Dienstag, 16.Februar

Heute haben
Joseph Victor von Scheffel * 1826
Nikolai Leskow * 1831
Alfred Kolleritsch * 1931
Aharon Appelfeld * 1932
Richard Ford * 1944
Ian Banks * 1954
Geburtstag
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Winfried Hermann Bauer
Frühes Licht

Noch sitzt mir die Angst des Winter
In den Knochen
Ich habe Heimweh nach Licht
Und träume Erwachen

Mein Blick lechzt nach
Schmelzwasser,
das zärtlich über
Glitzernde Kiesel leckt

Göttergroß und voller Leben
Will ich nicht warten und
Fliege hoch
Über die brachliegenden Felder
Bis der beißende Frost meine Träume stellt
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Claudia Durastanti: Die Fremde
Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki
Zsolnay Verlag € 24,00

„Claudia Durastantis Roman ist eine Rettungsboje in den dunklen Gewässern der Erinnerung.“
Ocean Vuong
Die Werke von Ocean Vuong werden von Claudia Durastanti ins Italienische übersetzt.

Ich war verwundert, als das knallrote Buch in einer Hanser-Kiste aufgetaucht ist. Ich hatte keine Ahnung mehr, warum ich das Buch bestellt habe. Ein Grund mehr, gleich das Buch mit nach Hause zu nehmen. Und das war wirklich eine Entdeckung. Vom ersten Satz, von den ersten beiden Abschnitten, hat mich das Buch gepackt. Die Art wie Claudia Durastanti schreibt, wie sie herausfordert mit gleich zwei Varianten, wie sich ihre Eltern getroffen haben. Genial.
Die Basilikata, Brooklyn und London sind die Schausplätze des Romans (ist es ein Roman?). Von Süditalien wandern die Großeltern nach Brooklyn aus. Die Eltern ziehen mit ihren Kindern nach. Und so beginnt ein hinundher zwischen den Kontinenten für die kleine Claudia.
Sie wächst auf im Spannungsfeld von Armut, Hoffnungen, Enttäuschungen und (natürlich sehr wichtig) der Tatsache, dass ihre Eltern beide taub sind. Das Verhältnis zwischen ihren Eltern, das Fremdsein in Brooklyn und in Italien, in der Schule und bei ihren Freundinnen, bestimmen den Text in allen Facetten. Mal als Bericht, als Anekdote, aber auch als Essay und Gedanke, mäandert die Autorin durch ihre Kindheit bis ins Erwachsenwerden. Auch eine Umsiedelung nach London bringt keine Ruhe in ihr Leben.

Ich war und bin begeistert von diesem Buch und erstaunt und erfreut, wie die Presse auf sie reagiert. Das Literarische Quartett hat das Buch in seiner nächsten Sendung. Sie ist auf Literaturhaus-Tour durch Deutschland. U.a. auch in Stuttgart, wo Sie sich online zuschalten können.

Schnappen Sie sich das Buch, es lohnt sich.

Die 5 Fragen auf der Hanser-Seite:

Frau Durastanti, wenn man Ihren Roman Die Fremde gelesen hat, hat man das Gefühl, Sie zu kennen, Ihre Familie, Ihren Background, Ihre gehörlosen, sehr speziellen Eltern, Ihren Bruder, Ihre Erfahrungen in Amerika und in Europa. Ist Ihre Geschichte eine, über die eine Schriftstellerin irgendwann im Leben schreiben muss?
Ich glaube, ob ein Schriftsteller eine persönliche Geschichte irgendwann tatsächlich schreibt, hängt davon ab, wie lange sie oder er sich dagegen auflehnt: Mein Gefühl sagt mir, je länger du dieses Projekt ablehnst, je länger du einen inneren Widerstand dagegen aufbaust, desto länger bleibst du der eigenen Mythenbildung gegenüber skeptisch und desto eher hat ein solches Buch eine Chance zu entstehen, wenn es deinem Widerstand mit gleicher Kraft entgegentreten kann. Die besten autobiografischen Geschichten in der Literatur sind für mich jene, die nie geschrieben hätten werden sollen. Ich spreche nicht von Reue oder Enthüllung oder Angst, es geht mir eher um die Form: Wenn du sie über lange Zeit hindurch aufbaust, dann werden sie auf die eine oder andere Art irgendwann explodieren. Und deshalb sind das Projekte für einmal im Leben.

