Mittwoch

Heute haben
Ferdinand von Saar * 1833
Eileen Chang * 1920
Truman Capote * 1924
Élie Wiesel * 1928 (Friedensnobelpreis 1986)
Jurek Becker * 1937
Cecelia Ahern * 1981

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Ferdinand von Saar
An den Mond

Längst, du freundliches Nachtgestirn,
Ist dein Geheimnis verweht.
Erkenntnisstolz blickt der Knabe schon
Zu dir empor,
Denn verfallen bist du, wie alles jetzt,
Der Wissenschaft,
Die deine Höhen und Tiefen mißt –
Und wer weiß, ob du nicht endlich doch noch
Erstiegen wirst auf der Münchhausenleiter
Der Hypothesen.

Dennoch, du alter, treuer Begleiter der Erde,
Webt und wirkt dein alter Zauber fort,
Wenn du, Aug‘ und Herz erfreuend, emportauchst
Mit dem sanftschimmernden Menschenantlitz
Und seligen Frieden gießest
Über tagmüde Gefilde.
Noch immer, wachgeküßt von deinem Strahl,
Seufzt Liebe zu dir hinan –
Und immer noch, ach! besingen dich Dichter.
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Anne Möller:Zehn Blätter fliegen davon
Atlantis Verlag € 14,95
Bilderbuch ab 5 Jahren

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Anne Möllers Bilderbuch hat schon einige Jahre auf dem Buckel, aber es passt halt im Moment so gut. Der Herbst hat angefangen, morgen beginnt der Oktober und die Blätter fliegen durch den Wind von den Bäumen. Die Trockenheit hier auf der Alb beschleunigt den Vorgang noch mehr. Auf den Radwegen liegen viele bunte Blätter und kleine Äste, die Bäume werden wieder lichter und die Wälder am Horizont verlieren so langsam ihre verschiedenen Grüntöne. Anne Möller, die schon Bilderbücher über den Mauersegler, das Rotschwänzchen, die Familie Steinkauz und über Katzen und Nester geschrieben und gemalt hat, ist mit „Zehn Blätter fliegen davon“ ein liebenswertes, besonderes und didaktisch kluges Buch gelungen. Mit ihrer Collagetechnik nimmt sie genau das auf, was in Kindergärten, in Schulen und daheim sowieso schon gemacht wird. Sie verfeinert das noch und fügt zu ihren 10 Blättern, die von einem Ast geschüttelt worden sind, noch mehr Gegenstände und Tiere dazu. Ein kurzer Text verdeutlicht den Kleinen, was mit dem jeweiligen Blatt passiert. Wir sehen, dass Tiere, die Blätter für ihren Nestbau verwenden, dass sie sie als Nahrung brauchen, dass wir Menschen mit ihnen Segel für Nussschiffchen basteln können. Oder jetzt in der dunklen Zeit, können wir sie auf Laternen kleben. Diese zehn kleinen, bunten Weidenblätter veranschaulichen den Jahreslauf. Sie fallen im Herbst vom Ast, dienen als Dünger und daraus bezieht die Weide ihre Kraft, damit im nächsten Frühjahr wieder Blätter am Strauch hängen. Auf den hellen, klar strukurierten Abbildungen tauchen wir in die Natur ein, sehen den Eisvogel, Fische und Vögel am Himmel. Wir entdecken, wie der Regenwurm lebt und wie knallorange ein Lagerfeuer brennt, über dem ein Grillwurst brutzelt und eines der Blätter darin verbrennt. Ein Blatt dient sogar als Notizzettel für eine Telefonnummer. Gleichzeitig bekommen wir durch die Hintertüre mit, was wir mit verschiedenen Blättern alles machen, basteln, kleben und collagieren können.
Wir waren am Sonntag im Buchheim Museum am Starnberger See und haben uns Postkarten von „Dittis Blätterbilder“ gekauft. Passt hervorragend.

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Heute abend ist es soweit.
Ab 19 Uhr findet unser traditionelles Shortlistlesen statt.

Dienstag

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Heute haben
Miguel de Cervantes Saavedra * 1547
Christian Friedrich Hunold * 1680
Miguel de Unamuno * 1864
Ingrid Noll * 1935
Gaston Salvatore * 1941
Geburtstag
und es ist der Todestag von Carson McCullers
(und wenn Sie Muse haben, lesen Sie die „Ballade vom traurigen Café“, oder lassen sie Elke Heidenreich vorlesen. Grossartig)

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„Sinn und Form“
Beiträge zur Literatur
Fünftes Heft 20015, September/Oktober
Akademie der Künste € 11,00

