Dienstag

IMG_4964Heute haben
Friedrich Theodor Fischer * 1807
Georges Duhamel * 1884
Czeslaw Milosz * 1911
Philippe Jacottet * 1925
Assia Djebar * 1936
José Emilio Pacheco * 1939
Juli Zeh * 1974
Geburtstag

 

 

 

Friedrich Theodor Vischer
Lyrische Gänge

»Lyrische Gänge?
Willst du dir schaden?
Kritischer Gänge
Reiskameraden?«

»Machst uns Gedanken!
Neben dem Richten
Muß wohl erkranken
Fröhliches Dichten.«

»Rauh sind die Gänge:
Steinige Wege,
Stoß im Gedränge,
Schwindliche Stege!«

»Hast du nicht Schwingen?
Kannst du nicht schweben,
Wolken durchdringen,
Himmelan streben?«

– Trunkenes Wiegen
Bleibe mir ferne!
Ohne zu fliegen
Find‘ ich die Sterne.

Laß mich vertrauen,
Daß mir das Auge,
Träumend zu schauen,
Immer noch tauge.

Magst du mich sehen
Leiden und streiten,
Lasse mich gehen,
Lasse mich schreiten.

Fuß über Grüften
Fest auf dem Festen,
Haupt in den Lüften,
So ist’s am besten.

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CD-Cover: Charlie Haden/Gonzalo Rubalcaba - "Tokyo Adagio" | Bild: impulse

Charlie Haden/Gonzalo Rubalcaba: „Tokyo Adagio“

Charlie Haden (Bass)
Gonzalo Rubalcaba (Klavier)
Impulse  CD  € 19,99

Nicht nur in der Literatur gibt es Entdeckungen und Neuübersetzungen. Auch dieses Beispiel zeigt, dass ein Blick in die Schublade wahre Perlen hervorzaubern kann. 1986 trafen sich der Bassist Charlie Haden und der deutlich jüngere Pianist Gonzalo Rubalcaba auf Kuba und spielten miteinander. Weitere gemeinsame Auftritte waren danach schwierig, bis Rubalcaba in die USA auswanderte. Sieben CDs haben sie gemeinsam aufgenommen und so manchen Klassiker auf den Weg gebracht. Mitte März 2005 traten sie an drei Abenden im Blue Note Club in Tokyo auf. Veröffentlicht wurden die Aufnahme nie, obwohl Haden wohl daran dachte, sie noch zu Lebzeiten herausbringen zu wollen. Es hat nicht geklappt und so können wir, ein Jahr nach dem Tod von Haden, diese CD in den Spieler stecken. Und was dabei herauskommt ist schon ne Wucht. Also eher das Gegenteil von Wucht. Eine neuerliche Entdeckung der Langsamkeit. Dies heisst aber nicht, dass es hier an Intensität fehlt. Die beiden harmonieren perfekt, spielen einfache und hochkomplexe Passagen, dass, meiner Meinung nach, sowohl Profi-Hörer, als auch Anfänger, dieser Musik mit Genuss lauschen können. Den Zuhörern im Club muss es ähnlich gegangen sein. Mucksmäuschenstill muss es gewesen sein. Nur ein leises Gläserklirren und Besteckklappern ist hin und wieder zu hören. Genießen Sie die beiden Hörbeispiele, auf denen jeweils ein komplettes Stück aus der CD zu finden ist.

https://www.youtube.com/watch?v=NnxcvNThpPI

Das „Tokyo Adagio“ ist eine großartige Konzert-Wiederentdeckung in Albumform.

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Die Ulmer Radspezialisten Pedaleur haben uns wieder etwas ganz Besonderes aus Finnland ins Schaufenster gestellt.
www.Pelagobicycles

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Montag

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Heute haben
Johann Heinrich Campe * 1746
Giacomo Leopardi * 1798
Willibald Alexis * 1798
Antoine de Saint-Exupery * 1900
Oriana Fallaci * 1930
Ror Wolf * 1932
Patricia Duncker * 1951
Geburtstag

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Giacomo Leopardi
XXXIII – Il Tramonta della luna

Quale in notte solinga,
Sovra campagne inargentate ed acque,
Là ‚ve zefiro aleggia,
E mille vaghi aspetti
E ingannevoli obbietti
Fingon l’ombre lontane
Infra l’onde tranquille
E rami e siepi e collinette e ville;
Giunta al confin del cielo,
Dietro Apennino od Alpe, o del Tirreno
Nell’infinito seno Scende la luna;
e si scolora il mondo;
Spariscon l’ombre, ed una
Oscurità la valle e il monte imbruna;
Orba la notte resta,
E cantando, con mesta melodia,
L’estremo albor della fuggente luce,
Che dianzi gli fu duce,
Saluta il carrettier dalla sua via;

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Theodor Fontane: „Der Stechlin“
11 Audio-CDs Ungekürzte Lesung mit 870 Minunten.
Gelesen v. Gert Westphal .
Deutsche Grammophon € 59,99
Manesse Verlag € 22,90 und einige andere Ausgaben als Taschenbuch

Schloß Stechlin
Erstes Kapitel

Im Norden der Grafschaft Ruppin, hart an der mecklenburgischen Grenze, zieht sich von dem Städtchen Gransee bis nach Rheinsberg hin (und noch darüber hinaus) eine mehrere Meilen lange Seenkette durch eine menschenarme, nur hie und da mit ein paar Dörfern, sonst aber ausschließlich mit Förstereien, Glas- und Teeröfen besetzte Waldung. Einer der Seen, die diese Seenkette bilden, heißt »der Stechlin«. Zwischen flachen, nur an einer einzigen Stelle steil und kaiartig ansteigenden Ufern liegt er da, rundum von alten Buchen eingefaßt, deren Zweige, von ihrer eignen Schwere nach unten gezogen, den See mit ihrer Spitze berühren. Hie und da wächst ein weniges von Schilf und Binsen auf, aber kein Kahn zieht seine Furchen, kein Vogel singt, und nur selten, daß ein Habicht drüber hinfliegt und seinen Schatten auf die Spiegelfläche wirft. Alles still hier. Und doch, von Zeit zu Zeit wird es an ebendieser Stelle lebendig. Das ist, wenn es weit draußen in der Welt, sei’s auf Island, sei’s auf Java zu rollen und zu grollen beginnt oder gar der Aschenregen der hawaiischen Vulkane bis weit auf die Südsee hinausgetrieben wird. Dann regt sich’s auch hier, und ein Wasserstrahl springt auf und sinkt wieder in die Tiefe. Das wissen alle, die den Stechlin umwohnen, und wenn sie davon sprechen, so setzen sie wohl auch hinzu: »Das mit dem Wasserstrahl, das ist nur das Kleine, das beinah Alltägliche; wenn’s aber draußen was Großes gibt, wie vor hundert Jahren in Lissabon, dann brodelt’s hier nicht bloß und sprudelt und strudelt, dann steigt statt des Wasserstrahls ein roter Hahn auf und kräht laut in die Lande hinein.«
Das ist der Stechlin, der See Stechlin.

