Samstag

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Heute haben
John Keats * 1795
Nadeschda Mandelstam * 1899
Jean Amery * 1912
Dick Francis * 1920
Geburtstag

Für alle, die in Rom weilen. Keats liegt in Rom beerdigt und hat folgenden Spruch auf seinem Grabstein:
Here Lies One Whose Name Was Writ in Water.
Ein anderer großer „Römer“ hat heute seinen Todestag.
Federico Fellini starb am 31.10.1993.
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Unser heutiger Tipp:

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Peter Kurzeck erzählt:Da fährt mein Zug
Konzeption und Regie: Klaus Sander
Erzähler: Peter Kurzeck
Aufnahmen: Klaus Sander
Schnitt und Mastering: Michael Schlappa
supposé Verlag € 16,80
Audio-CD, 62 Minuten

Diese CD ist ein kleines Wunder. Mit einigen Jahren Verspätung kam diese Aufnahme zu mir und hat mich komplett eingesogen. Peter Kurzeck erzählt darin eine kleine Geschichte, die nie schriftlich fixiert und nie auf Papier veröffentlicht worden ist. Eine Geschichte, die man an einer Tischrunde hört und nicht länger als fünf Minuten dauert. Kurzeck schafft es, einen Bogen zu spannen, weit auszuholen, in einem Fluss zu erzählen. So wie wir es von seinen Romanen kennen. Gerade ist der sechste Teil seines autobiografischen Romanzyklusses „Das alte Jahrhundert“ erschienen. „Bis er kommt“ heisst er und ist natürlich wieder voll von persönlichen Erinnerungen. Wir reden alle von Knausgaard, dem großen norwegischen Schriftsteller, der mit seinem mehrbändigem Werk unglaublich erfolgreich ist. Gerhard Henschel macht dies still und mit viel Witz seit Jahren bei Hoffmann & Campe und bei dtv. Schon viel länger betrieb dies Kurzeck im Verlag Stroemfeld und später in Taschenbuchausgaben im S.Fischer Verlag. Kurzeck starb im November 2013 und es sollen im Verlag Stroemfeld noch weitere Fragmentbände aus dem Nachlass erscheinen.
Aber nun zurück zu „Da fährt mein Zug„.
Peter Kurzeck erzählt darin, wie er über einen längeren Zeitraum mehrfach im Jahr von Frankfurt mit dem Zug nach Straßburg gefahren ist, dort ein paar Stunden verweilte, den Nachtzug nach Avignon genommen hat, um von dort in seine neue Heimat Uzès zu gelangen. Das ist nun nichts Großartiges und lohnt nicht, auf CD gepresst zu werden. Kurzeck schafft aber das (schon oben erwähnte) kleine Wunder und beschreibt Straßburg im Winter, die Kneipen, das winterliche Essen, die Menschen und natürlich immer sich selbst. Wie sah der Zug aus, wie war er innen ausgestaltet, wann fuhr er von wo bis wo? Warum war er immer leer? Warum gab es in Frankreich ein anderes Fahrplansystem? Er träumt sich durch hell erleuchtete Fenster in fremde Wohnungen und stellt sich vor, dort zu schreiben. Er wundert sich, dass die Straßen und Gassen bei jedem Besuch noch da sind, dass sie keine Einbildung in seinem Kopf waren. Er erzählt, wie wichtig es für ihn war, ohne Gepäck durch die Stadt zu schlendern. Immer wieder dort eintauchen zu dürfen. Immer wieder die gleichen Restaurants aufzusuchen. Kurzeck erzählt mit seiner warmen Stimme, ohne zu stocken, dieses mehrfache Reisen in den Süden. Der auch im Winter noch als Süden bemerkbar ist.
Ich dachte mir schon, dass „Da fährt mein Zug“ nur aus diesen Beschreibungen bestehen würde, bis Kurzeck von einer ganz bestimmten Fahrt erzählt. Wie er sein Gepäck mal wieder im Hotel Bristol zwischenlagert, wie er wieder in die Restaurants geht, wie er später mit Gepäck und seinem schwarzen Kaschmir-Mantel und einem ganz bestimmten Schal Richtung Bahnhof geht, dort in den Zug einsteigt, alles verstaut und nochmals kurz auf den Bahnsteig geht. Dass dann plötzlich der Zug anruckelt, losfährt, dass Peter Kurzeck wieder auf- und kurz danach wieder abspringt, erfahren sie im zweiten Teil der CD.
Kurzeck erzählt dies aber nicht einem dramatischen Ton, macht aus dem Vorfall keinen Thriller, sondern schildert sich, seine Gedanken, den eiskalten Haltegriff an der Zugtür, die zwei Schaffner, die ihn mit großen Augen anschauen, den Bahnbeamten, dem er sein Missgeschick erzählt. Und und und.
Schön, dass diese CD gerade jetzt zu mir gekommen ist, da die Jahreszeit genau passt. Es wird früh dunkel, es ist nebelig und kalt und wir freuen uns auf winterliches Essen, wie er es auch erwähnt. Und die Sehnsucht, in den Süden zu fahren, steckt in uns. Wenn ich mitbekomme, wer im Moment alles in Rom ist, bleibt es bei vielen nicht bei der Sehnsucht, sondern sie verwirklichen sich diesen Traum konkret.
Genießen Sie diesen Traum von einer Erzählung. Sie werden diese eine Stunde nicht mehr vergessen.

Man muss solche Geschichten erzählen, sonst hält man es nicht aus.“, sagt Peter Kurzeck.

Von ihm gibt es im Verlag supposé Verlag auch „Ein Sommer, der bleibt. Peter Kurzeck erzählt das Dorf seiner Kindheit“. Der Verlager Klaus Sander ist ein Spezialist im Erzählenlassen und es gibt bei ihm auch die wunderbaren Kindheitsgeschichten von Herta Müller „Die Nacht ist aus Tinte gemacht“, in denen die Nobelpreisträgerin vom Leben in ihrem verschwundenen Dorf erzählt.