Der September ist schon fast vorbei, wir stellen dann, wie gewohnt, das Monatsgedichteheftle „Oktober“ von Reclam vor. Jetzt komme ich erst dazu das neue, aktuelle „Sinn und Form“-Heft vorzustellen. Das Schöne daran ist, dass diese abgderuckten Beiträge zur Literatur nichts an Aktualität verlieren, wenn wir sie erst Monate später lesen. Also immer Augen auf, wenn Sie ältere Ausgaben in die Finger bekommen. Es verstecken sich jedesmal Perlen darin.
So auch hier wieder.
Jan Wagners (das ist der mit dem „Giersch“) Text „Süßes Erschrecken. Über Eduard Mörike“ ist für uns Schwaben vor der Haustüre angesiedelt.
„Wer niemals seine Schritte nach Mergentheim und Wermutshausen lenkte, nie in Weilheim, Kirchheim, Pflummern und Ochsenwang gewesen ist, wer nie nach Urach und Teinach fuhr, auch nicht nach Köngen, Nagold oder Scheer, nie in Eltingen und Plattenhardt nächtigte, wer schließlich kaum zu sagen wüßte, wo genau auf der Landkarte Weinsberg, Möttlingen, Cleversulzbach und, ja: auch Fellbach zu finden sind, der wird, wenn er ein Kleingeist oder ein bornierter Großstädter ist, nur kurz müde lächeln und dann abwinken; ist er aber verständig, so ahnt er: auch dort ist die Welt. Und mag es sich auch nicht um London, Paris oder New York handeln – es braucht doch nicht mehr, als in jenen unvertrauten Orten vorhanden ist, um eine Welt zu erschaffen. …“
Jan Wagner kommt vom Pfarrer Mörike zum Alltags- und Gelegenheitsdichter, der für seine SchülerInnen kleine Zeilen notierte. Seine große Reise fand auf dem Papier statt. Er lies Mozart nach Prag ruckeln und Jan Wagner findet sehr schöne Parallen zwischen den beiden Männern, die jeder für sich in ihrem Fach Genies waren und heute immer noch ihre Gültigkeit haben.
Jörg Sundermeier, der Leiter des Verbrecher Verlages stellt uns den georgischen Dichter Giwi Margwelaschwili vor und der Text ist mit „Eine Völkerfriedensstiftung“ überschrieben. Mit Nino Haratischwili haben wir eine aktuelle Vertreterin der georgischen Literatur im Bücherregal stehen. Und ihr dickes Buch „Das achte Leben. (Für Brilka)“ hat sich bei uns grandios verkauft. Trotz seiner über 1.000 Seiten. Haratischwili hat sicherlich den deutlich älteren Kollegen gelesen und verschlungen. Seine Bücher setzen sich hier nicht durch. Immer wieder werden neue Ausgaben herausgebracht. Bishin zu einer Werkausgabe. Aber er tut sich schwer. „Sinn und Form“ wird daran auch nichts ändern, aber vielleicht bekommen Sie Lust, in eines seiner vielen Roman hineinzulesen.
Sundemeier schreibt, dass wenn Giwi Margwelaschwilis Romane vor 50 Jahren erschienen, hätten sie die georgische Literatur verändert. Und wenn seine Bücher hier mehr gelesen werden würde, würde die deutsche Literatur auch anders aussehen. Gewagte Aussage, aber sie hat was.

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Ein weiterer Artikel im Heft:
Przemyslaw Sznurkowski: „Wo Juden sind, entseht auch Litertur“.
Ein Gespräch mit Chaim Noll

PRZEMYSŁAW SZNURKOWSKI: Sie zeichnen in Ihren Büchern ein differenziertes Bild der israelischen Gesellschaft. Besonders in Ihrem 2014 erschienenen Roman „Die Synagoge“ lernt man Sie als aufmerksamen Beobachter der politischen Ereignisse und sozialen Zustände in Israel, vor allem aber auch als kritischen Bürger kennen.

CHAIM NOLL: Kritik gilt hier in Israel als etwas vollkommen Normales. In Deutschland neigt man dazu, Konsens auf allen Gebieten herzustellen, man ist bemüht, möglichst immer einer Meinung zu sein, bis zur bösen Einheitlichkeit, die alle anderen Meinungen unterdrückt und totschweigt. So etwas ist hier unvorstellbar. Wenn man nach Israel kommt, dauert es einige Tage, bis man sich daran gewöhnt hat, daß hier jeder alles möglichst laut und möglichst zugespitzt zum Ausdruck bringt. Sonst wird man nicht wahrgenommen. Aber dieses auf den ersten Blick Verwirrende und Chaotische hat für Intellektuelle große Vorteile. Es ist ja das, was uns am meisten interessiert: Wie gebe ich meinen Gedanken Ausdruck? In der israelischen Gesellschaft kann ich sagen, was ich denke, und es wird immer jemanden geben, der das für einen bedenkenswerten Aspekt hält.

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Daneben gibt es Natascha Wodins Test über ihre Mutter, die von Russland nach Deutschland verschleppt worden ist und die nach der Zeit als Zwangsarbeiterin, verschwunden blieb. Ich bin gespannt, wann die komplette Recherche als Buch erscheint.
Gunnar Decker schreibt über „Hermann Hesse und Indien. Von äußeren und inneren Ost-West-Passagen„, Hans Christoph Buch über „Helden des Rückzugs. Erinnerungen an den Literaturbetrieb (II)„. Ein grossartiger Bericht über Literaturstiftungen, Stadtschreiber, Schreibnischen und das Scheitern diverser Schriftsteller.
Es gibt noch einige mehr Autoren, die mit ihren Texten das Heft füllen. Dazu noch, wie gewohnt, Gedichte, Reden, Essays. Texte, die wir sonst nicht wahrnehmen würden.

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Veranstaltungen bei und mit Jastram in dieser Woche:

Morgen, Mittwoch, den 30.September um 19 Uhr
„Shortlistlesen“

Wir stellen die verbliebenen sechs Titel
für den Deutschen Buchpreis vor und
Sie küren das Siegerbuch.
Es liest Clemens Grote
Bei uns in der Buchhandlung
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Freitag, 2.Oktober um 19:30 Uhr
Thomas Schuler: „Wir sind auf einem
Vulkan“.

Napoleon in Bayern.
Donauschwäbisches Zentralmuseum Ulm

Mon(d)tag

Heute haben
Proseper Mérimée * 1803
Albert Vigoleis Thelen * 1903
(Sein Roman „Die Insel des zweiten Gesichts“ gehört zum Besten. Unbedingt lesen!)
Ellis Peters * 1913
Siegrfried Unseld * 1924
Donna Leon * 1942
Geburtstag
und es ist heute der Welt-Tollwut-Tag.
Da können Sie mal gleich den Mond anheulen.

