Donnerstag, 16.März

Heute haben
César Vallejo * 1892
Sybille Bedford * 1911
Tiziano Scarpa * 1963
Zoe Jenny * 1974
Geburtstag
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Theodor Storm
März

Und aus der Erde schauet nur
Alleine noch Schneeglöckchen;
So kalt, so kalt ist noch die Flur,
Es friert im weißen Röckchen.
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Unser Buchtipp:

Toni Morrison: „Rezitativ
Aus dem Amerikanischen von Tanja Handels
Mit einem langen Nachwort von Zadie Smith
Rowohlt Verlag € 20,00
Random House € 14,90

1983 veröffentlichte Toni Morrison diese Erzählung. „Rezitativ“ bleibt ihre einzige in ihrem umfangreichen Werk. In deutsch steht sie uns jetzt jetzt zum ersten Mal zur Verfügung.
Wie ein Experiment mutet die Lektüre im Nachklang an. Eine Versuchanordnung, über die wir lange gemeinsam diskutieren könnten.
Twyla und Roberta trafen sich in einem Kinderheim. Ihre alleinerziehende Mütter konnten sich nicht ausreichend um die beiden Mädchen kümmern. Twylas Mutter hatte die Nächte durchgetanzt und ihr Kind allein gelassen. Robertas Mutter war ständig krank. Vier Monate lebten sie dort zusammen.
„Schlimm genug, früh am Morgen aus dem eigenen Bett geholt zu werden – aber dann noch an einem fremden Ort festzusitzen, zusammen mit einem Mädchen von ganz anderer Hautfarbe. Und Mary, so heißt meine Mutter, hatte ja recht. Von Zeit zu Zeit hörte sie nämlich gerade so lange mit dem Tanzen auf, um mir was Wichtiges zu erklären, und unter anderem hat sie mir erklärt, dass die sich nie die Haare waschen und komisch riechen.“
Eines der beiden Mädchen ist schwarz, das andere weiss. Nach diesem Zitat ist klar, wer. Aber stimmt das? Toni Morrison lässt das, ganz bewusst, offen. Bis zum Schluss, wissen wir es nicht, erahnen, verwerfen.
Dieses raffinierte Spiel mit den verschiedenen Wahrnehmungen zieht sich durch den kompletten Text. Dazu kommen noch die Fallstricke mit unseren Erinnerungen, an denen wir ein halbes Leben festhalten, obwohl es sich vielleicht/wahrscheinlich ganz anders ereignet hat. Denn Jahre später treffen sich die beiden Frauen mehrfach wieder. Irgendwie sind die Rollen, die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen sie leben, wie auf den Kopf gedreht, wenn wir uns an die beiden Mädchen zu Beginn der Erzählung erinnern.
Die Rassentrennung ist seit den 60er Jahren in den USA abgeschafft, aber weder 1983, noch 2023 hat die Gewalt gegen die schwarze Bevölkerung nachgelassen. Erst vor zwei Tagen haben wir das in den Texten von Mumia Abu-Jamal zu hören bekommen.

Wichtig an dieser Ausgabe ist das sehr lange Nachwort (im Original heisst es: Einführung) von Zadie Smith, das unglaublich klug, erhellend ist und uns die Erzählung nochmals aufdröselt, in das Werk der Nobelpreisträgerin einführt und die Bezüge zum täglichen Rassismus herstellt.

Eine kleine Sensation.

Leseprobe
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Samstag, 14.Januar

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Heute haben
John Dos Passos * 1896
Anatoli Rybakow * 1911
Rudolf Hagelstange * 1912
Yukio Mishima * 1925
Marek Hlasko * 1934
Andreas Steinhöfel * 1962
Geburtstag
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Zadie Smith:London NW
Aus dem Englischen von Tanja Handels
Goldmann Taschenbuch € 9,99

Als das Buch im Original herauskam, hat es die New York Times zu einem der zehn besten Romane des Jahres 2013 gewählt und jetzt ist es als Taschenbuch erschienen.

