Dienstag, 24.August

Noch n Versuch von Hartmut

Heute haben
Jean Rhys * 1890
Jorge Luis Borges * 1899
A.S. Byatt * 1936
Joshua Sobel * 1939
Paulo Coelho * 1947
Stephen Fry * 1957
Michael Kleeberg * 1959
Geburtstag
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Andreas Gryphius
Betrachtung der Zeit

Mein sind die Jahre nicht,
Die mir die Zeit genommen;
Mein sind die Jahre nicht,
Die etwa möchten kommen;

Der Augenblick ist mein,
Und nehm ich den in acht
So ist der mein,
Der Jahr und Ewigkeit gemacht.
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Stig Dagerman: „Deutscher Herbst

Aus dem Schwedischen, mit einer Briefauswahl
und einem Nachwort von Paul Berf
Guggolz Verlag € 22,00

Der junge Schriftsteller Stig Dagerman wurde 1946 von der schwedischen Zeitung „Expressen“ nach Deutschland geschickt, um einen Lagebericht des zerstörten Landes zu schreiben. Bewusst hat die Zeitung keinen Journalisten geschickt. Das hat sich gelohnt. Die Texte von seinen Reisen von München bis Hamburg sind deutlich mehr als Reiseberichte.
Dagerman ist inmitten der Menschen. Er setzt sich zu ihnen, redet mit ihnen und fährt mit ihnen in übervollen Zügen. Dass er allerdings in Hotels absteigen kann, frische Bettwäsche und ein warmes Zimmer hat, genießt er sehr, nachdem er uns vorher berichtet hat, wie Familien in Kellern hausen, in denen das Wasser steht. Er schreibt über Großbauern und unbekannte Flüchtlinge, über Entnazifizierungsprozesse und Nazis, die wieder in den großen Posten sitzen. Wir erleben eine Rede von Kurt Schumacher (der in Ulm am Oberen Kuhberg inhaftiert war) und über eine Frau, die voller Mühen drei Säcke Kartoffeln gesammelt hat und nur einen in den voll besetzten Zug bekommt. Er wohnt bei einem Schriftsteller (Niebelschütz), der lieber historische Romane schreibt und in seiner Abgeschiedenheit den Hunger und das Leid der anderen gar nicht mitbekommt. Sein perönliches Interesse und sein Mitgefühl sind wahrscheinlich das, was dieses Buch ausmacht. Es zeigt das zerstörte Deutschland und seine traumatisierten Menschen. Die Hoffnung der Menschen auf Demokratie und gleichzeitig die Erinnungen an die vergangenen Jahre, die mehrere Generationen geprägt haben.
In Schweden ist dieses Buch ein Klassiker in vielen Auflagen. Zu Recht.

Leseprobe
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1. Welches Buch lesen Sie gerade?
2. Welches Buch empfehlen Sie unbedingt?
3. Welches Buch wollen Sie schon immer mal (wieder) lesen

Elke Braig empfiehlt:

Hallo Herr Wiltschek,
Beruflich bin ich nicht in der Buchwelt zu Hause, aber ich bin begeisterte Leserin, Fan Ihrer wunderbaren Buchhandlung und fühle mich allen Buchmenschen sehr verbunden, hier meine Tipps:

1.Amy Waldman: „Das ferne Feuer
2.Clemens J. Setz: „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre
3.Harbach: „Die Kunst des Feldspiels
(weil einfach großartig)

Herzliche Grüße
Elke Braig

Dienstag, 27.April

Wir haben wieder geöffnet und fünf Einkaufskörbe für fünf KundInnen an der Eingangstür.
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Heute haben
Arnold Höllriegel * 1883
Cecil Day Lewis * 1904
Zhang Jie * 1937
Aminata Sow Fall * 1941
Geburtstag
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Andreas Gryphius
Betrachtung der Zeit

Mein sind die Jahre nicht die mir die Zeit genommen.
Mein sind die Jahre nicht / die etwa möchten kommen.
Der Augenblick ist mein / und nehm‘ ich den in acht
So ist der mein / der Jahr und Ewigkeit gemacht.
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Ganz frisch als Taschenbuch ausgepackt.
Im Moment warten wir von Johnson & Johnson nicht auf Herzklappen, sondern auf Impfampullen.
Aber dieser Roman ist wirklich ganz starker Stoff.