Ihr Schreiben wird oft als sehr amerikanisch bezeichnet. Verstehen Sie das, ist das so? Gibt es Autorinnen und Autoren, die Sie speziell bewundern?
Ich stimme dem nur bis zu einem gewissen Grad zu, da ich auf Englisch nie richtig schreiben gelernt habe; meine amerikanische Sprache ist vor allem eine mündliche, in sehr privaten Kontexten gebrauchte und dann später im Leben eine täglich benutzte. Aber ich habe als Teenager Tonnen von amerikanischer Literatur gelesen, hauptsächlich in Übersetzung. Deshalb verdanke ich so ziemlich alles Übersetzern wie Fernanda Pivano, Elio Vittorini und Cesare Pavese. Ihr gabt mir die Möglichkeit Francis Scott Fitzgerald, Jack Kerouack und John Steinbeck zu lesen! Und mein Stil ergibt sich aus diesem Dazwischen der Übersetzung. Ich liebe amerikanische Literatur nach wie vor, aber ich denke, alles was ihretwegen bei mir geschehen ist, endete vor vielen Jahren, als ich „Unterwelt“ von Don DeLillo gelesen habe. Das war mein wichtigster Entwicklungsschritt als Schriftstellerin, nach der Lektüre war ich nicht mehr dieselbe, nicht mehr an denselben Dingen interessiert. Alles, was mit dieser Sprache und dieser Kulturlandschaft zu tun hat, endet für mich also mit diesem Roman. Seither bin ich weniger amerikanisch 😉

Migration, Fremdsein, Integration sind wichtige Themen in Ihrem Roman. Und auch in unserem Alltag, wir sehen, was an Europas Grenzen passiert. Wie stehen Sie dazu? Sind das Erlernen einer neuen Sprache und das Lesen Schlüssel zu einer neuen Welt, zu einer neuen Kultur?
Ich habe ein sehr praktisches und materielles Verständnis davon, wie Romane, Geschichten, Anekdoten, Tagebücher und Gedichte deinen Zugang zu Politik verändern können. Auch wenn du per se kein Leser bist, wenn du den Erzählungen von Zugehörigkeit und Migration, der Euphorie, der Einsamkeit, der Angst und dem Trauma des Weggehens ausgesetzt bist, wenn du von diesen Geschichten hörst, realisierst du, dass das wirklich dich betrifft, jemanden aus deiner Vergangenheit, deiner Familie. Jeder stammt von Migranten ab und bringt Migranten zur Welt. Dies abzustreiten, diese Tatsachen aus egoistischen Gründen, aus Angst und aus Irrglauben zu verdrehen, ist ein Akt der Verstümmelung für mich, der mit einem sehr hohen persönlichen Preis verbunden ist. Ich glaube nicht, dass Romane Machthaber beeinflussen können, die ihre eigene Agenda verfolgen. Aber ich glaube, dass starke Romane ansteckend sein und deine Wahrnehmung im Alltag verändern können. Es geht darum, das, was du über dich selbst denkst, mit der Welt zu verknüpfen. Jeder tut das. Nur manchmal werden Menschen ermutigt, falsche Verknüpfungen herzustellen. Ich denke, gute Literatur ist ein Hilfsmittel gegen falsche Verknüpfungen.

