Ein großer Almauftrieb für den Schweizer Autor. Und das ist gut so. Seit Jahren begleitet er uns in der Bücherwelt, bei Veranstaltungen und als Schullektüre. Heute wird er also 60 Jahre alt und ein Filmteam hat ihn über einen längeren Zeitraum, bei der Entstehung seines neuen Romanes, begleitet. Peter Stamm nutzt die Gelegenheit und vermischt Realität und Fiktion. Er baut genau dies in seinen Roman ein und lässt die junge Dokumentationsfilmerin Andrea auf den Schriftsteller Richard Wechsler (allein schon der Name) los. Ein gekonntes Verwirrspiel, wie wir es vonPeter Stamm kennen, beginnt und der Autor geht damit sehr spielerisch um. Also keine Nabelschau, keine Selbstbespiegelung, sondern eine Weiterführung des gegebenen Zustandes, in der er die Dokumentarfilmerin immer wieder in die Irre führt, Fallstricke auslegt und Vieles im Unklaren lässt. Eine gekonnt gute Unterhaltung, wie wir es von Peter Stamm kennen und dieses Mal mit viel Humor locker unterfüttert.
Gratulation, lieber Peter Stamm, zu dem neuen Roman, zu den 60 Jahren und alles Gute, nicht nur für das neue Lebensjahr. _________________________________________
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Wärmerekord in der Nordsee gemessen Der vergangene Sommer war für die Nordsee laut dem Bundesamt für Seeschifffahrt der heißeste seit 25 Jahren. Auch die Zahl der Sturmfluten bezeichnete das Amt in seinem Jahresrückblick als“ungewöhnlich hoch“. Für die Nordsee war der vergangene Sommer der wärmste seit 1997. Die Oberflächentemperaturen lagen insgesamt mehr als ein Grad über dem langjährigen Mittel, die der Ostsee großflächig sogar 1,5 Grad, wie das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg mitteilte. – Hitzewellen in Nord- und Ostsee – Sturmfluten haben zugenommen
Heute haben John Cowper Powys * 1872 Marina Zwetajewa * 1892 Andrei Donatowitsch Sinjawski * 1925 Hans Joachim Schädlich * 1935 _____________________________________
Georg Heym Der Herbst
Viele Drachen stehen in dem Winde, Tanzend in der weiten Lüfte Reich. Kinder stehn im Feld in dünnen Kleidern, Sommersprossig, und mit Stirnen bleich.
In dem Meer der goldnen Stoppeln segeln Kleine Schiffe, weiß und leicht erbaut, Und in Träumen seiner leichten Weite Sinkt der Himmel wolkenüberblaut.
Weit gerückt in unbewegter Ruhe Steht der Wald wie eine rote Stadt. Und des Herbstes goldne Flaggen hängen Von den höchsten Türmen schwer und matt. _______________________________________
Ende September erschienen:
Arno Schmidt: „KAFF auch MARE CRISIUM“ € 18,00 „Kühe in Halbtrauer“ € 18,00 „Schwarze Spiegel“ € 14,00 „Seelandschaft mit Pocahontas“ € 14,00
Kaum habe ich ein paar Zeilen aus der „Seelandschaft“ gelesen, merkte ich, wie großartig dieser Autor ist. Gerade seine schmalen Romane sind voller Witz und böser gesellschaftlicher Kritik. Kritik an der Politik der Adenauer Zeit, Beschreibungen einer postapokalytischen Welt, aber auch voller Zärtlichkeit und Poesie. Die Gespräche an der Kreissäge in „Kühe in Halbtrauer“ sind jedes Mal ein großes Lesevergnügen und zeigen Arno Schmidt als einen genauen Chronisten der deutschen Nachkriegszeit.
