Donnerstag, 25.Februar

Heute haben
Carlo Goldoni * 1707
Karl May * 1842
Anthony Burgess * 1917
Erice Pedretti * 1930
George Harrison * 1943
Franz Xaver Kroetz * 1946
Geburtstag
____________________________

Theodor Storm
Februar

Im Winde wehn die Lindenzweige,
von roten Knospen übersäumt;
Die Wiegen sind’s, worin der Frühling
die schlimme Winterzeit verträumt.

O wär im Februar doch auch
wie’s andrer Orten ist es Brauch,
bei uns die Narrheit zünftig!

Denn wer, solang das Jahr sich misst,
nicht einmal herzlich närrisch ist,
wie wäre der zu andrer Frist
wohl jemals ganz vernünftig!
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Diese Motive (und mehr) von Julia Hanisch haben wir als Postkarten im Laden.

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Sarah Wiltschek empfiehlt:


Hildegard E. Keller: „Was wir scheinen
Eichborn Verlag € 24,00

„Freedom is just another word for nothing left to lose“.

Hildegard E. Kellers Roman taucht ein in das Leben einer Frau, deren höchstes Gut das freie und unabhängige Denken war und deren Stimme gerade jetzt wieder lauter wird und gehört werden will: Hannah Arendt. Auf eine leichte Weise nimmt die Autorin uns mit ins vergangene Jahrhundert und zum Ausgangspunkt vieler politisch philosophischer Auseinandersetzungen ihrer Protagonistin: das Judentum und der Nationalsozialismus. In Rückblenden erleben wir Arendts wichtige Lebensstationen, während sie ein letztes Mal Urlaub macht an ihrem Tessiner Rückzugsort: Ihre Kindheit in Königsberg, das Leben im Pariser Exil, die Internierung, die Flucht gemeinsam mit ihrer Mutter, das Ankommen in Amerika und ihr rascher Aufstieg als Journalistin und wichtige Stimme im „jüdischen Diskurs“. Dabei wird der miterlebte und in Reportagen und einem Buch verarbeitete Eichmann-Prozess in Jerusalem zu einem zentralen, tief in ihr Leben eingreifenden Ereignis. Durch ihre damalige Positionierung sah sie sich einer völlig ungewollten Öffentlichkeit ausgesetzt, die auch vor dem Privaten nicht Halt machte. Freundschaften zerbrachen und es blieben von den wenigen überlebenden, noch weniger an ihrer Seite. Gleichzeitig war es das, was Arendt als ihre Lebensaufgabe sah: Integer und in vollkommener Verantwortung für sich selbst einzustehen, sich nicht verbiegen zu lassen, sich so unabhängig als irgend möglich zu äußern und zu handeln.
Und doch sind es gerade die tiefen und langen Freundschaften, die sie trugen und ihr Leben auszeichneten, von denen Briefe zeugen und regelmäßige Besuche in die Schweiz und nach Jerusalem. Zentrale Figuren sind ihr Doktorvater Karl Jaspers und Kurt Blumenfeld, die sie in aufrichtiger Freundschaft ein Leben lang begleiteten und unterstützen und Martin Heidegger, von dem sie nie die Anerkennung bekam, die sie sich wünschte. Arendts Ehe mit Heinrich Blücher und ihr gemeinsames Leben in New York war hingegen Begegnungs- und Rückzugsort zugleich, war Austausch auf Augenhöhe, tiefe Verbundenheit und vielleicht so etwas wie Heimat, für die Arendt ansonsten keinen geografischen Ort mehr finden konnte.
Die Autorin nimmt sich außerdem die Freiheit, gerade in den letzten Jahren, als Arendt verwitwet und allein zurückblieb, ihr neue Freundschaften an die Seite zu stellen. So dass uns Leser*innen noch einmal deutlich vor Augen steht, was diese Frau, neben ihrem scharfen Verstand und ihrem klugen Humor antrieb: Eine unersättliche Neugierde am Menschen und an der Welt, die sie bis an ihr Lebensende selbstständig denkend arbeiten ließ. Das Komplexe ihrer Werke zeigt sich in diesem Roman in und durch die Figur Hannah Arendt und macht augenblicklich Lust, sich tiefer in das Werk dieser großen Denkerin zu stürzen.