Sie sind nicht nur Schriftstellerin sondern auch Übersetzerin und übersetzen u. a. Ocean Vuongs Texte ins Italienische. Beeinflussen sich diese beiden Tätigkeiten für Sie gegenseitig?
Vielleicht könnte ich Übersetzerin sein, ohne Romanautorin zu sein, aber ich könnte nicht Romane schreiben, ohne Übersetzerin zu sein. Übersetzung ist für mich wie die Blutzirkulation in den Adern der Fiktion. Sie macht meine Sprache lebendiger und offener für verschiedene Möglichkeiten. Und sie verlangsamt meine eigene Arbeit so sehr! Ich wurde immer meditativer, weil sich alles so kostbar anfühlt. Übersetzung, vor allem die Übersetzung von weniger guten Büchern, lehrt dich, sparsam zu sein, fokussiert, kreativ und wirklich ganz nah an den Wörtern.

Die Fremde erscheint in vielen Sprachen, eine Fernsehserie, die auf dem Roman basiert, wird gerade produziert. Wie fühlt sich diese Reise Ihres sehr persönlichen Romans für Sie an?
Ich wollte ein Buch schreiben, um meine eignen Grenzen zu erweitern. Anstatt mir das Leben anderer anzueignen, wie das ein Schriftsteller normalerweise tut, wollte ich, dass sich die Leser meines aneignen und es biegen und fiktionalisieren und dass es sich für sie wie eine Ausdehnung ihrer eigenen Erfahrungen anfühlt. Das klingt ein bisschen ambitioniert, aber ich wollte nicht, dass das Leben, das ich in dem Buch beschreibe, speziell oder besonders verrückt oder was auch immer wirkt. Ich mag zwar das Wort „ich“ benutzen, aber ich denke oft, dass ich nur zu scheu war, um „wir“ zu sagen. In diesem Buch ist ein „wir“ versteckt. Als eine Frau aus der Arbeiterklasse (früher einmal), die in einer Familie aufgewachsen ist, in der Gehörlosigkeit, Migration und Isolation so zentral waren, weigere ich mich zu glauben, dass diese Erfahrungen aus der Welt verschwunden sind. Je mehr ich mich damit beschäftige, desto mehr finde ich heraus, dass Gehörlosigkeit, Isolation, Migration, das Unbehagen gegenüber der eigenen Klasse und das Misstrauen gegenüber der Normalität eine gemeinsame, vielfach geteilte und grundsätzliche Erfahrung sind. Wir mögen die Dinge bei verschiedenen Namen nennen, und ich leugne die Schwierigkeiten, die wir in meiner Familie hatten, nicht, aber ich höre das Echo dieser persönlichen Geschichte wieder und wieder in sehr verschiedenen Kontexten und das überrascht mich jedes Mal.

Interview und aus dem Englischen von Bettina Wörgötter

Leseprobe


Dienstag

Heute haben
Arhtur Rimbaud * 1854
Paul Valéry * 1871
Otfried Preußler * 1923
Oskar Pastior * 1927
Elfriede Jelinek * 1946
John von Düffel * 1966
Geburtstag
und wir würdigen das Geburtstagskind Preußler mit einem Jim Knopf-Fenster.

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Unser heutiger Buchtipp:

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Liliana Corobca:Der erste Horizont meines Lebens
Übersetzt aus dem Rumänischen von Ernest Wichner
Zsolnay Verlag € 18,90
als E-Book € 14,99

Die Zecke klebte am Bauch, gleich neben dem Nabel, trank das Blut des Kindes. Das Mädchen, eher vom Gebrüll des Bruders verängstigt denn von jenem schwarzen Punkt, machte sich auf, Hilfe zu holen. Normalerweise hätten die Schreie, wenn nicht das halbe Dorf, so doch zumindest den ganzen Dorfrand herbeieilen lassen, aber nun war niemand gekommen. Sie hätte die Zecke zwar herauslösen können, aber wenn der Kopf stecken blieb und eine andere nachwuchs, eine viel größere … oder, Gott bewahre, sie schlüpft ganz hinein und lebt dort, wo sie niemand herausholen kann, und der Bruder stirbt, ausgesaugt von einer Zecke.