Den Stechlin, den See, die Gegend gibt es wirklich. Ob es die von Stechlins gibt, habe ich nicht nachgeschaut. Der Roman ist jedoch Fontanes letzter Roman und es hat mich wieder erstaunt, auf welch hohem Niveau Fontane unterhalten kann. Das ist immer erste Bundesliga, manchmal auch schon Champions League. „Stechlin“ habe ich auf der Fahrt zur Buchhändlertagung am Wochenende zu Ende gehört und war erstaunt mit welcher Leichtigkeit der alte Autor mit seinen Themen umgeht. Es beginnt mit einer Art Geplauder zwischen dem alten Stechlin und seinem Sohn, der ihn mit zwei Freunden besucht. Wir merken, es geht um das Alte und das Neue, das Verschwinden der alten Werte und Heraufkommen einer neuen Zeit. Ich habe Bernd Rauschenbach während der Literaturwoche gefragt, wie denn Arno Schmidt zu Fontane gestanden habe. Immerhin hat er den gleichnamigen Literaturpreis erhalten und seine Stürenburg Geschichten erinnen in ihrer Leichtigkeit an die Gespräche im „Stechlin“. Die Antwort lautete „Nein, er hielt nicht viel von ihm. Zu geschwätzig.“ Na, typisch Arno Schmidt. Der alte Stechlin merkt, dass seine Zeit gekommen ist. Genauso schreibt es Fontane auch an seine Tochter. Es wird sein letzter Roman. Das merkt er selbst. Und irgendwie scheint es, als wolle er hier noch einmal alles zusammenfassen, was um ihn herum in den letzten Jahren geschehen ist. Der Wandel von der Monarchie zur Demokratie, das Heraufkommen der Industrialisierung sind zentrale Themen in diesem Buch. Die ältere Schwester des alten Stechlins ist Domina in einem Kloster und hält dieses Alte hoch und will nichts von den neuen Dingen hören. Stechlin jedoch hält die Ohren auf, hat ein sehr lockeres Verhältnis zu seinen Angestellten und ist in sich ruhig und gesammelt, nach den wilden Jahren seiner Jugend. Er betrachtet vieles schon mit einer gewissen Distanz, hat keine vorgefertige Meinung, sondern lässt sich treiben, versucht dies und das. So wendet er sich zum Beispiel von der Medizin des Hausarztes ab und versucht es mit den Tees der „Kräuterhexe“ im Dorf. Die wirkt. Doch ganz am Ende nimmt er doch wieder die grünen Tropfen, in der Hoffnung, ob sie nicht doch die bessere Medizin seien. Fontane schriebt, dass auf den 500 Seiten nicht viel passiere. Ein alter Mann stirbt und ein junges Paar heiratet. Ja, genau. Das stimmt. Und genau, das ist das Besondere an dem Buch, dass sich die ganzen Umwälzunen der deutschen Geschichte auf dem Gut Stechlin wiederspiegeln. In Realität und im Kopf des Alten. Für mich wieder eine Fontane-Lektüre, die sich gelohnt hat und sehr bequem mir vorgetragen von Gert Westphal.

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Am kommenden Mittwoch, den 1.Juli um 19 Uhr kommt Werner Färber mit einer Weltpremiere zu uns. Er liest zum ersten Mal aus seinem Buch: „Wer mordet schon in Ulm, um Ulm und Ulm herum?“ Mit im Gepäck hat er sicherlich noch ein paar Ungereimtheiten, die es jetzt gesammelt als Taschenbuch gibt.

UNGEREIMTHEIT DER WOCHE
DIE ROTE SCHWIMMNUDEL

Mitsamt der neuen Schwimmnudel,
welche ihr Unterstützung bot,
wurd‘ die Badende vom Strudel erfasst
und kam darob in Not.
Kurz darauf ging sie schon unter,
die Nudel jedoch, leuchtend rot,
trieb allein den Fluss hinunter.
Ein Angler nahm sie in sein Boot.
Zu offerieren seine Hilfe
war diesem Angler ein Gebot.
Als er endlich fand im Schilfe die Badende,
war die längst tot.

DER ZITRONENFALTER

Der Zitronenfalter lässt beim Falten
der Zitronen Sorgfalt walten.
Er weiß, wenn er mit Saurem spritzt,
sich manch Gemüt sehr schnell erhitzt.
Und dennoch mag ihm niemand lohnen
die edle Faltkunst von Zitronen.
Das ist der Grund, weshalb auf Dauer
Zitronenfalter sind meist sauer.

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399 UNGEREIMTHEITEN auf 186 Seiten – Färbersche Spaßlyrik als tb zu € 12,00

Samstag

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Nein, ich habe nicht verschlafen, bin auch nicht krank.
Heute gibt es jedoch keinen Blogeintrag, weil ich in Mannheim auf einer Buchhändlertagung bin.

Genießen Sie Ihr Wochenende, wie Hartmut, mit einem guten Buch.
Vielleicht haben auch Sie einen Lieblingsleseort und schicken uns ein Bild für unseren Sommerwettbewerb.

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Am Montag geht dann alles wieder seinen Gang.
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Das schickte uns voller Stolz das Weingut Rummel, von dem wir verschiedenen Weine im Laden haben.

Rheinpfalz neu 700

Bericht in Ecovin.

