Sonntag, 28.Februar

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Heute vor einem Jahr

Heute haben
Michel de Montaigne * 1533
Johann Beer * 1655
Marcel Pagnol * 1895
Erika Pluhar * 1939
Bodo Morshäuser * 1953
Colum McCann * 1965
Geburtstag
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Annette von Droste-Hülshoff
Mondesaufgang

 
An des Balkones Gitter lehnte ich
Und wartete, du mildes Licht, auf dich.
Hoch über mir, gleich trübem Eiskristalle,
Zerschmolzen schwamm des Firmamentes Halle;
Der See verschimmerte mit leisem Dehnen,
Zerfloßne Perlen oder Wolkentränen? –
Es rieselte, es dämmerte um mich,
Ich wartete, du mildes Licht, auf dich.
 
Hoch stand ich, neben mir der Linden Kamm,
Tief unter mir Gezweige, Ast und Stamm;
Im Laube summte der Phalänen Reigen,
Die Feuerfliege sah ich glimmend steigen,
Und Blüten taumelten wie halb entschlafen;
Mir war, als treibe hier ein Herz zum Hafen,
Ein Herz, das übervoll von Glück und Leid
Und Bildern seliger Vergangenheit.
 
Das Dunkel stieg, die Schatten drangen ein –
Wo weilst du, weilst du denn, mein milder Schein? –
Sie drangen ein wie sündige Gedanken,
Des Firmamentes Woge schien zu schwanken,
Verzittert war der Feuerfliege Funken,
Längst die Phaläne an den Grund gesunken,
Nur Bergeshäupter standen hart und nah,
Ein finstrer Richterkreis, im Düster da.
 
Und Zweige zischelten an meinem Fuß
Wie Warnungsflüstern oder Todesgruß;
Ein Summen stieg im weiten Wassertale
Wie Volksgemurmel vor dem Tribunale;
Mir war, als müsse etwas Rechnung geben,
Als stehe zagend ein verlornes Leben,
Als stehe ein verkümmert Herz allein,
Einsam mit seiner Schuld und seiner Pein.
 
Da auf die Wellen sank ein Silberflor,
Und langsam stiegst du, frommes Licht, empor;
Der Alpen finstre Stirnen strichst du leise,
Und aus den Richtern wurden sanfte Greise;
Der Wellen Zucken ward ein lächelnd Winken,
An jedem Zweige sah ich Tropfen blinken,
Und jeder Tropfen schien ein Kämmerlein,
Drin flimmerte der Heimatlampe Schein.
 
O, Mond, du bist mir wie ein später Freund,
Der seine Jugend dem Verarmten eint,
Um seine sterbenden Erinnerungen
Des Lebens zarten Widerschein geschlungen,
Bist keine Sonne, die entzückt und blendet
In Feuerströmen lebt, im Blute endet –
Bist, was dem kranken Sänger sein Gedicht,
Ein fremdes, aber o! ein mildes Licht.
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Dita Zipfel & Finn-Ole Heinrich: „Schlafen wie die Rüben
Illustrationen Tine Schulz

Huckepack Verlag im Mairisch Verlag € 15,00
Bilderbuch ab vier Jahren

Schlafbilderbücher haben wir doch genügend. Verse für die Gute Nacht, Ratgeber für gestresste Eltern füllen Regale. So, wie es bei Familie Rübe zugeht, fällt dabei aus dem Rahmen. Dita Zipfel und Finn-Ole Heinrich toben sich hier aus und haben mit Tine Schulz eine geniale Illustratorin gefunden, die deren Verse malerisch weiterführt.
Bei den Rüben hat das InsBettgehen feste Regeln. Da muss erst mal gehüpft werden, dann der Esel geschüttelt, der Himmel gestriegelt und die Betten verdaut werden. Aber halt, da stimmt doch was nicht. Also nochmal. Zweiter Versuch das Gedicht in Form zu bekommen. Aber auch hier finden wir jede Menge Quatsch und Unsinn. Die Kinder finden das natürlich herrlich und Eltern wohl auch.
Dritter Versuch. Und siehe: Die Reime passen, die Verse geben einen Sinn (manchmal). Genauso, wie wir uns unter der Bettdecke zurechtgeruckelt, endlich die passende Einschlafstelle gefunden und die kalten Füße in warme Wollsocken gesteckt haben. Aaah. Herrlich. Alle sind hundemüde. Mama, Papa, diverse Kinder, Hund und Katz und alle Kuscheltiere schlafen. Halt, da sehe ich noch zwei offene Augen. Egal, auch die werden bald zufallen.
Ein freches (sehr realistisches) Quatschbilderbuch für die knifflige Abendzeit zwischen Zähneputzen, Vorlesegeschichte und Licht aus.