London NW ist der Nordwesten der Metropole, weit weg der Touristenströme, weit weg von dem, was wir in den Reisefüher finden und sicher nicht die Gegend, in der wir uns als Urlauber aufhalten wollen. Es ist Caldwell, ein Stadtteil mit allen Nationen der Welt, versammelt in Sozialwohnungen und Hochhaussiedlungen, so wir es aus vielen anderen Grossstädten kennen. Schreibt Jagoda Marinic u.a. über den Wedding in Berlin im Winter mit all seiner Kälte, so ist es hier in diesem Multikulti-Stadtteil Sommer. Die Hitze ist groß und die Verzweiflung der Personen nicht weniger klein. Dabei hat der Roman eine sehr komische, witzige Seite, die Zadie Smith sehr gut mit dem Tragischen verbindet.
Vier Personen, zwei Pärchen stehen im Mittelpunkt. Leah, Natalie, Felix und Nathan. Alle vier sind in dieser Gegend aufgewachsen und haben gehofft diesen (auch gefährlichen) Stadtteil zu verlassen. Aber nur Natalie scheint als Anwältin die Einzige zu sein, die es wirklich geschafft hat. Auf ihren Dinnerpartys treffen sich viel hohle Leute, mit denen Leah und Michel nichts anfangen können. Leah und Natalie (die diesen Namen angenommen hat und eigentlich Keisha heisst) sind seit ewigen Zeiten Freundinnen. Und wenn Leah viel in Club herumgehangen ist und auch Drogen nahm, war Natalie zielstrebig, fast erfolgssüchtig. Sie hat mittlerweile eine Familie mit zwei Kindern und wohnt in einem vikorianische Häuschen. Leah hingegen arbeitet als einzige Weiße in einem Büro und ihr Mann versucht vergeblich ein Kind mit ihr zu machen. Was jedoch nicht klappen kann, da sie heimlich die Pille nimmt. Sie merken schon, da brodelt es. Als ganz zu Beginn des Romans eine Fremde an der Tür von Leah klingelt und sie um Geld bittet, eskalieren die Ereignisse und die vier Personen geraten aus ihren abgefahren Wegen.
Und Zadie Smith dreht die Schraube noch weiter. Ihr Sprachstil ist komprimiert und aufs Nötigste verkürzt. Hier gibt es keine ausschweifenden Beschreibungen und lange Schachtelsätze. Smith hat gestrichen und somit den Szenen eine sehr genaue Wirklichkeit verpasst. Sie springt von einem zum anderen Kapitel. Von einer Zeit zu einer anderen. Nur als sie die Geschichte von Natalie/Keisha erzählt, sind alle Abschnitte durchnummeriert. Von 1 bis 185. Das könnte das Spiegelbild ihrer geplanten Karriere sein. Aber was bleibt, ist auch eine große Leere und der Neid auf die anderen. Zadie Smiths Hauptpersonen sind die beiden Frauen. Es sind ihre Lebenswege, die sie interessiert und an die sich mit ihrer Sprache annähert.
London NW„, das im Englischen nur „NW“ heisst, besticht durch seine Sprache, durch seinen eigenwilligen Stil und seine Mischung aus Komödie und Tragodie. Smith hat diesem Stadtteil, in dem sie selbst aufgewachsen ist, einen Roman gewidmet und es lohnt sich sehr, ihn zu lesen.

Leseprobe

1. Dienstag im Monat = 1.Seite

Heute haben
Francis Jammes * 1868
Marion Gräfin Dönhoff * 1909
Botho Strauß * 1944
T.C.Boyle * 1948
Doron Rabinovici * 1961
Geburtstag.
Aber auch Maria Callas.
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Denis Scheck interviewt T.C. Boyle

https://www.youtube.com/watch?v=3NXU7YhaTrM
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Das Beste vom Besten aus dem Januar 2014:

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Zadie Smith:London NW
Aus dem Englischen von Tanja Handels
Kiepenheuer&Witsch Verlag € 19,99
Auch als eBook erhältlich.

Was natürlich schön zusammenpasst: der heute angekündigte Vertreter kommt vom selben Verlag. Bin mal gespannt, was er zu diesem Buch zu berichten hat.
Die New York Times hat es zu einem der zehn besten Romane des Jahres 2013 gewählt. Das ist ja auch ein Wort.