Freitag

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Heute haben Geburtstag:
Martin Andersen Nexo * 1869
Pearl S.Buck * 1892
Stefan Andres * 1906
Slawomir Mrozek * 1930
Sigrid Löffler * 1942
Joseph von Westphalen * 1945
Peter Sloterdijk * 1947

„Die großen Tugenden machen einen Menschen bewundernswert, die kleinen Fehler machen ihn liebenswert.“
Pearl S.Buck

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Tom Schulz & Ron Winkler: „Venedig“
Der venezianische Traum
Gedichte
Mit zahlreichen Fotografien sowie einem Vor- und einem Nachwort der Herausgeber
Schöffling Verlag € 14,95

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Venedig ist und bleibt ein Mythos. Die Stadt scheint schon immer zu existieren, ist aus der europäischen und amerikanischen Literatur nicht wegzudenken. Unzählige Kinofilme haben die Stadt als Topos. In der Stadt wird geliebt und gemordert, durch die Straßen gewandert und sich im Nebel verirrt. Schon immer scheint sie gegen das ewig anrennende Meer zu kämpfen und täglich kämpft sie mit den Massen an Touristen, die morgens angespült und abends wieder eingesammelt werden. Venedig ist wie ein Puppenhaus, eine Walt Disney Aussenstelle im Vergleich zum ausufernden, Rom. Venedig hat dem ombra und lädt zur Ruhe ein, die man plötzlich auch finden kann. Nicht nur auf dem großen Friedhof, sondern manchmal gleich um die Ecke des großen Touristenstorms.

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Tom Schulz und Ron Winkler haben sich der Lyrik angenommen und eine Sammlung zusammengestellt, die einen breiten Querschnitt präsentiert. Viele aktuelle Gedichte von lebenden AutorInnen sind darin enthalten. Ich kann Ihnen nur die aufnotieren, an denen keine Autorenrechte mehr vorhanden sind.

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H.C.Artmann, Rose Ausländer, Mirko Bonné, Alfred Brendel, Nora Gomringer, Christoph Meckel, Sarah Kirsch seien hier beispielhaft genannt.
Zahlreiche eingestreute Fotografien machen den schmalen, festgebundenen Band zu einer prallvollen Gedichtesammlung, der noch ins Reisegepäck passen sollte, wenn Sie mal wieder …

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Rainer Maria Rilke
Die Kurtisane

Venedigs Sonne wird in meinem Haar
ein Gold bereiten: aller Alchemie
erlauchten Ausgang. Meine Brauen, die
den Brücken gleichen, siehst du sie

hinführen ob der lautlosen Gefahr
der Augen, die ein heimlicher Verkehr
an die Kanäle schließt, so daß das Meer
in ihnen steigt und fällt und wechselt. Wer

mich einmal sah, beneidet meinen Hund,
weil sich auf ihm oft in zerstreuter Pause
die Hand, die nie an keiner Glut verkohlt,

die unverwundbare, geschmückt, erholt -.
Und Knaben, Hoffnungen aus altem Hause,
gehen wie an Gift an meinem Mund zugrund.

Die Schönheit Venedigs fällt einem schon bei der Anreise mit Schiff auf. Überall Türmchen und Verzierungen. Fast scheint sie nicht von dieser Welt zu sein. Es gibt ein Zuviel an Kunst und Architektur auf diesem kleinen begrenzten, von Wasser durchzogenem Raum. Und genau aus diesem Grund, versuchen wir ein Stück dieses Sehnsuchtsortes mitzunehmen. So geht es auch den Dichtern. Sie haben statt der Kamera, den Stift in der Hand und hinterlassen uns ihre Werke, die hier gesammelt sind.
Lassen Sie sich verführen.

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Stefan Zweig
Sonnenaufgang in Venedig

Erwachende Glocken. – In allen Kanälen
Flackt erst ein Schimmer, noch zitternd und matt,
Und aus dem träumenden Dunkel schälen
Sich schleiernd die Linien der ewigen Stadt.

Sanft füllt sich der Himmel mit Farben und Klängen,
Fernsilbern sind die Lagunen erhellt. –
Die Glöckner läuten mit brennenden Strängen,
Als rissen sie selbst den Tag in die Welt.

Und nun das erste flutende Dämmern!
Wie Flaum von schwebenden Wolken rollt,
Spannt sich von Turm zu Türmen das Hämmern
Der Glocken, ein Netz von bebendem Gold.

Und schneller und heller. Ganz ungeheuer
Bläht sich das Dämmern. – Da bauscht es und birst,
Und Sonne stürzt wie fressendes Feuer
Gierig sich weiter von First zu First.

Der Morgen taut nieder in goldenen Flocken,
Und alle Dächer sind Glorie und Glast.
Und nun erst halten die ruhlosen Glocken
Auf ihren strahlenden Türmen Rast.

Johann Wolfgang von Goethe
Venezianische Epigramme

Ruhig saß ich in meiner Gondel, und fuhr durch die Schiffe,
Die in dem großen Kanal viele befrachtete stehn;
Jede Waare findest du da, für jedes Bedürfniß,
Weizen, Wein und Gemüs, Scheitholz und leichtes Gesträuch;
Schnell drang die Gondel vorbei, mich schlug ein verlorener Lorbeer
Derb auf die Wangen, ich rief: Daphne verletzest du mich?
Lohn erwartet ich eher! die Nymphe lispelte lächelnd:
»Dichter sündgen nicht schwer, leicht ist die Strafe, fahr hin.


Friedrich Wilhelm Nietzsche
„Mein Glück!“

Die Tauben von San Marco seh ich wieder:
Still ist der Platz, Vormittag ruht darauf.
In sanfter Kühle schick’ ich müssig Lieder
Gleich Taubenschwärmen in das Blau hinauf –
Und locke sie zurück,
Noch einen Reim zu hängen in’s Gefieder
– mein Glück! Mein Glück!

Du stilles Himmels-Dach, blau-licht, von Seide,
Wie schwebst du schirmend ob des bunten Bau’s,
Den ich – was sag ich? – liebe, fürchte, neide…
Die Seele wahrlich tränk’ ich gern ihm aus!
Gäb’ ich sie je zurück? –
Nein, still davon, du Augen-Wunderweide!
– mein Glück! Mein Glück!