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Heute um kurz nach 4 Uhr gab es nämlich eine totele Mondfinsternis.
Also den Wecker gestellt und frierend am Fenster gestanden.

Hoffmann von Fallersleben
Der Mond

Der Mond zieht durch die Wolken,
Er kommt so hell heran.
Ihr Kinder, eilt ins Freie!
O seht den Mond euch an!

Da streckt das kleinste Knäbchen
Die Arm‘ hinaus gar weit,
Den Mond, den Mond will’s haben,
Nach ihm es weint und schreit.

Ich kann ihn dir nicht geben,
Auch wenn du größer bist,
Kann ich kein Glück dir geben,
Das nicht auf Erden ist. –

Denk‘ bei dem goldnen Monde,
Der hoch am Himmel schwebt,
Dass Niemand hier auf Erden
Unmögliches erstrebt.

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Johann Wolfgang von Goethe
An den Mond

Schwester von dem ersten Licht,
Bild der Zärtlichkeit in Trauer!
Nebel schwimmt mit Silberschauer
Um dein reizendes Gesicht;
Deines leisen Fußes Lauf
Weckt aus tagverschloßnen Höhlen
Traurig abgeschiedne Seelen,
Mich und nächt’ge Vögel auf.

Forschend übersieht dein Blick
Eine großgemeßne Weite.
Hebe mich an deine Seite!
Gib der Schwärmerei dies Glück;
Und in wollustvoller Ruh
Säh der weitverschlagne Ritter
Durch das gläserne Gegitter
Seines Mädchens Nächten zu.

Dämmrung, wo die Wollust thront,
Schwimmt um ihre runden Glieder.
Trunken sinkt mein Blick hernieder.
Was verhüllt man wohl dem Mond?
Doch was das für Wünsche sind!
Voll Begierde zu genießen,
So da droben hängen müssen;
Ei, da schieltest du dich blind.

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Pauls Klee
Der Mond

Der Mond
war heut nacht eine Perle,
die wirklich Tränen bedeutet hat.

Kein Wunder bei dieser Föhnlage.

Einmal war es,
als ob das Herz still stehe.

Das Gehirn ist verdunstet.
Kein Gedanke außer an das Herz,
welches still stand.

Falle nicht, Ich!
Mit dir fiele die Welt zusammen,
und Beethoven lebt durch dich!

 

Christian Morgenstern
Der Mond

Als Gott den lieben Mond erschuf,
gab er ihm folgenden Beruf:

Beim Zu- sowohl wie beim Abnehmen
sich deutschen Lesern zu bequemen,
ein A formierend und ein Z
dass keiner groß zu denken hätt’.

Befolgend dies ward der Trabant
ein völlig deutscher Gegenstand.

Und noch ein wehmütiges Rom-Mond-Gedicht vom schwäbischen Dichter Waiblinger, der in Rom starb und nur dort glücklich war, wie es eine Wandtafel besagt.

Wilhelm Waiblinger
Der Mond

Gestirn der Trauer, liebliche Schutzgottheit
Gestürzter Tempel, du der Ruinenwelt
Schwermüth’ge Freundin, wie zur Heimath
Hast du erkoren die stille Roma!

Du selbst ja gleichst ihr: wie du dein heilig Licht
Der Sonne dankst, der untergegangenen,
So dankt auch sie die ew’ge Hoheit
Ihrer entflohenen Herrschersonne.

Wo auch herab sich senke dein milder Blick,
Ob auf die öden Mauern, wo einsam sich
Die Straße windet und zuweilen
Epheubewachsene Gräber düstern,

Ob auf Kapellen, schweigende Klöster auch,
Die halb aus vollen Büschen und Gärten sich
Im Schattendach der Pinie heben,
Halb sich im üpp’gen Gewächs verbergen,

Ob in des Tibers schicksalgeweihte Fluth,
Wo sich des Fischers Netz in die Wasser taucht,
Und Brück‘ und Insel und der Besta
Trauernder Tempel der Erd‘ entsteigen;

Stets blickst mit gleicher Liebe dein Rom du an,
Und unaussprechlich finster erhaben ruht’s,
Mit Trümmern und Cypressenhügeln
Dämmernd in Mondlicht und Todtenstille.

So oft in tiefen Schauern durchwandl‘ ich noch
Die hohen Stätten, und die Allee entlang
Lenk‘ ich den Tritt, wo einst der heil’ge
Weg an den Tempeln vorüberführte.

Dann harr‘ ich, bis die Glock‘ auf dem Capitol
Die ernste Stund‘ ankündigt der Mitternacht,
Ein dumpfer Klang und plötzlich wieder
Schweiget die Welt und ihr off’nes Grab hier.

Dir dann, du schmachtend Auge der Nacht, o Mond,
Dir blick‘ ich träumend wieder von neuem zu,
Die Wolken seh‘ ich um dich wandeln,
All‘, wie sie kommen, wie sie verschwinden.

Oft bist du klar, sanft lächelnde Freundin Roms!
Oft aber gleich den Schatten des Schicksals, gleich
Den Völkerstürmen und den Schrecken,
Die einst gewüthet an Roma’s Himmel,

Bedeckt dein Antlitz fliegend Gewölk, und schwarz
Entragt der Siegesbogen des Abgrunds Grau’n,
Und selbst des Donn’rers Säulentempel
Schwindet in Dämm’rung am Capitole.

Und stumm seh‘ ich die mächtigen Treppen an,
Die nun urplötzlich wieder der Vollmond hellt,
Und starre hin, und lausch‘ und horche,
Ob wohl nicht Cäsar heruntersteige.

