Mittwoch, 14.September

Der große Wagen mit Spezialbeleuchtung (Foto: Michel Wiltschek)

Heute haben
Theodor Storm * 1817
Michel Butor * 1926
Ivan Klima * 1931
Gerd Fuchs * 1932
Eckhard Henscheid * 1941
Martin Sperr * 1944
Uli Becker * 1953
Geburtstag
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Theodor Storm
Meeresstrand

Ans Haff nun fliegt die Möwe,
und Dämmrung bricht herein;
über die feuchten Watten
spiegelt der Abendschein.

Graues Geflügel huschet
neben dem Wasser her;
wie Träume liegen die Inseln
im Nebel auf dem Meer.

Ich höre des gärenden Schlammes
geheimnisvollen Ton,
einsames Vogelrufen –
so war es immer schon.

Noch einmal schauert leise
und schweiget dann der Wind;
vernehmlich werden die Stimmen,
die über der Tiefe sind.

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Zum 90. Geburtstag der Autorin am 27.Oktober 1932


Sylvia Plath: „Das Herz steht nicht still
Späte Gedichte 1960-1963
Zweisprachige Ausgabe. Herausgegeben, aus dem Englischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Judith Zander
Suhrkamp Verlag € 25,00

1960 zieht Sylvia Plath nach England und schreibt unermüdlich weiter. Es erscheint ihr Gedichtband Der Koloss. Kurz vor ihrem Tod, 1963, folgt ihr einziger Roman: Die Glasglocke. In diesen Jahren wird sie zweimal Mutter.
„Es ist, als setzte mein Herz ein Gesicht auf und ginge hinaus in die Welt.“
Sylvia Plath schwankt zwischen Mutter sein und sich das Leben nehmen, zwischen Glücksgefühl und Verzweiflung.
Großes Lob an Judith Zander für diese Übersetzungsarbeit und das sehr informative Nachwort.

Stillborn
These poems do not live: it’s a sad diagnosis.
They grew their toes and fingers well enough,
Their little foreheads bulged with concentration.
If they missed out on walking about like people
It wasn’t for any lack of mother-love.
O I cannot understand what happened to them!
They are proper in shape and number and every part.
They sit so nicely in the pickling fluid!
They smile and smile and smile and smile at me.
And still the lungs won’t fill and the heart won’t start.
They are not pigs, they are not even fish,
Though they have a piggy and a fishy air –
It would be better if they were alive, and that’s what they were.
But they are dead, and their mother near dead with distraction,
And they stupidly stare, and do not speak of her.

Totgeboren
Diese Gedichte leben nicht: eine traurige Diagnose.
Dabei wuchsen sie gut, alle Zehen- und Fingertriebe.
Ihre kleinen Stirnen schwollen vor Konzentration.
Wenn sie es versäumten herumzulaufen wie Menschen,
Lag’s nicht an einem Mangel an Mutterliebe.
Ach, ich begreife gar nicht, was mit ihnen passiert ist!
Sie sind proper in Form und Anzahl und allem Drumrum.
Sie hocken so nett in der konservierenden Lake!
Sie lächeln und lächeln und lächeln und lächeln mir zu.
Und doch füllen die Lungen sich nicht und das Herz bleibt stumm.
Sie sind keine Schweine, sie sind noch nicht einmal Fische,
Obwohl sie eine schweinige, fischige Anmutung haben –
Besser wäre, sie wären lebendig, und das ist’s, was sie waren.
Doch sie sind tot, und die Mutter fast tot vor Verzweiflung,
Und sie starren blöde und wollen nichts über sie sagen.


Sleep in the Mojave Desert
Out here there are no hearthstones,
Hot grains, simply. It is dry, dry.
And the air dangerous. Noonday acts queerly
On the mind’s eye, erecting a line
Of poplars in the middle distance, the only
Object beside the mad, straight road
One can remember men and houses by.
A cool wind should inhabit those leaves
And a dew collect on them, dearer than money,
In the blue hour before sunup.
Yet they recede, untouchable as tomorrow,
Or those glittery fictions of spilt water
That glide ahead of the very thirsty.
I think of the lizards airing their tongues
In the crevice of an extremely small shadow
And the toad guarding his heart’s droplet.
The desert is white as a blind man’s eye,
Comfortless as salt. Snake and bird
Doze behind the old masks of fury.
We swelter like firedogs in the wind.
The sun puts its cinder out. Where we lie
The heat-cracked crickets congregate
In their black armourplate and cry.
The day-moon lights up like a sorry mother,
And the crickets come creeping into our hair
To fiddle the short night away.