London NW ist der Nordwesten der Metropole, weit weg der Touristenströme, weit weg von dem, was wir in den Reisefüher finden und sicher nicht die Gegend, in der wir uns als Urlauber aufhalten wollen. Es ist Caldwell, ein Stadtteil mit allen Nationen der Welt, versammelt in Sozialwohnungen und Hochhaussiedlungen, so wir es aus vielen anderen Grossstädten kennen. Schreibt Jagoda Marinic u.a. über den Wedding in Berlin im Winter mit all seiner Kälte, so ist es hier in diesem multikulti Stadtteil Sommer. Die Hitze ist gross und die Verzweiflung der Personen nicht weniger klein. Dabei hat der Roman eine sehr komische, witzige Seite, die Zadie Smith sehr gut mit dem Tragischen verbindet.
Vier Personen, zwei Pärchen stehen im Mittelpunkt. Leah, Natalie, Felix und Nathan stehen im Mittelpunkt. Alle vier sind in dieser Gegend aufgewachsen und haben gehofft diesen (auch gefährlichen) Stadtteil zu verlassen. Aber nur Natalie scheint als Anwältin die Einzige zu sein, die es wirklich geschafft hat. Auf ihren Dinnerpartys treffen sich viel hohle Leute, mit denen Leah und Michel nichts anfangen können. Leah und Natalie (die diesen Namen angenommen hat und eigentlich Keisha heisst) sind seit ewigen Zeiten Freundinnen. Und wenn Leah viel in Club herumgehangen ist und auch Drogen nahm, war Natalie zielstrebig, fast erfolgssüchtig. Sie hat mittlerweile eine Familie mit zwei Kindern und wohnt in einem vikorianische Häuschen. Leah hingegen arbeitet als einzige Weisse in einem Büro und ihr Mann versucht vergeblich ein Kind mit ihr zu machen. Was jedoch nicht klappen kann, da sie heimlich die Pille nimmt. Sie merken schon, da passiert etwas. Als ganz zu Beginn des Romans eine Fremde an der Tür von Leah klingelt und sie um Geld bittet, eskalieren die Ereignisse und die vier Personen geraten aus ihren abgefahren Wegen.
Und Zadie Smith dreht die Schraube noch weiter. Ihr Sprachstil ist komprimiert und aufs Nötigste verkürzt. Hier gibt es keine ausschweifenden Beschreibungen und lange Schachtelsätze. Smith hat gestrichen und somit den Szene eine sehr genaue Wirklichkeit verpasst. Sie springt von einem zum anderen Kapitel. Von einer Zeit zu einer anderen. Nur als sie die Geschichte von Natalie/Keisha erzählt, sind alle Abschnitte durchnummeriert. Von 1 bis 185. Das könnte das Spiegelbild ihrer geplanten Karriere sein. Aber was bleibt, ist auch eine große Leere und der Neid auf die anderen. Zadie Smiths Hauptpersonen sind die beiden Frauen. Es sind ihre Lebenswege, die sie interessiert und an die sich mit ihrer Sprache annähert. Die Männer gehören dazu, sind aber fast Beiwerk.
London NW, das im Englischen nur NW heisst, besticht durch seine Sprache, durch seinen eigenwilligen Stil und seine Mischung aus Komödie und Tragodie. Smith hat diesem Stadtteil, in dem sie selbst aufgewachsen ist, einen Roman gewidmet und es lohnt sich sehr, ihn zu lesen.
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Werner Färbers Ungereimtheiten der Woche
UNGEREIMTHEIT DER WOCHE (aus der Tierwelt …):
 
KRÖTE UND FROSCH CCLCXXII

Am Rand des Teichs sitzt eine Kröte

und spielt dort – nicht wirklich leise –
auf ihrer neuen Schilfrohrflöte
eine schräg klingende Weise.
 
D’rauf empört sich durchaus heftig
der im Teich lebende Frosch.
Als er sie beschimpft recht deftig,
ruft die Kröte: „Halt deine Gosch!“
 
Wenn man von solchen Dingen hört,
bei manch einem die Frage keimt:
„Weshalb fühl’n sich die zwei gestört?“
Womöglich nur, weil es sich reimt?
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UNGEREIMTHEIT DER WOCHE (Traumberufe und Leidenschaften):
DER DACHDECKER
 
Der Dachdecker erklettert forsch
ein Dach, welches schon reichlich alt,
um nachzusehen, ob es morsch.
Plötzlich verliert er seinen Halt.
 