Valerie Fritsch: „Herzklappen von Johnson & Johnson
Suhrkamp Taschenbuch € 11,00

Das dritte Buch von Valerie Fritsch hat mich umgehauen. So ein genialer Umgang mit Sprache, das Fließen durch die Seiten, Formulierungen, die ich noch nie gelesen habe, haben die Lektüre zu einem ausgewöhnlichen Erlebnis gemacht.
Es könnte alles so banal sein.
Alma ist zu Beginn ein kleines Mädchen und ihre Eltern stehen im Mittelpunkt des ersten Teils. Darauf folgt der Groß- und danach die Großmutter. Als Alma sich in Friedrich verliebt und sie ihr Kind Emil bekommen, stehen natürlich diese beiden Männer im Mittelpunkt, bis sich der Kreis wieder zu den Großeltern schließt.
Valerie Fritsch versteht es gekonnt, die Sprachlosigkeit des Großvaters zu beschreiben, der im Krieg Opfer und Täter war und darüber nicht spricht, wenn er das überhaupt noch tut. Ganz im Gegenteil dazu seine Frau, die ketterauchend Alma immer und immer wieder Geschichten aus ihrem Leben erzählt und sich dabei öfters auf das Wohl der Verstorbenen einen genehmigt.
Der Schmerz der Sprachlosigkeit, der Schmerz des wiederholten Erzählenmüssens spiegelt sich in Almas Kind Emil, der schmerzunempfindlich ist und somit besonderer Fürsorge durch die Eltern bedarf. Nicht leicht für Alma, nach ihren langen Depression nach der Geburt.
Emil muss den Schmerz erlernen, sich aneignen, ein Etwas vortäuschen, das er nicht kennt. Er führt ein Leben zwischen Superman und oftmaligen Klinikbesuchen.
Valerie Fritsch verbindet, verknüpft, baut sich und uns ein Kammerspiel zusammen, schlägt einen großen weiten Bogen, bis sich der Kreis schließt.
Alma findet ihren Frieden. Weit weg, aber in Gemeinschaft mit ihrem Mann Friedrich und ihrem Sohn Emil.
Ein großartiges Buch. Bitte lassen Sie sich nicht von der langen Inhaltsangabe verwirren. Es ist ein schmales Buch, bei der die Sprache uns durch die Geschichten trägt, wie wenn sie „Zugvögel unter der Haut“ hätte.

Leseprobe
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Gerade eben hat sich noch eine Person zum Mitradeln angemeldet. Super. Danke.

Mittwoch, 18.November

Heute haben
Richard Dehmel * 1863
Klaus Mann * 1906
Vassilis Vassilikos * 1933
Margaret Atwood * 1939
Christoph Wilhem Aigner * 1954
Geburtstag
und es ist der Todestag von Marcel Proust.
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Richard Dehmel
Empfang

Aber komm mir nicht im langen Kleid!
komm gelaufen, daß die Funken stieben,
beide Arme offen und bereit!
Auf mein Schloß führt keine Galatreppe;
über Berge geht’s, reiß ab die Schleppe,
nur mit kurzen Röcken kann man lieben!

Stell dich nicht erst vor den Spiegel groß!
Einsam ist die Nacht in meinem Walde,
und am schönsten bist du blaß und bloß,
nur beglänzt vom schwachen Licht der Sterne;
trotzig bellt ein Rehbock in der Ferne,
und ein Kuckuck lacht in meinem Walde.

Wie dein Ohr brennt! wie dein Mieder drückt!
rasch, reiß auf, du atmest mit Beschwerde;
o, wie hüpft dein Herzchen nun beglückt!
Komm, ich trage dich, du wildes Wunder:
wie dich Gott gemacht hat! weg den Plunder!
und dein Brautbett ist die ganze Erde.
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Pünktlich zu seinem Todestag, veröffentlicht der Reclam Verlag eine dreibändige Ausgabe von „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ und auch dieses Nachsachlagewerk:

Auf der Suche nach Marcel Proust
Ein Album in Bildern und Texten
Hrsg.: Bernd-Jürgen Fischer

Ja, es ist wirklich ein Album geworden. In diesem Portrait finden wir Fotos, Gemälde von Proust und Personen aus seiner Familie, seinem Freundes- und Bekanntenkreis. Zusammen mit den vielen Originaldokumenten gelingt dem Herausgeber ein Bild des Autors, das uns ein wenig näher kommt. Auszüge aus Proust Briefen und Schulaufsätzen zeigen ihn als Menschen und nicht als übergroßen Autor. So sind die 230 Seiten dieses Bilderbuches, ein Nachschlagewerk, ein Album, für Proust-LeserInnen, aber auch für solche, die der Person Marcel Proust entdecken wollen.
Und: Das Buch passt in jede Versandtasche und ist vielleicht das ideale Geschenk für den Proust-Fan im Freundeskreis.