Dienstag, 25.Februar

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Heute haben
Carlo Goldoni * 1707
Karl May * 1842
Anthony Burgess * 1917
Erice Pedretti * 1930
George Harrison * 1943
Franz Xaver Kroetz * 1946
Geburtstag

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Theodor Storm
Februar

Im Winde wehn die Lindenzweige,
von roten Knospen übersäumt;
Die Wiegen sind’s, worin der Frühling
die schlimme Winterzeit verträumt.

O wär im Februar doch auch
wie’s andrer Orten ist es Brauch,
bei uns die Narrheit zünftig!

Denn wer, solang das Jahr sich misst,
nicht einmal herzlich närrisch ist,
wie wäre der zu andrer Frist
wohl jemals ganz vernünftig!
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„Isabelle Arsenault ist eine Meisterin der Subtilität und eine der außergewöhnlichsten Illustratorinnen unserer Zeit.“
Maria Popova, New York Times

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Isabelle Arsenault: „Albert will lesen“
Aus dem Englischen von Anna Schaub
NordSüd Verlag € 15,00
Bilderbuch ab 4 Jahren

Bei Albert zu Hause ist es zu laut. Er braucht Ruhe, da er ein Buch lesen will. Doch kaum beginnt er damit, will ein Freund mit ihm spielen. Dann kommt schon der Nächste und nochmal ein Nachbarskind. Zu guter letzt soll er auch noch Babysitten. Es reicht ihm, er wird laut und verjagt alle Freunde. Endlich Ruhe …… aber nach und nach tauchen die Kinder wieder  auf. Jedes mit einem Buch in der Hand. Jetzt muss sich Albert entschuldigen. Was dann folgt, kommt unerwartet und wird hier nicht verraten. Nur soviel: Sehr lustig!

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Die kanadische Autorin und Illustratorin Isabelle Arsenault gestaltet die Bilder zunächst mit Buntstiften, Aquarell und Tusche und bearbeitet sie danach digital. Dadurch bekommt das Buch (neben seiner tollen Geschichte) einen sehr eigenen Charme.

Donnerstag, 1.August

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Heute haben
Fabrizia Ramondino * 1936
Knut Faldbakken * 1941
Wolfgang Hilbig * 1941
Geburtstag
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Theodor Storm
August

Die verehrlichen Jungen, welche heuer
Meine Äpfel und Birnen zu stehlen gedenken,
Ersuche ich höflichst, bei diesem Vergnügen
Wo möglich insoweit sich zu beschränken,
Dass sie daneben auf den Beeten
Mir die Wurzeln und Erbsen nicht zertreten.
_____________________________

Susanne Link empfiehlt:

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John Corey Whaley: „Hochgradig unlogisches Verhalten“
Aus dem Amerikanischen von Andreas Jandl
dtv Reihe Hanser € 9,95
Jugendbuch ab 12 Jahren

Endlich als Taschenbuch.
Ich liebe diesen Titel, denn ist die Pubertät und überhaupt viele Dinge im Leben
mit hochgradig unlogischem Verhalten nicht viel besser zu ertragen?

Samuel hatte eine Angstattacke auf dem Schulhof. Seitdem bleibt er zuhause und macht
alles im Schlafanzug online, auch Hausaufgaben. Lisa widerum hat sich Samuel als „Studienobjekt“ ausgesucht für ihre Collegebewerbung und schleicht sich in sein Leben.

Hochgradig schön!


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Am kommenden Dienstag, den 6.August stellen wir ab 19 Uhr wieder vier Bücher vor.

