Ich glaube, ich brauche einen Geburtstagskontrolleur.
Gestern habe ich schon wieder die Termine vertauscht.
Heute haben Primo Levi und Martin Mosebach Geburtstag.
Gestern hatte Emily Bronte * 1818
_____________________
Karl-Markus Gauß: „Das Erste, was ich sah„
Zsolnay Verlag € 14,90
als eBook € 11,99
„Die Stimme, wie lange spricht sie schon? Sie kommt aus dem dunklen, mit gerippten Plastikknöpfen bestückten Kasten, der zwischen den zwei hohen Buchregalen steht und ein quer laufendes, grünlich leuchtendes Band hat.“
So beginnt diese Erinnerungsbuch seiner Kindheit.
Karl-Markus Gauß kennen wir als großen, hochdekorierten Erzähler aus und über den Donauraum. Er schreibt über die Hundeesser von Svinia, über sterbende Europäer, aber auch über die Zimbern in den italienischen Alpen, oder die Sorben in Ostdeutschland. Er kümmert sich um die Wiederentdeckung wichtiger Literatur aus Osteuropa und fördert sie durch Vor- und Nachworte. Gauß bleibt in seinen „Reisebeschreibungen“ immer sehr nahe bei den Menschen. Er erzählt uns Alltäglichkeiten und kleine Details, aus denen wir uns dann ein großes Ganzes zusammenbasteln können, aus denen sich ein kompletter Kosmos ergibt. Ich denke, dass seine Buchverkaufszahlen nicht enorm sind. Umso mehr möchte ich hier Trommel für ihn rühren. Lesen Sie Gauß, es wird Ihnen gefallen.
Nun aber zurück zu seinem neuen Buch, einem dieser „I remember“-Bücher, die hier auf diesem Blog immer wieder auftauchen. Es sind jeweils kurze Artikel von drei, vier Seiten. Wir lesen über die vielen Umsiedler, Kriegsflüchtlinge, die in seinem Wohnblock wohnen und in der Mehrheit sind, gegenüber den in Österreich Geborenen. Gauß schriebt über die verschiedenen Dialekte: Guchen und Gäggsä für Kuchen und Kekse. Dirol, Dürgei,Babsd, Bedersblads. Er schreibt über die abendlichen Besuche von Bekannten, bei denen er als ganz Kleiner auf dem Schoß seiner Mutter teilnehmen durfte und wie dann immer mehr getrunken wurde, wie die Stimmen immer lauter und bedrohlicher wurden. Es standen dann Worte wie Kommunist im Raum, mit denen er nichts anzufangen wußte.
„Ich liebte das Aufwachen um des Weiterschlafenswillen. Wenn die Sonne hinter dem Gaisberg aufging, kitzelte sie mich in der Nase, ich öffnete die Augen und sah, wie über die jetzt noch dunkle Bergkuppe, die tagsüber eine blaue Farbe annham, die ersten Strahlen fielen. … Herrlich aber war es, früh am Morgen zu erwachen und es nach einem Blick hinaus in den beginnenden Tag für ein, zwei Stunden noch einmal mit dem Schlafen und Träumen zu probieren; oder mich gar in dem Zustand zu halten, der der kostbarste war und halb zum Schlaf, halb zum Wachen gehörte, ein Zustand, in dem ich es manchmal zu einer Art von vorsätzlichem, gesteuertem Träumen schaffte.“
Er schreibt darüber, wie sie sich als Kinder vor der Haut auf der Milch ekelten und wie sein Vater sie dann stumm mit der Gabel herausfischte. Oder wie er versuchte, sich den Schorf vom Knie zu puhlen. So lange, bis dann doch wieder Blut kam. Immer in der Angst, dass dann am nächsten Morgen ein roter Ring um die Stelle herum zusehen sein und ihn eine Blutvergiftung hinwegraffen wird. Für solche Fälle wünscht er sich unter dem Bolzplatz hinter dem Haus beerdigt zu werden. Es geht aber auch um Bücher. Es gab zwei Sorten davon im Haushalt. Die einen, bei denen er seine Geschwister beim Lesen stören durfte (die rote Reihe mit einem bestimmten Kommissar zum Beispiel). Diese wurde aus der Bibliothek ausgeliehen. Dann aber die anderen Bücher, bei denen eine Störung nicht erlaubt war und die auch in denen eigenen Buchregalen blieben. Das waren dann z.B. die russischen Romane.
Das letzte Kapitel handelt von einer schweren Erkrankung, die ihn einen ganzen Sommer lang ins Bett fesselte. Eine Lungenenzündung usw. ließ ihn schwitzend unter den Dekcen zurück, während deine Freunde draußen kickten. Seine deutlich älteren Schwestern betreuen ihn, lesen vor und spielen mit ihm; seine Mutter bekocht ihn mit dem Besten, was sie hat. Aber es kommt noch etwas Wichtiges hinzu:
„Denn etwas war in den zwei Jahren zuvor geschehen, das mein Leben veränderte und ihm die Richtung wies: Ich konnte lesen.“
Jetzt haben Sie den ersten und den letzten Satz dieses Buch gelesen und einen kleinen Überblick über die Seiten dazwischen bekommen. In der Leseprobe gibt das das komplette erste Kapitel (das mit dem Radio).
Leseprobe.