Du strenger Thurm, mit welchem Löwendrange
Stiegst du empor hier, siegreich, sonder Müh!
Du überklingst den Platz mit tiefem Klange –:
Französisch, wärst du sein accent aigu?
Blieb ich gleich dir zurück,
Ich wüsste, aus welch seidenweichem Zwange…
– mein Glück! Mein Glück!

Fort, fort, Musik! Lass erst die Schatten dunkeln
Und wachsen bis zur braunen lauen Nacht!
Zum Tone ist’s zu früh am Tag, noch funkeln
Die Gold-Zieraten nicht in Rosen-Pracht,
Noch blieb viel Tag zurück,
Viel Tag für Dichten, Schleichen, Einsam-Munkeln
– mein Glück! Mein Glück!

Paul Heyse
Venedig

Nun ist entthront die stolze Wellenbraut,
Die einst den trotz’gen Nacken bog dem Meere.
Nicht wird sie mehr auf goldner Prachtgaleere
Dem ungestümen Freier angetraut.

Doch in der Lenznacht, wenn mit Donnerlaut
Die Springflut steigt, dann ist’s, als ob die Hehre
Wehrlos dem Element zu eigen wäre,
Auf das sie tags so kühl herniederschaut.

Hoch über die Piazzetta schwillt die Flut
Und braust herein, ersäufend alle Gassen,
Und um San Marco plätschert Ruderschlag.

Das Meer umwirbt die Braut mit Liebeswut,
Doch nur die Füße darf es ihr umfassen
Und schleicht beschämt von dannen lang vor Tag.
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Wo wir schon beim Schöffling Verlag sind.
Der Katzenkalender für das Jahr 2016 ist eingetroffen.
Kaum hat der Sommer angefangen, können wir uns schon mit dem nächsten jahr befassen.

g-Literarischer-Katzenkalender-2016

Der literarische Katzenkalender 2016
Zweifarbiger Wochenkalender
Format 24 x 32 cm
Herausgegeben von Julia Bachstein
56 Blatt. Spiralbindung
Schöffling € 21,95

Blick in den Kalender

Vor ein paar Tagen stellte ich auf dem Blog das „Craft Bier Buch“ vor. Jetzt hat das Weiße Haus ein Geheimnis gelüftet. Im Keller wird Bier selbstgebraut.

Donnerstag

Heute haben
George Orwell * 1903
Ingeborg Bachmann * 1926
Eric Carle * 1929
Yann Martel * 1963
Geburtstag.
Und auch Antonio Gaudí * 1852.
Es ist der Todestag von Michael Jackson.

Ein bißchen wie „West Side Story“ mit einem sehr jungen Michael Jackson

https://www.youtube.com/watch?v=Ym0hZG-zNOk

Auf geht’s in den Tag!
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Noch mehr Musik gibt es jetzt auf unserem Tagestipp:

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Nuria Rial: „Sospiri d’amanti“
Mit dem Artemandoline Barockensemble unter der Leitung von Juan Carlos Munoz
DHM CD € 19,99

Inhalt:
Arrigoni: Mandolinenkonzert
Hasse: Mandolinenkonzert
Fux: Arie „Si vedrai quel nome altero“
Gasparini: Arien „Io non vi“ & „Dolce sembiante no il tiuo rigore“
Conti: Arie „Bramo un core che impari dal moi“
Bononcini: Arie „Non so se piu mi piace per fede o per belezza“
Caldara: Arie „Ah se tocasse a me“
Händel: Arie „Hark! Hark! He strickes the golden lyre“
Albinoni: Arie „Dopo i nembi e le porcelle“
Leone: Cantate a voix seule et symphonie dans le genre
Mozart: Komm, liebe Zither KV 351; Die Zufriedenheit KV 349
Paisiello: Arie „Rien ne peut calmer ma peine“

Am 6.Februar 2014 haben wir hier die letzte Einspielung von Nuria Rial vorgestellt (Nuria Rial: “Bach Arias”. Chronik der Anna Magdalena Bach) und damals schon von ihrer Stimme geschwärmt. Jetzt ihre neue CD mit Mandolinenorchester. Das passt natürlich zur Jahreszeit und wir erinnern uns an die alten Spielfilme, die in Italien spielten. Dort fehlte auch nie eine Mandoline und ne Flasche Wein im Baströckchen. Der Urlaub steht vor der Türe und warum sollen wir nicht diese Musik mit ins Auto nehmen? Ich finde, das passt ungemein gut.
Die Komponisten sagen mir zum größten gar nichts, die Musik trifft aber umso mehr. Dazu noch die warme, strahlende, kristallklare Stimme der jungen Sopranisten. Herrlich.
Gemeinsam mit Juan Carlos Muñoz und den Musikern des Ensembles erforschte sie die Musik des beginnenden 18.Jahrhunderts in Österreich und Italien. Dort entwickelte sich die Mandoline zum populärsten Musikinstrument. Instrumentalstücke können wir auf der CD genauso hören, wie Musik für Stimme und Orchester. So zum Beispiel Ausschnitte aus Kantaten, Opern und Oratorien.
Das Ganze ist eine Weltersteinspielung mit, und jetzt kommt’s, mit einer Vertonung Johann Martin Millers „Zufriedenheit“ von Mozart. Genau um dieses Gedicht ging es beim Abend in der Stadtbibliothek letzte Woche, als ein Sänger diese Mozartvertonung vorgetragen hat. Die Ulmer Literaturwoche hat einfach überall ihre Finger drin.

Auf diesem Downloadportal können Sie die Zufreidenheit anhören (aber ja nicht herunterladen).

Auf der ARD-Mediathek gibt es eine kurze CD-Besprechung mit ein paar Musikausschnitten.
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Eine weitere Weltpremiere gibt es am Mittwoch, den 1.Juli ab 19 Uhr bei uns in der Buchhandlung. Werner Färber liest aus seinem neuen Buch „Wer mordet schon in Ulm, um Ulm und um Ulm herum?“
Und das zum ersten Mal bei uns.