Übernachten in der Mojave-Wüste
Hier draußen gibt es keine Herdstellen,
Nur heiße Körnchen. Es ist trocken, trocken.
Und die Luft gefährlich. Mittag spielt seltsam
Mit dem inneren Auge, stellt eine Reihe
Pappeln in mittlerer Entfernung auf, die einzigen
Objekte neben der irren, schnurgeraden Straße,
Die einen an Menschen und Häuser erinnern kann.
Ein kühler Wind sollte in diesen Blättern wohnen
Und ein Tau, wertvoller als Geld, sich auf ihnen sammeln
In der blauen Stunde vor Sonnenaufgang.
Doch weichen sie zurück, unnahbar wie morgen
Oder jene glitzernden Einbildungen von vergossenem Wasser,
Die vor den sehr Durstigen herschweben.
Ich denke an die Eidechsen, die ihre Zungen kühlen
Im Spalt eines äußerst schmalen Schattens,
Und die Kröte, die das Tröpfchen ihres Herzens beschirmt.
Die Wüste ist weiß wie das Auge eines Blinden,
Trostlos wie Salz. Schlange und Vogel
Dösen hinter den alten Masken des Zorns.
Wir verschmachten wie Feuerböcke im Wind.
Die Sonne löscht ihre Schlacke aus. Wo wir liegen,
Versammeln sich hitzerissige Heuschrecken
Mit ihren schwarzen Panzern und klagen.
Der Tagmond leuchtet auf wie eine bedauernde Mutter,
Und die Heuschrecken kriechen uns ins Haar,
Um die kurze Nacht zu vergeigen.
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Jetzt unterschreiben beim Fuß- und Radentscheid Ulm

Aktive Mobilität, wie das Zufußgehen und Radfahren, haben einen großen Einfluss auf die Lebensqualität in einer Stadt.

Fuß- und Fahrradverkehr sind die umwelt- und stadtfreundlichsten Fortbewegungsarten. Platzsparend stehen sie allen Menschen zur Verfügung, sind günstig, klimaneutral, feinstaub- und schadstofffrei, leise, gesund und fördern nachweislich das individuelle Wohlbefinden. Zudem begünstigen sie die soziale Interaktion und sind die einzigen Fortbewegungsarten mit einem positiven volkswirtschaftliche Nutzen.

Zusammengefasst: Fuß- und Fahrradverkehr sind DIE Grundlage von „Städte für Menschen“.

Wir wollen den Ausbau von attraktiver Fuß- und Radinfrastruktur in unserer Stadt voranbringen. Damit sich Zu Fußgehende und Radfahrende subjektiv sicher und wohl fühlen, egal ob sie 8 oder 88 Jahre alt sind. FuR Ulm, für ein lebenswerteres Ulm für Alle!

Deshalb benötigen wir einen Fuß- und Radentscheid.

Unterschriftenlisten gibt es bei uns in der Buchhandlung.


Freitag, 28.Oktober

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Heute haben
Evelyn Waugh * 1903
Uwe Tellkamp * 1968
Geburtstag
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Heute im Harenberg Gedichtekalender:

Georg Büchner
Lied der Rosetta

O meine müden Füße, ihr müßt tanzen,
In bunten Schuhen,
Und möchtet lieber tief
Im Boden ruhen.

O meine heißen Wangen, ihr müßt glühn,
In milden Kosen,
Und möchtet lieber blühn-
Zwei weiße Rosen.