Und einsmals aus dem buschigen Palatin,
Dem trümmerschwarzen, klagt‘ eine Nachtigall
In all‘ die Nacht, in all‘ die Stille,
Klagte vielleicht von der goldnen Vorzeit.

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Nicht vergessen:
Am kommenden Mittwoch, den 30.9. um 19 Uhr
gibt es wieder unser traditionelles Shortlistlesen.
Clemens Grote liest aus den sechs verbliebenen Romanen für den Deutschen Buchpreis. Wir hören zu und stimmen ab.

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Sonntagsskizzen von Detlef Surrey (3)

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Teil 3 von Detlef Surreys Skizzenblog .
Heute: Auf der Holzmühle in Vogt / Oberschwaben

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Holzmühle
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Hochzeitsgesellschaft in Meckenbeuren
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Egons BMW 1200
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Bänkle vor der Holzmühle
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Holzmühle
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John Deere

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DetlefSurrey-pen-fbDetlef Surrey ist Illustrator und Comiczeichner in Berlin.

Skizzen: skizzenblog.surrey.de
Blog: detlefsurrey.de
Web: www.surrey.de


Sonntagsskizzen Rückblick:

Teil 2 / Graphic Novel Day des Internationalen Literaturfestival Berlin
Teil 1 / Treffen der “Urban Sketchers” in Darmstadt

Samstag

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Heute haben
T.S.Eliot * 1888
Victor O.Stomps * 1897
Peter Turrini * 1944
Jane Smiley * 1949
Geburtstag
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Unser Musiktipp für etwas Ruhe in unserer lauten Zeit:

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Martin Tingvall: „Distance“
Skip 2015
CD € 19,99
LP € 22,00

Der schwedische Pianist Martin Tingvall, der in Deutschland mit seinem Trio sehr bekannt sein dürfte, lebt seit Jahren in Hamburg und schreibt dort Filmusiken und für seinen Freund Udo Lindenberg Popsongs. (Sachen gibt’s)
Auf seinen eigenen Scheiben und auf den Bühnen rund um die Welt geht er einen anderen Weg und lässt uns seinen ruhigen Sound spüren. Mit seiner neuen CD „Distance“ macht er konsequent weiter. Er begibt sich „auf die Suche nach der Distanz. Distanz zur Schnelllebigkeit unserer heutigen Zeit, aber zum Beispiel auch die Entfernung, die entsteht, wenn man sich kaum mehr persönlich trifft, weil die meisten zwischen-menschlichen Kontakte über digitale Medien laufen.„, so sagt er selbst. Für sich selbst findet er Distanz zu dieser hektischen, schrillen, bunten Musikwelt u.a. auf Reisen durch Island. Von dort bringt er Mythologien mit, die er zu Musik umformt.
Ein Land,das einem eine ganz neue Perspektive gibt. Und trotz oder vielleicht gerade wegen der riesigen Entfernungen dort habe ich das Gefühl gehabt, dass es eine viel größere zwischenmenschliche Nähe gibt.In dieser ruhigen Stimmung tauchen plötzlich „fremde“ Melodien auf. Ein Blues ist zu hören. Genauso schnell verschwinden sie aber auch wieder und lassen Platz für andere Assoziationen.
Distanz wird er demnächst keine haben, denn er ist mit seinem Album auf Platz 2 der Jazz Jazz-Hitparade. Und bevor ich noch zuviel über Musik rede, wovon ich keine Ahnung habe und nur schreiben kann, ob sie mir gefällt oder nicht, hören Sie doch bitte in die Videos rein und machen sich selbst ihre eigenen Gedanken.

https://www.youtube.com/watch?v=HfLYiRG0ryM

https://www.youtube.com/watch?v=x3ofrVVXTZE

Website von Martin Tingvall

Martin Tingvall in der Nähe von Ulm:
19.10.2015 München – Black Box
23.10.2015 Karlsruhe – Tempel Kulturzentrum
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Die Shortlist für den deutschen Buchpreis ist veröffentlicht
und am Mittwoch, den 30.September veranstalten wir unser “Shortlistlesen”.
Beginn: 19 Uhr
Eintritt: frei

Erpenbeck_Gehen_ging_gegangen_CoverLappert_24905_MR.inddMahlke_Wie_Ihr_wollt_Coveraufbau_143x219mm.inddSchwitter_Eins_im_Andern_CoverWitzel_Rote-Armee_CoverVorschlag_Böv_11
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Morgen gibt es wieder eine Sonntagsbeilage mit Skizzen von Detlef Surrey.

Freitag

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Heute haben
William Faulkner * 1897
Ernst von Salomon * 1902
Maj Sjöwall * 1935
Andrzej Stasiuk * 1960
Crlos Ruiz Zafón * 1964
Rebecca Gable´ * 1964
Tanja Dückers * 1968
Geburtstag

Unser heutiger Tipp:

Akzente3_24960_MR1.inddAkzente Heft 4/2015
„Es gibt Wörter, die machen mit mir, was sie wollen“
Herausgegeben von Jo Lendle und Herta Müller
Hanser Verlag € 9,60

„Es gibt Wörter“, sagte Oskar Pastior, „die machen mit mir, was sie wollen. Sie sind ganz anders als ich und denken anders, als sie sind. Sie fallen mir ein, damit ich denke, es gibt erste Dinge, die das Zweite schon wollen, auch wenn ich das gar nicht will.“

 

