Heute haben
Octavio Paz * 1914 (100.Geburtstag)
John Robert Fowles * 1926
Geburtstag
und es sind die Todestage von
John Donne (1631)
Charlotte Bronte (1855)
Christian Morgenstern (1914. 100.Todestag)
Egon Erwin Kisch (1948)
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Das ist doch das Schöne am Lesen von Romanen. Umso mehr man um sich herumsammelt (im Kopf, nicht unbedingt im Regal), umso mehr Verknüpfungen gibt es.
Am Samstag stellte ich Volker Weidermanns Buch „Ostende“ vor, in dem unter anderem Irmgard Keun (als Freundin von Joseph Roth) eine wichtige Rolle spielt. Ich habe mir dann sofort eines ihrer Bücher besorgt (s.u.), in dem dann eine Straße in Köln vorkommt, in der mein Sohn heute lebt. Nach dieser Lektüre kam gestern nachmittag Szczepan Twardoch: „Morphin“ dran, das im selben Jahr 1937 spielt, als Keuns Roman „Nach Mitternacht“ herauskam. Allerings spielt er in Polen, hat aber viele gleiche Themen. Nicht zu vergessen, dass unser Besteller im Laden („Der Trafikant“) auch um dieses Jahr herum in Wien spielt und den gleichen Hintergrund hat.
Dann ist heute der Todestag von Egon Erwin Kisch, der natürlich mit Zweig, Roth und Keun in Ostende sitzt und redet und trinkt.
Abends dann noch Ruth Ozekis neuen Roman: „Geschichte für einen Augenblick“ angefangen. Da taucht öfter der Name Marcel Proust und seine Suche nach der verlorenen Zeit auf, den ich gerade als Hörbuch höre und Ruth Ozekis Mann, der im Roman, genau wie sie selbst, auftaucht kommt aus Stuttgart. Beide leben aber auf einer kanadischen Insel.
Vielleicht alles etwas weit hergeholt, diese Bezüge; trotzdem lassen sie für mich ein besondere Nähe zu den Büchern entstehen.

Irmgard Keun: „Nach Mitternacht„
List Taschenbuch € 9,99

Was für ein Romananfang! Ich kannte bisher noch keine Zeile von Irmgard Keun, habe über den „Ostende“-Roman etwas über sie erfahren und danach noch über sie nachgelesen. Aber so einen Start hatte ich nun gar nicht erwartet.

Der Roman spielt in Frankfurt und Köln zwischen den Jahren 1933 und 1935. Die Nazis kommen an die Macht und alle Menschen, die nicht in deren Denkweise passen, haben darunter schwer zu leiden. So auch die (am Anfang) 16jähre Sanne, die von zu Hause nach Köln zu ihrer Tante zieht. Von ihr soll sie monatlich Geld bekommen, das sie aber in kostenloses wohnen verwandelt. Zwei Jahre lang lebt sie bei der nazibegeisterten Tante und verlobt sich gegen Ende mit deren Sohn Franz. Das ist der Tante zu viel und sie verleumdet sie bei der Gestapo. Nach einer Nacht mit Verhören kommt Sanne wieder frei. Als Sanne und Franz gemeinsam einen Zigarettenladen eröffnen wollen und sie nach langem Sparen tatsächlich einen Raum plus Wohnung, plus Einrichtung und guten Verbindungen zu Händlern haben, kippt die Gesichte wiederum durch Denunziation. Was dann auch dem Roman den Titel gibt.
Das ist in Kurzform der inhaltliche Rahmen des schmalen Romans. Irmgard Keun hatte mit ihrem Roman „Das kunstseidene Mädchen“ als sehr junge Frau einen großen Erfolg und schildert in diesem Roman hier den Alltag im Nazideutschland. So direkt und frech, wie sie das schreibt, wundert es mich nicht, dass ihre Bücher verboten wurden und sie ins Exil gehen musste.

Dieses Leben in den Kneipen, auf Parties, das Zusammenleben von Intellektuellen, die keine Anstellung mehr haben und statt bei der Tageszeitung als Redakteuer zu arbeiten, sich mit Singen zur Gitarre über Wasser halten, macht deutlich, auf welchem schmalen Grat diese Menschen damals gelebt haben. Immer im Hinterkopf, dass am Nachbartisch jemand sitzt, der plaudert. Auch das Miteinander mit jüdischen Freunden wird zur täglichen Gefahr. Aber Keun dreht den Spieß um und schreibt fast satirische Szenen, wie zum Beispiel mit dem „Stürmermann“, auf Grund der intensiven Lektüre des „Stürmers“ ganz wild auf Ahnenforschung ist und in der Kneipe eine Wünscherute auspackt, mit der er Juden erkennen kann. Nun sitzt neben Sanna tatsächlich ein Jude, dem es ganz anders wird. Sanne dreht die Schraube aber noch weiter, als der Stürmermann erklärt, dass er im Sternzeichen des Löwen geboren und dass das etwas ganz beonderes sei; sie erzählt nämlich, dass der Herr neben ihr auch im selben Sternzeichen geboren wurde. Es kommt also zu einer Verbüderung des dumpfen Nazis mit dem eingeschüchterten Juden und Keun pervertiert diese ganze Nazidenke innerhalb weniger Zeilen.

Irmgard Keun zeigt in ihrer schnoddrigen Art zu schreiben, in ihrer leichten Art die ganze Grausamkeit des aufkeimden Nazideutschlands. Sie schreibt über den unmöglichen Widerstand des Einzelnen gegen das Regime, das große Unterstützung in der Bevölkerung hat.
Ein großes Lesevergnügen und eine wirkliche Bereicherung in meinem Lesekanon.
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Nicht vergessen:
Morgen, Dienstag um 19 Uhr stellen wir wieder vier Romane vor.
Es liest Clemens Grote.
Der Eintritt ist wie immer kostenlos.
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jastram.tumbl.com
und
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