O meine armen Augen, ihr müßt blitzen
Im Strahl der Kerzen,
Und schlieft im Dunkel lieber aus,
Von euren Schmerzen.
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Und mit einem Gedicht geht es weiter.
Gestern hatte Sylvia Plath Geburtstag und mit einem Tag Verspätung stellen wir hier ihr „Bett-Buch“ vor. Es ist neu in der Insel-Bücherei erschienen und voll mit Illustrationen von Rotraut Susanne Berner und wurde von Eva Demski übersetzt.

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Sylvia Plath:Das Bett-Buch
Insel-Bücherei  € 12,00

Ein Bett-Buch für Kinder und für Erwachsene. Ein Bett-Buch für solche, die nie aus dem Bett rauswollen, oder vor Müdigkeit nicht können. Für solche, die sich dann ausspinnen, wie schön es wäre noch länger darin zu bleiben, sich unter den warmen Decken zu verkriechen, daß nur die Nasenspitze herausschaut. Und wenn wir dann an die vielen verschiedenen Betten, die uns Sylvia Plath vorschlägt, denken, fallen uns womöglich auch noch andere ein. Es gibt das Schiffsbett, das U-Boot-Bett, das Düsenjetbett, das Freßbett mit dem Brotkissen und dem Automaten am Kopfende, der Hähnchen und Kekse ausspuckt. Aber wo ist zum Beispiel das Lesebett?
Ach, egal. Die Vorschläge aus dem Insel-Bändle reichen doch vollkommen. Allerdings fällt mir morgens das Hüpfen auf dem Springbett sehr schwer. Ich werde es wohl auf den Sonntagnachmittag verlegen.
Die Übersetzung von Eva Demski ist gewitzt und pfiffig, aber wenn Sie die englische Originalversion laut lesen, merken Sie, wie das fließt, wie das passt, wie das stimmig ist.
Spaß macht es auch zu wissen, daß die melancholische Autorin, die ihrem Leben ein Ende gesetzt hat, auch zu solch lustigen Gedichten in der Lage war.
Vielen Dank dafür.
Wir bekommen dadurch so richtig Lust ins Bett zu gehen und einen kalten nebligen Novembertag darin zu verbringen.

BEDS come in all sizes –
Single or double,
Cot-size or cradle
King-size or trundle.

BETTEN gibts in allen Größen –
Einzel oder Doppel
Feldbett oder Wiege
Riesig oder rollend.

Meist sind Betten: Betten
Für den Schlaf und für die Ruh
Die besten Betten aber sind:
Viel interessanter – hör mal zu!

Und zum Springbett fällt Plath/Demski dieses ein:

Nur die Sprungfedern müssen
schön strammspringend sein
Dann springst Du vom Springbett
In’s Blaue hinein

Leseprobe
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Die erste Seite“ findet tatsächlich am Dienstag, den 1.November trotz Feiertag statt.
Einzige Einschränkung: Bücherkaufen ist nicht erlaubt.

Wir stellen folgende Bücher vor:

Saphia Azzeddine: Bilqiss
Clarice Lispector: Der große Augenblick
Anthony Marra: Letztes Lied einer vergangenen Welt
Elizabeth Strout: Die Unvollkommenheit der Liebe

Es liest Clemens Grote.
Wir beginnen um 19 Uhr und zwar pünktlich.
Bis dann, wir freuen uns.
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Buchpräsentation am Freitag, 4.November um 18:30
Bei uns in der Buchhandlung

Karl Foos: Auf den Spuren des Schöpferischen in der Architektur
Mit einem Nachwort von Bertrand Stern, der auch anwesend sein wird

Es wird der Versuch unternommen, dem Geheimnis des Schöpferischen auf die Spur zu kommen. Wir sind heute fasziniert von der Ausdruckskraft der Höhlenzeichnungen und der Skulpturen der Steinzeitmenschen sowie deren schöpferischen Qualitäten. Die Evolution hat uns den aufrechten Gang und heute das digitale Zeitalter beschert. In unserer heutigen hochtechnisierten Welt scheint die Frage nach den Geheimnissen des Schöpferischen jedoch uninteressant geworden zu sein. Daraus könnte man aber auch schließen, dass es gerade deshalb heute umso wichtiger wird, danach zu fragen. Diesen Versuch einer Spurensuche unternimmt der Architekt Karl Foos. In einem Nachwort widmet sich der Philosoph Bertrand Stern der Bedeutung des „Kreativen“ für den Menschen.