Am Sonntag, 21.März ab 11 Uhr gibt es eine digitale Buchpräsentation aus dem Literaturhaus Berlin.
Den kostenlosen Videostream sehen Sie hier und auf dem YouTube-Kanal des Literaturhauses und anschließend in deren Mediathek.
Empfohlen ab 4 Jahren

Bitte unterstützen Sie diese kostenlose digitale Veranstaltung mit einer Spende. Vielen Dank!

Samstag, 27.Februar


Heute haben
Henry Wadsworth Longfellow * 1807
John Steinbeck * 1902
Lawrence Durrell * 1912
Elisabeth Borchers * 1926
Geburtstag
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Henry Wadsworth
Nature

LongfellowAs a fond mother, when the day is o’er,
   Leads by the hand her little child to bed,
   Half willing, half reluctant to be led,
   And leave his broken playthings on the floor,
Still gazing at them through the open door,
   Nor wholly reassured and comforted
   By promises of others in their stead,
   Which, though more splendid, may not please him more;
So Nature deals with us, and takes away
   Our playthings one by one, and by the hand
   Leads us to rest so gently, that we go
Scarce knowing if we wish to go or stay,
   Being too full of sleep to understand
   How far the unknown transcends the what we know.
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Neu ausgepackt und passend zu der gestrigen Aktion von Fridays for Future und Extinction Rebellion:


Mark Lynas: „6 Grad mehr
Die verheerenden Folgen der Erderwärmung
Übersetzt von Barbara Steckhan, Carolin Schiml, Karola Bartsch

Der Wissenschaftsjournalist Mark Lynas spielt durch, was passieren wird, wenn die Erde sich weiter global erwärmt. Für jedes Grad Erderwärmung schreibt er ein Kapitel, zitiert aus aktuellen Studien und benutzt wissenschaftliche Zukunftsmodelle. Er beschreibt Dürren, ausbleichende Korallen, Verwüstungen durch schmelzende Gletscher, zunächst geografische Verschiebungen, später das Verschwinden von fruchtbarem Land und ultimativ die Gefahr, dass alles Leben auf der Erde endet.
Allein schon das Kapitel mit 1 Grad mehr, zeigt, wie wir mitten drin stecken im Klimawandel, in einer Klimakatastrophe, die wir hier in Ulm nicht merken, aber gleich um die Ecke spürbar ist.
Wieder ein Buch mehr, das uns vor Augen führt, dass es demnächst zu spät ist, wenn wir nicht zumindest die formulierten Klimaziele umsetzen.

Leseprobe
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Gestern in Stuttgart. 50 Menschen von Fridays for Future und Extinction Rebellion treffen sich vor der Stuttgarter CDU Parteizentrale und erklären den Platz davor zum Klima Tatort.

Freitag, 26.Februar

Heute haben
Victor Hugo * 1802
Hermann Lenz * 1913
Elizabeth George * 1949
Leon de Winter * 1954
Michel Houellebecq * 1958
Atiq Rahimi * 1962
Geburtstag
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Klabund
Selbstvergessenheit

Der Strom – floß,
Der Mond vergoß,
Der Mond vergaß sein Licht – und ich vergaß
Mich selbst, als ich so saß
Beim Weine.
Die Vögel waren weit,
Das Leid war weit,
Und Menschen gab es keine
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Gestern ausgepackt:


Jahrbuch der Lyrik 2021
Herausgegeben von Christoph Buchwald & Carolin Callies
Schöffling Verlag € 22,00, 264 Seiten