Neu im Program des supposé Verlages:

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Das Auerhuhn mit Peter Berthold
Grundlagen des modernen Weinbaus mit Hans Reiner Schultz

Glück tief Höhlenforscher erzählen

Hörbuch des Jahres:
Ans Ende kommen mit Dieter Wellershoff

Endlich wieder lieferbar:
Faszination Vogelzug mit Peter Berthold
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Morgen gibt es Teil 8 der Sonntagsskizzen von Detlef Surrey, der im Moment in Rom weilt. Diesmal Skizzen von Dr. Sketchy´s Anti Art School Berlin.

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Freitag

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Heute haben
Paul Valéry *1871
Lena Christ * 1881
Ezra Pound * 1885
Georg Heym * 1887
Ágota Kristóf * 1935
und Irmi
Geburtstag.
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Bald ist es wieder so weit.

Georg Heym
Allerseelen I

Geht ein Tag ferne aus, kommt ein Abend.
Brennt ein Stern in der Höhe zur Nacht.
Wehet das Gras. Und die Wege alle
Werden in Dämmrung zusammengebracht.

Viele sind über die Steige gegangen.
Ihre Schatten sind ferne zu sehn,
Und sie tragen an schwankenden Stangen
Ihre Fackeln, die wandern und wehn.

Mauern sind viele, und Gräber, und wenige Bäume.
Manche Tore darin, wo der Lorbeer trauert.
Viele sitzen in Haufen über den Kreuzen,
Ihre Lichter behütend, wenn der Regen schauert.

Und ein Rot steckt im Walde, dürr wie ein Finger,
Wo der Abend hänget in wolkiger Zeit
Mit dem wenigen Licht. Und geringer
Rings ist das Nahe, und die Weite so weit.

Doch ewig ist der Wind, der nimmer schweiget
In dunklem Lande, herbstlich schon erbraunet,
Der dunkle Bilder viel vorüber zeiget
Und dunkle Worte flüchtig trübe raunet.
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Unser Buchtipp für Leserinnen und Leser ab 10 Jahren

9783760799360

Frank M. Reifenberg & Gina Mayer:Die Schattenbande legt los!
(Band 1)
Mit Illustrationen von Gerda Raidt
ars edition € 12,99
als E-Book € 10,99
Bei Audiolino auf 3 CDs, gesprochen von Katja Brügger € 14,90
Kinderbuch ab 10 Jahren

Klara, Otto, Paule, Lina sind: Die Schattenbande.
Ihr Spruch:
„Wir sind die Schatten, schnell und schlau,
keiner sieht sie je genau.“

Die Schattenbande legt los – und wie!
Die vier Kinder sind immer hungrig. Da sie aus einem Waisenhaus ausgebrochen sind und in einer alten Tischlerei leben, müssen sie schauen, wie sie an etwas zu Essen kommen. Klara ist die Spezialistin für Taschendiebstahl und hat das perfekte Opfer vor sich. Eine große, stämmige Dame mit einer offenen Handtasche steht vor ihr und kauft ein. Eine Geldbörse spitzelt heraus und es ist normalerweise für Klara eine Kleinigkeit, das Ding an sich zu nehmen. Doch dieses Mal wurde sie getäuscht. Wachtmeister Eltinger hat sich verkleidet, um so den Taschendieben auf die Spur zu kommen. Eine wilde Verfolgungsjagd beginnt, in der Klara mehrfach vo Eltinger geschnappt wird, aber doch noch entweichen kann. Bis sie in allerletzter Sekunde eine kleine Türe entdeckt, hinter der sie sich verstecken kann. Wir sind nach wenigen Seiten mitten im Geschehen und in diesem Tempo geht es weiter.
Der Roman spielt im Berlin der 20er Jahre. Ein Stadtplan zu Beginn und am Ende des Buches zeigt die Orte der Handlung. Auch Zeitungsausschnitte und viele Illustrationen sind im Text verstreut, der sich in 21 Kapitel aufteilt. Spannend bleibt es für die vier Kinder/Jugendlicher der Schattenbande, da Otto des Mordes verdächtigt wird und inhaftiert worden ist. Durch einen Zufall kann er befreit werden und die Bande versucht nun selbst den Mordfall aufzuklären, in den sie geratet sind.
Die Zeiten sind schlecht. Es gibt wenig Arbeit. Die politische Lage ist unsicher. Eine Schule haben die Kinder nicht wirklich von innen gesehen. Nur die kleine Lina, die darunter leidet, dass sie nicht überall mitdarf, kann gut lesen und geht immer wieder in die Bibliothek und verblüfft die anderen mit ihrem Wissen. Ansonsten hat jeder der Figuren eine spezielle Begabung und gemeinsam sind sie fast unschlagbar.
Das erinnert alles ein wenig an „Fünf Freunde“, oder die „Die drei ???“. Klar, wie soll es auch anders sein. So wie bei Krimis für Erwachsene, bestehen solche Bücher natürlich aus vielen Schablonen. Das Besondere an dieser Serie ist, dass sie in sich stimmig ist, das Berlin der 20er Jahre mit einfließt und trotz Verfolgungsjagden, Mord und Schiessereien ein Kinder- und Jugendbuch ab 10 Jahren geblieben ist. Das Autorenteam dreht nicht an der Actionschraube, sondern lässt ihre Bande sehr bodenständig in der großen Stadt agieren. Uns Erwachsenen kommt natürlich gleich „Emil und die Detektive“ ins Gedächtnis und das ist vielleicht gar nicht falsch. Vielleicht würde Erich Kästner genau so schreiben, wenn er im 21.Jahrhundert gelebt hätte.
Es tut gut, so eine Freundschaftsgeschichte zu lesen.
Spannung, Unterhaltung gibt es genügend auf den 230 Seiten und es  ist ein prima Lesespaß gleichermaßen für Mädchen und Jungs.


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Neues aus der Buchhandlung:

Am Sonntag gibt es wieder neue Sonntagsskizzen von Detlef Surrey.
Am Dienstag, den 3.11. stellen wir ab 19 Uhr wieder vier neue Bücher vor.
Diesmal liest Clemens Grote aus:

Patrick Marnham: Schlangentanz / Berenberg Verlag
Marceline Loridan-Ivens: Und du bist nicht zurückgekommen / Insel Verlag
Liliane: Corobca: Der erste Horizont meines Lebens / Zsolnay Verlag
Serhij Zhadan: Mesopotamien / Suhrkamp Verlag

Clemens Grote bringt noch einen Spezialtext mit, der etwas mit der Frankfurter Buchmesse zu tun hat.