Auf dem Bauche, Kopf voran,
flott rutschend am Kamin vorbei,
stellt fest der pflichtbewusste Mann:
Das alte Dach ist einwandfrei!
 
Um den Absturz zu verhindern,
greift er nach der Regenrinne
und kann so sein Tempo mindern.
Kurzfristig hält die Schwerkraft inne.
 
Im Gegensatz zum Dache ist
die Regentraufe höchst marod.
Doch weil vorm Bauernhaus liegt Mist,
entgeht der Dachdecker dem Tod.

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Heute abend gibt es eine neue und letzte „Erste Seite“ in diesem Jahr.
Im Januar dann unsere obligatorische „Erste Seiten“- Pause.
Dafür liest die in Ulm geborene Autorin Verena Güntner am Freitag, 16.Januar um 19 Uhr aus ihrem aktuellen Roman: „Es bringen“, der im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen ist.
Sie gelangte mit einem Auszug aus dem Buch bis in die Finalrunde des OpenMike Wettbewerbes, belegte den dritten Platz beim MDR Literaturpreis und erhielt den Kelag-Preis beim Ingeborg Bachmann Wettbewerb.
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Montag

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Heute haben
Rudolf Leonard * 1889
Dylan Thomas * 1914
Sylvia Plath * 1932
Gert Brantenberg * 1941
Zadie Smith * 1975
Geburtstag
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Dylan Thomas
Do Not Go Gentle Into That Good Night

Do not go gentle into that good night,
Old age should burn and rave at close of day;
Rage, rage against the dying of the light.

Though wise men at their end know dark is right,
Because their words had forked no lightning they
Do not go gentle into that good night.   …..
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machandel

Regina Scheer: „Machandel“
Knaus Verlag € 22,99
E-Book € 18,90

Clara steht im Mittelpunkt dieses Erstlingswerkes der 64jährigen Autorin. Sie bezieht Mitte der 80er Jahren einen Katen des Gehöfts in Machandel, mit Familie und Bruder. Es ist die Zeit der langsamen, großen Umbrüche und für Clara eine Zeit der großen Entdeckungen. Aus Claras Sicht sind 13 der insgesamt 25 Kapitel erzählt. Zusammen ergeben sie ein komplex konstruiertes multiperspektivisches Zeitmosaik, das von den 30er- bis in die 90er-Jahre des 20. Jahrhunderts reicht. Und in Clara können wir vielleicht etwas von der Autorin selbst erkennen. Weitere Personen wechseln sich mit ihr ab. Ihr Vater, eine russische Zwangsarbeiterin, und noch zwei weitere Menschen in verschiedenen Zeitaltern.

„Das Haus schien lange schon unbewohnt, die Fenster waren ohne Glas, eine Tür knarrte bei jedem Luftzug, sie war nur mit einem Draht verschlossen wie ein altes Stalltor. Zwischen den Dielen einer Stube wuchs eine kleine Birke. Wilde Rosenbüsche drängten sich an die Hauswand, später erfuhr ich, wie Emma sie nannte: Kartoffelrosen. Schwere, duftende Zweige hingen durch die Fenster ins Haus. Wir gingen durch die verlassenen Zimmer wie verzaubert, sprangen durch die Fenster in den verwilderten Garten. Und schon in diesen ersten Stunden in Machandel beschlossen wir, alles zu tun, damit das halb zerfallene Haus unseres würde.“

In ihrer unaufgeregten Sprache erzählt sie uns eine deutsch-deutsche Geschichte vor dem Zweiten Weltkrieg, während und bis in die Gegenwart reichend. Sie lässt alle Personen auf gleicher Höhe erzählen, überlässt uns Bewertungen. Diese Stärke zieht sich durch das ganze Buch und lässt die latente Gewalt, die diesen Menschen entgegenkommt, nicht in den Vordergrund treten. Scheer beschreibt fast nüchtern, doch mit großer Empathie, lässt Clara immer wieder Mythologsches einflechten.