Heute haben Franz Blei * 1871 Arno Schmidt * 1914 Peter Stamm * 1963 Geburtstag ______________________________________
„Den Mond untergehen sehen, über Wieseneinsamkeiten, ganz rot würde das silberne Wesen geworden sein, wenn es einsank in Dunstband und Kiefernborte …“ Arno Schmidt _______________________________________
Mary Ruefle: „Mein Privatbesitz„ Aus dem Amerikanischen von Esther Kinsky Bibliothek Suhrkamp € 18,00
Mitte Februar erscheint ein neues Buch von Esther Kinsky. „Rombo“ beschreibt die Veränderungen nach zwei schweren Erdbeben im Friaul im Jahr 1976. Letzte Woche erschien „Mein Privatbesitz“, übersetzt von Esther Kinsky. Die amerikanische Autorin stand 2020 auf der Shortlist für den Pulitzer Preis und ihr jüngster Gedichtband war für den National Book Award nominert. „Mein Privatbesitz“ ist ihr erstes Buch auf deutsch. Kleine Prosastücke beinhaltet dieses Buch und es wundert schon, dass wir hier in Deutschland jetzt erst von dieser Autorin etwas zu lesen bekommen. Poiniert, schräg, philosophisch, genau betrachtet, mit viel Feingefühl, ja, so sind diese kurzen Texte. Immer wieder möchte ich einen Stift nehmen und Sätze unterstreichen. Eine junge Frau besucht zum ersten Mal in ihrem Leben ein klassisches Konzert und schläft mittendrin ein. Später bemerkt sie, dass es sich um Brahms ‚Wiegenlied‘ gehandelt hat – war sie vielleicht gar die einzige Person im Saal, die die Musik wirklich gehört hat? Aber diese Geschichte nimmt noch zwei weitere Wendungen. Fast meint man, dass diese wenigen Zeilen / Seiten ein kompletter Roman sind. So konzentriert und gekürzt erzählt uns Mary Ruefle Ereignisse, Gedanken ihrer Protagonist:innen. Ich bin gespannt, was als nächstes von Mary Ruefle auf deutsch erscheint.
Heute haben J.C.Powys * 1872 M.Zwetajewa * 1892 H.J.Schädlich * 1935 Geburtstag und es ist der Todestag con Natalia Ginzburg ______________________________________
Conrad Ferdinand Meyer Fülle
Genug ist nicht genug! Gepriesen werde Der Herbst! Kein Ast, der seiner Frucht entbehrte! Tief beugt sich mancher allzureich beschwerte, Der Apfel fällt mit dumpfem Laut zu Erde.
Genug ist nicht genug! Es lacht im Laube! Die saftge Pfirsche winkt dem durstgen Munde! Die trunknen Wespen summen in die Runde: „Genug ist nicht genug!“ um eine Traube.
Genug ist nicht genug! Mit vollen Zügen Schlürft Dichtergeist am Borne des Genusses, Das Herz, auch es bedarf des Überflusses, Genug kann nie und nimmermehr genügen! ____________________________________________
Gestern ausgepackt und sehr begeistert:
Nicolas Mahler: „Schwarze Spiegel„ nach Arno Schmidt Suhrkamp Verlag € 24,00
Dieser Nicolas Mahler stetzt seine Idee fort, Weltliteratur in seiner Art von Graphic Novel umzusetzen. Seine beiden letzten Bücher habe ich hier auf dem Blog vorgestellt: „Thomas Bernhard. Die unkorrekte Biographie“ und „Nachtgestalten“ zusammen mit Jaroslov Rudis. Daneben hat er aber auch „Ulysses“, Bernhards „Alte Meister“, „Kant“, Proust, Wedekind, Musil und vieles andere illustriert. So großartig, wie er aus Schmidts 80-seitiger Erzählung/Kurzroman seine Ideen herauszieht, seine Ideen zeichnerisch umsetzt und doch sehr nah an der Geschichte bleibt. Wieder ist es ein Einzelgänger, der auf dem Fahrrad durch eine menschenleere Landschaft radelt. Arno Schmidts Situation nach einem Atombombenabwurf in den 60er Jahren in Deutschland, ist ideal für Mahlers Art zu zeichnen. Ein paar wenige Striche und ein kurzer Textauszug dazu. Genial, wie er das macht. Das hatte natürlich zur Folge, dass ich gestern abend Jonathan Franzen „Crossroads“ zur Seite gelegt habe und eine alte Schmidt Ausgabe von „Scharze Spiegel“ herausgezogen und mit großem Genuß darin gelesen habe.