Montag

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Heute haben
Rudolf Leonard * 1889
Dylan Thomas * 1914
Sylvia Plath * 1932
Gert Brantenberg * 1941
Zadie Smith * 1975
Geburtstag
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Dylan Thomas
Do Not Go Gentle Into That Good Night

Do not go gentle into that good night,
Old age should burn and rave at close of day;
Rage, rage against the dying of the light.

Though wise men at their end know dark is right,
Because their words had forked no lightning they
Do not go gentle into that good night.   …..
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Regina Scheer: „Machandel“
Knaus Verlag € 22,99
E-Book € 18,90

Clara steht im Mittelpunkt dieses Erstlingswerkes der 64jährigen Autorin. Sie bezieht Mitte der 80er Jahren einen Katen des Gehöfts in Machandel, mit Familie und Bruder. Es ist die Zeit der langsamen, großen Umbrüche und für Clara eine Zeit der großen Entdeckungen. Aus Claras Sicht sind 13 der insgesamt 25 Kapitel erzählt. Zusammen ergeben sie ein komplex konstruiertes multiperspektivisches Zeitmosaik, das von den 30er- bis in die 90er-Jahre des 20. Jahrhunderts reicht. Und in Clara können wir vielleicht etwas von der Autorin selbst erkennen. Weitere Personen wechseln sich mit ihr ab. Ihr Vater, eine russische Zwangsarbeiterin, und noch zwei weitere Menschen in verschiedenen Zeitaltern.

„Das Haus schien lange schon unbewohnt, die Fenster waren ohne Glas, eine Tür knarrte bei jedem Luftzug, sie war nur mit einem Draht verschlossen wie ein altes Stalltor. Zwischen den Dielen einer Stube wuchs eine kleine Birke. Wilde Rosenbüsche drängten sich an die Hauswand, später erfuhr ich, wie Emma sie nannte: Kartoffelrosen. Schwere, duftende Zweige hingen durch die Fenster ins Haus. Wir gingen durch die verlassenen Zimmer wie verzaubert, sprangen durch die Fenster in den verwilderten Garten. Und schon in diesen ersten Stunden in Machandel beschlossen wir, alles zu tun, damit das halb zerfallene Haus unseres würde.“

In ihrer unaufgeregten Sprache erzählt sie uns eine deutsch-deutsche Geschichte vor dem Zweiten Weltkrieg, während und bis in die Gegenwart reichend. Sie lässt alle Personen auf gleicher Höhe erzählen, überlässt uns Bewertungen. Diese Stärke zieht sich durch das ganze Buch und lässt die latente Gewalt, die diesen Menschen entgegenkommt, nicht in den Vordergrund treten. Scheer beschreibt fast nüchtern, doch mit großer Empathie, lässt Clara immer wieder Mythologsches einflechten.

„In diesem ersten Sommer in Machandel verlor ich das Gefühl für die Uhrzeit und auf unseren Streifzügen verschwammen manchmal auch die Jahrhunderte. Eichen wuchsen aus den Stümpfen noch mächtigerer Eichen. Machandelbäume standen in gerader Reihe auf Wegscheiden, die keine mehr waren. An anderen Stellen bildeten Machandelbüsche und Schlehen ein undurchdringliches Gebüsch. Manchmal fand Julia kleine versteinerte Seetiere, Muscheln, Hühnergötter wie am Meer. Und stopfte sie in die Taschen ihrer speckigen Lederhose. Noch vor den Obodriten, noch vor der Bronzezeit, als es hier noch keine Menschen gab, waren gewaltige Eismassen vom Norden her gekommen und hatten sich über diese Landschaft gewälzt, sie für immer geprägt. „Wissen die Bäume, dass hier einmal ein Meer war?“, fragte Julia. „Und das Gras? Und die Blumen? Können sie sich erinnern?“

Dieser Katen ist der Mittelpunkt des Romanes. Hier lebten und leben die verschiedensten Menschen und deren Biografien verknüpfen sich auf den paar wenigen Quadratmetern des einfachen Hauses. Wie Sateliten kreisen sie um das Gebäude und erzählen uns ihre Biografien. Schreckliche Erinnerungen sind es von Hungermärschen und KZ, von Zwangsarbeit und später auch von Bespitzelung zu DDR-Zeiten. Menschen, die den Krieg überlebt haben, werden Jahre danach nach Aufständen in Prag z.B. hingerichtet. Gerechtigkeit scheint es nirgends zu geben.