Mittwoch

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Nun wird es langsam Zeit, dass sich das Wetter wieder ändert. Aber bevor wir über Kälte und Regen schimpfen, wollen wir doch zuerst das noch klären:
Hier klicken: Was ist eigentlich die Schafskälte?
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Heute haben Geburtstag:
Ambrose Bierce * 1842
Kurt Kusenberg * 1904
Yves Bonnefoy * 1923
Anita Desai * 1937
Gerhard Roh * 1942
Eugen Ruge * 1954
und auch noch
Albrecht Ludwig Berblinger * 1770 (Schneider von Ulm)
Marc Chagall * 1887
Claude Chabrol * 1930
Lionel Messi * 1987
David Alaba * 1992

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Guillermo Srodek-Hart: „Stories“
mit Texten von Anne Tucker
Sprache: Englisch
160 Seiten und 75 farbige Abbildungen
Prestel Verlag € 49,95
Gibt es nicht als eBook. Dafür ist es viel zu schön!

Guillermo Srodek-Hart, 1977 in Buenos Aires geboren, studierte am Mass College of Art in Boston sowie an der School of the Museum of Fine Arts/Tufts University in Boston. Seine Arbeiten bekamen zahlreiche Auszeichnungen und wurden vielfach ausgestellt, unter anderem auf der letzten Biennale 2013 in Venedig. Seine Fotografien sind Teil verschiedener privater und öffentlicher Sammlungen, darunter das Santa Barbara Museum of Art, das North Dakota Museum of Art und das Attleboro Museum of Art. Er wird vertreten von der Kuckei + Kuckei Galerie in Berlin, der jdc fine art in San Diego und der Schneider Gallery in Chicago. Er lebt in Buenos Aires, Argentinien.

2

„Das Leben des Toten bleibt nur in der Erinnerung der Lebenden.“
Diesen Spruch fand der Fotograf in der Werkstatt eines Steinmetzes. Dieser Mann war der einzige in der Region, der Grabsteine mit jiddischen Inschriften herstellen konnte. Da kurz vorher der Großvater von Guillermo Srodek-Hart gestorben war und er nicht viel hinterließ, als das Hörgerät, Kleidung, Fotos, Uhren, …, war es für ihn wie eine Eingebung und es entwickelte sich eine Idee, eine künstlerische Vision daraus.

3

Zehn Jahre lang fuhr er ins argentinische Hinterland und fotografierte solche Tante- Emma-Länden, alte Werkstätten, verlassene und immer noch benutzte Läden und Privaträume. Die Zeit scheint hier stehengeblieben zu sein. Und genau dieses Phänomen setzte er auch in seine Fotografiertechnik um. Nicht mit einer neuwertigen Digitalkamera war er unterwegs, sondern mit einer alten Plattenkamera, bei er noch unter dem schwarzen Umhang verschwinden musste, um die richtige Einstellung zu finden. Er bat die Besitzer der Läden aus dem Bild zu treten, oder die sich bewegenden Menschen verschwanden ganz einfach durch die lange Belichtungszeit. Eingefroren, museal und manchmal auch schon fast wie eine Requisite für einen Breitwand-Kinofilm, so wirken diese großformatigen Fotografien. Und ich denke mal, dass sie aufgehängt an der Wand eines Museum noch um ein Vielfaches beeindruckender sind.
Diese menschenleere Kneipen, die rostigen Werkbänke, Friseursalons und Treffpunkte eines namenlosen Ortes, in denen man Fußball schauen, Bier trinken und das Notwendigste einkaufen konnte und kann, erzählen ganze Geschichten und lassen wahrscheinlich bei jedem Betrachter einen anderen inneren Film ablaufen. Die Aufnahmen wirken in unserer blinkenden, schnellen Zeit, in der die Smartphones überall zu sehen und zu hören sind, die Hupkonzerte und der Baustellenlärm allgegenwärtig sind, in der sich neueste Meldungen täglich überschlagen, wie aus einer anderen Welt und verlangsamen unseren Puls und unsere Augen verweilen von Bild zu Bild immer länger auf diesen Interieurs und wollen auch noch das kleinste Detail eintdecken.
Vielen Dank an den Prestel Verlag, dass dieser Schatz nicht im argentinischen Niemandsland versteckt bleibt, sondern uns nun in diesem Prachtband zugänglich gemacht worden ist.

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Die „25“ steht für eine schöne Zeit in der Buchhandlung. Mit Ihnen und den Büchern, und und und.
Das wollen wir am Samstag, den 4.7. mit Ihnen ein klein wenig feiern.
Für Essen und Trinken ist gesorgt und ab 15 Uhr legt Jürgen Grözinger Musik auf.

Zuvor kommt aber am Mittwoch, den 1.7. um 19 Uhr Wernern Färber zu uns.
Sie kennen ihn von seinen“Ungereimtheiten“, die ich wöchentlich hier auf den Blog übernehme. Ein paar Tage vor dem 1.7. erscheint sein neustes Buch mit Ulmer Kriminalgeschichten und und und.
Lassen Sie sich überraschen. Es wird auf jeden fall sehr unterhaltsam.
Ich freue mich auf Ihr/Euer Kommen.

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Und dies schreibt der Verlag:

Ulmheimlich

Mittwoch, 01. Juli 2015
Premierenlesung mit Werner Färber in Ulm
Lesung aus »Baumkiller« und »Wer mordet schon in Ulm, um Ulm und um Ulm herum?«
Uhrzeit: 19:00 Uhr
Buchhandlung Jastram
Schuhhausgasse 8
89073 Ulm

Nach Monaten der Trennungsfunkstille meldet sich Yannick, Leas Ex, ein selbständiger Landschaftsgärtner, mit der Nachricht, dass einer seiner Partner auf dem Altonaer Hauptfriedhof erhängt in einem Baum gefunden wurde. Zunächst deutet alles auf Selbstmord hin. Lea ist eine der ersten, die dies bezweifelt. Auch wird sie von Yannick in ein falsches Alibi verwickelt. Hat er etwa mit Hannos Tod zu tun? Oder kam Hanno doch wegen seiner Wett-Eskapaden oder wegen einer illegalen Baumrodung zu Tode? In Ulm, um Ulm und um Ulm herum herrscht unheimliche Stimmung – ob Mord aus Notwehr, Psychose, Neurose, Ver- und Überdruss, oder gar Lust am Töten, keiner ist mehr sicher! Ist die fitte Oma Mendle Opfer oder Täterin? Was findet der Hund von Carmen im Haus ihres Vaters? Flammt die alte Liebe zwischen Polizeiobermeister Joachim Wagner und Hannelore wieder auf oder wird sie durch einen grausigen Fund im Keim erstickt? Ulm hat doch mehr dunkle Seiten als man meinen könnte …