Der Eintritt ist wie immer kostenlos.
Wir beginnen pünktlich um 19 Uhr.

Donnerstag

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Heute haben
James Boswell * 1740
Otto Flake * 1880
Jean Giraudoux * 1882
Alexander Simowjew * 1882
Claire Goll * 1890
Zbigniew Herbert * 1924
Matthias Zschokke * 1954
Geburtstag

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Mathias Mayer (Hg.):Musikgedichte
Lyrik für Musikliebhaber
dtv € 8,90

Musik und Poesie gehören eng zusammmen. Und das schon seit ewigen Zeiten. So kommt ja das Wort Lyrik vom griechischen Instrument Lyra. In dieser handlichen Gedichtesammlung finden Sie ca. 80 Gedichte vom Barock bis in die Gegenwart, die sich mit Musik beschäftigen. Dabei geht es nicht um Liedgut, sondern um Gedichte über Sänger und Instrumente, über Komponisten und Interpreten.
Der Herausgeber Mathias Mayer setzt dann auch gleich den großen Meister an die erste Stelle:

Johann Wolfgang von Goethe
Aussöhnung

Die Leidenschaft bringt Leiden! – Wer beschwichtigt
Beklommnes Herz, das allzuviel verloren?
Wo sind die Stunden, überschnell verflüchtigt?
Vergebens war das Schönste dir erkoren!
Trüb ist der Geist, verworren das Beginnen;
Die hehre Welt, wie schwindet sie den Sinnen!

Da schwebt hervor Musik mit Engelschwingen,
Verflicht zu Millionen Tön um Töne,
Des Menschen Wesen durch und durch zu dringen,
Zu überfüllen ihn mit ewger Schöne;
Das Auge netzt sich, fühlt im höhern Sehnen
Den Doppelwert der Töne wie der Tränen.

Und so das Herz erleichtert merkt behende,
Daß es noch lebt und schlägt und möchte schlagen,
Zum reinsten Dank der überreichen Spende
Sich selbst erwidernd willig darzutragen.
Da fühlte sich – o daß es ewig bliebe! –
Das Doppelglück der Töne wie der Liebe.

Um dann aber gleich danach mit Christian Morgenstern weiterzumachen.

Christian Morgenstern
Urton

Fernher schwillt
eines Dudelsacks
einförmig-ewigwechselnde
Melodie:
Unaufhörlich
hebt sich und senkt sich
über dem Urton
ihr unerfaßliches Spiel.
……………………….

Auf dem ehernen Tische
Unendlichkeit
liegt unermeßlicher Sand gebreitet.
Da streicht ein Bogen
die Tafel an:
Einen Ton
schwingt und klingt
die fiebernde Fläche.
Und siehe!
Der Sand
erhebt sich und wirbelt
zu tausend Figuren.
Aus ihnen,
den tanzenden
tönenden,
glühenden
schlingen sich Tänze,
binden sich Chöre,
winden sich Kränze,
umringen sich,
fliehen sich,
finden sich wieder.

Aber das Spiel
der Formen, Farben und Töne
durchbrummt
unaufhörlich,
beherrscht
fürchterlich-unerfaßlich
der tiefe Urton
…………………….

Fern verschwillt
des Dudelsacks
Einförmig-ewigwechselnde
Melodie
Dorf, Wald, Welt
versinkt mir
schweigend
in Nacht.

Friedrich von Schiller schreibt über die klavierspielende Laura und träumt vom Elysium.

Laura am Klavier

Wenn dein Finger durch die Saiten meistert,
Laura, jetzt zur Statue entgeistert,
Jetzt entkörpert steh‘ ich da.
Du gebietest über Tod und Leben,
Mächtig, wie von tausend Nervgeweben
Seelen fordert Philadelphia.

Und auch Mörike befasst sich mit dem Klavier, das sich unter den Händen eines Spielers zu verwandeln scheint.

Eduard Mörike
Auf einen Klavierspieler

Hört ihn und seht sein dürftig Instrument!
Die alte, klepperdürre Mähre,
An der ihr jede Rippe zählen könnt,
Verwandelt sich im Griffe dieses Knaben
Zu einem Pferd von wilder, edler Art,
Das in Arabiens Glut geboren ward!
Es will nicht Zeug, noch Zügel haben,
Es bäumt den Leib, zeigt wiehernd seine Zähne,
Dann schüttelt sich die weiße Mähne,
Wie Schaum des Meers zum Himmel spritzt,
Bis ihm, besiegt von dem gelaßnen Reiter,
Im Aug die bittre Träne blitzt –
O horch! nun tanzt es sanft auf goldner Töne Leiter!

Eichendorff packt in ein kurzes Gedicht die enge Verbindung eines ganzen Lebens mit und ohne Singen zusammen.

Joseph von Eichendorff
Intermezzo

Wohl vor lauter Sinnen, Singen
Kommen wir nicht recht zum Leben;
Wieder ohne rechtes Leben
Muß zu Ende gehn das Singen;
Ging zu Ende dann das Singen:
Mögen wir auch nicht länger leben.

Hesse, Kästner, Uhland und Novalis sind vertreten, wie auch Lasker-Schüler, Celan und natürlich Wilhelm Müller. Ohne ihn geht in dieser Anthologie gar nichts. Wer kennt ihn nicht, den Leiermann. Lenau schreibt über Beethoven, die Kaschnitz über die Sonate, Karl Kraus über die Operette, Enzensberger über den Blues und Ingeborg Bachmann über den schwarzen Walzer. Benn über Chopin, die Mayröcker über Schostakowitsch und Nietzsche über Venedig.
Sie sehen, der Reigen ist groß und der Bogen weit gefasst.

Buon divertimento

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Arrangement einer kleinen Kundin

Mittwoch

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Heute haben
Evelyn Waugh * 1903
Albert Maltz * 1908
Marie Louise Fischer * 1922
Anne Perry * 1938
Uwe Tellkamp * 1968
Geburtstag

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Conrad Ferdinand Meyer
Fülle

Genug ist nicht genug! Gepriesen werde
Der Herbst! Kein Ast, der seiner Frucht entbehrte!
Tief beugt sich mancher allzu reich beschwerte,
Der Apfel fällt mit dumpfem Laut zur Erde.