Freitag, 30.November

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Heute haben
Jonathan Swift * 1667
Theodor Mommsen * 1817
Ippolito Nievo * 1831
Mark Twain * 1835
Winston Churchill * 1874
Thomas Hettche * 1964
Geburtstag
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Theodor Storm
An Theodor Mommsen

Die Welt ist voll von Sommerlüften,
Und ich plädiere im Gericht;
In Aktenstaub und Moderdüften
Versinkt das liebe Sonnenlicht.

So scheidet mich allaugenblicklich
Mein Amt aus dieser Sommerzeit –
Nicht jeder ist, mein Freund, so glücklich
Wie Sie in seiner Tätigkeit.

Wenn Sie in Bummelsehnsuchtsstillung
Sich wärmen nicht im Sonnenlicht,
So schaun Sie als Berufserfüllung
Den schmucken Dirnen ins Gesicht.
_______________________

Susanne Link empfiehlt:

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Graham Norton:Ein irischer Dorfpolizist
Übersetzt von Karolina Fell
Rowohlt Verlag € 12,00

Ganz im Süden Irlands liegt Duneen und Sergeant PJ Collins ist dort der Dorfpolizist.
Hier passiert nie viel, eigentlich garnichts, doch dann werden Menschenknochen gefunden und es kommt ein bißchen Leben nach Duneen und einiges verändert sich.
Diese sogenannte Dramödie ist humorvoll und geistreich und wunderbar zu lesen.

Dienstag, 24.Juli

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Heute haben
Alexandre Dumas d.Ä. 1802
Frank Wedekind * 1864
Hermann Kasack * 1896
Banana Yoshimoto * 1964
Geburtstag.
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Heute auf dem Gedichtekalender:

Theodor Storm
Mondlicht

Wie liegt im Mondenlichte
Begraben nun die Welt;
Wie selig ist der Friede,
Der sie umfangen hält!

Die Winde müssen schweigen,
So sanft ist dieser Schein;
Sie säuseln nur und weben
Und schlafen endlich ein.

Und was in Tagesgluten
Zur Blüte nicht erwacht,
Es öffnet seine Kelche
Und duftet in die Nacht.

Wie bin ich solchen Friedens
Seit lange nicht gewohnt!
Sei du in meinem Leben
Der liebevolle Mond!
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Claudia Wiltschek empfiehlt:

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Mariana Leky:Erste Hilfe
DuMont Verlag € 11,00

Die Erzählerin wohnt mit Sylvester , einem Frauenheld, der sich gerne im Badezimmer versteckt, wenn mal wieder eine seiner Freundinnen auftaucht, zusammen. Sie selbst arbeitet zur Studienfinanzierung in einem kleinen Zoogeschäft, eingeengt zwischen Vögeln, Meerschweinchen, Mäusen und Aquarien. Dort lernt sie auch Matilda kennen, die regelmässig für ihre Fische einkauft. Gesprochen wird nicht viel, bis sie eines Tages einen kleinen Jungen beobachten, der sich ein Meerschwein unter die Jacke schiebt und von den beiden nicht aufgehalten wird.
“ un haben wir ein Geheimnis“, sagt Matilda und ihre Freundschaft beginnt. Matilda ist nun ständiger Gast in der kleinen WG, bekommt eines Tages einen riesigen Hund geschenkt, der auch hier seinen festen Platz findet. Matilda weigert sich eines abends nach hause zu gehen, sie kann aus lauter Angst keine Strasse mehr überqueren und behauptet verrückt zu werden. Selbstverständlich darf sie dort einziehen und nun wird gemeinsam versucht Matilda von ihren Ängsten zu befreien.
Dies ist der erste (2004 erschienene) Roman von Mariana Leky und auch hier sind es wieder skurille, liebenswerte Menschen und Frau Lekys wunderbare Sprachbasteleien, die mir einen großen Lesespaß bereitet haben.