Dienstag

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Heute haben Geburtstag:
Anna Achmatowa * 1889
Wolfgang Koeppen * 1906
Urs Jaeggi * 1931
Paul Kersten * 1943
Pascal Mercier + 1944
Rafik Schmai * 1946
Tessa Korber * 1966

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„Das Craft-Bier Buch“
Die neue Braukultur
Bier als neuer Ausdruck von Echtheit und Lebensgefühl.
Herausgegeben von Sylvia Kopp, Robert Klanten, Sven Ehmann
Gestalten Verlag € 35,00

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Was ist das nun? Ein Bildband, ein Sachbuch, ein Reiseführer? Wahrscheinlich alles von den drei Dingen. Und: Es macht süchtig! Süchtig und gierig nach gutem Bier. Sylvia Kopp ist u.a. Journalistin und leitet die Berlin Beer Academy in Berlin Mitte.
Voller Leidenschaft und Engagement schreibt sie im Eingansteil über die Entstehung der Craft-Bier-Bewegung in Deutschland und weltweit. Craft übersetzt sie mit künstlerisch, handwerklich und diese Welle schappte von den USA zu uns herüber. Dort änderte der damalige Präsident Jimmy Carter das Gesetz, dass auch home brewing erlaubt wurde. Vorher gab es in den ganzen USA nicht mal zwanzig Brauereien. Nun ging es ganz klein los und mittlerweile haben die innovativen Brauereien die deutschen längst überholt. Sie studierten in Deutschland, besorgten sich deutsches Material, was man für’s Brauen braucht und scheuen sich nicht vor neuen und wiederentdeckten Geschmacksrichtungen.Allein schon diese Texte lassen einen aufhorchen und wir denken an all die Plörre, die gleich schmeckt, gleich aussieht und an jeder Tanke zu haben ist. 70% der deutschen Biere gehören Dr.Oetker. Herrlich!
Im nächsten Teil folgt eine Bildergalerie der verschiedenen Biere mit Schautafeln, auf denen Herkunft, Charakter, Alkoholgehalt, Trinktemperatur, Glaswahl und Referenzbiere aufgelistet werden.
Natürlich folgt (im Reiseteil) eine kunterbunte Auswahl an verschiedensten Brauerein rund um die Welt. Ca. 70 Stück sind es und wir erfahren einiges über die Entstehung, die Idee und die Philosophie, die hinter der jeweiligen Brauerei steht. Nun heisst es Stift und Papier bereitzulegen, damit wir bei eventuellen Urlauben auch noch wissen, wo wir anklopfen können.
Im Rezepteteil gibt es ungewöhnliche und unkonventionelle Mischungen nicht von Bier- sondern von Kochrezepten, zu denen ein bestimmtes Bier wunderbar passt.
Dass es auch eine kleine Anleitung zum Bier selberbrauen gibt, ergänzt diesen Prachtband.

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Und wo bekomme ich solche Biere? Einfach mal umschauen. In immer mehr Kneipen und Läden tauchen zum Beispiel die höherprozentigen IPA-Biere auf. Achtung: Alnatura führt ein paar solcher kleinen IPA-Bierflaschen und u.a. das sehr süffige Störtebecker aus Stralsund. Gestern fand ich im Laden von Gold Ochsen, in der Innenstadt von Ulm, dunkles IPA in der Sektflasche für € 16,00. Edel, edel! Was gibt es Schöneres, als in einer Landkneipe (in Sonderbuch bei Blaubeuren) zu erfahren, dass er nur selbstgebrautes Bier hat und er heute noch nicht weiss, was er nächstes Mal für eine Spezialmischung braut, neben seinen Standartsorten, wie dem herrlichen Pumator.

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Viel Vergnügen, beim Suchen, Finden und Trinken. Der Sommer steht bevor.

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Literaturwoche Ulm
Ein kleiner Nachklapp zur Buchvorstellung in der Stadtbibliothek Ulm.
Michael Watzka und Bernd Breitenbruch stellten Leben und Werk von Johann Martin Miller, anhand der sämtlichen Gedichte, die als Buch von Michael Watzke herausgegeben worden sind, vor.

Montag

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Heute haben
Wilhelm von Humboldt * 1767
Erich Maria Remarque * 1898
Anne Morrow Lindbergh * 1906
Francois Lelord * 1953
Dan Brown * 1964
Melinda Nadj Abonji * 1968
Geburtstag

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Ralf Rothmann: „Im Frühling sterben“
Suhrkamp Verlag € 19,95
Auch als eBook erhältlich
Hörbuch 6 CDs, 450 Minuten € 19,99
Gelesen von Thomas Sarbacher