So startet das knallrote neue Akzente-Heft und wenn Herta Müller Herausgeberin ist, darf Pastior nicht fehlen. Gut so. Als Hanser-Autor kommt natürlich im Vorwort auch Patrick Modiano vor, dessen Wörter eng mit der Vergangenheit verwoben sind. Umso mehr wir selbst über Wörter nachdenken, desto spannender wird es, wenn wir neue/alte auf Plakaten, im Gespräch, in Büchern entdecken. Vor ein paar Wochen war eine Kundin im Laden und suchte ein Buch über verschwundene Wörter. So zum Beispiel Bandsalat, das heutzutage keiner mehr in den Mund nimmt, da es die teuflischen Musikcasetten nicht mehr gibt, die sich im Recorder verhedderten, die dann neu geschnitten und geklebt werden mussten. Und zack, sind wir schon in unseren eigenen Erinnerungen gelandet.
Georges-Arthur Goldschmidt beginnt seinen Text über „Die Wörter des Exils“ mit Abschied. Ohne auf seine Zeilen einzugehen, trifft diese Wort sehr tief. Wer hat nicht Erinnerungen an Abschiede, die einschneidend waren, die einen lange beschäftigten.
Herta Müller kruschelt in ihrer Kindheit und findet Tscharegl, Pitanger und Arschkappelmuster. So ist ein klappriges altes Fahrrad ein Tscharegl, aber Herta Müller benutzt diese schroffe Wort auch für wenn ein Schnürsenkel reisst, oder wenn bei der Brille der Bügel abkracht. Das Wort verlässt sie nicht mehr, obwohl es sich von der ursprünglichen Bedeutung längst gelöst hat. Am Ende ihres Textes kommt sie auch auf Sätze, die bei ihr hängen bleiben. Wenn man eine Schwalbe tötet, gibt die Kuh rote Milch. Und sie schreibt, dass heute Nachtichten und Zeitungen voll von roter Milch sind.
Die Übersetzerin Elke Erb schreibt über ihre drei Wörter: Verantwortung, Anstand und ritterlich. Alles Wörter, die sich im Laufe der Zeit sehr gewandelt haben, wie ihr Blick ins Grimmsche Wörterbuch zeigt. Bishin zu Bedeutungen, die uns gar nicht mehr geläufig sind.
Judith Kuckert geht mit einem Führer durch Istanbul und nennt ihren Text „Ich habe nicht verstanden“, denn der junge Mann, ein Türke, der gut deutsch spricht und dessen Traum eine neue Heimat in Kassel ist, wiederholt diesen Satz mehrfach, wenn er einfach nicht versteht, was die Schriftstellerin aus Deutschland von ihm will. Sie sprechen zwar die gleiche Sprache – er sehr gut deutsch, sie kann holprig türkisch lesen – aber es gibt Momente, in denen die Kulturen soweit auseinanderklaffen, dass es zum Achselzucken kommt. Wenn Sie nach Istanbul reisen, irgendwann, dann lesen sie kurz diesen Text durch. Er stimmt sie ein in die Atmosphäre der Stadt, obwohl er sich nicht als Reiseführer eignet.
Modiano habe ich zu Beginn schon erwähnt, der sich am Ende des Bandes mit der Kunst der Erinnerung befasst. Dass die Erinnerung uns jedoch immer wieder einen großen Streich spielt, haben wir in den letzten Jahren in der Literatur nachlesen können.
Das Akzente-Heft wäre nicht das Akzente-Heft, wenn keine Lyrik darin vorkommen würde. So haben wir hier (ins Deutsche übertragene Gedichte) von Liao Yiwu, Peter Nádas, Thomas Lehr, Charles Simic, Les Murray, die sich in anderer Form mit dem Thema Wörter befassen.
Gut, dass es noch solche Bücher und Zeitschriften gibt, die uns erden in der Flut der vielen Romane und Neuerscheinungen.

Leseproben

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Ist nicht Pfefferkuchen so ein Wort, das wir mit vielen Erinnerungen verbinden.
Das
sind übrigens meine ersten selbstgemachten.

Donnerstag

Heute haben
Horace Walpole * 1717
Charles Ferdinand Ramuz * 1878
Alfons Petzold * 1882
F.Scott Fitzgerald * 1896
Walter Kappacher * 1938
Antonio Tabucchi * 1943
und Anita
Geburtstag

Fast daneben ist auch vorbei. Gestern hatten wir Walter Kappacher als Übersetzer und Nachwortschreiber von Henry James‘ „Die mittleren Jahre“ auf dem Blog und heute steht er auf der Geburtstagsliste. Herzlichen Glückwunsch.

Der Rowohlt Verlag schickte uns eine Kiste mit Teil 2 von Jojo Moyes‘ „Ein ganzes halbes Jahr“ mit dem Titel „Ein ganz neues Leben“. Pssst! Ich habe sofort die letzten beiden Seiten des neuen Romans gelesen, um zu schauen, wie es mit Louisa ausgeht. Ich verrate aber nichts.
Aus dem Neuerscheinungspaket des Hanser Verlages fischte ich ein Bilderbuch heraus, dessen Hauptperson Luisa heisst. Noch’n kleiner Zufall und ich blätterte das Buch gleich durch und es war klar, dass ich es heute auf den Blog setze.

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Claudia Schreiber (Text) und Yayo Kawamura (Illustrationen):
„Ich, Luisa, Königin der ganzen Welt“
Hanser Verlag € 14,90
Bilderbuch ab 4 Jahren

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Wer wollte nicht schon immer mal Ritter, König, Prinzessin und Königin sein? Es war doch sicherlich der Traum von uns allen. Einmal so richtig regieren dürfen und alle müssen gehorchen. Alles machen dürfen und keiner schimpft. Einmal befehlen und alle müssen springen und die Wünsche erfüllen.