Ein Gespräch mit Mariana Leky über ihren ersten Roman „Erste Hilfe“:

„Wie hilft man einer Freundin, die Angst davor hat, die Straße zu überqueren?
In Ihrem Roman ›Erste Hilfe‹ nehmen drei Freunde den Kampf mit einem unheimlichen Gegner auf.“

ML: „In Freundschaften teilt man alles Schöne, und auch das, was unheimlich ist. Das unheimliche ist in diesem Fall eine Angst, die derartig an einem rüttelt, dass man glaubt, den Verstand zu verlieren. Mich hat interessiert, was geschieht, wenn eine so sperrige Angst in einer Freundschaft herumsteht – was man sich einfallen lässt, um das Leben wieder leichter zu machen.“

„Es ist bemerkenswert, wie fürsorglich die drei Freunde miteinander umgehen und manchmal sehr lustig, auf welche Ideen sie kommen, bei dem Versuch die Angst zu bezwingen. Ist dieser Umgang mit psychischen Störungen in unserer Gesellschaft üblich?“

ML: „Nein, es ist ja auch nicht leicht, unverkrampft mit einer Verkrampfung umzugehen.
Außerdem werden solche ‚komischen‘ Ängste und Phobien ja oft als peinlich bewertet. Oder als kindisch. Deswegen passieren sie, solange es geht, im Stillen. Ich glaube, keiner, der Angst vor Supermärkten hat, wird sich Ihnen – wenn er überhaupt noch einkaufen geht – zwischen Kühlregal und Wursttheke mit den Worten ‚Ich fürchte mich‘ in die Arme werfen. Solche Ängste laufen größtenteils unsichtbar ab.“

„Matilda hat Angst davor, über die Straße zu gehen. Warum haben Sie gerade diese Angst gewählt, gibt es einen besonderen Grund?“

ML: „Ich habe mir diese Angst ausgesucht, weil man mit ihr sofort aufgeschmissen ist. Eine Mäusephobie oder eine Flugangst macht das Leben nur in bestimmten Situationen kleiner. Eine Angst vor Straßen lässt den Lebensradius sofort zusammenschrumpeln. Man kann dieser Angst kaum ausweichen. Außerdem hat mir diese Angst gleich eingeleuchtet (allerdings leuchten mir fast alle Ängste gleich ein). Straßen können zu Ungeheuern werden. Jeder, der – wie ich gestern – gefühlte fünf Minuten lang auf einer vierspurigen Straße stand, mit drei Einkaufstüten in den Armen, umrauscht von Autos, wird bestätigen können: schön ist was anderes.“

„Man hat beim Lesen das Gefühl, dass diese Geschichte nur in einer Stadt spielen kann.“

ML: „Stimmt, Matildas Angst benötigt ein städtisches, größeres Publikum. Aber vor allem brauchte ich für die Liebesgeschichte einen großzügigen Stadtplan.“

„Apropos Liebe! Schon in Ihren Erzählungen ›Liebesperlen‹ schienen Ihre Figuren nicht besonders viel Glück mit der Liebe zu haben.“

ML: „Ich habe eher den Eindruck, dass die Figuren – bei aller Untröstlichkeit – trotzdem Glück in der Liebe haben; sie rütteln nur an den falschen Türen. Es stehen immer welche mit offenen Armen um sie herum.“

„Man hat beim Lesen das Gefühl, dass diese Geschichte nur in einer Stadt spielen kann.“

ML: „Stimmt, Matildas Angst benötigt ein städtisches, größeres Publikum. Aber vor allem brauchte ich für die Liebesgeschichte einen großzügigen Stadtplan.“

„Apropos Liebe! Schon in Ihren Erzählungen „Liebesperlen“ schienen Ihre Figuren nicht besonders viel Glück mit der Liebe zu haben.“

ML: „Ich habe eher den Eindruck, dass die Figuren – bei aller Untröstlichkeit – trotzdem Glück in der Liebe haben; sie rütteln nur an den falschen Türen. Es stehen immer welche mit offenen Armen um sie herum.“

Mariana Leky kommt am Freitag, den 7.September ins Ulmer Roxy.
Der Vorverkauf läuft.