Genug ist nicht genug! Es lacht im Laube!
Die saftge Pfirsche winkt dem durstgen Munde!
Die trunknen Wespen summen in die Runde:
»Genug ist nicht genug!« um eine Traube.

Genug ist nicht genug! Mit vollen Zügen
Schlürft Dichtergeist am Borne des Genusses,
Das Herz, auch es bedarf des Überflusses,
Genug kann nie und nimmermehr genügen!
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Richard Ford:Frank
Hanser Berlin Verlag € 19,90
als E-Book € 15,99
Christian Brückner spricht das Buch auf 6 CDs
Parlando € 24,99
Let Me Be Frank With You€ 12,99

Frank Bascombe ist wieder da! Richard Ford lässt seinen Helden zurückkehren, und nie war er aufrichtiger als jetzt. „Ich bin da“ heisst dann auch die erste der vier Erzählungen, die alle ungefähr 50 bis 60 Seiten lang sind und sich chronologisch aneinanderreihen. Sie können sie somit auch als Episoden eines Romanes lesen. Nach „Sportreporter“, „Unabhängigkeitstag“ und „Die Lage des Landes“, steht nun plötzlich Frank Bascombe wieder vor uns. Richard Ford hatte mit ihm schon abgeschlossen. Frank, der mittelmäßige Schreiberling, wurde Sportreporter und dann Immobilienverkäufer. Er ist ein normaler Amerikaner und hatte sich mit seinen 68 Jahren in den Ruhestand verabschiedet, bis sich ein alter Kumpel Arnie Urquhart am Telefon meldet. Ihm hatte er sein Haus am Meer verkauft, das nun durch den Wirbelsturm total zerstört worden ist. Der Autor Ford hatte Sandy hautnah miterlebt, sah die Schäden und bemerkte, was in den Köpfen seiner Mitmenschen vor sich gegangen ist. Ihm war klar, dass er die Stimme von Frank braucht, um dies literarisch umsetzen zu können. Frank, den Normalbürger, aus dem hin und wieder tolle Wortspiele herausfallen, der sich zurückerinnert an sein bewegtes Leben, die Lage ganz gut einzuschätzen weiß. Frank ist auch ein Mensch der Zitate, die er mal so eben fallen lässt und die mehr als 100 Prozent in die Situation passen.
Und so schickt Richard Ford seinen melancholisch veranlagten Mann auf eine Reise durch die Gegenwart und gleichzeitig Vergangenheit. Arnie Urquhart hat Probleme mit seinem kaputten Haus, seine Ex-Frau lebt in einem High-Tech-Pflegeheim, ein alter Freund ist an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt und macht ihm eine überraschende Beichte. Frank erzählt von einer schwarzen Familie, die in einer weissen Gegend, obwohl gut situiert, nicht Boden unter die Füße bekommt und wieder wegzieht.
Der Wechsel zwischen innerem Monolog und Ich-Erzählung hält das Tempo immer schön hoch und Richard Ford lässt uns an der us-amerikanischen Gegenwart hautnah teilhaben. Frank schimpft über die Verhunzung der amerikanischen Umgangssprache, wir bekommen den Zerfall seines Körpers und auch der seiner Gesellschaft mit. Häuser liegen zerstört am Boden, das Pflegeheim ist ein Hochsicherheitstrakt, in dem jede Bewegung der Patienten elektronisch verfolgt wird. Die Politik ist keine Lösung und so bleiben ihm nur seine mäandernden Gedanken.
Richard Ford hat hier ein kleines Meisterwerk geschaffen und wenn er dieses Buch aus der Wirbelsturmkatastrophe heraus geschrieben hat, so dürfen wir hoffentlich noch mehr von Frank Bascombe erfahren. Denn Katastrophen stehen im Moment ja Schlange.


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Werner Färbers Ungereheimtheiten der Woche

Krokodil (gelangweilt)

Gelangweilt trieb ein Krokodil
den Fluss hinab ganz ohne Ziel.
Als es viel zu spät bemerkte,
dass die Strömung sich verstärkte,
war es zu spät sich aufzubäumen
gegen des Wasserfalles Schäumen.
Es stürzte lang und stürzte tief,
wobei es auch um Hilfe rief.
Doch kaum war’s unten angekommen,
hat es die Höh‘ erneut erklommen.
Und dies sogar mit großer Eile,
auf dass es sich nie mehr langweile!
Jauchzend stürzte es sich munter
den Wasserfall zigmal hinunter.

Der einsame Poet
(sehr frei nach Spitzweg)

Gedämpft dringt aus des Dichters Kammer
leises Schluchzen und Gejammer.
Ganz ohne Muse und allein
schläft er auf nassem Kissen ein.

Dienstag

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Heute haben
Rudolf Leonard * 1889
Dylan Thomas * 1914
Sylvia Plath * 1932
Gerd Brantenberg * 1941
Zadie Smith * 1975
Geburtstag.

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Bei unserem heutigen Buchtipp geht es nicht um Esel, sondern um wilde Tiere, die man nicht ärgern soll. Esel allerdings auch nicht.

Marc Boutavant und Pamela Butchart:Niemals wilde Katzen kitzeln
Aus dem Englischen von Matthias Wieland
Handlettering und Satz: Arne Bellstorf
Reprodukt Verlag € 16,00
Bilderbuch ab 4 Jahren