„1939 war ich 14 und mein Vater und meine Mutter wurden geholt, morgens um drei, sie seien Sowjetfeinde, hieß es. Ich stand im Nachthemd auf dem Korridor, als die Männer meine Eltern wegführten. Was der Vater gesagt hat, wie er aussah, habe ich vergessen. Mama hat mich traurig angeschaut mit ihren schönen Augen, ihr Haar, das sie sonst hochgesteckt trug, hing herunter wie bei einem Mädchen. „Budj silnoi“, hat sie gesagt. Nur diese beiden Worte. Ich habe sie mir immer wieder gesagt, mein ganzes Leben lang. Wenn es schwer war, habe ich die Augen geschlossen und Mamas Gesicht gesehen: Sei stark.“

Und das ist auch wiederum die Stärke der Autorin, die der alles beherrschenden Gewalt und dem Tod Menschenliebe und fraglose Hilfsbereitschaft entgegensetzt.
Ein Roman, den ich gar nicht richtig zusammenfassen kann, da er so viel historisches Material enthält und dies so gekonnt miteinanderverbindet. Märchenhaftes wechselt sich mit der Gegenwart ab und lässt uns Seite für Seite mehr in das Innere der Menschen blicken, die Reisen um die ganze Welt unternehmen um ihre Liebsten wiederzufinden.
Aber die Welt dreht sich weiter. Das Gehöft ist nun eine Hotelanlage, die (natürlich) von Schwaben betrieben wird. Clara kommt immer weniger dorthin, aber der Katen wird wieder neu bewohnt. Und obwohl Clara lukrative Angebote von Immobilienmakler bekommt, lässt sie sich nicht darauf ein und behält unter den neuen „Mietern“ zwei Zimmerchen für sich.
Mit dieser kurzen Besprechung werde ich diesem grossartigen und interessanten Buch nicht gerecht und hoffe, dass es noch viele Besprechungen geben wird.

Leseprobe

Regina Scheer, 1950 in Berlin geboren, studierte Theater- und Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität. Von 1972–1976 arbeitete sie bei der Wochenzeitschrift „Forum“, deren Redaktion wegen „konterrevolutionärer Tendenzen“ aufgelöst wurde. Danach war sie freie Autorin von Reportagen, Essays und Liedtexten und Mitarbeiterin der Literaturzeitschrift „Temperamente“. Nach 1990 arbeitete sie an Ausstellungen, Filmen und Anthologien mit und veröffentlichte mehrere Bücher zu deutsch-jüdischer Geschichte. „Machandel“ ist ihr erster Roman.

Montag

Am Sonntag hatten
Dylan Thomas * 1914
Sylvia Plath * 1932
Geburtstag
und heute
Evelyn Waugh * 1903
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Dylan Thomas
I Fellowed Sleep

I fellowed sleep who kissed me in the brain,
Let fall the tear of time; the sleeper’s eye,
Shifting to light, turned on me like a moon.
So, planning-heeled, I flew along my man
And dropped on dreaming and the upward sky.