Donnerstag, 14.September

Heute haben
Theodor Storm * 1817
Michel Butor * 1926
Ivan Klima * 1931
Eckhard Henscheid * 1941
Uli Becker * 1953
Geburtstag
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Theodor Storm
Abseits

Es ist so still; die Heide liegt
Im warmen Mittagssonnenstrahle,
Ein rosenroter Schimmer fliegt
Um ihre alten Gräbermale;
Die Kräuter blühn; der Heideduft
Steigt in die blaue Sommerluft.

Laufkäfer hasten durchs Gesträuch
In ihren goldnen Panzerröckchen,
Die Bienen hängen Zweig um Zweig
Sich an der Edelheide Glöckchen,
Die Vögel schwirren aus dem Kraut –
Die Luft ist voller Lerchenlaut.

Ein halbverfallen niedrig Haus
Steht einsam hier und sonnbeschienen;
Der Kätner lehnt zur Tür hinaus,
Behaglich blinzelnd nach den Bienen;
Sein Junge auf dem Stein davor
Schnitzt Pfeifen sich aus Kälberrohr.

Kaum zittert durch die Mittagsruh
Ein Schlag der Dorfuhr, der entfernten;
Dem Alten fällt die Wimper zu,
Er träumt von seinen Honigernten.
– Kein Klang der aufgeregten Zeit
Drang noch in diese Einsamkeit.
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9783608981063

Pierre Lemaitre:Drei Tage und ein Leben
Aus dem Französischen von Tobias Scheffel
Klett-Cotta Verlag € 20,00

Im Jahr 1999 verschwindet ein Junge aus einem Dorf spurlos. Eine große Suchaktion wird gestartet, aber nachdem ein Jahrhundertsturm über die Gegend jagt, sind alle Spuren ausgelöscht. Rémi heisst der sechsjährige Junge, der sich mit der Hauptperson Antoine im Wald bei ihrem Baumhaus getroffen hat. Was dann geschieht, verändert alles innerhalb ein paar Sekunden.

„Rémi, der ihn nie in einem solchen Zustand gesehen hatte, war verängstigt. Er wandte sich um, machte einen Schritt. Da nahm Antoine den Stock in beide Hände und schlug voller Wut auf das Kind ein. Der Stock traf die rechte Schläfe. Rémi brach zusammen, Antoine ging näher, streckte die Hand aus, schüttelte ihn an der Schulter: Rémi?“

Für seinen letzten Roman, „Wir sehen uns dort oben“, hat Pierre Lemaitre den wichtigsten französischen Literaturpreis erhalten, den „Prix Goncourt“ und ich war gespannt, was nach diesem dicken, unglaublich guten Buch noch folgen kann. Lemaitre hat sich ein ganz anderes Thema herausgesucht und hat gewonnen. Herausgekommen ist ein psychologiches Kammerspiel, in dem ein zwölfjähriger zum Mörder wird. Kann das überhaupt sein? Antoine versteckt den toten Freund und kommt selber fast um vor Sorgen, ob er erwischt wird und ob seiner Tat überhaupt.
Wie geht Antoine mit dieser Schuld um? Durch den Sturm könnte er auf der sicheren Seite sein. Aber so richtig daran glauben mag Antoine nicht.

„Die rasch unter Wasser gesetzten Straßen verwandelten sich erst in Bäche, dann in Flüsse, und trugen alles davon, was die Windböen wenige Stunden zuvor losgerissen hatten: Mülleimer, Briefkästen, Kleidungsstücke, Kisten, Bretter; man sah sogar einen kleinen weißen Hund, der versuchte, sich über Wasser zu halten, und den man am nächsten Morgen tot an einer Mauer finden würde.“

Antoine wird größer, er studiert Medizin, heiratet – aber seine Schuld lässt ihn nicht los. Und wie ein Mediziner seziert er sein Familien-, das Dorfleben in einem wirtschaftlichen Umbruch. Nach seiner Flucht aus der Enge ist er wieder heimgekehrt, wie magisch angezogen. Er hängt fest im engmaschigen Spinnenetz. Wie in der griechischen Tragödie kann er seinem Schicksal nicht entkommen.