Warum Christinas kleiner Bruder wegen einer Zecke nicht mehr zu beruhigen ist, erfahren wir etwas spät. Dann schreibt nämlich Liliana Corobca, dass die drei Kinder, die drei Hauptpersonen des Romanes, meinen, dass Zecken das komplette Blut aus einem Körper saugen, riesengroß werden und man natürlich dann tot ist. Dies haben sie vom Vater gehört, als er Zecken aus einem Schaf entfernte. Die zwölfjährige Christina und ihre Brüder Dane (6) und Marcel (3 leben in einem Bauerndorf im Nirgendwo von Moldawien. Das ist an sich nichts besonderes. Erschreckend ist jedoch, dass sie ohne Eltern dort leben. Und nicht nur sie allein. Im ganzen Dorf gibt es keine Eltern mehr, denn die sind im Ausland, um Geld für ihre Familien für’s Überleben, für ein Studium zu verdienen. Das „lange Geld“ wird es im Roman genannt. Dies ist kein Einzelfall, habe ich in der Zwischenzeit herausbekommen. Es gibt einige Reportagen über diesen Zustand. Christinas Mutter arbeitet als Haushaltshilfe und Kindermädchen in Italien, ihr Vater schuftet in einem sibirischen Bergwerk, dass ihm die Zähne ausfallen. Einmal im Jahr kommen sie ins Dorf zurück, zu ihren Kindern, zu ihrem Haus und Grund. Dann kocht die Mutter für das ganze Jahr vor, gefriert ein, kümmert sich um den Garten und anstatt eines Urlaubes, werden diese Tage für sie eine unglaubliche Schufterei.
Christina ist mit ihren zwölf Jahren auf sich gestellt. In ihrer altklugen Art beschreibt sie den Alltag im Dorf mit ihren kleinen Brüdern. Sie ersetzt Vater und Mutter, andere Verwandte haben sie kaum. Ihre Grossmutter gleitet in die Demenz und nur ein ferner Onkel hilft hin und wieder. Christina betrachtet die Welt sowohl aus naiver kindlicher Sicht, als auch aus einem sehr großen Erfahrungsschatz, der dem eines Erwachsenen gleicht. Sie ist machtlos und voller Kraft, sie ist traumatisiert und gefühlslos. Sie träumt von einem ersten Kuss und zieht sich in die Natur zurück. Sie ist die Stütze der Familie, organisiert, kocht, putzt und wäre eine tolle Schülerin, müsste sie nicht so viel daheim arbeiten. Sie haben Glück im Unglück, so sagen sie sich, denn Schulkameraden von ihr, werden von ihren Verwandten, bei denen sie wohnen, bis aufs Blut verprügelt.
Dies hört sich alles sehr dramatisch an, Liliana Corobca schreibt jedoch in einem leichten Ton, der dies in einem anderen Licht erscheinen lässt. Wir sind nicht einem einem Pippi Langstrumpf-Land, die ja auch gut ohne Eltern auskommt, aber ihre Beschreibungen des Alltags haben auch etwas Beruhigendes an sich. Sie schreibt mit einer großen Zärtlichkeit und Empathie über den Schmerz in den Herzen dieser Kinder, die jeden abend auf Befehl der großen Schwester heulen. „Und jetzt heulen!“, heisst es und es bedarf keiner weiteren Worte. Diese Einsamkeit der Kinder, ihre Angst bei Nacht, die Furcht vor anderen Erwachsenen zieht sich durch das Buch und doch habe ich ich es gerne gelesen, ohne nachts davon geträumt zu haben. Und in Träume rettet sich Christina immer wieder. Sie träumt von den Tagen, wenn ihre Eltern um sie herum sind. Sie träumt sich weg vom tristen Alltag. Sie rächt sich bitter an einem Schulkameraden und träumt gleichzeitig von der Nähe zu einem Jungen. Sie riecht an den parfümierten Damenbinden, die ihre Mutter ihr zur Seite gelegt hat, die sie jedoch noch gar nicht benötigt.
Dass die Realität noch viel dramatischer ist,lässt sich leicht nachlesen. Moldawien wurde und wird von allen Seiten ausgebeutet, das dörfliche Leben verschwindet und in einem Land, das nur einen Katzensprung von uns entfernt liegt, herrscht bittere Not. Das Land wurde von einer korrupten Regierung um ein Drittel des Staatshaushaltes betrogen, das sich die Führungsriege auf die Seite schaffte. Und wenn dann das Wort „Wirtschaftsflüchtling“ fällt, bekomme ich einen ganz dicken Hals.
Liliana Corobcas „Der erste Horizont meines Lebens“, der im Original „Kinderland“ heisst, ist ein Buch voller Hoffnung. Denn der Traum nach dem Horizont, ist das, was Christina am Leben hält. Immer wieder begibt sie sich auf ihren Wanderungen auf die Suche nach ihm. Vielleicht gibt es ihn auch gar nicht, sagt sie. Aber sie lässt nicht locker.