Ich geh‘ in einen Winterwald hinein, der Winterwald muss voller Wunder sein.
Die Tannen stehen enge angeschmiegt, soweit das Land in tiefer Schneelast liegt.
Und keine Spuren gehen durch den Wald als vom Getier – und die verwehen bald.
Und manchmal ist ein Seufzen in den Bäumen, wie Kinder seufzen unter tiefen Träumen.
Der Schnee liegt weiß, so weit ich wandern will; Da werden alle Menschenwünsche still. _________________________________________
Gestern frisch eingetrudelt:
Georg Patzer: „Arno Schmidt und Ulm“ Spuren 121 Deutsche Schillergesellschaft € 4,50
Ein kleines Heftchen mit 16 Seiten über eine kleine Geschichte, die schon so oft erzählt worden ist. Fast wäre Arno Schmidt an der HfG angestellt worden. Aus vielen Gründen hat dies allerdings nicht geklappt. Schmidt war auf der Flucht in ein anderes Bundesland, da er ein Gerichtsverfahren in Trier am Hals hatte. Kein Geld, keine großen Perspektiven. Dann der Ruf nach Ulm. Aber die Chemie stimmte nicht. Ein paar Jahre später bekommt er nochmals ein Angebot, das er erneut ablehnt. Es hätte wohl auch nicht gepasst. Sehr fein gestaltet, mit vielen Fotos, macht diese kleine Arbeit von Georg Patzer viel Vergnügen. Demnächst soll noch etwas zu diesem Thema erscheinen. Ich bin gespannt.
Vor ein paar Wochen erschien dieses Lesebuch:
„Arno Schmidts Zettel’s Traum“ Herausgegeben von Bernd Rauschenbach. Mit einführenden Texten von Susanne Fischer. Eine Edition der Arno Schmidt Stiftung im Suhrkamp Verlag. Gestaltung und Satz Friedrich Forssman Suhrkamp Verlag € 25,00
Zettel’s Traum – ein großformatiges Buch mit 1300 Seiten und 10 Kilo Gewicht. Alle kennen wir es. Aber wer hat es gelesen? Innerhalb von 50 Jahren wurde es immerhin 25.000 Mal verkauft. Bernd Rauschenbach hat hier eine Best-Of Version zusammengestellt und führt uns durch die einzelnen Kapitel dieses Mythos-Werkes. Spannend auch, dass wir hier nicht in drei Spalten lesen, sondern in einer leicht lesbaren Form. Ja, es stimmt, durch die Einführungstexte von Susanne Fischer, bekommt man Lust, wieder reinzublättern. Das Format (als größeres Taschenbuch mit Fadenheftung) lässt sich überall mitnehmen. Hier also die Möglichkeit, aus einem „unlesbaren“ Buch eine spannende Lektüre zu machen.
Heute haben Franz Blei * 1871 Arno Schmidt * 1914 Peter Stamm * 1963 Geburtstag
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Zu lieben mag wohl eine Lust sein, aber ein Vergnügen ist es nie: genauso wie das Leben. Franz Blei
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Heute gibt es gleich zwei Geburtstagskinder, die mit unserer Buchhandlung verbunden sind.