Das Ende ist im Anfang enthalten. In dem Moment, in dem er das Verbrechen begeht, ist klar, dass er dem nicht entrinnen kann, dass, was immer auch passieren wird, er am Ende letztlich zum Anfang zurückgeführt wird„, so Lemaitre.

Ein Buch, das mich nicht mehr losgelassen, das mich gefessselt hat, wie Antoine in seiner engen Dorfgemeinschaft.

Leseprobe

Freitag

Bermaringen 6 Uhr
Bermaringen 6 Uhr

Heute haben
Nina Berberowa * 1901
Jostein Gaarder * 1952
Birgit Vanderbeke * 1956
Ralf König * 1960
Geburtstag
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Das Jahr ist voll. Zumindest beim Reclam Verlag.
Wir haben aktuell die August-Gedichte an der Kasse liegen und demnächst gibt es alle Monatsbändchen in einem Karton zum Sonderpreis.

August

„August“
Gedichte
Ausgewählt von Evelyne Polt-Heinzl und Christine Schmidjell
78 Seiten, Reclam Verlag € 5,00

Es dürfen fast 70 Gedichte sein, die sich in diesem Büchlein befinden. Und der August hat es doch schwer in sich. Gilt er doch als der Sommermonat. Allerdings kippelt meist in den letzten Wochen das Wetter vom Sommer zum Herbst. Die Ernten werden eingefahren und bei uns auf der Alb verändert sich Landschaft.
Denken wir noch nicht daran, genießen wir die heissen Tage und warmen Nächte.
U.a. finden wir Erich Kästner,Ernst Jandl, Gottfried Benn, Eugen Roth, Nicolas Born, Günter Grass, Joachim Ringelnatz, Novalis und natürlich die üblichen Verdächtigen, wie, Erich Fried, Robert Gernhardt, Enzensberger und Eichendorff, Hesse und Jandl. Aber, ach, oh Wunder kein Goethe. Gut, dass der nicht in allen Lyrikanthologien auftaucht.

Joseph Freiherr von Eichendorff
Treue

Wenn schon alle Vögel schweigen
In des Sommers schwülem Drang,
Sieht man, Lerche, dich noch steigen
Himmelwärts mit frischem Klang.

Wenn die Bäume all verzagen
Und die Farben rings verblühn,
Tannbaum, deine Kronen ragen
Aus der Öde ewiggrün.

Darum halt nur fest die Treue,
Wird die Welt auch alt und bang,
Brich den Frühling an aufs neue,
Wunder tut ein rechter Klang!

Christian Morgenstern
Hochsommernacht

Es ist schon etwas, so zu liegen,
im Aug der Allnacht bunten Plan,
so durch den Weltraum hinzufliegen
auf seiner Erde dunklem Kahn!

Die Grillen eifern mit den Quellen,
die murmelnd durch die Matten ziehn;
und droben wandern die Gesellen
in unerhörten Harmonien.

Und neben sich ein Kind zu spüren,
das sich an deine Schulter drängt,
und ihr im Kuß das Haar zu rühren,
das über hundert Sterne hängt …

Es ist schon etwas, so zu reisen
im Angesicht der Ewigkeit,
auf seinem Wandler hinzukreisen,
so unaussprechlich eins zu zweit …

Und noch ein Morgenstern-Gedicht, da wir doch gerade ein paar Tage auf Usedom waren, direkt dort, wo die goldene Stadt Vineta versunken ist.

Ein einunddreissigster August

Das war der letzte leuchtende August:
Der Sommer gipfelte in diesem Tage.
Und Glück erklang wie eine Seegrundsage
in den Vinetatiefen unsrer Brust.