Line kann es nicht lassen: Sie zappelt und hüpft und hibbelt und springt und kann einfach nicht still sitzen. Darunter leiden nicht nur die Eltern, sondern auch ihre Oma, deren Wolle sie durcheinander bringt. Sie spielt mit dem Essen und malt Bilder mit ihren Zöpfen. Sie krabbelt mit dem Hund und macht Handstand über dem Maulwurfshügel.Und wenn sie mit dem Himbeerpudding auf dem Kopf durchs Wohnzimmer stolziert, dann antwortet sie auf die Rüge der Eltern: „Es ist sinnlos. Ich bin nun mal eine Zappeline. So ist das eben.“
Ein Ausflug in den Zoo kann unter diesen Voraussetzungen schwierig für die Lehrerin der 4b werden. Während alle Kinder sich an den Händen halten, sehen wir Line im Hintergrund, wie sie sich an einem Bambus hochwindet und einen Papagei erschreckt. Und während die Kinder andächtig von Gehege zu Gehege wandern, hört Line dauernd ihre Leherin. „Hör auf, den Pfau zu piesacken„, „Nicht die Affen anstacheln.“, Nicht die Schildkröten schlagen.“, „Nicht den Elefanten erschrecken„. Auf dem dazugehörenden Wimmelbild sehen wir Line genau das tun. Sie streckt den Elefanten die Zunge raus, trommelt auf den Schildkröten, bewirft die Affen mit Erdnüssen und kitzelt den schlafenden Bären mit einem Ast am Ohr. Als aber die Lehrerin: “ Und NIEMALS wilde Katzen kitzeln.“ zu ihr sagt, ist Line sauer. „NICHTS darf ich. Was ist schon schlimm an ein bisschen Gezappel?“ So schleicht sie sich davon, balanciert über die Bank, purzelt auf den Boden, krabbelt durchs Gebüsch, hüpft am Vogelhaus vorbei und kommt am Tigergehege an. Mit einer Feder in der Hand. „Was wohl geschieht?“, dachte Line. Sie nahm eine Feder und kitzel, kitzel, kitzelte die wilde Katze.“
Was dann geschieht, sehen wir, wenn wir diese Doppelseite aufklappen. Das riesige Chaos hat der Zeichner Marc Boutavant genial umgesetzt. Aber Line setzt sich wieder durch,. beherrscht die Situation und als alle Kinder müde mit ihrer Lehrerin aus dem Zoo gehen, büchst Line schon wieder aus und fragt sich: „Was soll schon passieren, wenn man einen Polarbären piekst?
Ein großer Spaß für die Kleinen und die Großen. Herrlich umgesetzt in ein buntes, freches Bilderbuch. Sogar für das Vorsatzpapier hat sich Marc Boutavant noch etwas einfallen lassen. Wir haben seine anderen Bücher über „Mouk“ und „Ariol“ im Laden und freuen uns über sein neuestes Werk.
Pamela Butchart ist eine schottische Schriftstellerin, die für ihre Kinderbücher mehrfach ausgezeichnet worden ist. Zu loben ist auch die deutsche Übersetzung mit ihren guten Wortspielen und Alliterationen.

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Montag

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Heute haben
Andrej Belyi * 1880
Karin Boye * 1900
John Arden * 1930
Ulrich Plenzdorf * 1934
Carlo Lucarelli * 1960
Geburtstag

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Gert Heidenreich: „Nächte mit Leonard“
Erinnerungen zu Leonard Cohens 80. Geburtstag am 21.9.2014
Jahresgabe 2015
Für die Freunde des Maro Verlages
Maro Verlag je € 5,00

Version „Revolution“ von Carolin Flammang
Version „Zensur“ von Ines Korbacher
In Zusammenarbeit mit der Deutschen Meisterschule für Mode / Designschule München

Die Jahresgaben des Maro Verlages sind immer für eine Überraschung gut. Hier können Sie noch richtige Entdeckungen machen. Dass es dieses Jahr gleich zwei davon gibt, ist umso schöner, denn den wunderbaren Text von Gert Heidenreich hat Benno Käsmayr in zwei Versionen „Revolution“ und „Zensur“ drucken lassen. Die Gestaltung übernahm jeweils eine Studentin der Designschule München. Der selbe Text und doch zwei grundlegend andere Heftchen. Auf den ersten (und den zweiten) Blick würde man dies nicht vermuten.

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Gert Heidenreich hat mit dieser Erzählung einiges bei mir wieder wachgerüttelt, freigeschaufelt und nach oben gewühlt. Er ist zwar fast 15 Jahre älter als ich und doch machte ich sehr ähnliche Erfahrungen wie er.
Heidenreich beschreibt, wie es sich anfühlte, wenn man eine neu LP in Händen hielt, die Platte mit der weissen Hülle herausgleiten ließ, die schwarze Scheibe aus ihr zog und vorsichtig auf den Plattenteller legte. Das erste ganz leiste Knirschen beim Aufsetzen des Saphirs. Ja, Herr Heidenreich, so war das bei mir auch. Ich besaß (und besitze immer noch nicht) keine Cohen-Scheibe und doch begleitet er mich die vergangenen 40 Jahre. Auf jedem Fest, wenn die Gitarren herausgezogen wurden, wurden Lieder von ihm gespielt und es gab immer Fraktionen für und gegen ihn. Er war kein lauter Sänger wie Dylan, von ihm kam die Kraft aus seinen Texten. Darauf musste man sich zuerst einlassen. Aber dann war es um Einen geschehen. Heidenreich bringt Brassens, Moustaki und Brel ins Spiel und stellt doch die Einzigartigkeit von Cohen heraus.
Für Heidenreich war diese Musik zuerst nicht kompatibel mit der Nachkriegszeit, wie er sie erlebte. An die poltische und gesellschaftliche Situation, in der über die Zeit vor 1945 nicht (mehr) gesprochen wurde und Nazigrößen wieder in gehobenen Positionen saßen. Die daraus resultierende Radikalisierung und Politisierung der westdeutschen Studentenschaft erlebte er hautnah mit. Er schreibt von fast auswegslosen Situationen, die etwas von Depression und Lethargie an sich hatten. Dass dieses Gemisch dann bis zur RAF führte und der gnadenlosen, rasch und neu gesetzlich verankerten Jagd nach Intelektuellen, haben wir selbst mitbekommen. Und dabei gab es immer die ruhigen Lieder von Leonard Cohen, der sich nicht in den Vordergrund sang, oder laut, direkt, politisch auf der Bühne war, sondern seine Lyrik in den Raum, seine Zeilen zur Verfügung stellte.

Es waren sanfte Abende mit ihm, nach aufregenden Demonstrationen, geschrienen Protesten, gebrüllten Forderungen. Als hätte seine leise Nachdenklichkeit und volksliedhafte Musikalität uns zu uns selbst zurückgeführt. … Während ich das schreibe, brennen Kriege an zahllosen Plätzen unseres kleinen Globus. Man nennt sie Konflikte. Und ich erinnere mich, was Leonard im Jahr, als die Mauer fiel – befragt, was er von der Zukunft erwarte – geantwortet hat: Murder, Mord und Totschlag.