Es ist Frühjahr 1945, die beiden Melkerlehrlinge Walter und Fiete machen sich auf zu einem vermeintlichen Freibierausschank in einem Dorfgasthof in Norddeutschland. Beide sind noch keine 18 Jahre alt, sie wissen um das nahende Ende des Krieges, ohne dass sie dazu „Feindsender“ anhören müssen. Sie wissen, wo die Amerikaner und die Russen stehen und blicken auf eine neue, andere, ungewisse Zukunft. Da sich das Fest in der Kneipe als Zwangsrekrutierung herausstellt, ändert sich die Lage der beiden Jungs und der anderen anwesenden Männer schlagartig. Wer sich nicht freiwillig zur Waffen-SS meldet, solle doch bitte die Hand heben. Dass dies jedoch niemand macht, ist klar, da die Schlägertrupps der SS im Saal versammelt sind.
Walter und Fiete werden nach Ungarn verlegt und erleben dort die Grausamkeit des Krieges, die sadistische Brutalität an der Zuvilbevölkerung und geraten mitten in mörderischen Kämpfe. Mit Durchhalteparolen, Druck von oben und den vielen Reden über Ehre und Vaterland, versucht man diesen jungen Soldaten ihre Individualität zu nehmen und sie als pures Material für den Krieg umzuerziehen.
„Immer wieder brachen die knapp spurbreiten Pässe weg, und Wagen voller Verwundeter kippten um oder stürzten in die Schluchten. Oft entstanden Staus, deren Auflösung bis in die hellen Morgenstunden dauern konnte, und dann boten die an sich dichten, im März aber noch kaum begrünten Eichenwälder wenig Deckung vor den Fliegern. Langsam fuhr Walter den Wagen an einer vernichteten Nachschubkolonne vorbei. Reifen qualmten, tote Soldaten hingen aus den Führerhäusern, Berge von Brot zerfielen im Regen. Immer wieder musste er bremsen und zurücksetzen, um den Dreitonner durch enge Kurven zu manövrieren, wobei er manchmal ins Rutschen kam und gegen Bäume oder Felsvorsprünge stieß. Dann hörte er die Verletzten auf der Ladefläche stöhnen, und obwohl es kühl war an dem späten Abend, brach ihm der Schweiß aus.“
Der Ich-Erzähler beginnt seinen Roman jedoch mit der Beschreibung seines Vaters nach dem Krieg. Ein Mann, der von allen hochangesehn war, dem aber auch niemand kumpelhaft auf die Schulter geklopft hat. Ein Mann, der nie viel redete, der von Norddeutschland ins Ruhrgebiet gezogen ist und dort 30 Jahre unter Tage gearbeitet hat. Dadurch hat er sein Gehör verloren und starb mit knapp 60 Jahren an den Folgen dieser brutalen Arbeit, wie so viele seiner Kumpel. Eine Vertraulichkeit zwischen den Eltern hat der Erzähler nie gesehen, nur immer wieder Streitereien, wenn der Vater wieder zuviel getrunken hatte, was immer öfter vorkam. Angesprochen auf die Zeit während des Krieges, bekam der Sohn keine Antwort. Die Kladde, die er seinem Vater kaufte, um selbst diese Zeit als junger Soldat in den letzten Kriegsmonaten aufzuschreiben, blieb leer, bis auf ein paar wenige Kritzeleien. „Er sei doch der Schriftsteller. Er solle doch …“, meinte der Vater dazu. Als der Vater dann auf dem Sterbebett liegt und seine Ehefrau ihn in den letzten Stunden begleitet, phantasiert er wieder und die Mutter sagt, dass er jetzt wieder im Krieg ist. Ein Zustand, den die Mutter wohl öfters nachts bei ihrem Partner erlebt hat. Nun ist der Vater tot und der Ich-Erzähler macht sich selbst auf die Reise in dessen Vergangenheit.
Ralf Rothmann hat einen Roman geschrieben, dem ich eine große Leserschaft wünche, ein Roman, der als Schullektüre Einzug halten sollte. Der Autor gehört zur Nachkriegsgeneration (Jahrgang 1953), die dieses Sprachlosigkeit der Väter miterlebt hat und gleichzeitig in der eigenen Biografie nie Not und Elend erleben mussten. Er bringt dieses Nichtwissen um die Ängste, Alpträume der Väter zu Papier und gibt ihm in seiner großartigen Sprache ein plastisches Gesicht.

Leseprobe
Ralf Rothmann liest aus seinem Roman in 3sat.

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Werner Färbers: UNGEREIMTHEIT DER WOCHE

NACHBARSCHAFTSSTREIT

Es steht ein Baum in einem Garten.
Weil er sehr hoch und Licht abhält,
umliegende Nachbarn warten
darauf, dass man ihn doch bald fällt.

Die Baumeigner im Nachbarstreit
stellen sich nicht mal die Frage,
ob sie zur Baumfällung bereit –
sie pflanzten ihn am Hochzeitstage!

Nach fünfzig Jahren Eheglück
das Baumbesitzerpaar verreist.
Total entspannt kehr’n sie zurück.
Ihr Garten jedoch ist verwaist.

Wer flüchtig hinschaut, sieht es kaum:
sehr gründlich war die Nachbarschaft.
Rollrasen liegt, wo einst der Baum,
welchen sie heimlich weggeschafft.

DER FLOH AM PO

Es springt ein klitzekleiner Floh
auf einen nackten Kinderpo.
Wie’s halt bei Flöhen üblich is‘,
folgt auf die Landung gleich ein Biss,
welcher auslöst fieses Jucken.
Beinah‘ zeitgleich sieht man zucken
des Po-Besitzers flinke Hand,
die heftig klatscht aufs Hinterland.
Während das Jucken hält noch an,
der Floh nie wieder beißen kann!

Werner Färber ist bei uns der Buchhandlung, liest aus seinen Ungereimtheiten, aus seinem, noch nicht erschienen Buch, über Morde in Ulm und ist tagsüber in Ulmer Schulen.
Mittwoch, 1 Juli um 19 Uhr bei uns in der Buchhandlung.
Sie sind herzlich eingeladen.

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Samstag

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Heute hat
Kurt Schwitters * 1887
Geburtstag

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Kurt Schwitters
An Anna Blume

Oh Du, Geliebte meiner 27 Sinne, ich liebe Dir!
Du, Deiner; Dich Dir, ich Dir, Du mir, – – – – wir?
Das gehört beiläufig nicht hierher!

Wer bist Du , ungezähltes Frauenzimmer, Du bist, bist Du?
Die Leute sagen, Du wärest.
Laß sie sagen, sie wissen nicht, wie der Kirchturm steht.

Du trägst den Hut auf Deinen Füßen und wanderst auf die
Hände,
auf den Händen wanderst Du.

Halloh, Deine roten Kleider, in weiße Falten zersägst,
Rot liebe ich, Anna Blume, rot liebe ich Dir.
Du, Deiner, Dich Dir, ich Dir, Du mir, – – – – – wir?
Das gehört beiläufig in die kalte Glut!
Anna Blume, rote Anna Blume, wie sagen die Leute?

Preisfrage:
1.) Anna Blume hat ein Vogel,
2.) Anna Blume ist rot.
3.) Welche Farbe hat der Vogel.

Blau ist die Farbe Deines gelben Haares,
Rot ist die Farbe Deines grünen Vogels.
Du schlichtes Mädchen im Alltagskleid,
Du liebes grünes Tier, ich liebe Dir!
Du Deiner Dich Dir, ich Dir, Du mir, – – – – wir!
Das gehört beiläufig in die – – – Glutenkiste.