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Maron

Monika Maron: „Zwischenspiel
S.Fischer Verlag € 18,99

Romane von Monika Maron sind immer für eine Überraschung gut oder sorgen für viel Gesprächsstoff. So auch hier in ihrem neuen Roman, der mit 180 Seiten und Grossdruck schnell gelesen ist. „Zwischenspiel“ nennt die 1941 geborene Autorin ihr Werk und in mehrfachem Sinne ist es auch ein solches. Ein Episode aus dem Leben der Ich-Erzählerin Ruth, die so richtig zwischen allen Stühlen spielt.
Diese Ich-Erzählerin sitzt im Auto und fährt nach Berlin Pankow zur Beerdigung ihrer Ex-Schwiegermutter Olga, die sich zu einer sehr engen Freundin entwickelt hatte. Innerlich wehrt sie sich gegen die Fahrt dorthin, weil sie am Grab sicherlich ihren Ex-Mann treffen wird. Allein die Erinnerung an ihn, läst sie schwer an ihrer Entscheidung zweifeln. Auch das Treffen mit ihrer Tochter, die sich dem Vater wieder angenähert hat, wird sich nicht einfach gestalten. Ihr Navigationsgerät hat sie von der weiblichen Stimme auf Stefan umgeschaltet, da er ihr seriöser vorkommt. Aber irgendetwas scheint mit ihm nicht zu stimmen. Sie verfährt sich, landet in einem Park und aus dem Radio hört sie die Stimme ihrer toten Freundin, die eigentlich demnächst beerdigt werden soll. Dazu kommen noch Sehstörungen und eine rückwärts ziehende Wolke. Irgendetwas ist bei ihr durcheinandergeraten und die sonst hartgesottene Ruth, die nicht an Gott und Globuli glaubt, kommt ins Grübeln. Während sie sich den zuerst menschenleeren Park anschaut, tauchen immer mehr Personen auf, die in ihrem Leben prägende Rollen gespielt haben. Bruno, der schwer an der Bierflasche hängt, sitzt neben ihr auf einer Bank. Ruth hätte schwören können, dass er seit Jahren tot ist. Aber hier scheint er sehr lebendig zu sein und erzählt viel über sich, seine Beziehung zu ihrem zweiten Mann. Für den war er nämlich eine wahre Inspirationsquelle. Durch ihn erreichten seine Bücher hohe Auflagen. Nach Brunos Tod versiegt diese Quelle und Hendriks Erfolg nimmt rapide ab. Über Bruno kommen wir auch auf die Beziehung zwischen Ruth und ihrem ersten Mann Bernhard zu sprechen. Ihre Ablehnung ihm gegenüber beruht darauf, dass er sie über ihre gemeinsame Tochter Fanny anspioniert und Berichte für die Stasi geschrieben hat. Das Thema Schuld wird immer mächtiger in diesen Zeilen. Wer hat sich schuldig gemacht und wie können wir das überhaupt festmachen.
Aber Achtung: Monika Maron schreibt diesen schmalen Roman mit viel Witz und Selbstironie und rüttelt an manchen Grundfesten. Da wundert es überhaupt gar nicht, dass Margot und Erich Honecker auftauchen. Ruth lehnt aber eine Zusammenarbeit mit den beiden Alten ab. Und Erichs Lob auf den Sozialismus hört sich an wie „Solismus“, da er doch aus dem Saarland kommt. Ihre Mutter und einer ihrer Männer tauchen auf, ihr verstorbener Hund Nicki bleibt treu an ihrer Seite. Durch all diese Treffen und Gespräche lösen sich viele Knoten und Ruth kann (hoffentlich) beruhigter in die Zukunft schauen.
Monika Maron sagt in dem unten verlinkten Interview, dass sie sieben bis acht Jahre an den Vorwürfen, sie hätte zwei Berichte für die Stasi geschreiben, schwer zu leiden hatte. Zwei Backenzähne und Unmengen von Nerven hat sie das gekostet. Mit diesem Buch, in dieser ironischen, frechen Schreibweise, hat sie es geschafft, sich von diesen Vorwürfen freizuschreiben und auch dem letzten Mitläufer den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Aber auch das Älterwerden, ohne all diesen ganzen politischen Hintergrund, bestimmt das Büchlein. „Das Problem ist, dass man nicht als der Mensch die Welt verlässt, als der man auf die Welt gekommen ist.“ Ein gelungener Rückblick auf ein bewegtes Leben ist ihr hier gelungen. Ein Blick zurück ohne Zorn und ein Blick in eine ungewisse Zukunft, der Ruth aber gelassen gegenübertritt.