Wie gesagt: Ein toller Text in zwei Versionen. Jede kostet € 5,00 und sind mindestens das Doppelte wert. Sie können also, wenn Sie so rechnen, locker auch beide Heftchen kaufen. Wir haben sie vorrätig.

Sonntagsskizzen (7)

Sonntagsskizzen von Detlef Surrey

Von Detlef Surrey

Skizzen vom Skizzenfestival in Stralsund. Im Sommer 2012 trafen sich dort 40 junge Künstler/innen aus der ganzen Welt mit Lust auf- und Erfahrungen im Skizzieren beim Internationalen Skizzenfestival in Stralsund, tauchten ein in die Skizzenwelt und in verschiedene Themen und arbeiteten in zahlreichen Workshops zusammen…

surrey-abends-am-hafen2-1000x700Abends am Hafen

surrey-120723-blick-fenster-1000x697Speicherhäuser am Hafen

surrey-120725-uboot-geo-1200x913Im Oceaneum: Das Forschungs U-Boot GEO

surrey-120725-speichertonnen-1200x838Im Hof der Druckerei

surrey-120724-zum-anker-711x1000surrey-120724-hafenkneipe2-704x1000surrey-120724-hafenkneipe1-710x1000 surrey-120725-rathauspassage1-721x1000


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Detlef Surrey ist Illustrator und Comiczeichner in Berlin.

Skizzen: skizzenblog.surrey.de 
Blog:  detlefsurrey.de
Web:  www.surrey.de

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Sonntagsskizzen Rückblick:

Teil 6 : Lesung OL – „Forelle Grau“
Teil 5 : Konzert Hunting Island
Teil 4 : Das Reichstagsgebäude und “Karlchen Adler”
Teil 3 : Eindrücke von der Holzmühle in Vogt
Teil 2 : Graphic Novel Day des Internationalen Literaturfestival Berlin
Teil 1 : Treffen der “Urban Sketchers” in Darmstadt

Samstag

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Heute haben
Dorothea von Schlegel * 1764
August von Platen * 1796
Zsuzsa Bánk * 1965
Geburtstag.
Herzlich Glückwunsch zum Festtag, liebe Zsuzusa Bánk.
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Unser Buchtipp für die bunten Herbsttage.

Philip Stead und Erin A. Stead:Als Bär erzählen wollte
Aus dem Amerikanischen von Uwe-Michael Gutzschhahn
Sauerländer im S.Fischer Verlag € 14,99
Bilderbuch ab 3 Jahren

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Philip Stead als Texter und hauptsächlich Erin Stead als Malerin tauchen immer wieder auf dem deutschen Bilderbuchmarkt auf. Zurecht. Sie wurden mit der Caldecott Medaille ausgezeichnet, der höchsten Würdigung für Bilderbücher auf dem us-amerikanischen Buchmarkt.
Auf unserem Blog finden Sie Besprechungen zu „Und dann ist Frühling!“, das jetzt nicht in die Jahreszeit passt. „Wenn du einen Wal sehen willst“ und natürlich die wunderschöne, sentimentale Geschichte um den kranken Tierwärter, der von seinen Schützlingen Besuch bekommt, weil er sich doch sonst so fürsorglich um sie kümmert. („Der Tag, an dem Amos Goldberg zu Hause blieb“). Diese Bilderbücher enstanden in verschiedenen Kombinationen von Textern und Illustratoren und gehören in jede Bibliothek
Das Frühlingsbuch passt im Moment nicht so richtig, am 24.(!)10., dafür aber das neue, über einen Bären, der eine Geschichte erzählen will. Gemeinsam zusammensitzen, es sich gemütlich machen und Geschichten erzählen. Was gibt es Schöneres. Gerade in diesen Wochen, wenn die Nächte immer länger werden (Achtung! Ab Sonntag gilt die Winterzeit und es wird noch früher dunkel) und wenn draußen die Kälte hochzieht.
Bär möchte eine Geschichte erzählen, trifft die kleine Maus, die jedoch keine Zeit hat. Ist es doch so knapp vor dem Winterund sie muss sich noch ein Nest bauen, um darin überwintern zu können: Bär hilft ihr und wackelt weiter. Aber auch die Ente hat keine Zeit, sie bereitet sich auf ihren Flug in den Süden vor. So geht es Bär mit all seinen Freunden, dem Frosch, dem Maulwurf,  und wird seine Geschichte einfach nicht los. Der Winter kommt, er legt sich hin und schläft unter einer dicken Schneedecke ein. Als die Frühlingssonne ihn weckt, sind seine Freunde alle schon eifrig am Arbeiten und warten auf Bärs Geschichte. Doch er hat sie vergessen. Was tun? Sie setzen sich zusammen und Bärs Freunde erzählen ihm eine Geschichte, von einem Bären, der seinen Freunden eine Geschichte erzählen will.
Eine Endlosgeschichte, prima zum Vorlesen und zum Weitererzählenlassen.


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Morgen gibt es wieder Sonntagsskizzen von Detlef Surrey.
Diesmal vom Skizzenfestival in Stralsund im Sommer 2012.

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Freitag

Die Veranstaltung mit dem dem Secession Verlag fällt aus, da der Verleger sich im Übersetzungstunnel befindet. Schade für uns. Aber wenn dabei ein gutes Buch herauskommt. Auch wieder gut. Wir versuchen ihn für die Literaturwoche im April 2016 zu gewinnen.
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Heute haben
Adalbert Stifter * 1805
Aravind Adiga * 1974
Geburtstag.
Und Pelé wird heute 75.

Adalbert Stifter
Abschied

Nun sind sie vorüber, jene Stunden,
Die der Himmel unsrer Liebe gab,
Schöne Kränze haben sie gebunden,
Manche Wonne floß mit ihnen ab.

Was der Augenblick geboren,
Schlang der Augenblick hinab,
Aber ewig bleibt es unverloren,
Was das Herz dem Herzen gab.

Müdigkeit

Ich hab‘ geruht an allen Quellen,
Ich fuhr dahin auf allen Wellen,
Und keine Straße ist, kein Pfad,
Den irrend nicht mein Fuß betrat.

Ich hab‘ verjubelt manche Tage,
Und manche hin gebracht in Klage,
Bei Büchern manche lange Nacht,
Und andere beim Wein durchwacht.