Den Mond untergehen sehen, über Wieseneinsamkeiten, ganz rot würde das silberne Wesen geworden sein, wenn es einsank in Dunstband und Kiefernborte … Arno Schmidt
Als »musivisch« oder löcherig bezeichnete Arno Schmidt unsere Wahrnehmung der Gegenwart. Er entwickelte in seiner frühen Prosa eine Erzähltechnik, die diesem Umstand gerecht werden sollte: Seine Romane setzen sich aus einer Kette von signifikanten Momentaufnahmen zusammen. In Brand’s Haide, Schwarze Spiegel, Aus dem Leben eines Fauns, Das steinerne Herz und Die Gelehrtenrepublik entsteht so ein plastisches Erzählen, das unmittelbar auf den Leser wirkt. Der Autor selbst erläutert diese Schreibtechnik so:
[…] man rufe sich am Abend den vergangenen Tag zurück, also die »jüngste Vergangenheit« (die auch getrost noch als »älteste Gegenwart« definiert werden könnte): hat man das Gefühl eines »epischen Flusses« der Ereignisse? Eines Kontinuums überhaupt? Es gibt diesen epischen Fluß, auch der Gegenwart, gar nicht; Jeder vergleiche sein eigenes beschädigtes Tagesmosaik! Die Ereignisse unseres Lebens springen vielmehr. Auf dem Bindfaden der Bedeutungslosigkeit, der allgegenwärtigen langen Weile, ist die Perlenkette kleiner Erlebniseinheiten, innerer und äußerer, aufgereiht. Von Mitternacht zu Mitternacht ist gar nicht »1 Tag«, sondern »1440 Minuten« (und von diesen wiederum sind höchstens 50 belangvoll!). Aus dieser porösen Struktur auch unserer Gegenwartsempfindung ergibt sich ein löcheriges Dasein –: seine Wiedergabe vermittels eines entsprechenden literarischen Verfahrens war seinerzeit für mich der Anlaß zum Beginn einer weiteren Versuchsreihe (Typ Brand’s=Haide=Trilogie). Der Sinn dieser »zweiten« Form ist also, an die Stelle der früher beliebten Fiktion der »fortlaufenden Handlung«, ein der menschlichen Erlebnisweise gerechter werdendes, zwar magereres aber trainierteres, Prosagefüge zu setzen. (Ich warne besonders vor der Überheblichkeit, die hier vielleicht das dem Bürger naheliegende schnelle Wort von einem »Zerfall« sprechen möchte; ich stelle vielmehr meiner Ansicht nach durch meine präzisen, »erbarmungslosen«, Techniken unseren mangelhaften Sinnesapparat wieder an die richtige ihm gebührende biologische Stelle. Gewiß geht dabei der liebenswürdige Wahn von einem singulären überlegenen »Abbilde Gottes« wiederum einmal mehr in die Brüche; die holde Täuschung eines pausenlosen, »tüchtigen«, Lebens, (wie sie etwa Goethe in seinen Gesprächen mit Eckermann so unangenehm geschäftig zur Schau trägt) wird der Wirklichkeit überhaupt nicht gerecht. Eben dafür, daß unser Gedächtnis, ein mitleidiges Sieb, so Vieles durchfallen läßt, ist meine Prosa der sparsam=reinliche Ausdruck.)
Heute haben Johanna Spyri * 1827 Djuna Barnes * 1892 HC Artmann * 1921 Henry Slesar * 1927 Anne Frank * 1929 Christoph Meckel * 1935 Regula Venske * 1953 Wolfgang Herrndorf * 1965 Geburtstag
Heute wäre Wolfgang Herrndorf 50 Jahre alt geworden, hätte er sich nicht am 26.August 2013 umgebracht. Mehr zu seinem Leben können Sie beiWikipedianachlesen. Gerade rechtzeitig hat der Rowohlt Verlag eine Gesamtausgabe seiner literarischen Werke in drei Leinenbänden im Schuber herausgebracht.
Wolfgang Herrndorf: „Gesamtausgabe“ Rowohlt Verlag € 49,95 Leseprobe
Damit würdigt sein Verlag ihn als Großen seines Hauses und als Wichtigen in der deutschen Literatur. Richtig so. Wir kennen ihn seit „tschick“, das in sehr vielen Schulen gelesen und an ganz vielen Bühnen gespielt wird. So auch am Akademie Theater Ulm. Danach kam „Sand“, für das er den Preis der Leipziger Buchmesse erhalten hat. Posthum erschien sein Blog in gedruckter Form „Arbeit und Struktur“ und sein Fragment gebliebener Roman „Bilder einer großen Liebe“. Vorstellen möchte ich heute das Hörbuch von „Sand“.