Seit über 40 Jahren erscheint das „Jahrbuch der Lyrik“, in dem von SchriftstellerInnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aktuelle Texte zu finden sind. In dieser Ausgabe ist Carolin Callies mit dabei, die selber erfolgreich Lyrik veröffentlicht.
Gemeinsam mit Christoph Buchwald hat sie aus den eingesandten Texten von über 600 Lyrikerinnen und Lyrikern, jungen und alten, bekannten und unbekannten, die besten Gedichte ausgewählt und in thematischen Kapiteln zusammengestellt.
So ist wieder eine einzigartige Zusammenstellung enstanden, in der wir vieles entdecken können. Texte, die zum Teil hochaktuell mit unserer Pandemie umgehen und das Verhältnis Mensch-Natur bearbeitet haben

Leseprobe

Donnerstag, 25.Februar

Heute haben
Carlo Goldoni * 1707
Karl May * 1842
Anthony Burgess * 1917
Erice Pedretti * 1930
George Harrison * 1943
Franz Xaver Kroetz * 1946
Geburtstag
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Theodor Storm
Februar

Im Winde wehn die Lindenzweige,
von roten Knospen übersäumt;
Die Wiegen sind’s, worin der Frühling
die schlimme Winterzeit verträumt.

O wär im Februar doch auch
wie’s andrer Orten ist es Brauch,
bei uns die Narrheit zünftig!

Denn wer, solang das Jahr sich misst,
nicht einmal herzlich närrisch ist,
wie wäre der zu andrer Frist
wohl jemals ganz vernünftig!
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Diese Motive (und mehr) von Julia Hanisch haben wir als Postkarten im Laden.

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Sarah Wiltschek empfiehlt:


Hildegard E. Keller: „Was wir scheinen
Eichborn Verlag € 24,00

„Freedom is just another word for nothing left to lose“.

Hildegard E. Kellers Roman taucht ein in das Leben einer Frau, deren höchstes Gut das freie und unabhängige Denken war und deren Stimme gerade jetzt wieder lauter wird und gehört werden will: Hannah Arendt. Auf eine leichte Weise nimmt die Autorin uns mit ins vergangene Jahrhundert und zum Ausgangspunkt vieler politisch philosophischer Auseinandersetzungen ihrer Protagonistin: das Judentum und der Nationalsozialismus. In Rückblenden erleben wir Arendts wichtige Lebensstationen, während sie ein letztes Mal Urlaub macht an ihrem Tessiner Rückzugsort: Ihre Kindheit in Königsberg, das Leben im Pariser Exil, die Internierung, die Flucht gemeinsam mit ihrer Mutter, das Ankommen in Amerika und ihr rascher Aufstieg als Journalistin und wichtige Stimme im „jüdischen Diskurs“. Dabei wird der miterlebte und in Reportagen und einem Buch verarbeitete Eichmann-Prozess in Jerusalem zu einem zentralen, tief in ihr Leben eingreifenden Ereignis. Durch ihre damalige Positionierung sah sie sich einer völlig ungewollten Öffentlichkeit ausgesetzt, die auch vor dem Privaten nicht Halt machte. Freundschaften zerbrachen und es blieben von den wenigen überlebenden, noch weniger an ihrer Seite. Gleichzeitig war es das, was Arendt als ihre Lebensaufgabe sah: Integer und in vollkommener Verantwortung für sich selbst einzustehen, sich nicht verbiegen zu lassen, sich so unabhängig als irgend möglich zu äußern und zu handeln.
Und doch sind es gerade die tiefen und langen Freundschaften, die sie trugen und ihr Leben auszeichneten, von denen Briefe zeugen und regelmäßige Besuche in die Schweiz und nach Jerusalem. Zentrale Figuren sind ihr Doktorvater Karl Jaspers und Kurt Blumenfeld, die sie in aufrichtiger Freundschaft ein Leben lang begleiteten und unterstützen und Martin Heidegger, von dem sie nie die Anerkennung bekam, die sie sich wünschte. Arendts Ehe mit Heinrich Blücher und ihr gemeinsames Leben in New York war hingegen Begegnungs- und Rückzugsort zugleich, war Austausch auf Augenhöhe, tiefe Verbundenheit und vielleicht so etwas wie Heimat, für die Arendt ansonsten keinen geografischen Ort mehr finden konnte.
Die Autorin nimmt sich außerdem die Freiheit, gerade in den letzten Jahren, als Arendt verwitwet und allein zurückblieb, ihr neue Freundschaften an die Seite zu stellen. So dass uns Leser*innen noch einmal deutlich vor Augen steht, was diese Frau, neben ihrem scharfen Verstand und ihrem klugen Humor antrieb: Eine unersättliche Neugierde am Menschen und an der Welt, die sie bis an ihr Lebensende selbstständig denkend arbeiten ließ. Das Komplexe ihrer Werke zeigt sich in diesem Roman in und durch die Figur Hannah Arendt und macht augenblicklich Lust, sich tiefer in das Werk dieser großen Denkerin zu stürzen.