Viel mißt‘ ich, viel hab‘ ich errungen,
Auch Lieder hab‘ ich viel gesungen,
Und ausgeschöpft hat dieses Herz
Des Lebens Lust, des Lebens Schmerz.

Nun ist der Becher leer getrunken,
Das Haupt mir auf die Brust gesunken,
Nun legt‘ ich gern mich hin und schlief‘,
Unweckbar, traumlos, still und tief!

Mir ist, mir ist, als hört ich locken
Von fernher schon die Abendglocken,
Und süße, weiche Traurigkeit
Umweht mich: Komm, ’s ist Schlafenszeit.
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Wolfgang Bauer:Über das Meer
Mit Syrern auf der Flucht nach Europa
Eine Reportage
Mit Fotos von Stanislav Krupar
Suhrkamp Verlag € 14,00

Diese Reportage, die zuerst in der der ZEIT erschienen ist, lebt davon, dass Wolfgang Bauer mitten drin ist. Er trifft sich in Kairo mit Amar, einem Syrer aus Homs, der dort in wohlsituierten Verhlttnissen mit Frau, drei Töchtern und seiner Schwiegermutter wohnt. Der Zustand wäre wohl erträglich, würden Syrer in Ägypten nicht als Terroristen hingestellt werden. Die einizige Zukunft, die er, der ja schon einmal geflüchtet ist, sieht, ist eine neuerliche Flucht Richtung Europa. Er möchte es allein versuche und dann seine Familie nachholen. Wolfgang Bauer und der Fotograf Stanislav Krupar begleiten ihn und geben auf der Reise nicht ihre wahre Identität preis, sondern gelten unter den anderen Flüchtingen als eine von ihnen.
Bauer erzählt sehr spannend, aber nicht reisserisch, von den ersten Versuchen ihrer Flucht und streut sehr gekonnt Fakten, Daten und Hintergründe für diesen Exodus ein. Er zieht Vergleiche zum Bosnienkrieg, er erwähnt natürlich Dublin II, das Verhalten der EU, die den Friedennobelpreis erhalten hat und gleichzeitig tausende von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer, dem Ursprung der europäischen Geschichte, ertrinken lässt. Er schreibt über die Enstehtung von IS und deren unglaubliche Verbreitung, die sie mit brutaler Gewalt durchsetzen.
Amar und die beiden Reporten gelingt es tatsächlich an Tickets für ein Schiff Richtung Europa zu kommen. Es geht alles über Schleuserbanden, die untereinander rivalisierend sind. Bauer vergleicht sie mit Reisebüro mit ungewöhnlichen Methoden. Ein Minibus bringt sie, extrem eingezwängt, nach Alexandria. Von dort soll es mit dem Schiff weitergehen. Dass dies erst nach mehreren Anläufen gelingt, verschärft die Situation der Flüchtlingsgruppe, zu der auch noch ein Brüderpaar kommt, deren Wegen Wolfgang Bauer auch mitverfolgt. Es kommt zu einer Entführung der Gruppe durch eine andere Schleuserbande, die auf Geldzahlungen besteht, es gelingt das Besteigen eines Bootes, bei dem es nicht zimperlich zugeht und die Bordmitglieder nicht darauf achten, wenn Familien auseinandergerissen werden. Die Fahrt dauert nicht lange und innerhalb der Hoheitszone werden sie auf einer Insel abgesetzt, von der Polzei entdeckt und inhaftiert. Dort geben die beiden Journalisten ihre wahre Identität preis und verwandeln sich innerhalb kürzester Zeit von Flüchtlingen zu Urlaubern und sitzen in einem Flügzeug in die Heimat.
Die weiteren Versuche von Amar und den beiden Brüdern werden im zweiten Teil beschrieben.
Der Epilog von Wolfgang Bauer wird zum Appell an die Menschlichkeit und zu einer Forderung an die europäischen Politik, diese schleunigst zu ändern. Diese letzten Seiten allein lohnen diese Lektüre.

Wir in Europa wollten uns nicht einmischen. Wir wollten keinen Fehler machen. Wir haben dem Sterben in Syrien zugesehen. Wir schickten den Ausgebombten Zelte, ließen aber zu, dass Assad weiter bombte. Drei Jahre lang haben wir zugeschaut, wie das Regime die syrische Bevölkerung massakrierte. Wie er das Land zerstörte, wie kein Land seit Vietnam zerstört worden ist.
Syrien hat aufgehört, als Staat zu existieren. Syrien gibt es mittlerweile nur noch in Fragmenten. Es ist zerfallen in eine Vielzahl von Kleinstaaten, deren Grenzen sich ständig verschieben.

Wie lange noch wollen wir ihnen beim Ertrinken zusehen? Wie lange noch wollen wir eine Generation junger Syrer in die Illegalität zwingen? Sie in die Hände von Schleppern treiben? Wie lange verraten wir uns selbst? Die Kriege in Nahost verändern auch uns Europäer. Wir verrohen, schleichend und allmählich. Indem wir versuchen, uns zu schützen, zerstören wir uns selbst. Wir dürfen das nicht zulassen.
Zwingt die Frauen, Männern, Kinder nicht länger auf die Boote. Öffnet die Grenzen, jetzt. Habt Erbarmen.

Leseprobe
SWR Buchzeit

Passend dazu das Bilderbuch aus dem Sauerländer Verlag, das wir am 7.September hier auf dem Blog vorgestellt haben.

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Armin Greder: “Die Insel“
Eine alltägliche Geschichte
Sauerländer/S.Fischer Verlag € 16,99

 

Donnerstag

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Heute haben
Ivan Bunin * 1870
Doris Lessing * 1919
Jacques Berndorf * 1936
Geburtstag

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Am kommenden Dienstag ist es so weit.
Christian Ruzicska stellt ab 19 Uhr „seinen“ Secession Verlag vor.