Mein Brüder suchen vom Hausflur aus keinen Horizont. Ich kann ihnen nicht einmal sagen, dass es ihn gibt. Vielleicht sind sie noch klein. Es gibt Dinge, zu denen gelangt man allein, ohne Ratschläge, Hinweise und allerlei vorgekaute Antworten. Wenn du ihn nicht sehen willst, wenn du ihn nicht suchst und von ihm träumst, sit der Horizont ein Wegrand und nicht mehr.

Leseprobe

Mittwoch

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Heute haben
Alexandre Dumas d.Ä. 1802
Frank Wedekind * 1864
und
Hermann Kasack * 1896
Geburtstag.
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Das Gedicht könnte Grönemeyer vertonen und vor 25.000 Zuhörern im Stadion brüllen:

Frank Wedekind
Alte Liebe

Ich hab dich lieb, kannst du es denn ermessen,
Verstehn das Wort, so traut und süß?
Es schließet in sich eine Welt von Wonne,
Es birgt in sich ein ganzes Paradies.

Ich hab dich lieb, so tönt es mir entgegen,
Wenn morgens ich zu neuem Sein erwacht;
Und wenn am Abend tausend Sterne funkeln,
Ich hab dich lieb, so klingt die Nacht.

Du bist mir fern, ich will darob nicht klagen,
Dich hegen in des Herzens heil’gem Schrein.
Kling fort, mein Lied! Jauchz auf, beglückte Seele!
Ich hab dich lieb, und nie wirds anders sein.
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Eigentlich wollte ich heute die Neuauflage von Albert Camus‘: „Hochzeit des Lichts“ vorstellen, habe damit schon angefangen, als ich in den Zeitungen gelesen habe, dass Ugo Riccarelli gestorben ist.
Wenn man einen Autoren mit allen Büchern begleitet und sie, mal mehr mal weniger gut, im Laden verkauft hat, dann berührt mich das schon. Alt ist er zusätzlich nicht geworden mit seinen 58 Jahren.
Ugo Riccarelli wurde 1954 in Cirié bei Turin geboren und lebte in Rom, wo er zum Beraterstab des damaligen Bürgermeister Walter Veltroni gehörte. Er arbeitete lange Zeit vorher in der Bibliothek und am Theater von Pisa.
Auf Deutsch erschienen der Bruno Schulz-Roman: „Ein Mann, der vielleicht Schulz hieß“ (1999). Darin schildert er das kurze Leben des polnischen Autoren Bruno Schulz, der auf offener Straße in seiner Heimatstadt von einem SS-Mann erschossen worden ist. Eine Annäherung der besonderen Art, da der Sprachstil der beiden sich irgendwie anzunähern scheint. Hier tauchen schon die ersten Szenen auf, die in jedem seiner Romane ein Fortsetzung finden. Heisst das magischer Realismus? Ich kann mich an einen Mann erinnern, der vollkommen von Bienen eingehüllt war und eine Leiche, die in einer Badewanne voll Honig konserviert war. 2004 erschienen die Erzählungen: „Fausto Coppis Engel“, die ich zuerst gar nicht beachtet habe, da es sich um Sporterzählungen handelt. Erst nach der Lektüre seines nächsten Romanes kam ich darauf wieder zurück und war so begeistert, dass Clemens Grote die Fussballgeschichte an einer unserer „Ersten Seite“ vorgelesen hat. Eine sehr bewegende, auch skurile Begebenheit (im Roman) und sehr dramatisch im wahren Leben. Während des Zweiten Weltkrieges kam es im besetzten Kiew zu einem Fussball spiel zwischen deutschen Soldaten und der wohl besten Mannschaft der damaligen Zeit aus Kiew. Die Deutschen verloren haushoch und forderten ein weiteres Spiel, das sie, trotz