Denis Scheck interviewt Monika Maron:
http://www.ardmediathek.de/das-erste/druckfrisch/monika-maron-zwischenspiel?documentId=16869024

Leseprobe

Sonntag

Ja, es ist wirklich einen Sonnentag.
Um 7 Uhr minus 18 Grad, um 10 Uhr minus 15 und die Sonne knallt durch die Fenster.

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Heute haben
Guiseppe Ungaretti * 1888
Boris Pasternak * 1890
Bertolt Brecht * 1898
Jakov Lind * 1927
Geburtstag.
Was für ein starkes Quartett.
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Ungaretti

In der Bibliothek gibt es diesen schmalen Band für € 12,80.
Zweisprachig mit der deutschen Übersetzung von Ingeborg Bachmann.
Hier bestellen.
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Heute scheint ein Suhrkamp-Tag zu sein.
Ungaretti, Brecht und jetzt noch Sylvia Plath, deren Roman: „Die Glasglocke“ in einer Neuübersetzung von Reinhard Kaiser gerade erschienen ist.

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Suhrkamp Verlag € 22,95
„The Bell Jar“ € 11,99

Diesmal nicht 100 Jahre, wie bei Herrn Illies, sondern 50 Jahre sind es her, dass am 11.Januar dieser Roman erschienen ist.
Alissa Walser hat ein kurzes, intensives Vorwort zu diese Ausgabe geschrieben. Dem kann ich natürlich nichts hinzufügen. „Die Glasglocke“ stand schon immer auf meiner Leseliste und gestern abend war es dann so weit.
Ester Greenwood gewinnt einen Wettbewerb und darf für einen Monat als Praktikantin für ein Modemagazin nach New York City. Dieser Aufenthalt bildet den ersten Teil des Romanes, der auf Sylvia Plaths Wunsch nur in Grossbritannien unter einem Pseudonym erschienen ist. Da er sehr viel Autobiografisches enthält, wollte sie dadurch ihre Familie schützen und schonen. Kurz nach Veröffentlichung des Romanes nahm sich Sylvia Plath das Leben. Später wurde ihr einziger Roman „Die Glasglocke“ ein Kultbuch, nicht nur in der Frauenbewegung.
Der Roman ist so voller extrem starker Zeilen und Metaphern, dass ich eigentlich mit dem Stift hätte lesen sollen (so wie es Alissa Walser im Vorwort erwähnt). Die Zeit in New York ist frech und aufgedreht, die zweite Hälfte, die Esther wegen Depressionen und eines Suizidversuches in verschiedenen Kliniken verbingt, umso beklemmender. Unter einer Glasglocke. Abgeschirmt, aber doch für alle sichtbar.
Die Feigenbaum-Passage wird zum zentralen Dreh- und Angelpunkt und zieht sich durch die Literaturrezeption. Die vollen, fetten, reifen Feigen sind ein Leichtes zum Pflücken, zum Essen und zum Zufriedensein. Aber Esther kann sich nicht entscheiden, welche sie nehmen und essen soll. So nimmt sie gar keine.
Auch diverse Spiegel ziehen sich durch den Roman. Überhaupt Glas, das abschirmt, das die Kommunikation mit anderen fast unmöglich macht. Glas, das mehrfach zersplittert und verletzt.
Ach, was will ich groß über diesen saumäßig starken Roman schreiben, wo doch tausende von Seiten von Fachleuten darüber geschrieben worden sind.
Den Roman gibt es bei Suhrkamp in verschiedenen Ausgaben, auch als günstige Taschenbuch. Ich habe die neue Übersetzung von Reinhard Kaiser gelesen, die sehr flüssig und frech geschrieben ist. Nun würden mich u.a. auch die alten Übersetzungen und das Original interessieren, wie dort einige Passagen, derbe Schimpfwörter wiedergegeben werden. Und um auf das aktuelle Thema mit der „Umschreibung“ zukommen: Was steht bei Plath, was steht bei der anderen Übersetzung für das „Neger“, das Kaiser hier benutzt?. Das fällt im Moment natürlich sehr auf.
Ich kann diesen Roman allen empfehlen. Wahrscheinlich ist es egal, welche Übersetzung Sie nehmen. Der Roman ist so stark.

Hier finden Sie eine Leseprobe.
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