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Luisa hat es gut, denn sie ist Königin.
„Ich bin Luisa, Königin der ganzen Welt.“ sagt sie auf der ersten Doppelseite und winkt über die Stadt aus einerm ihrer Schlosstürme.Zuvor sehen wir sie mit einer Krone und einem kleinen Krokodiltier uns anlächeln. Und während sie gekämmt wird, sagt sie uns, dass überall Bilder mit ihrem Porträt hängen. Und wenn sie sich mit einem Cabrio durch die Stadt fahren lässt, jubeln ihr alle zu. Sie lässt die guten Gefangenen frei (u.a. Gandhi und Robin Hood), die bösen müssen allerdings drinbleiben. Sie kauft auf dem Markt jede Menge Obst und Gemüse und verteilt sie an die, die es nötig haben. Aber sie denkt natürlich auch an sich und schaut so lange Fernsehen, wie sie will, Sie lädt alle Bekannten der Welt zu sich ein, Kinder dürfen sich aus ihren Kleiderschränken bedienen und für sie gibt es natürlich auch Schlammpfützen und Trampolinspringen. Wenn es ein Fest gibt, lädt sie ihre besten Freunde aus der Klasse ein. Mama und Papa sowieso (die sitzen gemeinsam auf dem königlichen Thron). Aber auch Bernd und Pia, die eigentlich blöde sind. Die müssen sich extra tief verbeugen und wenn sie weiterhin so doof zu ihr sind, kommen sie in’s tiefste Verlies. Und natürlich lädt sie Lukas ein. Den Jungen aus ihrer Straße, den sie sooo sehr mag. Wenn der Ball begingt fragt sie ihn, ob er mit ihr tanzen will.
Aber …… das traut sie sich dann doch nicht, auch wenn sie Königin Luisa ist.
Und alles könnte so weitergehen, wenn nicht der Schlüssel in der Türe zu hören wäre und Luisas Mama ruft: „Wo ist denn meine Königin Luisa?“ und Luisa von Mamas Kleiderschrank weg- und ihr freudig in die Arme springt.

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Leseprobe

Ein Königin Luisa-Baselbogen

Mittwoch

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Heute haben
Theodor Körner * 1791
Jaroslav Seifert * 1901 (Nobelpreis 1984)
Per Olov Enquist * 1934
Antonio Tabucchi * 1943
Geburtstag

Theodor Körner
Knospen
Sonnenaufgang auf der Riesenkoppe

Die Erde ruht in tiefer, ernster Stille,
Und alles schweigt; es dringt kein Laut zum Ohre.
Doch schnell auf finstrer Spur entflieht die Hore,
Daß sie das Wort der ew’gen Zeit erfülle.

Da bricht der Morgen durch des Dunkels Hülle;
Es tritt der Tag in lichtem Strahlenflore
Mit üpp’ger Kraft aus seinem goldnen Tore;
Der Himmel glüht in frischer Jugendfülle.

Und freudig auf des Lichtes zarten Spuren
Beginnt das Leben sich zu regen
Und keimt und blüht in tausendfacher Lust.

Unübersehbar schimmern Städt’ und Fluren
Aus weiter Ferne meinem Blick entgegen,
Und heil’ge Sehnsucht glüht in meiner Brust.
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Henry James „Die mittleren Jahre“
Erzählung
Übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Walter Kappacher
Jung und Jung Verlag  €12,00

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Dieser Text von Henry James über einen Schriftsteller im mittleren Alter hat es in sich. Philip Roth ließ sich von ihm inspirieren und Colm Toibin schreib eine romanhafte Biografie über Henry James mit dem Titel „Prträt des Meisters in mittleren Jahren“. Henry James war selbst in den fünzigern, als er 1893 diese sehr persönliche Erzählung schrieb und die Midlifekrise bei Männern ist ja auch nichts Neues. Hat nicht schon Goethe sich damit befasst.
Walter Kappacher, der ruhige, leise Schriftsteller, erhielt 2009 den Georg-Büchner-Preis und wer noch nichts von ihm gelesen hat, sollte sich schleunigst „Selina“ besorgen. Ein Traum von einem Buch. Kappacher erzählt im Nachwort zu dieser Erzählung, dass er von Erwin Chargaff im Jahr 2000 einen Band mit Erzählungen von Henry James für den Rückflug von New York mitbekommen hat. Er kannte James überhaupt nicht und war fasziniert von der Sprache dieses Autors. Wieder daheim, setzte er sich hin und übersetzte „Die mittleren Jahre“. Doch die Übersetzung ging verloren, tauchte nicht mehr auf seinem Rechner auf. Bis er er sich 2015 wieder daran erinnerte und sein Lektor meinte, dass Kappacher ihm den Text vor Jahren schon zugeschickt hätte. Gerne würde er mit ihm daraus ein kleines Büchlein machen. Also setzte sich Kappacher nochmals hin und übersetzte James‘ Text ein weiteres Mal.
Letzte Woche traf dieses knallrote, kleine, schmale Büchle in unserer Buchhandlung ein. So ein Format, das man gerne in die Hand nimmt, wenn neben dran die 1.000-Seiten-Schinken liegen. Auf den großzügig gesetzten 60 Seiten schreibt James über den alternden Schriftsteller Dencombe, der sich in einem Badeort in Südengland von einer langen Krankheit erholt. Er sitzt auf einer Parkbank und öffnet mit Herzklopfen ein Paket, das sein neuestes Werk enthält, das der Verlag ihm zugeschickt hat. Den Inhalt hat er schon vergessen, so nahm ihn seine Krankheit mit. Im Park sieht er einen jungen Mann, der in die Lektüre eines Buches vertieft ist und stellt fest, dass es das gleiche Buch ist. Die beiden Männer kommen ins Gespräch und der junge Mann meint, Dencombe müsse ein Literaturkritker sein. Wer hätte denn sonst schon das neue Buch seines verehrten Autoren in der Hand. Dencombe schweigt dazu und erst als er einen Schwächeanfall erleidet und von dem jungen Mann, der Arzt ist, ins Hotel gebracht wird, kommt die Wahrheit ans Tageslicht. Eine verwirrende Situation für beide Männer. Der Arzt ist voller Bewunderung und Dencombe offenbart seine Ängste und Selbstzweifel und hofft durch den Arzt eine zweite Chance, einen zweiten Anlauf zu bekommen.