Marcel Proust: „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“
Übersetzt von Bernd-Jürgen Fischer
Reclam Verlag € 44,00

Mittwoch, 1.Januar 2020

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Ein neuer Tag, ein neues Jahr beginnt.
Ich freue mich, dass wir so viel Zuspruch für diesen Blog bekommen. Es tut gut, wenn unsere Tipps gelesen werden.
Möge Ihnen/Euch das neue Jahr viele schöne Stunden bringen mit Zufriedenheit und Durchblick in dieser wirren Welt. Bleiben Sie gesund. Das ist die Hauptsache.

Samy Wiltschek
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Ludwig Tieck
Zeit

So wandelt sie, im ewig gleichen Kreise,
Die Zeit nach ihrer alten Weise,
Auf ihrem Wege taub und blind,
Das unbefangne Menschenkind.
Erwartet stets vom nächsten Augenblick
Ein unverhofftes seltsam neues Glück.
Die Sonne geht und kehret wieder,
Kommt Mond und sinkt die Nacht hernieder,
Die Stunden, die Wochen abwärts leiten,
Die Wochen bringen die Jahreszeiten.
Von außen nichts sich je erneut,
In dir trägst du die wechselnde Zeit,
In dir nur Glück und Begebenheit.

Donnerstag, 24.Oktober

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Heute haben
Dorothea von Schlegel * 1764
August von Platen * 1796
Zsuzsa Bánk * 1965
Geburtstag
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Dorothea von Schlegel
Draußen so heller Sonnenschein…

Draußen so heller Sonnenschein,
Alter Mann, laß mich hinaus!
Ich kann jetzt nicht geduldig sein,
Lernen und bleiben zu Haus.

Mit lustigem Trompetenklang
Ziehet die Reuterschar dort,
Mir ist im Zimmer hier so bang,
Alter Mann, laß mich doch fort!

Er bleibt ungerührt,
Er hört mich nicht:
»Erlaubt wird, was dir gebührt,
Tust du erst deine Pflicht!«

Pflicht ist des Alten streng Gebot;
Ach, armes Kind! du kennst sie nicht,
Du fühlst nur ungerechte Not,
Und Tränen netzen dein Gesicht.

Wenn es dann längst vorüber ist,
Wonach du trugst Verlangen,
Dann gönnt man dir zu spät die Frist,
Wenn Klang und Schein vergangen!

Was du gewähnt,
Wonach dich gesehnt,
Das findest du nicht:
Doch bleibt betränt
Noch lang dein Gesicht.
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Sarah Wiltschek empfiehlt:

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Whitney Scharer: „Die Zeit des Lichts“
Aus dem Englischen von Nicolai von Schweder-Schreiner
Klett-Cotta Verlag € 22,00

Paris, 1929. Die erst 23jährige Lee Miller kehrt ihrem Modelljob in den USA den Rücken, um selbst hinter der Kamera zu stehen. So ihre Vorstellung von einem Künstlerleben in Paris. Doch die Stadt nimmt sie nicht, wie erhofft, mit offenen Armen in Empfang. Irgendwann spielt ihr dann doch der Zufall die Karte von Man Ray in der Tasche und sie wird seine Assistentin. Aus dem Arbeits- wird ein Liebeverhältnis und sie beflügeln sich gegenseitig und werden am Ende vor allem wegen ihrer experimentellen Fotoarbeiten bekannt. Bis Miller beginnt sich zu emanzipieren aus dem Korsett, das Ray ihr auferlegt und das sie immer nur als Teil von ihm selbst interpretiert. Als sie schließlich mitbekommt, dass er ihre Fotoarbeiten unter seinem Namen für eine Ausstellung eingereicht hat, trennt sie sich von ihm und geht ihren eigenen Weg, der sie vor allem mit einem Foto in Hitlers Badewanne berühmt machen wird.
Whitney Scharers Buch erzählt in drei Zeitebenen: Die Autorin schreibt über das Leben der alten und alkoholsüchtigen Lee Miller, springt in die Zeit als Miller Mitglied der Alliierten Truppen war, mit der sie die Befreiung Buchenwalds und Dachaus dokumentierte und eben in deren Pariser Zeit, als unglaublich junge, umwerfend schöne Frau. Das ist auch der längste Plot und das wichtigste Thema im Roman: ihre Beziehung zu Man Ray und die Pariser Künstlerszene um Picasso und Cocteau.
Es macht Spaß in dieses Künstlerleben vor bald hundert Jahren einzutauchen und einer Figur zu folgen, die trotz ihrer Errungenschaften in der Fotografie und der historischen Dokumentation, keine solche Bekanntheit erreicht hat wie etwa Man Ray oder andere ihrer männlichen Kollegen. Vielleicht auch, weil sie nach den Kriegseinsätzen seelisch gebrochen, die Fotografie als solches und die vielen Abzüge als Konkretes auf den Dachboden verbannte, wo die Kisten mit ihren Arbeiten erst nach Millers Tod von ihrem Sohn entdeckt, archiviert und der Öffentlichkeit (wieder) zugänglich gemacht wurden.

