wird von bangem Heimweh tief durchdrungen,
Und er genest von seiner Sehnsucht nie.
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Ich doch versprochen, über meine Bücher zu schreiben, die ich in meinen Urlaubstagen gelesen habe.

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The Love Affairs of Nathaniel P.“ von Adelle Waldman war eines davon. Auf dem Blog finden Sie eine Besprechung des Buches, das ich auf dem eReader gelesen habe. (Das Ding ist einfach unerotisch, aber halt sehr platz- und gewichtsparend).

Dazu gab es jeden Tag einen Gesang aus der „Göttlichen Komödie“ von Dante, bei der ich mittlerweile im Paradies angekommen bin. Seit Jahren mache ich an diesem Werk herum, habe eine italienische Ausgabe mit Kommentaren, die ich nicht verstehe, eine dt. Reclam-Ausgabe mit einer sehr genauen Übersetzung und ein Inseltaschenbuch, das sich an die Versform hält. Nun kam vor Kurzem eine Neuübersetzung mit deutschen Kommentaren bei Reclam heraus. Davon schnappte ich mir den dritte Band (Paradies) und genieße es außerordentlich. So habe ich den italienischen Originaltext, eine deutsche Übersetzung und sehr viele Kommentare verschiedenster Art. Es macht wieder richtig Spaß und lässt mich wirklich vergessen, dass diese Thematik nun wirklich nicht meines ist. Und trotzdem packt es mich jeden Tag.
Leseprobe.

Als Fahnen (Kopien auf Papier) hatte ich noch „Restaurant Dalmatia“ von Jagoda Marinic dabei. Darin erzählt die Autorin von einer jungen Frau namens Mia, die in Kanada endlich den Durchbruch als Fotografin geschafft hat, dann aber in ein großes Loch fällt. Ihr Freund rät ihr zu einer Reise zurück zu ihren Wurzeln, also nach Berlin, wo sie aufgewachsen ist. Im Restaurant Dalamtia ihrer Tante Zora im Berliner Wedding findet sie das, wonach sie solange gesucht hat. Es ist eine Reise in die Vergangenheit, in der Kanada, Berlin und Kroatien sich zu einem großen Reigen vereinen. Mehr mag ich noch nicht schreiben. Das Buch erst am 20.9. im Verlag Hoffmann & Campe erscheint. Am 26.9. liest Jagoda Marinic bei uns in der Buchhandlung. Worauf wir uns sehr freuen.
Die website der Autorin.

Noch auf dem eReader hatte ich Imre Kertészs: „Letzte Einkehr„. Dieses Buch ist echt eine Wucht und rundet diesen Kanon sehr schön ab. Dante, Brooklyn, Berlin/Dalmatien und jetzt Berlin/Ungarn.
Im Gegensatz zu seinem berühmten „Galeerentagebuch“, das in Ungarn spielt, sind dies Tagebuchaufzeichnungen von 2009 bis 2011. Die Zeit, in der er dann doch noch den Nobelpreis erhält, nach Berlin umzieht, einen noch kritischeren Blick auf Ungarn entwickelt. Es ist die Zeit, in der der ganze Trubel über ihn hereinbricht, er jedoch auch endlich reisen kann, wohin er will. Er steigt in den besten Restaurants ab und übernachtet bei Einladungen in den feinsten Hotels. Es ist jedoch auch die Zeit von dramatischen Erkrankungen bei seiner Frau und ihm. Kretesz ist ein großer Kritiker, was die Politik Ungarns anbelangt. Der Umgang mit dem Judentum ist ein ständiges Thema in seinen Aufzeichnungen. Aber auch die Bewertung einzelner Schriftsteller. Ein geniales Buch, das mich nicht mehr losgelassen hat, obwohl ich erst sehr kritisch an die Texte rangegangen bin.
Das Buch erscheint am 20.9. im Rowohlt Verlag.
Leseprobe

Mittwoch

Christian Morgenstern

Als die Münster-Uhr
sieben Uhr morgens schlug,
hab ich »Du« gesagt bei jedem Schlag.