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Die Homepage von Walter Kappacher

Dienstag

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Heute haben
Hans Leip * 1893
Maurice Blanchot * 1907
Rosamunde Pilcher * 1924
Fay Weldon * 1931
Lutz Rathenow * 1952
Peter Prange * 1955
Geburtstag
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Gestern in den Buchladen geflattert und wir sind begeistert:

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Text: Kai Lüftner
Illustratorin: Eva Muszynski
„Der Gewitter-Ritter“
Ein Wut- und Wetterbilderbuch
Klett Kinderbuch Verlag € 13,95

Im Sommer hatten wir einen Kunden, der auf der Durchrreise von Griechenland in seine Heimat Schottland war. Wir kamen ins Gespräch und er erzählte mir das Wenige, was er an deutsch gelernt hatte. Eines würde in Deutschland oft benutzt, so sagte man ihm: „Großes Theater“. Naja, so oft benutze ich das dann doch nicht. Ich habe ihm dann noch erklärt, wann, wie und in welchem Zusammenhang wir das benutzen.
Und hätte ich dieses Bilderbuch damals schon gehabt, dann hätte ich ihm es zeigen können.“Großes Theater“ spielt sich nämlich hier ab. Eine alltägliche Situation, die sich zu einer Tragödie erster Güte auswächst und auch so wieder verschwindet. Wir kennen, oder kannten dieses Moment alle, wenn die Kleinen wegen einer Nichtigkeit explodieren und toben. Und wenn die Eltern dann immer noch aufgeladen sind, wenn deren Nerven mal wieder extrem angespannt worden sind, dann haben die Kleinen ihren Tobsuchtsanfall längst wieder vergessen und wundern sich vielleicht, warum sie sauer angeschaut werden.
Dieses große Welttheater wird hier als Gewitter-Ritter-Ballade vorgetragen. Dieser Gewitter-Ritter tobt sich vom oberen, größeren Teil des Bilderbuches, stellvertretend für das wütende Kind, das wir am unteren Rand mitverfolgen können, aus. Er taucht aus dem Wolkengebilde auf, das sich an diesem Sommerhimmel plötzlich gebildet hat. Er wird immer größer und mächtiger, sein Pferd immer gewaltiger.

Aus der ersten Strophe:

Ganz harmlos die Sonne am Himmelzelt,
sie schaukelt stürmisch über die Welt
und leuchtet in blendend goldenem Schein –
als würde es immer so friedlich sein.

wird:

Ein Grollen, ein Gleißen, ein Dröhnen, ein Reißen,
die Wolken ergrauen, die eben noch weißen,
es rumpelt und bollert aus riesigen Röhren
und außer Gepolter ist nichts mehr zu hören.

Es wittert und wattert,
es knirscht und es knattert,
es rasselt und prasselt
und plötzlich, da plattert –
das Wasser, in Massen,
aus Kübeln und Tassen
mit Donnergetöse, ganz böse.

So wie der Gewitter-Ritter auftaucht, so verschwindet er auch wieder. Er hat die Stadt unter Wasser gesetzt, alles weggeschwemmt. Nun trottet er erschöpft, pitschnass, mit seinem Pferd am Zügel von dannen und wird immer kleiner. Die Sonne taucht auf, die Wolken werden weniger und der Himmel strahlt blau.
Auf dem unteren Rand des Bilderbuches sehen wir den kleinen Jungen, wie er sich ausgetobt hat. Er kann nicht mehr. Er hat geschrien, geheult, gestrampelt und jetzt bleibt ein letzter Schniefer. Er entdeckt etwas Kleines am Boden, denkt sich etwas Neues aus, hat eine Idee und geht auf zu neuen Taten. Und während er glücklich, mit geschlossenen Augen davonrennt, scheint über ihm ein Regenbogen. Dieser endet direkt über ihm. Man sagt ja, dass dort, wo der Regenbogen auf den Boden trifft, ein Schatz vergraben ist. Na klar, die Kleinen sind doch unsere Schätze.

Schauen Sie ins Bilderbuch rein und entdecken Sie die gekonnte Kombination von Text und den beiden Bildebenen:

Leseprobe

Montag

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Heute haben
HG Wells * 1866
Klaus Kordon * 1943
Stephen King * 1947
Geburtstag
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Und warum geben wir ihm nicht einfach den Nobelpreis für Literatur?