Leseprobe
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Am kommenden Freitag in der Stadtbibliothek Ulm
Buchpräsentation:

Das-Buch-der-Schicksale-Spirito

Lorenzo Spirito: „Das Buch der Schicksale“
Ein Würfellosbuch
Aus dem Altitalienischen gereimt übersetzt von Werner Menapace unter Mitarbeit von Donatella Capaldi
Mit einer Einleitung von Alexander Rosenstock
Gebunden, mit Faksimiles und drei Würfeln
Folio Verlag € 30,00
Beginn: 19:30
Eintritt: frei

Montag

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(gefunden bei rowanlane)

Heute haben
Colette * 1973
Hermann Kesten * 1900
Geburtstag.
Sarko würde heute seinen Geburtstag auch lieber im Kreise seiner Politikerkollegen aus der ganzen Welt feiern. So muss er es halt in „kleinem“ Kreise machen.
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Jastram hat den journalistischen Ritterschlag bekommen und taucht in der
aktuellen ZEIT auf Seite 51 auf.
Es ist eine Besprechung des Buches über die Lieblingsbuchhandlungen von Schriftstellern, das wir auch im Laden hatten.

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In der Südwestpresse vor ein paar Tagen gab es eine Seite über Kinderbücher und dass dort alte, heute rassistische Begriffe verändert werden.
Hier geht es zum Artikel.
Das Interview wurde mit Claudi Wiltschek gemacht und pikanterweise haben sich am Tag danach nur ältere Herren darüber aufgeregt und mich gefragt, was ich denn da geschrieben hätte.
Also: Immer noch nix kapiert und schon gar nicht genau hingeschaut.
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Hier kommt ein weiterer Tagestext von Eduardo Galeano.
Die komplette Leseprobe gibt es kostenlos bei uns im Laden.

Juli
25
Rezept zur Verbreitung der Pest

Im 14. Jahrhundert erklärten die fanatischen Hüter des katholischen Glaubens den Katzen der Städte Europas den Krieg.
Die Katzen, teuflische Tiere, Instrumente Satans, wurden gekreuzigt, gepfählt, lebendig gehäutet und in die Flammen geworfen.
So konnten die Ratten, von ihren schlimmsten Feinden befreit, zu den Herren der Städte werden. Und die schwarze Pest tötete, von den Ratten verbreitet, dreißig Millionen Europäer.
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Morgen um 19 Uhr ist unsere Lesung mit Priya Basil.
Ich bin schon richtig gespannt. Der Verlag meinte, sie sei wirklich eine ganz Nette und Engagierte.
Dienstag, 29.1. um 19 Uhr
Priya Basil liest aus ihrem Buch: „Die Logik des Herzens“
Eintritt € 10,00.
Wir freuen uns auf Ihr/Euer Kommen.
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Mein Gedichtekalender bringt mir heute ein Werk von Tucholsky und wir sind mitten drin in der deutschen Tagespolitik.

Feldfrüchte

Sinnend geh ich durch den Garten,
still gedeiht er hinterm Haus;
Suppenkräuter, hundert Arten,
Bauernblumen, bunter Strauß.
Petersilie und Tomaten,
eine Bohnengalerie,
ganz besonders ist geraten
der beliebte Sellerie.
Ja, und hier –? Ein kleines Wieschen?
Da wächst in der Erde leis
das bescheidene Radieschen:
außen, rot und innen weiß.

Sinnend geh ich durch den Garten
unsrer deutschen Politik;
Suppenkohl in allen Arten
im Kompost der Republik.
Bonzen, Brillen, Gehberockte,
Parlamentsroutinendreh …
Ja, und hier – ? Die ganz verbockte
liebe gute SPD.
Hermann Müller, Hilferlieschen
blühn so harmlos, doof und leis
wie bescheidene Radieschen:
außen rot und innen weiß.
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Ich wünsche Ihnen einen guten Wochenstart.
Die Temperaturen sollen bis Mittwoch auf 11 Grad steigen.
Hier geht es zum Wetter in Ulm.