2009 gegründet, verlegt er hauptsächlich internationale und deutsche Gegenwartsliteratur, hat aber aber auch hin und wieder Lyrik  im Programm. Und was für gute. Es gibt illustrierte Bücher, schwerverkäufliche moderne Romane und den einen oder anderen Besteller. Wie zum Beispiel „Glückskind“ von Steven Uhly, der sogar verfilmt worden ist..
Im Programm u.a. auch Jérôme Ferrari, ein französischer Starautor (Prix Goncourt 2012), aber hier in Deutschland nicht auf den den Bestsellerlisten zu finden.
Besprechungen der jeweiligen Neuheiten bekommen großen Platz in den überregionalen Zeitungen und zeigen die große Innovativität und Entdeckerkraft des Verlages.

Wir kennen alle Lars Gustafsson als Autor im Hanser Verlag. Seine mathematische Phantasie „Gegen Null“ ist bei Secession erschienen.

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Laut Wahrscheinlichkeitsrechnung tendiert das Ereignis unserer Existenz gegen Null – und doch sind wir da. Lesen zum Beispiel gerade diesen Text oder gehen durch schneeverhüllte Landschaften im Norden Schwedens spazieren. Mit unserem Hund, der die Fährte eines Wildes aufnimmt, während wir versuchen, uns zu orientieren. Wo bin ich? Und das bei Eis und Schnee! – Schlechte Kontexte sind das, um uns zu helfen! Wir brauchen, so scheint es, Anhaltspunkte, um Klarheit zu gewinnen. Fixpunkte der Orientierung. Logische Operatoren. Alice im Spiegelland weiß bestens darüber Bescheid.
Lars Gustafsson, der große Erzähler aus dem Norden, legt einen scharfen Blick auf die nicht weniger scharfen Punkte der Logik und verbindet ihre Aussagen zu einer neuen Perspektive auf die menschliche Existenz. Er bedient sich anschaulich der modernen Physik und Mathematik und führt auch für den Laien verständlich deren schwindelerregende Antworten immer wieder zurück auf eine Frage: die nach dem menschlichen Bewusstsein.
Unter der Voraussetzung eines zutiefst kalten Universums schreibt Lars Gustafsson seine höchst unwahr-
scheinliche menschliche Wärme in die Logik ein: Bis im Spiegel der Betrachtung das menschliche Dasein aufleuchtet. Bis spürbar wird, wie kostbar der Augenblick des Menschseins ist. Bis sichtbar wird, wie un-
umgänglich das Erzählen in einer Welt ist, die erst mit der Erzählung beginnt. Um sich von der Null zu entfernen, also lebendig zu werden, und somit sterblich zu sein, und sich wieder der Null zu nähern. – Ahnen Sie, worüber wir sprechen?

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Steven Uhly: „Glückskind“

„Das literarische Ausnahmetalent!“
Die Zeit

Deutschland 2012. »Warum war ich überhaupt so, wie ich war ?«, fragt sich Hans D.
Jahrelang hatte er keine Fragen mehr. Im Gegenteil, er war kurz davor, fraglos aufzugeben.
Und dann?
Dann bringt er den Müll hinunter, geht zu den Tonnen, findet im Müll ein Kind.
Es beginnt ein berührender Prozess über die Entscheidung, was geschehen muss. Das Kind behalten, es verbergen? Und die Mutter? Eine Mordanklage zulassen, wider besseres Wissen? Was ist gerecht?
Wie handeln? Am Ende der Geschichte sind die Dinge neu geordnet. Ein Kind wird überlebt haben und mit Hans D. werden wir wissen, dass Liebe der Schlüssel ist für Erkenntnis, Veränderung, ein gutes Leben.

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Jérôme Ferrari: „Predigt auf den Untergang Roms“
(Le sermon sur la chute de Rome)
Aus dem Französischen von Christian Ruzicska

Ein korsisches Dorf. Das Leben, vom Alltag bestimmte Monotonie. Sommer, Hitze,
Jagd auf Wild, wiederkehrend Tag um Tag. Und dann: ein Ereignis, eine Erschütterung.
Folgenreich. Wie der Flügelschlag eines Schmetterlings. Zur allgemeinen Verwunderung
haben zwei Söhne des Dorfes ihr vielversprechendes Philosophiestudium auf
dem Kontinent vorzeitig beendet und übernehmen die Dorfkneipe. Um ganz im Sinne
der Leibnizschen Lehre in ihrem Dorf die „beste aller möglichen Welten“ zu errichten.
Aber: es richtet sich die Hölle selbst am Tresen ein. Und es wird eine korsische Dorfkneipe
zur Weltenbühne des menschlichen Dramas. Mit prächtiger Sprache erzählt,
dicht und bildkräftig, ein Wunder an Ausgewogenheit von Wucht, Weite, Tiefe und
Leichtigkeit.

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Jérôme Ferrari: „Das Prinzip“
(Le Principe)
Auf dem Französischen übersetzt von Christian Ruzicska und Paul Sourzac

„Mit reinem Genuss zu lesen.“
Elke Schmitter, Der Spiegel

Interview mit Ferrari auf der leipziger Buchmesse 2015.
Das blaue Sofa

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Tanikawa Shuntaro: „minimal (minimal)“
30 Gedichte
Deutsch und Japanisch
Aus dem Japanischen von Eduard Klopfenstein

„I don’t fear death, because I’ve been writing.“
Tanikawa Shuntarõ

„minimal“ birgt eine Fülle an Dichtungen, die in ihrer kargen sprachlichen Reduziertheit ein Glücksfall sind im Werk des großen japanischen Dichters Tanikawa Shuntarō, dessen verspieltes Wesen bislang weitläufige Formen des Ausdrucks prägte. Im Nachwort schreibt er darüber: »Ich nehme an, es war das unterschwellige Verlangen zu schweigen, noch einmal ins Schweigen zurückzukehren und neu mit dem Schreiben zu beginnen, was mich veranlasste, eine solche mir bis dahin nicht geläufige Kurzform zu wählen.« – Wir hören förmlich, wie beredt das Schweigen ist, wie klingend die Stille hinter dem Rauschen unserer Zeit! Wir bedanken uns beim Dichter und bei jenem Zauber, der ihn veranlasst hat, das Schweigen zu verdichten!

Wir freuen, wenn Sie am kommenden Dienstag den Weg in unsere Buchhandlung finden.
Wahrscheinlich ist wieder Fußball im Fernsehen, aber wir beginnen um 19 Uhr und diese Veranstaltung funktioniert ohne Schwarzgeldkonten und Schmiergeld.
Der Eintritt ist kostenlos!