Und so sei denn mein
alle, alle Zeit,
und dann komme, was da kommen mag.
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Mit meinem Buchtipp für den heutigen Tag hänge ich etwas hinterher. Sicherlich kennen einige schon dieses Jugendbuch. Ich fand jetzt erst Zeit dafür, es zu lesen und kann allen Kritiker recht geben: Ein tolles Buch!

WunderWonder

Raquel J. Palacio: „Wunder“
Hanser Verlag € 16,90
Jugendbuch ab 10 Jahren
übersetzt aus dem Englischen von André Mumot

Hier ein paar Links zum Buch:
Die Autorin stellt ihr Buch selbst vor
Die Autorin liest ein Kapitel
Leseprobe
Anmerkungen
Buchtrailer
Eine sehr feine filmische Annäherung an das Buch

Wenn Sie sich wirklich durch die Links geklickt haben (die sich wirklich lohnen. Auch im Nachhinein der Link mit den Anmerkungen. Wer weiss schon, wie diese Star Wars Figuren aussehen), dann brauche ich gar nicht mehr viel zum Buch schreiben, …. mache es aber trotzdem.
Der zehnjährigen August Pullman leidet unter einem Gendefekt, das bedeutet, dass er ein sehr entstelltes Gesicht hat. Auch 30 Operationen später (nicht nur Schönheitsoperationen, sondern wirklich wichtige für sein Überleben) sieht er so aus, dass Menschen vor ihm davonlaufen. Er wächst in einer wohlbehüteten Familie in New York auf, hat eine ältere Schwester und einen kleinen Hund. Aus Schutz vor diesen erwähnten Blicken unterrichtet ihn seine Mutter zuhause. Nach der Grundschulzeit entschließen sich seine Eltern ihn doch in einer Schule anzumelden. Zuerst stößt dies auf großen Widerstand von Auggie, der wochen- und monatelang mit einem Kinderastronautenhelm herumgelaufen ist; er entschließt dann aber doch, dorthin zu gehen. Raquel Palacio lässt das Buch von verschiedenen Personen erzählen, was dem Buch ein ganz besonderen Schwung gibt. Gerade wenn es zu großen Turbulenzen, zu Streitereien kommt, erfahren wir aus der anderen Sicht, wie es dazu gekommen ist und wie diese Person darüber denkt. Auggie wird also eingeschult, hat einen kleinen Kreis von Kindern, die mit ihm reden, der größte Teil betrachtet ihn jedoch als Monster. Eines dieser Mädchen ist Summer (das ist eine schöne Szene mit diesen beiden Namen: Summer und August), die ihm immer zur Seite steht, auch wenn es in seiner Schule zu einer kollektiven Ablehnung von ihm kommt. Bis dahin, dass die Schüler „Pest“ spielen, was heisst, dass sie sich innerhalb 30 Sekunden die Hände waschen müssen, wenn sie Auggie, oder einer seiner Freunde, berührt haben. „Wunder“ ist aber auch eine klassiche Jugendbuchgeschichte mit kleinen Abenteueren, Schulausflügen, Freundschaften, Streitereien (auch im Familienkreis). Es ist jedoch die Krankheit Auggies, mit der fast alle agierenden Personen irgendwann im Roman Probleme bekommen. So auch seine Schwester, die sonst immer zu ihm hält, oder auch Jack Will, einer seiner Schulkameraden.
Ich möchte nicht zuviel erzählen, empfehle es wirklich jeder Leserin, jedem Leser ab 10 Jahren (auch den Erwachsenen). Sie werden ihre Freude dabei haben. Sie werden lachen und heulen. Und obwohl der Schluss schwer am Kitsch vorbeischrammt und ein geniales Hollywoos Happyend hat, schadet es dem Buch überhaupt nicht.
Vielleicht regaieren wir dann auch anders als die Autorin selbst, die an einer Eisdiele ein kleines Mädchen sah, die im Gesicht auch schwer verunstaltet war. Frau Palacio zog daraufhin ihre Kinder aus dem Laden. Diese Situation hat die Autorin nicht vergessen und war wohl auch der Auslöser für diesen Roman.

Hier reservieren als Papierbuch für € 16,90, als Hörbuch auf 4 CDs für € 19,99, oder als eBook für € 12,99.
Das amerikanische Original kostet € 10,99