810 Minuten auf 11 CDs für € 29,95 oder auf 2 MP3-CDs für € 16,95
Stefan Kaminski liest diesen Roman, der deutlich länger und komplexer als all seine anderen Texte ist, so genial, das ich aus dem Staunen nicht herausgekommen bin. Viele LeserInnen, die sich an „Sand“ versucht haben, sind gescheitert (auch ich), haben mehrfach den Faden verloren, schätzen den Roman zwar sehr hoch, können ihn aber nicht wiedergeben. Stefan Kaminski schafft es nun mit seiner Stimme und seinen verschiedenen Tempi den einzelnen Personen ein Gesicht zugeben, die Strukturen der kurzen Kapitel zu ordnen. Endlich erkennen wir die vielen Menschen, die auftreten (hauptsächlich zu Beginn) und können sie später noch zuordnen. Der Sprecher schafft eine großartige Atmosphäre. Und dies passt natürlich auch zu Herrndorfs Roman, der wie ein Film angelegt ist. Herrndorf hat in der Zitatenkiste gewühlt und nicht nur für jedes Kapitel eines gefunden, sondern auch verschiedene literarische und filmische Muster benutzt. Politthriller, Liebesgeschichte, Afrika-Wüsten-Roman, James Bond-Persiflage und vieles mehr hat er hier verwurstelt und doch scheint bei allem seine eigene Stimme durch. Man merkt fast in jeder Zeile Herrndorfs großes literarisches Wissen. Er hat seine Klassiker alle gelesen. Egal aus welchem Bereich auch kommend. Und dazu perlen seine Wortspiele, seine genialen Dialoge, seine unglaublichen, verrückten Ideen und machen dieses Buch zu einem wirklichen Meisterwerk. Wenn es also ein Hörbuch gibt, dass „besser“ als die gedruckte Version ist, dann haben wir hier ein Beispiel. Lassen Sie sich berauschen von Stefan Kaminskis Können und lassen Sie sich fallen in diesen Agenten- und Spionageroman, in dem die Charaktere schablonenhaft festgelegt sind (die Amis foltern, die Afrikaner sind faul, die Europärer sind arrogant, …), in dem sich Herrndorf so richtig ausgetobt hat.
Stefan Kaminski wurde für seine herausragende Arbeit als Hörbuchsprecher u. a. mit dem Deutschen Hörbuchpreis und dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. In seinem Live-HörSpiel-TheaterKaminski ON AIRschlüpft er fließend in alle Rollen und verleiht Filmklassikern, Theater- und Opernstoffen ein neues Gewand.
Gestern abend lasen Susanne Fischer und Bernd Rauschenbach, im Rahmen der Literaturwoche, aus den Briefen von Arno Schmidt. In einem vollen und sehr warmen Laden durften wir in den Kosmos des Schriftstellers aus der Heide eintauchen und immer wieder herzlich lachen. Heute liest Bernd Rauschenbach eigene Texte aus seinem Buch „Applausordnung“. Der Mensch ist das Tier, das auftritt. Der Mensch verstellt sich – und entblößt sich dabei. Immer aber spielt er eine Rolle, die nach Applaus verlangt.