Verstärkung, wieder verloren. Ein Endpsiel der besonderen Art gab es dann, als die Nazis sagten, wenn sie das nächste Spiel auch verloren würden, kämen alle russichen Spieler ins KZ. Die durch Belagerung Kiews geschwächten Spieler gewannen zum dritten Mal und einigen Spieler drohte dann auch das oben genannte Schicksal. Für die Bewohner von Kiew bedeutete dies, dass diejenigen, die eine Eintrittskarte für diese Spiel in Händen hielten, bis an ihr Lebensende freien Eintritt ins Stadion hatten. In der Fausto Coppi-Geschichte begegnet dem weltbesten Rennradler sein Engel mehrfach auf der Strecke und nimmt ihn dann auch viel zu früh aus dem Leben. Dies nur zwei der ausgezeichneten Erzählungen. 2006 erschien dann sein Mamutwerk: „Der vollkommene Schmerz“, für den Riccarelli 2004 den Premio Strega erhielt. Einen der wichtigsten italienischen Literaturpreise. 100 Jahre Einsamkeit auf einem Hügel in der Toskana, eine Romeo und Julia-Geschichte über drei Generationen hinweg. Ein grandioses Buch über zwei Familien. Einer reichen Grossgrundbesitzer-Familie und einer Familie, die sich als Lehrer, Intellektuelle und Linke durch’s Leben schlagen. Hier wird gestorben, was das Zeug hält. Und zwar erwischt es so oft die Guten, dass einem beim Lesen ein „O Mann“ herausrutscht. Großes Breitwandtheater der feinsten Art. Auch hier gibt es eine skurile Person, die ein Perpetuum Mobile herstellen will. 2009 erschien „Der Zauberer“, ein Buch über seinen Vater, einem Abenteurer, Aufschneider, Geschichtenerzähler, Taschenspieler, der u.a. im Straflager mehreren Menschen das Leben rettete und im Frühjahr 2013 „Die Residenz des Doktor Rattazzi“. Beide Romane spielen während der deutschen Besetzung Italiens und haben trotz der großen Dramatik wieder einen ganz besonderen Witz. Der Zauberer erinnert ein wenig an den Film „Das Leben ist schön“ und auch an Jurek Beckers „Jakob der Lügner“ und Dr. Rattazzi leitet ein Irrenhaus im Norden Italiens. Er flieht vor den Nazis weiter auf’s Land in die Berge und versucht so seine geliebten Insassen vor dem Terror zu retten. Das gelingt ihm und seinem Gehilfen/Nachfolger Benjamino auch fast. Nur einer seiner Patienten, der nur in Homerschen Versen redet, wird erschossen und vor aller Augen kommen diese Verse aus seinem sterbenden Mund und schweben zum Himmel auf. Also auch hier wieder Riccarellis Art mit der Gefahr, mit dem Tod umzugehen.
Riccarelli war selbst schwer krank und bekam vor Jahren ein neues Herz und eine neue Lunge. Vielleicht beruht der Galgenhumor in seinen Romanen auch auf Erfahrungen aus seinem Leben und dem Umgang mit seinem todkranken Körpers.
Möge er dort guthaben, wo er jetzt ist und vielleicht taucht im Deutschen noch ein weiteres Werk auf, das es in Italien schon gibt.

fausto_coppis_engel-9783423137454

Fausto Coppis Engel € 9,90
Leseprobe

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Der Zauberer € 9,90

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Der vollkommene Schmerz € 9,90
Leseprobe

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Die Residenz des Doktor Rattazzi € 18,90

Alle Bücher sind bei uns in der Buchhandlung vorrätig.
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