Mittwoch, 24.Februar

Danke an Anke
www.ankeraum.de

Heute haben
Erich Loest * 1926
Ferit Edgü * 1936
Keto von Waberer * 1942
Leon de Winter * 1954
Geburtstag
und es ist der Todestag von Uwe Johnson.
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Ferdinand Avenarius
Vorfrühling

Leise tritt auf –
Nicht mehr in tiefem Schlaf,
in leichtem Schlummer nur
Liegt das Land:
Und der Amsel Frühruf
Spielt schon liebliche
Morgenbilder ihm in den Traum.
Leise tritt auf …
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Gestern frisch ausgepackt:

Tipp des Tages:


Alfredo Soderguit: „Die Wasserschweine im Hühnerhof
Aus dem Spanischen von Eva Roth
Atlantis Kinderbuch Verlag € 16,00
Bilderbuch ab 4 Jahre

Auf dem Hühnerhof geht alles seinen gewohnten Gang. Jedes Huhn weiß, was es zu tun hat, wo es Futter gibt und wo die Eier zu liegen sind. Alles ist friedlich und alle sind zufrieden (Aber warum nimmt der Bauer ein Huhn mit dem Kopf nach unten mit? Egal, ist ja nichts passiert). Dann passiert doch etwas. Die Jagdsaison wird eröffnet und die Wasserschweine suchen Schutz auf dem Hühnerhof. Die Hühner gewähren ihn, aber unter ihren Bedingungen. Als aber ein Küken mit einem kleinen Wasserschwein spielt, geraten diese Regeln und die Vorurteile ins Wanken.
Die Jäger haben kein Glück und kein Tier geschossen. Aber die Geschichte der Hühner und den Wasserschweinen geht weiter. Am nächsten Tag findet der Bauern den Hühnerstall leer.
Das letzte Bild (euch Erwachsenen kann ich es ja erzählen) zeigt wie die Hühner und Wasserschweine auf der Wiese der Schafe stehen und wie das Küken mit einem Lämmchen verhandelt.
Ein sehr liebenswert gemalte und erzählte Geschichte, die uns Erwachsene zum Nachdenken anregt und den Kleinen sicherlich Vergnügen bereitet.
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Edwin Scharff Museum 
Kunstmuseum & Kindermuseum Neu-Ulm
Hermann-Köhl-Straße 12, 89231 Neu-Ulm
Telefon 0731 7050-2520
www.edwinscharffmuseum.de

Aus der Museumswerkstatt:

Dienstag, 23.Februar

Heute haben
Samuel Pepys * 1633
Wilhelm Grimm * 1786
Erich Kästner * 1899
Elisabth Langgässer * 1899
Geburtstag
und es ist der Todestag von John Keats, der am 23.2.1821 in Rom gestorben ist.
Er liegt auf dem Nichtkatholischen Friedhof in Rom bei der Pyramide und auf seinem Grabstein stehen die weltberühmte Worte:
„Here lies One Whose Name was writ in Water“
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Cäsar Flaischlen
Februar

Schon leuchtet die Sonne wieder am Himmel
und schmilzt die Schneelast von den Dächern
und taut das Eis auf an den Fenstern
und lacht ins Zimmer: wie geht’s? wie steht’s?