„In diesem ersten Sommer in Machandel verlor ich das Gefühl für die Uhrzeit und auf unseren Streifzügen verschwammen manchmal auch die Jahrhunderte. Eichen wuchsen aus den Stümpfen noch mächtigerer Eichen. Machandelbäume standen in gerader Reihe auf Wegscheiden, die keine mehr waren. An anderen Stellen bildeten Machandelbüsche und Schlehen ein undurchdringliches Gebüsch. Manchmal fand Julia kleine versteinerte Seetiere, Muscheln, Hühnergötter wie am Meer. Und stopfte sie in die Taschen ihrer speckigen Lederhose. Noch vor den Obodriten, noch vor der Bronzezeit, als es hier noch keine Menschen gab, waren gewaltige Eismassen vom Norden her gekommen und hatten sich über diese Landschaft gewälzt, sie für immer geprägt. „Wissen die Bäume, dass hier einmal ein Meer war?“, fragte Julia. „Und das Gras? Und die Blumen? Können sie sich erinnern?“

Dieser Katen ist der Mittelpunkt des Romanes. Hier lebten und leben die verschiedensten Menschen und deren Biografien verknüpfen sich auf den paar wenigen Quadratmetern des einfachen Hauses. Wie Sateliten kreisen sie um das Gebäude und erzählen uns ihre Biografien. Schreckliche Erinnerungen sind es von Hungermärschen und KZ, von Zwangsarbeit und später auch von Bespitzelung zu DDR-Zeiten. Menschen, die den Krieg überlebt haben, werden Jahre danach nach Aufständen in Prag z.B. hingerichtet. Gerechtigkeit scheint es nirgends zu geben.

„1939 war ich 14 und mein Vater und meine Mutter wurden geholt, morgens um drei, sie seien Sowjetfeinde, hieß es. Ich stand im Nachthemd auf dem Korridor, als die Männer meine Eltern wegführten. Was der Vater gesagt hat, wie er aussah, habe ich vergessen. Mama hat mich traurig angeschaut mit ihren schönen Augen, ihr Haar, das sie sonst hochgesteckt trug, hing herunter wie bei einem Mädchen. „Budj silnoi“, hat sie gesagt. Nur diese beiden Worte. Ich habe sie mir immer wieder gesagt, mein ganzes Leben lang. Wenn es schwer war, habe ich die Augen geschlossen und Mamas Gesicht gesehen: Sei stark.“

Und das ist auch wiederum die Stärke der Autorin, die der alles beherrschenden Gewalt und dem Tod Menschenliebe und fraglose Hilfsbereitschaft entgegensetzt.
Ein Roman, den ich gar nicht richtig zusammenfassen kann, da er so viel historisches Material enthält und dies so gekonnt miteinanderverbindet. Märchenhaftes wechselt sich mit der Gegenwart ab und lässt uns Seite für Seite mehr in das Innere der Menschen blicken, die Reisen um die ganze Welt unternehmen um ihre Liebsten wiederzufinden.
Aber die Welt dreht sich weiter. Das Gehöft ist nun eine Hotelanlage, die (natürlich) von Schwaben betrieben wird. Clara kommt immer weniger dorthin, aber der Katen wird wieder neu bewohnt. Und obwohl Clara lukrative Angebote von Immobilienmakler bekommt, lässt sie sich nicht darauf ein und behält unter den neuen „Mietern“ zwei Zimmerchen für sich.
Mit dieser kurzen Besprechung werde ich diesem grossartigen und interessanten Buch nicht gerecht und hoffe, dass es noch viele Besprechungen geben wird.

Leseprobe

Regina Scheer, 1950 in Berlin geboren, studierte Theater- und Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität. Von 1972–1976 arbeitete sie bei der Wochenzeitschrift „Forum“, deren Redaktion wegen „konterrevolutionärer Tendenzen“ aufgelöst wurde. Danach war sie freie Autorin von Reportagen, Essays und Liedtexten und Mitarbeiterin der Literaturzeitschrift „Temperamente“. Nach 1990 arbeitete sie an Ausstellungen, Filmen und Anthologien mit und veröffentlichte mehrere Bücher zu deutsch-jüdischer Geschichte. „Machandel“ ist ihr erster Roman.

Dienstag

Nachdem ich gestern den Montag schon zum Dienstag gemacht hatte (gerade geändert), ist heute tatsächlich Dienstag und ein wirklicher Dienst-Tag.
Das Auto ist voll mit Dingen zum Ausfahren und der erste Vertreter des Jahres hat sich um 11 Uhr angekündigt.
Das heisst, das Hamsterrad dreht sich munter weiter.
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Heute haben
Albrecht Haushofer * 1903
Erwin Wickert * 1915
Roland Topor * 1938
Helga Schubert * 1940
Franz Josef Czernin * 1952
Nicholas Baker * 1957
Geburtstag
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Und als eines ersten Bücher des Jahres, erschien:

Smith

Zadie Smith:London NW
Aus dem Englischen von Tanja Handels
Kiepenheuer&Witsch Verlag € 19,99
Auch es eBook erhältlich.