Heute haben Ben Jonson * 1572 William Styron * 1925 Diana Kempff * 1945 Richard Pietraß *1946 Geburtstag
Buchtipp:
Anke Stelling: „Bodentiefe Fenster“ Verbrecher Verlag € 19,00 auch als eBook erhältlich
Nicht nur, weil Jörg Sundermeier am kommenden Montag seinen Verbrecher Verlag vorstellen wird (zusammen mit Stefan Weidle, mit seinem gleichnamigen Verlag. 19:30 Botanischer Garten, Ulm), in dem dieses Buch erschienen ist, taucht der dritte Roman von Anke Stelling hier auf unserem Blog auf. Aber es ist eine passende Gelegenheit dafür, dieses Buch zu loben. Und ausserdem passt er so gut zum vorgestellten Roman „Die Glücklichen“ von Kristine Bilkau und dem in der Südwestpresse hochgehaltenen Roman „Altes Land“ von Dörte Hansen. Diesmal allerdings nicht Hamburg und das dazupassende Szeneviertel, sondern gleich so richtig mittemang Prenzlauer Berg in Berlin. Anke Stelling, 1971 in Ulm geboren, wohnt dort und hat wieder einmal sehr genau hingeschaut und ihre Eindrücke auf faszinierende Weise wiedergegeben. Ist „Altes Land“ in seinen Beschreibungen zum Schreien komisch (zumindest auf den ersten Blick), sind die „Glücklichen“ deutlich ernster, melancholisch und liebenswert warmherzig. „Bodentiefe Fenster“ geht noch einen Schritt weiter. Allein schon das Wort „bodentief“ erinnert an „bodenlos“ und lässt einige Assoziationen zu und dazu noch der Ausblick (in die Zukunft) durch die Fenster. Sandra ist 40 Jahre, hat zwei Kinder und lebt mit ihrem Mann in einem selbstverwalteten Haus mit vielen Familien und Kindern, mit alten und jungen Mitbewohnern. Über allem hängen die Ideale, die die Eltern sehr hochgehängt haben und denen die 40jährigen Kindern immer noch nachhängen, oder versuchen, zu erreichen, aber sich nicht getrauen, sie abzuhängen. Was ist mit den Patchwork-Paaren, die sich per Handy von einem zum anderen Zimmer unterhalten und Informationen austauschen? Oder die Kinderfeste mit ihren vielen Ritualen, bei denen alles zum Wohl der Kleinen gestaltet wird?Ist da nicht sehr viel warme Luft in den vielen Gesprächen zwischen den Mietern, Freunden und anderen Eltern? Wann wird die Wahrheit gesagt und wann wird um den heissen Brei herumgeredet, um sich selbst in ein besseres Licht zu stellen? Anke Stelling macht diesen weltoffenen und doch sehr einengenden Familien- und Beziehungsalltag mit ihren bodentiefen Fenstern durchsichtig und Sandra extrem dünnhäutig. In schöner Sprache und mit viel Ironie erzählt Anke Stelling von den Hoffnungen, Kämpfen und Widersprüchlichkeiten des Mutterdaseins im linksliberalen Milieu und lauernden Abgründe. Trotz der vielen (ganz kleinen) tragischen Momenten hat dieses tolle Buch ein ganz besonderes Ende. Ein Ende voller Hoffung.
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»So! : ich hätte’s wieder mal überlebt. … Das Ergebnis? Je nun; ich bin da realistisch … Besseres, als ich bereits vorgelegt habe, werde ich wohl nicht mehr vermögen.« So Arno Schmidt an seinen Schriftstellerkollegen Hans Wollschläger nach Abschluss der Arbeit am Roman Kaff auch Mare Crisium. Überraschend offen äußert sich der einzelgängerische Autor seinen wenigen Freunden gegenüber, spitz und oftmals geradezu maliziös sind seine Formulierungen, wenn er sich etwa an seinen Verleger Ernst Krawehl wendet. Doch welchen Ton er auch anschlägt, immer schon wusste er um sein »großes Talent, Briefe zu schreiben«.
Heute abend um 19:30 (und nicht wie auf dieser Seite und den Jastramhandzettel zu sehen war um 19:00) lesen Susanne Fischer und Bernd Rauschenbach aus den Briefen von Arno Schmidt. Der Eintritt ist frei.
Morgen, Freitag, auch um 19:30 liest Bernd Rauschenbach aus seinem Buch mit Erzählungen „Applausordnung“. Weitere Termine der Literaturwoche finden Siehier.
Heute haben Charles Reade * 1814 Marguerite Yourcenar *1903 Sara Paretsky * 1947 Lutz Seiler * 1963 Geburtstag
Werner Färbers wöchentliche UNGEREIMTHEIT DER WOCHE (Reihe: Der abgeschlossene Kurzkrimi)
ENDE ALLER PLAGEN – 46
Auf dem Einkaufszettel hatte er ihr notiert in schöner Schrift: Eine Falle für die Ratte und eine Packung Rattengift zwecks Beendigung der Plagen. Als er das Gift verabreicht hatte, hörte sie ihn grad‘ noch sagen: „Die Falle ist dann für die Ratte.