Und wenn es auch noch lang nicht Frühling,
so laut es überall tropft und rinnt …
du sinnst hinaus über deine Dächer …
du sagst, es sei ein schreckliches Wetter,
man werde ganz krank! und bist im stillen
glückselig drüber wie ein Kind.
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Unser Tagestipp:


Alem Grabovac:Das achte Kind
Hanser Verlag € 22,00

Vor ca. zwei Wochen wurde dieses Buch auf Zoom Präsentiert. Über 100 Interessierte nahmen daran teil und wurden nicht enttäuscht. Das Interview mit dem Autor (ausgesprochen: Grabowatz) war sehr unterhaltsam, witzig pointiert. Immer wieder erwähnte er, dass ihm eine klare, nüchterne, direkte Sprache sehr wichtig war. Nur so konnte er seine Geschichte aufschreiben. Grabovac arbeitet als Journalist und hätte genauso ein Sachbuch schreiben können, über die Eingliederung (oder nicht Eingliederung) von Gastarbeitern in Deutschland. Er sagt, dass auf diesem Gebiet noch nicht viel aufgearbeitet worden ist. Er hat sich jedoch zu einem Roman entschieden, bei dem Orte und Namen zum größten Teil original übernommen worden sind.
Seine Mutter arbeitet als Gastarbeiterin in einer Schokoladenfabrik, sein Vater, ein Kleinganove, der viel trinkt, beklaut seine Frau im Krankenhaus, vor der Geburt des Autors, so dass sie zu Fuß nach Hause laufen muss. So der Einstieg. Alem wird zu einem deutschen Pflegefamilie gebracht und ist dort das achte, nach sieben eigenen Kindern. Der Pflegevater ist ein ewig gestriger Nazi. Seine Mutter heiratet wieder, wobei das Verhältnis zu seinem Stiefvater sehr schlecht ist, da er immer wieder brutal zu ihm ist.
Dies klingt alles sehr hart und doch schafft es der Autor eine gute Geschichte daraus zu machen. Ein Mann, der sich auf die Suche nach seiner Identität, nach den Biografien der Erwachsenen in seinem Umfeld macht. Dabei hilft ihm seine unverblümte Sprache und ohne zu werten.
Gelungen.

Von der Hanser-Seite übernommen:
5 Fragen an Alem Grabovac

Herr Grabovac, worum geht es in Ihrem Roman Das achte Kind?
Um Bauern, Diebe, Fabrikarbeiterinnen, Tito, Nationalsozialisten, drei Väter, zwei Familien und das ganze schräge Inventar aus dem kurzen 20. Jahrhundert mit all seinen großen und kleinen Erzählungen, die sich schicksalhaft in die Biografien der Protagonisten eingeschrieben haben.

Die Geschichte hängt sich weitgehend an Ihrer Biografie auf. Wie war der Schreibprozess für Sie?
Zunächst: Was kommt hinein, was lasse ich weg, wie ordne ich alles an und was muss ich erfinden, um die Realität glaubhaft und spannend zu erzählen. Es handelt sich um eine Autofiktion, eine Autobiografie, in die fiktionale Handlungsebenen verwoben sind. Und dann habe ich das alles so schlicht und kristallklar wie nur möglich aufgeschrieben. Die Sprache sollte, ganz ohne poetologische Ornamentik, geräuschlos und zugleich lebendig hinter der Handlung verschwinden.

Hätten Sie Ihrer Romanfigur Alem lieber ein anderes Heranwachsen gewünscht?
Ach, das überlasse ich meinem kleinen Sohn, der liebevoll und behütet aufwächst und dann irgendwann so seine Probleme damit haben wird.

Maxim Biller bezeichnet Das achte Kind als Bildungsroman. Was meint er damit?
Zwei Dinge, vermute ich. Einerseits die noch nicht auserzählte Migrationsgeschichte der BRD und andererseits ein Fortwirken der nationalsozialistischen Ideologie, die in vielen Familien unter den Teppich gekehrt wurde. Mein deutscher Vater war zum Beispiel ein Wehrmachtssoldat, der die Juden gehasst hat. Für ihn war, wie für so viele andere Deutsche, der 8. Mai 1945 ganz bestimmt kein Tag der Befreiung.

Ist Das achte Kind auch eine Geschichte des Loslassens und Verzeihens?
Nein, das Loslassen und Verzeihen hatte schon lange vor dem Schreiben stattgefunden. Ich habe versucht, die Geschichte ungeschönt und wertfrei zu erzählen. Ganz allein der Leser oder die Leserin sollen entscheiden, welche Schlussfolgerungen sie aus alledem ziehen.

Leseprobe

Montag, 22.Februar

Heute haben
Arthur Schopenhauer * 1788
Hugo Ball * 1886
Jane Bowles * 1917
Danilo Kis * 1935
Arnon Grünberg* 1971
Geburtstag
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Ludwig Uhland
Frühlingsglaube

Die linden Lüfte sind erwacht,
Sie säuseln und wehen Tag und Nacht,
Sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun muss sich alles, alles wenden.

Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
Man weiß nicht, was noch werden mag,
Das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Tal:
Nun armes Herz, vergiss der Qual!
Nun muss sich alles, alles wenden.
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Claudia Wiltschek empfiehlt:


Antje Damm: „Die Wette
Moritz Verlag € 12,95
Bilderbuch ab 4 Jahren

Welch herzerfrischendes Bilderbuch von Antje Damm, die immer wieder so erfreuliche Bücher macht.
Einmal in der Woche besucht Lilo ihren Freund Hein in seiner Gärtnerei. Für Hein brauchenPflanzen hauptsächlich Sonne und Wasser, für Lilo brauchen sie auch Liebe. Die Wette gilt: Lilo bekommt das gleiche Pflänzchen mit nach Hause, jeder kümmert sich 4 Wochen um das seine und dann wird geschaut, welches besser gewachsen ist. Lilo lässt ihr Pflänzchen nie alleine, liest ihm Gutenachtgeschichten vor, singt und spielt Musik und wenn ihre Freundin da ist, ist auch immer das Pflänzchen beim Spielen dabei. Bei Hein gibt es regelmäßig Wasser… und: er macht große Augen, als der Tag des Vergleichens kommt. Lilo hat die Wette gewonnen und ab jetzt wird ein Liedchen geträllert in Heins Gärtnerei. Das Schönste: Es ist kein gemaltes Bilderbuch, sondern alles ist aus Pappe gebastelt.
Also : Schere und Pappe raus und losbasteln!

Samstag, 20.Februar

Heute haben
Johann Heinrich Voß * 1751
Heinz Erhardt * 1909
Julia Franckh * 1970
Geburtstag
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Hoffentlich mein letztes Wintergdicht für die nächsten Monate:

Matthias Claudius
Ein Lied hinterm Ofen zu singen

Der Winter ist ein rechter Mann,
kernfest und auf die Dauer;
sein Fleisch fühlt sich wie Eisen an
und scheut nicht süß noch sauer.

Aus Blumen und aus Vogelsang
weiß er sich nichts zu machen,
haßt warmen Drang und warmen Klang
und alle warmen Sachen.

Doch wenn die Füchse bellen sehr,
wenn’s Holz im Ofen knittert,
und um den Ofen Knecht und Herr
die Hände reibt und zittert;

wenn Stein und Bein vor Frost zerbricht
und Teich‘ und Seen krachen;
das klingt ihm gut, das haßt er nicht,
dann will er sich tot lachen. –

Sein Schloß von Eis liegt ganz hinaus
beim Nordpol an dem Strande;
doch hat er auch ein Sommerhaus
im lieben Schweizerlande.

So ist er denn bald dort, bald hier,
gut Regiment zu führen.
Und wenn er durchzieht, stehen wir
und sehn ihn an und frieren.
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Unser Tipp:


Sabine Lemire (Text) und Rasmus Bregnhøi (Illustrationen):
Mira #familie #paris #abschied

Aus dem Dänischen von Franziska Gehm
Klett Kinderbuch € 15,00
Ab 10 Jahren

Das ist jetzt schon der vierte Band von Miras Erlebnissen als Graphic Novel.
Ich habe das nie so richtig beachtet, bin nach der dieser Lektüre hellauf begeistert und habe die ersten drei Bände nachbestellt. Die Geschichte ist so treffend erzählt und gezeichnet. Genauso so, wie es im wirklichen Leben ist. Dazu noch mit einer ordentlichen Portion Humor. Die Kleinigkeiten, wie das dauernde aufs Handy starren, die Dreitagebärte der Männer, machen schon ordentlich Spaß.
In diesem Buch findet Mira alles doof, die Mutter nervig und den kleinen Bruder überflüssig. Gut, dass sie ihre Freundinnen hat, obwohl in der Schule auch schwer gezickt wird. Und noch besser: Ihre Oma, mit der sie alles besprechen kann.
Miras Mama kann ihrer Tochter nichts recht machen und da kommt Omas Vorschlag, mit ihrer Enkelin nach Paris zu fahren, gerade richtig.
Irgendwie kommt es doch ganz anders und das wiederum gibt viel Stoff in Miras Tagebuch.
Ein super Buch für Mädchen ab 12 und die passenden Eltern dazu.