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Serhij Zhadan:Mesopotamien
Aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe, Juri Durkot und Sabine Stöhr
Suhrkamp Verlag € 22,95
als E-Book € 19,99

Der ukrainische Autor Serhij Zhadan ist in seiner Heimat sehr bekannt, hat er doch schon mehrere Romane und Gedichtbände veröffentlicht und er sagt, dass Zuhörer in seinen Lesungen zu weinen beginnen. Dies liegt sicherlich nicht daran, dass seine Bücher traurig sein. Nein, genau das Gegenteil ist der Fall. Zhadans Bücher sind voller Witz und versteckter und offener Ironie. Viele seiner Figuren leben am Rande der Gesellschaft und es geht nicht immer sehr fein zu. Aber Zhadan versteht es, mit einer sehr großen Empathie für seine Personen zu schreiben. Wir lieben sie, obwohl wir ihnen nicht unbedingt nachts auf der Straße begegnen wollen. Dass er gleichzeitig noch in einer Band spielt, die zu deutsch „Hunde im Weltall“ heisst, zeigt, dass er eng mit der Lyrik verbunden ist. Sein Vorgängerroman „Die Erfindung des Jazz im Donbass“ wurde von der BBC zum Roman des Jahrzehnts gewählt. Das will etwas heissen. Der Suhrkamp Verlag bemüht sich seit Jahren um diesen jungen, frechen Autoren. Als Suhrkamp Taschenbuch finden wir seine Romane, oder in der Edition Suhrkamp. Und nun der zweite Roman in gebundener Form.
Charkiw ist die Hauptperson und das ist kein menschliches Wesen, sonden Zhadans Heimatstadt. Schon immer wollte er einen Roman über eine Stadt, über seine Stadt schreiben.
„Mein Ziel war es, einen Roman zu erschaffen, in dem nicht die Menschen, sondern meine Heimatstadt selbst die Hauptrolle spielt“
Gleichzeitig zeigt sich wieder einmal die Hellsichtigkeit des Autors. Denn wenn wir im Text schon vom Heraufkommen von Gewalt lesen, so schrieb Zhadan diesen Roman bevor es zum Krieg in der Ukraine kam. Während er dann auf eine Lesereise ging mit 100 Lesungen in 30 Städten, wurde schon an der Rändern der Republik geschossen.
„Alles, was ich über diese Stadt wusste, wusste ich von ihr. Sie […] erzählte mir von den unterirdischen Gängen, beschrieb die metallenen Drachen, die in den Straßenbahndepots Feuer atmeten, […] Sie berichtete von Messern und Schwertern, die in alten Fabriken hergestellt wurden, […] Sie erzählte, wie das Wasser im Frühjahr die Fundamente der alten Sanatorien unterspülte, die Flüsse rot wurden und nach Medikamenten rochen. Außerdem sagte sie, dass auf der Straße wieder geschossen werde, …. und niemand die Absicht habe, sich zu ergeben.“
Zhadan erzählt uns aus dem Leben von neun Personen in seiner Stadt. Menschen, die unterschiedlicher nicht sein können und doch irgendwie miteinander verkettet sind. Immer wieder tauchen Personen auf, die wir in der Geschichte vorher schon getroffen haben. Das ist ein junger Student, der sich in seine ältere Nachbarin verliebt und in seinen Träumen die schönsten Phantasien hat. Es gibt den Boxer, dem übel mitgespielt wird. Wir lernen die Freunde von Murat kennen, die sich 40 Tage nach dessen Tod nach orthodoxem Brauch zu einem Fest zusammenfinden. Sie kommen aus allen Teilen der ehemaligen Sowjetunion und leben jetzt in diesem „Zweistromland“ zwischen dem ukrainischen Dnjepr im Westen und dem russischen Don im Osten. Sie sind Verlierer, ihnen wurde übel mitgespielt. Gleichzeitig versuchen sie mit allen legalen und illegalen Tricks, sich über Wasser zuhalten. Saufen und rauchen, landen im Krankenhaus und wollen möglichst schnell wieder von dort verschwinden, um in ihrem eigenen, jämmerlichen Zuause zu leben und zu sterben.
Dies alles schreibt Zhadan in einem lockeren, frechen, witzigen Stil und lässt uns die Not der Menschen vergessen. Sie haben immerhin noch sich und ihre Freunde. Es gibt viel Sätze in diesem Roman, die ich gerne unterstreichen und weitergeben würde. Dass der Roman (in neun Novellen) am Ende in einem langen Gedicht endet, ist dann fast schon logisch.

Leseprobe

Serhij Zhadan, 1974 im Gebiet Luhansk/Ostukraine geboren, studierte Germanistik, promovierte über den ukrainischen Futurismus und gehört seit 1991 zu den prägenden Figuren der jungen Szene in Charkiw. Er debütierte als 17-Jähriger und publizierte zwölf Gedichtbände und sieben Prosawerke. Für „Die Erfindung des Jazz im Donbass“ wurde er mit dem Jan-Michalski-Literaturpreis und mit dem Brücke-Berlin-Preis 2014 ausgezeichnet (zusammen mit Juri Durkot und Sabine Stöhr). Die BBC kürte das Werk zum „Buch des Jahrzehnts“. Zhadan lebt in Charkiw.
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Werner Färbers: UNGEREIMTHEIT DER WOCHE
DER GLÜHWURM CV

Des Glühwurms Leuchten sieht man weit,
wenn es durchdringt die Dunkelheit.
Sein Dauerlicht im Hinterleib
brennt jedoch nicht zum Zeitvertreib.

Des Glühens Zweck liegt auf der Hand:
Es raubt dem Weibchen den Verstand.
Doch wenn kein einziges schaut hin,
macht alles Leuchten keinen Sinn.

Da knipst der Wurm die Lampe aus
und fliegt im Dunkeln schnell nach Haus.


WER ZULETZT WÜRGT, …
(Serie MÖRDERISCHE UNGEREMEITHEITEN – 84)

Um auszutrocknen jenen Sumpf
der Sünd‘, den er stets antrifft im Bordell,
versucht ein Mann mit Nylonstrumpf
zu strangulieren Frau Michelle.
Röcheln dringt durchs Sündenbabel,
worauf ein Lude eilig windet
um des Mannes Hals ein Kabel,
das man dann beim Toten findet.