Anna Blume, Anna, A – – – – N – – – -N- – – – -A!
Ich träufle Deinen Namen.
Dein Name tropft wie weiches Rindertalg.

Weißt Du es Anna, weißt Du es schon,
Man kann Dich auch von hinten lesen.
Und Du, Du Herrlichste von allen,
Du bist von hinten und von vorne:
A – – – – – – N – – – – – N – – – – – -A.
Rindertalg träufelt STREICHELN über meinen Rücken.
Anna Blume,
Du tropfes Tier,
Ich – – – – – – – liebe – – – – – – – Dir!
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Unsere Kinderbuchexpertin Anja Reiprich empfiehlt:

Nacht

Matthias Morgenroth: „Freunde der Nacht“
Mit Illustrationen von Regina Kehn
dtv, fest gebundenen € 14,95
Kinderbuch ab 10 Jahren

Die Geschichte spielt in der Johanninacht. Jojo und Lea sind beste Freunde, was
Jojo allerdings noch nicht weiss, ist, dass Lea am nächsten Tag umzuiehen muss.
Deswegen möchte Lea die Geister und Nächtlinge der Johanninacht bitten, ihr
den grössten Wunsch zu erfüllen, nicht wegziehen zu müssen. Die beiden essen
Johannikraut und tatsächlich sehen sie Nächtlinge und Vampiller.
Damit Lea den Wunsch äußern kann, müssen sie durch den Wald und den König der
Nächtlinge finden. Doch dieser versteht den Wunsch falsch und die beiden müssen sich einen Plan ausdenken, damit sie vor Sonnenaufgang wieder aus dem Wald draussen sind.
Grosses Leseabenteuer für Jungs und Mädchen ab 10, hat mir sehr gut gefallen!
Schön gestaltet, je weiter es in die Nacht reingeht, desto dunkler werden die Seiten
im Buch.
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Literaturwoche Ulm

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Gestern abend stellte Michael Watzka in der Stadtbibliothek Ulm sein herausgegebenes Buch mit sämtlichen Gedichten des Ulmer Barocklyrikers Johann Martin Miller vor. Ihm stand der ehemalige Leiter der wissenschaftlichen Abteilung der Bibibliothek, Bernd Breitenbruch, zur Seite, der seinerseits eine Biografie über den Autoren verfasst hat.
Es ging somit nicht über Millers Lyrik, sondern auch um seine vielfachen Vertonungen. Zum Beispiel wurde sein Gedicht „Zufriedenheit“ u.a. von Mozart und Beethoven in Noten gesetzt. Diese Lieder bekamen wir dann auch live mit einem Sänger des Ulmer Theaters zu hören. Dass Millers Roman „Siegwart“ fast Goethes „Werther“ den Rang abgelaufen hat, dass es mehrere Auflagen und unzählige Raubdrucke davon gab, ist heute genauso vergessen, wie dass er sich als Münsterpfarrer sehr unwohl fühlte und Ulm als ein kulturelles Gefängnis empfunden hat. Dank der Literaturwoche und dieser Veranstaltung, kam dies wieder ans Tageslicht und ein Stück Kultur mehr in die Stadt.

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Freitag

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Heute haben
Blaise Pascal * 1623
Gustav Schwab * 1792
Wassili Bykow * 1924
Salman Rushdie * 1947
Geburtstag

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Navid Kermani erhält den diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Die Ulmer Stadtbibliothek hatte ihn letzte Woche zu einer Veranstaltung eingeladen, wir betreuten den Büchertisch und haben somit (fast) alle Bücher von ihm vorrätig.
Die Online-Ausgabe unseres Fachblattes (Börsenblatt) führte gestern ein Interview mit dem Schriftsteller, Orientalisten und Essayisten.
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Unser Buchtipp:

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„Food Trucks“ herausgegeben von Toby Binder, Gabriela Herpell,
Birthe Steinbeck, Nicola von Velsen

Kreative Küche auf Rädern
Prestel Verlag € 29,95

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Gestern schrieb ich noch über die Entdeckung der Langsamkeit und heute geht es schon wieder um Street Food. Aber vielleicht kann ich mich ja rausreden, dass hier das Essen auf Rädern zu uns kommt und wir davor sitzen und in Ruhe genießen. Umgebaute Busse, alte Bullis und italienische Ape – alles ist hier vertreten. Genauso abwechslungsreich sind auch die Menüs, die hier angeboten werden.
Berlin stellt mit Abstand die meisten Essensbullis. Wer hätte das gedacht.
Aber die HerausgeberInnen wissen halt auch noch nichts vom kleinen Gefährt des „Café Alba“ auf dem Ulmer Samstagsmarkt und dem riesigen schwarzen Laster von den „Damn Burgers“ bei uns um die Ecke. Und so sind die kleinen Lasterchen auch hier angekommen, wo wir sie doch sonst nur von den klingelnden Eiswagen in New York kennen.
Jetzt also vegane Küche, Donuts, Sandwichs und natürlich Burger. Süßes Eis und Frozen Yoghurts, Nudeln und Wraps, Schnitzel und Kaffee rollen über die Straßen der Großstadt. Und wen es Sie mal in die Hauptstadt zieht, dann schnappen Sie sich vorher die Adresse aus dem Buch, wo die Laster stehen.
Nachdem wir im Buch zu Beginn informiert werden, wie und wo die Food Trucks zu finden sind, gehen die HerausgeberInnen näher auf die jeweiligen Besitzer und Betreiber ein, stellen ihre Philosophien und Speisekarten in kleinen Interviews vor. Am Ende noch Internet-Adressen dieser kreativen Küchen.
Und wenn uns auch nie so ein bunter Laster untergekommen ist, genießen Sie einfach dieses freundliche Foto-Bilder-Koch-Ess-Buch.
Vielleicht sollte ich mit meinen Büchern, ner Mütze auf dem Kopf und einem Bart im Gesicht ….?
Ne, lieber doch nicht.

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Heute abend ab 19:3o im 5.Stock in der Ulmer Stadtbibliothek:
Michael Watzka stellt den Ulmer Barocklyriker Johann Martin Miller vor, dessen gesammelte Gedichte er in einem Band gesammelt und kommentiert hat.
Gedichte und Klaviermusik.
Eintritt frei

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