Montag

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Nachdem gestern Arno Schmidt Geburtstag hatte,
ist heute Edgar Allan Poe (* 1809) dran, den Schmidt übersetzt hat.
Gustav Meyrink * 1868
Max Tau * 1897
Patricia Highsmith * 1921
Julian Barnes * 1946
Judith Lennox * 1953
dürfen auch noch feiern.
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Claude Lévi-Strauss: „Traurige Tropen“
Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer
Mit einem Bildteil
Suhrkamp TB € 19,00

Ich verabscheue Reisen und Forschungsreisende. Trotzdem stehe ich im Begriff, über meine Expeditionen zu berichten. Doch wie lange hat es gedauert, bis ich mich dazu entschloss! Fünfzehn Jahre sind vergangen, seit ich Brasilien zum letzten Mal verließ, und in all diesen Jahren habe ich oft den Plan gefasst, dieses Buch zu schreiben; aber jedes Mal hat mich ein Gefühl der Scham oder des Überdrusses davon abgehalten.

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Ein langgehegter Wunsch ist nun endlich in Erfüllung gegangen. Ich habe „Traurige Tropen“ von Claudi Lévi-Strauss gelesen. Und zwar in der sehr schönen, lange vergriffenen Ausgabe mit den Gouachen von Mimmo Paladino, die ich in der Buchhandlung im Literaturhaus Stuttgart entdeckt und sofort mitgenommen habe. Vor vielen Jahren gab es einen Titel im Verlag Klett-Cotta mit dem Titel „Traumatische Tropen“, der mit sehr viel Witz über die Abenteuer eines Reisenden erzählte. Diese Titel-Hommage hat mich damals schon bewegt, dieses Buch zu lesen.
Es war in den letzten Wochen und Monaten mein täglicher Begleiter und gestern war es dann so weit, dass ich die letzten Seiten gelesen und sehr gestaunt habe.

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Die Welt hat ohne den Menschen begonnen, und sie wird ohne ihn enden. Die Institutionen, die Sitten und Gebräuche, die ich mein Leben lang gesammelt und zu verstehen versucht habe, sind die vergänglichen Blüten einer Schöpfung, der gegenüber sie keinen Sinn besitzen, es sei denn vielleicht den, dass sie es der Menschheit erlauben, ihre Rolle in dieser Schöpfung zu spielen.

Lévi-Strauss schrieb dieses Buch Mitte der 50er Jahre, lange, nachdem er seine Reisen im brasilianischen Urwald unternommen hatte. Er kam sich immer komisch dabei vor, darüber zu schreiben, was denn in den Reisekisten war, welche Abenteuer er erlebte usw. Zu viele Bücher in dieser Art gab es schon damals auf dem Markt. Und Dank der günstigen Flüge und der dadurch verkleinerten Welt, werden wir seit Jahren regelrecht überschwemmt von Reiseberichten aus fernen Ländern.
Lévy-Strauss geht es aber gerade nicht darum. Sein Bericht ist eben kein Abenteuerbuch. Die „Traurigen Tropen“ beinhalten im Titel schon, dass es hier um das Verschwinden von Kulturen geht. Seit Jahrhunderten werden diese Clans, die sich immer mehr in den Urwald zurückgezogen haben, immer weniger und sind vom Aussterben bedroht, wenn es nicht schon passiert ist. „Warum Denken traurig macht“ betitelte George Steiner eines seiner Bücher und genau da treffen wir auch bei Lévi-Strauss ins Schwarze. Darüber nachzudenken, was mit den Menschen passiert, Vergleiche zu ziehen, zwischen deren Kulturen und unseren westlichen, machen nicht nur dem Autoren zu denken.
Lévy-Strauss versuchte sich das Alltagsleben verschiedener Clans einzuleben. Er wohnte über Wochen mit ihnen, schrieb auf, was er entdeckte, archivierte als Enthnologe und hatte oft das Gefühl dabei, nicht richtig weit gekommen zu sein. Als er sein größtes Ziel erreicht hat, einen Stamm besuchen zu können, den noch nie ein Fremder entdeckt hat, ist er entäuscht, da es sich nicht als das große Ereignis herausstellt.
Lévy-Strauss‘ Buch ist ein Reisebericht, gespickt mit historischem Wissen und philosophischem Hintergrund. Der Autor berichtet nicht nur über seine Reisen nach Brasilien, sondern lässt immer wieder etwas aus seinen Erfahrungen in anderen Kulturkreisen einfließen, um das hier Erlebte besser einsortieren zukönnen.
Am Ende des Buches gelingt ihm ein Religionsvergleich, der aktueller nicht sein könnte. Buddhismus, Christentum und Islam hätten so viel von einander lernen können, haben diese Chance verpasst und das, was gerade in Paris passiert ist, und die Religionskriege in Syrien, Irak und die Kämpfe der IS, nimmt Lévi-Strauss mit einer hellseherischen Klarheit vorweg. Diese Kritik am Islam ist trotz seiner 60 Jahre, die sie auf dem Buckel hat, so etwas von aktuell, dass sich allein diese Seiten lohnen, einen Blick ins Buch zu werfen.
Das Ganze endet mit der persönlichsten aller Notizen, mit der melancholisch-zarten Erwägung einer „Chance“ für den Menschen und seine Gattung jenseits aller geschichtlich-gesellschaftlichen Korrumpierung Chance, die darin besteht, sein eigentliches Wesen zu erfassen „zum Beispiel bei der Betrachtung eines Minerals, schöner ist als alle unsere Werke; im Duft einer Lilie, die weiser ist als unsere Bücher; oder in dem Blick – schwer von Geduld, Heiterkeit und gegenseitigem Verzeihen –, den ein unwillkürliches Einverständnis zuweilen auszutauschen gestattet mit einer Katze.“

Die Menschen haben drei große religiöse Versuche unternommen, um sich vor der Verfolgung der Toten, der Boshaftigkeit des Jenseits und den Ängsten der Magie zu befreien. In einem Abstand von etwa einem halben Jahrtausend haben sie nacheinander den Buddhismus, das Christentum und den Islam konzipiert; und es fällt auf, daß jede dieser Etappen in bezug auf die vorherige keinen Fortschritt, sondern vielmehr einen Rückschritt bedeutet. Für den Buddhismus gibt es kein Jenseits; alles beschränkt sich auf eine radikale Kritik, deren sich die Menschen nie wieder fähig erweisen sollten und an deren Ende der Weise zu einer Verweigerung des Sinns aller Dinge und Wesen gelangt: einer Disziplin, die das Universum und sich selbst als Religion aufhebt. Das Christentum, von neuem der Angst nachgebend, stellt die andere Welt wieder her, ihre Hoffnungen, ihre Drohungen, und ihr Jüngstes Gericht. Dem Islam bleibt nichts mehr zu tun übrig, als daran anzuknüpfen: die zeitliche Welt und die geistige Welt sind vereint. Die soziale Ordnung schmückt sich mit dem Prestige der übernatürlichen Ordnung, die Politik wird zur Theologie.

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