Was natürlich schön zusammenpasst: der heute angekündigte Vertreter kommt vom selben Verlag. Bin mal gespannt, was er zu diesem Buch zu berichten hat.
Die New York Times hat es zu einem der zehn besten Romane des Jahres 2013 gewählt. Das ist ja auch ein Wort.

London NW ist der Nordwesten der Metropole, weit aber der Touristenströme, weit weg von dem, was wir in den Reisefüher finden und sicher nicht die Gegend, in der wir uns als Urlauber aufhalten wollen. Es ist Caldwell, ein Stadtteil mit allen Nationen der Welt, versammelt in Sozialwohnungen und Hochhaussiedlungen, so wir es aus vielen anderen Grossstädten kennen. Schreibt Jagoda Marinic u.a. über den Wedding in Berlin im Winter mit all seiner Kälte, so ist es hier in diesem multikulti Stadtteil Sommer. Die Hitze ist gross und die Verzweiflung der Personen nicht weniger klein. Dabei hat der Roman eine sehr komische, witzige Seite, die Zadie Smith sehr gut mit dem Tragischen verbindet.
Vier Personen, zwei Pärchen stehen im Mittelpunkt. Leah, Natalie, Felix und Nathan stehen im Mittelpunkt. Alle vier sind in dieser Gegend aufgewachsen und haben gehofft diesen (auch gefährlichen) Stadtteil zu verlassen. Aber nur Natalie scheint als Anwältin die Einzige zu sein, die es wirklich geschafft hat. Auf ihren Dinnerpartys treffen sich viel hohle Leute, mit denen Leah und Michel nichts anfangen können. Leah und Natalie (die diesen Namen angenommen hat und eigentlich Keisha heisst) sind seit ewigen Zeiten Freundinnen. Und wenn Leah viel in Club herumgehangen ist und auch Drogen nahm, war Natalie zielstrebig, fast erfolgssüchtig. Sie hat mittlerweile eine Familie mit zwei Kindern und wohnt in einem vikorianische Häuschen. Leah hingegen arbeitet als einzige Weisse in einem Büro und ihr Mann versucht vergeblich ein Kind mit ihr zu machen. Was jedoch nicht klappen kann, da sie heimlich die Pille nimmt. Sie merken schon, da passiert etwas. Als ganz zu Beginn des Romans eine Fremde an der Tür von Leah klingelt und sie um Geld bittet, eskalieren die Ereignisse und die vier Personen geraten aus ihren abgefahren Wegen.
Und Zadie Smith dreht die Schraube noch weiter. Ihr Sprachstil ist komprimiert und aufs Nötigste verkürzt. Hier gibt es keine ausschweifenden Beschreibungen und lange Schachtelsätze. Smith hat gestrichen und somit den Szene eine sehr genaue Wirklichkeit verpasst. Sie springt von einem zum anderen Kapitel. Von einer Zeit zu einer anderen. Nur als sie die Geschichte von Natalie/Keisha erzählt, sind alle Abschnitte durchnummeriert. Von 1 bis 185. Das könnte das Spiegelbild ihrer geplanten Karriere sein. Aber was bleibt, ist auch eine große Leere und der Neid auf die anderen. Zadie Smiths Hauptpersonen sind die beiden Frauen. Es sind ihre Lebenswege, die sie interessiert und die sich mit ihrer Sprache annähert. Die Männer gehörem dazu, sind aber fast Beiwerk.
London NW, das im Englischen nur NW heisst, besticht durch seine Sprache, durch seinen eigenwilligen Stil und seine Mischung aus Komödie und Tragodie. Smith hat diesem Stadtteil, in dem sie selbst aufgewachsen ist, einen Roman gewidmet und es lohnt sich sehr, ihn zu lesen.

Zadie Smith liest aus NW

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Ein literarischer Rundgang durch London NW -Kliburn

Und hier geht es durch Camden Lock