UNGEREIMTHEIT DER WOCHE (aus: UNGEREIMTHEITEN VON A-Z-A 2015 Kalender)
DER XIAOSAURUS
Zur Kreidezeit warb irgendwann ein starker Xiaosaurus-Mann mit einer fürchterlichen Schau um eine Xiaosaurus-Frau.
Er hat vergeblich sie umworben. Deshalb sind sie ausgestorben.
Morgen beginnt die Literaturwoche Ulm mit der literarischen Allzweckwaffe
Tex Rubinowitz. Wir sind gespannt, was uns an dem Abend alles erwartet.
Dienstag, 09. Juni um 19:30 Uhr Eröffnung der Literaturwoche Ulm 2015 mit Autor und Zeichner Tex Rubinowitz Ort: Museumsgesellschaft Ulm, Neue Straße 85, 89073 Ulm Eintritt frei
2014 war der Autor, Satiriker und Karikaturist TEX RUBINOWITZ der überraschende Sieger des renommierten Klagenfurter Bachmannpreises mit seinem Text „Wir waren niemals hier“. Seine satirisch-eigenwillige Art des Erzählens lernen wir an diesem Abend kennen. Rubinowitz stellt seinen neuen Roman „Irma“ vor. An diesem Abend sind auch erstmals seine Zeichnungen zu sehen, die als Ausstellung ab dem 11. Juni im Foyer der Stadtbibliothek Ulm zu sehen sind.
Weiter geht es am Donnerstag, 11.Juni um 19:30 Uhr bei uns in der Buchhandlung. „Und nun auf, zum Postauto!“ Ein Abend für Arno Schmidt
mit Bernd Rauschenbach und Susanne Fischer Eintritt frei
Arno Schmidt war der geniale eigenbrötlerische Solitär der deutschen Literatur nach 1945. Sprachgewaltig und innovativ ist sein Werk. Der geschäftsführende Vorstand der Arno-Schmidt-Stiftung , Bernd Rauschenbach, sowie Susanne Fischer (Geschäftsführung, Editionen) lesen an diesem Abend aus seinen Briefen „Und nun auf, zum Postauto!“
»So! : ich hätte’s wieder mal überlebt. … Das Ergebnis? Je nun; ich bin da realistisch … Besseres, als ich bereits vorgelegt habe, werde ich wohl nicht mehr vermögen.« So Arno Schmidt an seinen Schriftstellerkollegen Hans Wollschläger nach Abschluss der Arbeit am Roman Kaff auch Mare Crisium. Überraschend offen äußert sich der einzelgängerische Autor seinen wenigen Freunden gegenüber, spitz und oftmals geradezu maliziös sind seine Formulierungen, wenn er sich etwa an seinen Verleger Ernst Krawehl wendet. Doch welchen Ton er auch anschlägt, immer schon wusste er um sein »großes Talent, Briefe zu schreiben«.
Mehr als 150 Briefe Arno Schmidts versammelt dieser Band, die meisten davon bislang unpubliziert. Unter den Empfängern finden sich Mutter und Schwester, Kriegs- und Schulkameraden, Verleger und Autoren. Die Korrespondenz gibt pointiert formulierte Einblicke in den entbehrungsreichen und ungeheuer disziplinierten Alltag und dient dabei immer auch der Selbstvergewisserung als Schriftsteller: Arno Schmidt erzählt in seinen Briefen anschaulich und witzig vom Leben und vom Schreiben.
Gleich am nächsten Tag, Freitag, 12. Juni um 19:30 Uhr liest Bernd Rauschenbach aus seinem Band mit Erzählungen „Applausordnung. 15 Auftritte“ Ort: Kulturbuchhandlung Jastram Eintritt frei
Der Mensch ist das Tier, das auftritt. Ob im Theater, im Fernsehen, im Radio, in Gesprächen mit Fremden, im Umgang mit Freunden, in Biergärten, Delphinshows, ja selbst im Traum: Der Mensch verstellt sich – und entblößt sich dabei. Immer aber spielt er eine Rolle, die nach Applaus verlangt.
