Dienstag, 5.September

Heute haben
Christoph Martin Wieland * 1733
August Wilhelm Schlegel * 1767
Heimito von Doderer * 1896
Arthur Koestler * 1905
Geburtstag
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„Alle Menschen sind mehr oder weniger zum Heucheln geneigt, doch nur derjenige ist wirklich ein Heuchler, der andere zu seinem Vorteil und fast immer zu ihrem oder eines dritten Schaden hintergeht.“
Christoph Martin Wieland
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Claudia Wiltschek empfiehlt:

Miika Nousianen:Die Wurzel alles Guten
Aus dem Finnischen von Elina Kritzokat
Nagel & Kimche Verlag € 20,00

Pekka Kirnuvaara begibt sich widerwillig auf Grund einer überfälligen Wurzel-behandlung zum Zahnarzt. Da sein Familienname recht selten in Finnland vorkommt, ist er schon verwundert, dass dieser Arzt genauso heisst und als dieser ihm dann bei der Untersuchung sehr nahe kommt, fällt ihm sofort die gleiche markante Nase auf. Klar, denkt er, der muss mit mir verwandt sein! Doch Esko, der Zahnarzt, geht auf seine Fragen bezüglich einer Familienzusammengehörigkeit nicht ein und weicht auch sehr bestimmt seinen Fragen aus. Lieber hält er ihm immer wieder einen Vortrag über seine schlechten Zähne und dass er eine mangelhafte Zahnpflege betreibe. Doch Pekka bleibt stur und tatsächlich stellt es sich heraus, dass die beiden Halbbrüder sind und Esko lässt sich sogar auf die Suche nach deren Vater ein, der für beide unbekannt ist.
Nun beginnt eine turbulente Reise, quer durch die Welt, die beiden bleiben nicht alleine. Da gesellen sich von Land zu Land noch ein paar andere Suchende dazu, die unterschiedlicher nicht sein könnten. aber sie haben etwas gemeinsam……
Ein Roman, der viel Spass macht beim Lesen, fröhlich, witzig und in dem trotzdem zwischen den Zeilen viel über das Leben, über Vorurteile und Ungerechtigkeiten steckt. Die trüberen Tage werden kommen und wenn Sie dann etwas zum Schmunzeln brauchen, kann ich diesen kurzweiligen Roman wärmstens empfehlen.

Leseprobe

Hier: Reinlesen und gewinnen!

Miika Nousiainen, 1973 in Jyväskylä, Finnland geboren, ist Schriftsteller, TV-Journalist und Drehbuchautor. Die Wurzel alles Guten (im Original Juurihoito) ist sein vierter Roman und der erste, der auf Deutsch übersetzt wird.

5 Fragen an Miika Nousiainen

Stimmt das Gerücht, dass Sie die Idee zu Ihrem Roman bekamen, als Sie auf einem Zahnarztstuhl lagen, das Gesicht des Zahnarztes über sich anstarrten und versuchten, die Angst vor Schmerzen zu ignorieren?

Zumindest teilweise. Im Alter von siebzehn Jahren habe ich mir bei einem Unfall mit dem Fahrrad vier Vorderzähne abgebrochen. In der Folge musste ich Hunderte von Stunden im Zahnarztstuhl verbringen. Und ich hasse es heute noch jedes Mal. Aber ich habe währenddessen auch zu verstehen versucht, warum jemand einen Beruf wie den des Zahnarztes ergreift. Ich meine, man verursacht Schmerzen bei unschuldigen Menschen! Und ein Zahnarztstuhl ist ein sehr guter Ausgangspunkt für einen Roman; die Figur ist eingesperrt, sie kann erst mal nicht entfliehen. Im Fall meines Buches sind es zwei Brüder, der eine kommt nicht zu Wort, weil es ihm schwerfällt zu reden, der andere nicht, weil er den Mund voller Dentalwerkzeug hat.

Wie oft benutzen Sie, ganz ehrlich, selber Zahnseide?

Fast nie. Auch wenn mir natürlich klar ist, dass ich es täglich tun sollte.

Pekka und sein Bruder finden auf ihrer Reise mehr und mehr Verwandte. Am Ende ist es eine internationale Familie, die komplett vom selben Vater abstammt. Aber ist das auch als Modell zu verstehen? Könnten sie sich auch ohne genetische Verwandtschaft so nahestehen? Ist das im Grunde die Botschaft des Romans: Über familiäre Bande lässt sich erkennen, dass man mit vielen Menschen eine fast familienartig enge Bindung hat?