Leseprobe

Freitag, 20.Februar

Vor einem Jahr, am 19. Februar 2020, erschoss ein 43 Jahre alter Deutscher aus rassistischen Motiven in Hanau neun Menschen mit ausländischen Wurzeln und verletzte sechs weitere Menschen.

Angela Merkel: „Rassismus ist ein Gift. Der Hass ist ein Gift“

#Hanauistüberall

Gedenkveranstaltung in Ulm auf dem Münsterplatz heute um 17 Uhr

Donnerstag, 18.Februar


Heute haben
A.L.Kielland * 1849
N.Kazantzakis * 1883
André Breton * 1896
Toni Morrison * 1931
Elke Erb * 1938
Geburtstag
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Elke Erb
Nicht schlägt…

Nicht schlägt, wo ich bin, Geschirr an die Wand
oder kommt man gelaufen, weil etwas brennt,
nicht sieht man das Tischtuch zerrissen.

(1968 entnommen aus der Leseprobe zu „Das ist hier der Fall“. Ausgewählte Gedichte. € 20,00
Auf der Internetseite des Suhrkamp Verlages)
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Da sie ja nicht in den Buchladen dürfen, hier ein weiteres Taschenbuch-Karussel.
Frisch ausgepackt.

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Unser Tipp des Tages:


Will Hunt: „Im Untergrund
Expeditionen ins Reich der Erde
Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger
Liebeskind Verlag € 24,00
Halbleinen, Lesebändchen, mit zahlreichen Abbildungen

Was haben prähistorische Höhlenmalereien in Frankreich mit Graffitis in der New Yorker U-Bahn zu tun? Welche Verbindungen gibt es zwischen antiken unterirdischen Städten in der Türkei und den Bunkeranlagen im Silicon Valley? Will Hunts Reiseberichte sind eine verblüffende Vermessung der Welt unter unseren Füßen, so spannend erzählt wie ein Abenteuerroman. Als Will Hunt sechzehn Jahre alt war, entdeckte er unweit seines Elternhauses in Rhode Island einen verlassenen Tunnel. Zusammen mit Freunden unternahm er seine erste Exkursion unter die Erde und war sofort fasziniert von diesem dunklen, fremden Teil der Welt. Seitdem hält er sich bevorzugt im Untergrund auf. In diesem Band beschreibt Will Hunt seine Entdeckungsreisen in die geschichtsträchtigsten Löcher der Erde. Im australischen Outback steigt er mit Aborigines hinab in eine Ocker-Mine, die über 35.000 Jahre alt ist. In South Dakota sucht er mit Mikrobiologen der NASA kilometertief nach Spuren frühzeitlicher Lebensformen. Mit Urban Explorern verbringt er Tage und Nächte in den Pariser Katakomben, und in Belize begibt er sich auf die Spuren der Maya, die von Höhlen besessen waren …
Will Hunt öffnet den Blick für die verborgenen Dimensionen unseres Planeten und zeigt auf, wie unser Denken und unser Selbstverständnis immer schon von unterirdischen Welten geprägt wurden. Seine Reiseberichte handeln von der Anziehungskraft der Dunkelheit, von der Macht des Geheimnisvollen und unserem ewigen Streben, das zu verstehen, was unsichtbar ist.
Viele Gedanken über das Sichverlieren, über Nahtoderfahrungen, seine Gedanken und Vergleiche zur Tierwelt, Zitate von Philosophen, aus der Bibel, machen dieses Buch zu einem Essay über unser Leben. Unser Leben vor tausenden von Jahren und vielleicht auch in der Zukunft. Aber auch: Was ist uns wichtig heute, im hier und jetzt? Was passiert, wenn Hektik, Lärm, Dauerberieselung wegfallen und absolute Stille und Dunkelheit einen umgibt?
Gegen Ende des Buches erwähnt Will Hunt ein Buch von Rebecca Solnit mit dem Thema des Sichverlierens und zack, es steht tatsächlich in meinem Buchregal (und im Buchladen). Somit habe ich sofort damit weitergemacht. Herrlich, diese Verbindungen.

Leseprobe