Donnerstag, 11.Februar

Heute haben
Karoline Günderrode * 1780
ElseLasker-Schüler * 1869
Georg Hirschfeld * 1873
Irène Némirowsky * 1903
Maryse Condé * 1937
Frank Schulz * 1957
Geburtstag
und es ist der Todestag von Sylvia Plath (+ 1963)

Karoline von Günderrode
Der Luftschiffer

Gefahren bin ich im schwankenden Kahne
Auf dem blaulichen Oceane,
Der die leuchtenden Sterne umfließt,
Habe die himmlischen Mächte begrüßt.
War in ihrer Betrachtung versunken,
Habe den ewigen Aether getrunken,
Habe dem Irdischen ganz mich entwandt,
Droben die Schriften der Sterne erkannt
Und in ihrem Kreisen und Drehen
Bildlich den heiligen Rhythmus gesehen,
Der gewaltig auch jeglichen Klang
Reißt zu des Wohllauts wogendem Drang.
Aber ach! es ziehet mich hernieder,
Nebel überschleiert meinen Blick,
Und der Erde Grenzen seh’ ich wieder,
Wolken treiben mich zurück.
Wehe! das Gesetz der Schwere
Es behauptet nur sein Recht,
Keiner darf sich ihm entziehen
Von dem irdischen Geschlecht.

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Jan Wagner:Selbstporträt mit Bienenschwarm
Ausgewählte Gedichte 2001- 2015
Hanser Verlag € 19,90

„Das ist schlicht großartige Poesie.“
Christian Metz, F.A.Z.

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Ein Auswahlband als Selbstporträt: Jan Wagner zeigt das Beste aus anderthalb Jahrzehnten poetischen Schaffens. Schon im Debütband mit dem hochfliegenden Titel „Probebohrung im Himmel“ war all das da, was Jan Wagners Gedichte auszeichnet: Eleganz und Witz, Virtuosität und Lust am Spiel, Neugier und Hingabe, Präzision und kühle Sinnlichkeit. Sechs Gedichtbände später hat Jan Wagners Dichtung an Intensität und Reichweite gewonnen – mit mehr Preisen, aber auch mit mehr Lesern kann kaum ein Lyriker aufwarten. Das ist wunderbar, aber kein Wunder: Seite für Seite vermittelt dieser vom Autor selbst arrangierte Auswahlband, was ein gelungenes Gedicht vermag und warum wir alle mehr Lyrik lesen sollten.
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Das Buch ist wunderschön gestaltet und hergestaltet. Allein schon der weiche Leineneinband liegt so sanft in der Hand, dass es eine wahre Freude ist. Ansonsten lasse ich die Gedichte von Jan Wagner für sich sprechen und veröffentliche hier ein paar, die Sie auch auf der Leseprobe des Verlages finden können.

champignons

wir trafen sie im wald auf einer lichtung:
zwei expeditionen durch die dämmerung,
die sich stumm betrachteten. zwischen uns nervös
das telegraphensummen des stechmückenschwarms.

meine großmutter war berühmt für ihr rezept
der champignons farcis. sie schloß es in
ihr grab. alles was gut ist, sagte sie,
füllt man mit wenig mehr als mit sich selbst.

später in der küche hielten wir
die pilze ans ohr und drehten an den stielen –
wartend auf das leise knacken im innern,
suchend nach der richtigen kombination

nature morte

ein großer fisch, gebettet auf eine zeitung,
ein tisch aus holz in einer hütte in
der normandie. ganz still, ganz warm – die luft
strickt wollene socken. du kannst ihn berühren oder
auch nicht, seine silbrigen schuppen gleich langen reihen
von noten einer kühlen symphonie. sein kopf
ist ab, sonst könnte er, gesetzt den fall,
daß fische lesen können, lesen,
was über seiner rückenflosse steht
und ihm souffliert: »was tun sie, diese leute?«
das licht entzieht sich leise, das papier
nimmt tropfenweise meere in sich auf.
au fond de l’image drischt der atlantik dröhnend
die jüngsten vermißtenanzeigen in den strand.

fish & chips
 
»wir möchten sie zurückversetzen in
king edwards zeit«, stand in der karte:
hoch über unseren köpfen an der decke
 
der prunkvolle angelhaken des kronleuchters.
wir sahen in den schweren stumpfen spiegeln
das essen kälter werden. und gefrieren.
 
draußen fiel der erste schnee, wir waren
die allerletzten, späten gäste. plötzlich
das kichern der bedienung aus der küche –
 
wie jonas aus dem inneren des wals.
 
gaststuben in der provinz
 
hinter dem tresen gegenüber der tür
das eingerahmte foto der fußballmannschaft:
lächelnde helden, die sich die rostenden nägel
im rücken ihrer trikots nicht anmerken lassen.
Für alle Fenchel LiebhaberInnen:
fenchel
 
knollen vor einem gemüseladen im winter –
wie bleiche herzen, sagtest du, gedrängt
in einer kiste, wärme suchend – so daß wir
sie mit uns nahmen und nach hause trugen,
wo feuer im kamin entzündet war,
wo kerzen auf dem tisch entzündet waren,
und ihnen halfen aus ihrer dünnen haut,
die strünke kappten, die zitternden blätter entfernten
und sie zu feinen weißen flocken hackten,
wartend, bis das wasser kochte,
die fensterscheibe blind war vom dampf
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Zora del Buono liest bei uns in der Buchhandlung.
Donnerstag, den 18.Februar ab 19 Uhr
Eintritt € 10,00

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Zora del Buono: „Hundert Tage Amerika“
Begegnungen zwischen Neufundland und Key West

Sie ist ein Querschnitt durch die nordamerikanische Gesellschaft: die Atlantikküste – mit Puritanern und Quäkern im Norden, jüdischem Leben in den Großstädten, Chinatown und Little Havanna, aber auch unbekannteren Mikrokosmen wie Little Haiti in Miami. Von Juli bis Oktober hat sich Zora del Buono mit ihrem Hund Lino im Gepäck auf eine Reise entlang der Küste begeben, vom kühlen, weiten Neufundland bis in den schwülen, überdrehten Irrsinn Floridas. Sie lässt die Menschen ihre von der Einwanderung geprägten Lebensgeschichten erzählen: Hummerfischer, moderne Wikinger, Immigrationsforscher, Leute, die per Green-Card-Los ins Land kamen und solche, die vor Kriegen flüchteten wie die Boatpeople aus Vietnam.

Mit dem Blick der Europäerin erschließt die Autorin sich und dem Leser die ungeheure Vielfalt der Ostküste und fragt: Ab wann ist man eigentlich Amerikaner? Was bedeuten historische Erfahrungen von Walfang bis Woodstock für das heutige Zusammenleben? Die Antworten, die ihr unterwegs begegnen, setzt del Buono in Bezug zu Europa und verwebt Porträts, Skizzen, historische Zitate und aktuelle Notizen zu einer atmosphärisch dichten Reisereportage.

itb book award für „Hundert Tage Amerika“

Die Reisereportage von mare-Autorin Zora del Buono wurde Ende Januar mit dem ITB Berlin BuchAward 2012 in der Kategorie „Das literarische Reisebuch“ geehrt. Die ITB-BuchAward-Jury lobte die „atmosphärisch dichte und kenntnisreiche Erzählweise“ in Zora del Buonos Bericht über ihre Reise entlang der nordamerikanischen Ostküste, der bei mare im Herbst 2011 erschienen ist.