Bernd Rauschenbach ist nicht nur Leiter der Arno-Schmidt-Stiftung in Bargfeld. Rauschenbach tritt als Rezitator auf und las zahlreiche Hörbuch-CDs ein, etwa zu Arno Schmidt, Kurt Schwitters, Ethan Coen, Josipovic und Grimms Märchen. Neben Arno Schmidts Werken edierte Rauschenbach auch sämtliche Gedichte von Peter Rühmkorf und veröffentlichte zahlreiche literarische Texte und Essays sowie Theaterstücke.
Am Sonntag, den 14. Juni ab 19:30 dann Hanna Münch und Heike Sauer mit ihrem Programm „Gute Aussicht„, woraus sie einen Teil bei uns in der Buchhandlung vorgestellt hatten.
Café Schneiderei, Schillerstraße 1/4, 89077 Ulm
Eintritt: 6 / 4 €
Heute haben Detlev von Liliencron * 1844 Martin Gregor-Dellin * 1926 Allen Ginsberg * 1926 Monika Maron * 1941 Philippe Djian * 1949 Norbert Gstrein * 1961 Geburtstag. Es ist der Todestag von Franz Kafka und Arno Schmidt
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„Zweifellos ist in mir die Gier nach Büchern. Nicht eigentlich sie zu besitzen oder zu lesen, als vielmehr sie zu sehen, mich in der Auslage eines Buchhändlers von ihrem Bestand zu überzeugen.“ Franz Kafka., aus: Tagebücher, 11.11.1911
„Und was heißt schon New York? Großstadt ist Großstadt; ich war oft genug in Hannover.“ Arno Schmidt
Am Donnerstag, den 11.Juni lesen Susanne Fischer und Bernd Rauschenbach aus den Briefen von Arno Schmidt, die unter dem Titel „Und nun auf, zum Postauto!!“ bei Suhrkamp erschienen sind. Beginn ist 19:30. Der Eintritt ist frei.
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Buchtipp des Tages:
Jakob Straub: „Roma Rotunda“
Text von Mark Gisbourne
Deutsch, Englisch
96 Seiten, 37 Abb.
19,50 x 38,50 cm
gebunden, Leporello
Verlag Hatje Cantz € 45,00
Ja, Sie haben richtig gelesen. Es ist ein Leporello. Und was für eins. 18 Meter (in Worten: achtzehn) lang ist dieses Buchkunstwerk und verneigt sich somit in voller Länge vor den 36 Kuppeln in Rom, bei denen wir uns normalerweise fast die Halswirbel ausrenken, wenn wir sie anschauen wollen.
(Bildrechte: Hatje Cantz)
Der Berliner Grafikdesigner und Fotograf Jakob Straub (*1975) reiste in den letzten Jahren immer wieder nach Rom, um mit seiner analogen Mittelformatkamera Kuppeln im Innern von Kirchen und Profanbauten zu fotografieren. Dabei interessierte ihn nicht unbedingt die Kirchengeschichte, sondern betrachtete diese Formen und Farben nach architektonischen und ästhetischen Gesichtspunkten. Wie Mandalas, wie Blumenbilder, Kristalle liegen diese Kuppelbilder vor uns und wir stauen über die Symetrie, die Struktur und die Farbgebung, als wären es Gemälde und keine dreidimensionalen Kuppeln. Diese Himmel lassen uns stauen, genauso wie Marco Lodoli u.a. in seinen „Insel in Rom“ schreibt. Er beschreibt die Scheinkuppel in Sant Ignazio und meint, dass so eine Kuppel, die gar keine ist, jeden Rombesucher umhaut. Und so ähnlich geht es uns auch mit diesen fotografierten Kuppeln. Schöner ist es wahrscheinlich nur, wenn wir direkt vor Ort sind. Aber da heisst es erstmal suchen und finden und auf geeignete Öffnungszeiten hoffen (was nicht so einfach sein dürfte). Hier liegen diese Kunstwerke vor ihnen und das Blättern in einem so langen Leporello hat ein ganz eigene Aussagekraft.