Ich bin mir nicht sicher. Für gewöhnlich schreibe ich über etwas, das ich für wichtig halte und von dem ich hoffe, dass es einen Sinn ergibt oder dass ein wichtiges Thema drinsteckt. Zumindest versuche ich zu erzählen, dass jeder jemanden braucht, dem er zugeneigt ist und um den er sich sorgen kann. Ein Schlüsselerlebnis für dieses Buch hatte ich in Thailand. Ich war auf einem Spielplatz mit meinem Sohn und begann mich mit einem chinesischen Vater zu unterhalten. Er fragte mich, ob ich noch mehr Kinder hätte. Ich verneinte, und er fragte, ob wir in Finnland nur ein Kind haben dürften. Das hat mich geschockt, obwohl ich von der Einkindpolitik in China wusste. Ich habe zwei Brüder, und mir wurde bewusst, dass die Regierung dort den Menschen einfach das Recht genommen hat, Geschwister zu haben, Schwestern, Brüder, Tanten, Onkel und so weiter.

Einer der sehr überzeugenden Stränge im Roman beginnt ziemlich am Anfang mit der ersten Schwester: Sie spiegelt die Hoffnung und die Schwierigkeiten des Zusammenlebens verschiedener Kulturen in einem Sozialstaat wider. Zeigt sie auf, wie einfach es eigentlich sein kann – oder ist sie vielmehr ein Beispiel dafür, dass Pragmatismus und Realismus die einzigen Mittel sind, um mit der Angst und den Vorurteilen gegenüber Immigranten umzugehen?

Die schwedische Schwester habe ich entwickelt, weil ich eine Figur wollte, die Rassist zu sein scheint, aber im Grunde eine herzliche und tolerante Person ist. Hier in Helsinki lebe ich in dem Viertel Kallio. Es wird auch die „rot-grüne Blase“ genannt. Das soll bedeuten, dass wir sehr tolerante Bewohner sind. Zumindest, solange alle unsere Ansichten teilen. Irgendwann musste ich mir eingestehen, dass wir vielleicht doch nicht so tolerant sind.

Sind Sie zu all den Orten hingereist, die die Brüder aufsuchen – und falls ja, war die Reiseroute im Buch dann nicht vielmehr eine Ausrede dafür, dort überall hinreisen zu dürfen?

Tatsächlich bin ich an all diese Orte gereist. Und natürlich war es eine Ausrede. Aber ich hatte auch ein paar handfeste Gründe: Die Familie meiner Mutter ist in den frühen Sechzigern nach Australien ausgewandert, und ich habe über diese Seite viele Storys gehört. Mein Onkel hatte eine Aborigine zur Frau, und ich wollte seine Geschichte integrieren. Thailand habe ich gewählt wegen eines Vorfalls vor etwa zehn Jahren. Wir sind oft auf eine kleine Insel im Süden Thailands in die Ferien gefahren. Ein Kellner erzählte mir, dass er seit drei Jahren dort arbeite und jetzt so weit sei, sich seinen Lebenstraum zu erfüllen: Er würde seine Mutter aufs Festland bringen und mit seinem Ersparten dort ihre Zähne richten lassen. Das war berührend und hat mich auch beschämt. Wir hatten immer gratis Zahnpflege in Finnland, und uns ist überhaupt nicht bewusst, was das für ein Geschenk ist. Wir versuchen diesem Angebot aus dem Weg zu gehen, und irgendwo leben Menschen, die können sich nichts Schöneres vorstellen. Schweden ist ebenfalls ein wichtiger Ort für mich. Mein erster Roman handelt von einem Finnen, der Schwede sein will. Also habe ich die Reise in der Heimatstadt meiner Mutter begonnen, in Lieksa, und habe drei Länder auf drei Kontinenten besucht. Und dabei habe ich festgestellt, dass die Menschen überall ziemlich ähnlich sind. Überall stellen wir die Frage: Wer war als Erster hier? Dabei sollten wir vielmehr fragen: Was können wir gemeinsam erreichen?
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Heute, Dienstag, 5.September um 19:00
„Die erste Seite“

Im Rahmen der Ulmer Friedenswochen
Wir stellen vier neue Bücher vor.
Es liest Clemens Grote

Mit dabei:
Mohsin Hamid: Exit West
Colson Whitehead: Underground Railroad
Arundhati Roy: Das Ministerium des äußersten Glücks
Angeli/Piciocchi: Kiribati

Eintritt frei