Ein leises fernes Läuten kam gegangen –
und welche wollten selbst die Türme sehn,
in denen unsres Glückes Glocken schwangen:
so klar liess Flut und Himmel sie verstehn.

Der Tag versank. Mit ihm Vinetas Stunde.
Septembrisch ward die Welt, das Herz, das Glück.
Ein Rausch nur wie von Tönen blieb zurück
und schwärmt noch über dem verschwiegnen Grunde.

Theodor Storm
August

Die verehrlichen Jungen, welche heuer
Meine Äpfel und Birnen zu stehlen gedenken,
Ersuche ich höflichst, bei diesem Vergnügen
Wo möglich insoweit sich zu beschränken,
Dass sie daneben auf den Beeten
Mir die Wurzeln und Erbsen nicht zertreten.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Freitag, ein gutes Wochenende, obwohl Regen angekündigt ist und einen August, so wie Sie ihn gerne hätten.
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Ulm 9 Uhr
Ulm 9 Uhr

Mittwoch

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„Da Roberto“ in der Hafengasse
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Heute haben
Sven Hedin * 1865
Paul Zech * 1881
Giorgios Sefaris * 1900
Kay Boyle * 1902
Carson McCullers * 1917
Marin Sorescu * 1936
Thomas Brasch * 1945
Siri Hustvedt * 1955
Helen Fielding * 1958
Jonathan Lethem * 1964
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„Lyric zum Faulenzen“
Der Aufbau führt seine Reihe mit thematisch sortierten Gedichten fort.
Diesmal in in hell, gelben gelb mit orangener Schrift und Buchbinde.
O süßes Nichtstun
Hundert Gedichte zum Lob der Faulheit
Herausgegeben von Jürgen Engler
Aufbau Verlag € 14,00
Reservieren

Lyrik

Die hundert schönsten Gedichte über die Kunst, das rechte Maß von Faulheit und Tätigkeit, Hast und Rast zu finden. Gerade in unserer schnellen Zeit, in der alles so schnell wie ein Wischeln am Smartphone verschwindet. Wir beschäftigen uns mit Entschleunigung, schauen Philosophen über die Schulter, die uns zum Loslassen raten, finden Adressen über Schweigeklöster und wandern bis nach Spanien. Aber zu meinen, dass es nur uns so geht, im Zeitalter von Internet und Hochgeschwindigekitszügen, der täuscht sich aber ordentlich. Schon Gryphius spricht von einer „Rennebahn“, Storm schreibt über das „süße Nichtstun“ und Lessings Gedicht heisst: „Lob der Faulheit“.
Vielleicht gerade das richtige Buch zur richtigen Zeit. Heute ist Mittwoch, bis auf das Wochenende haben Sie sich einmal quer durchgelesen und verbringen dann zumindest das Wochenende in kompletter Faulheit
Mit Gedichten von Rose Ausländer, Wilhelm Busch, Hermann Hesse, Erich Kästner, Christian Morgenstern, Mascha Kaléko, Joachim Ringelnatz, Eva Strittmatter, Rainer Maria Rilke u.v.a.

Gotthold Ephraim Lessing
Lob der Faulheit

Faulheit, jetzo will ich dir
Auch ein kleines Loblied schenken,
Käm es nur gleich aufs Papier
Ohne lange nachzudenken
Doch, ich will mein bestes tun,
Nach der Arbeit ist gut ruhn.

Höchstes Gut! wer dich nur hat
Dessen ungestörtes Leben
Wird – ich gähn – ich werde matt –
Nu – so – magst Du mir vergebens,
Daß ich dich nicht loben kann;
Du verhinderst mich ja dran.

Angelus Silesius
Gott wird im Müßigsein gefunden

Viel eher wird dir Gott, wenn du ganz müßig sitzt,
Als wenn du nach ihm laufst, daß Leib und Seele schwitzt.

Friedrich Freiherr von Logau
Bücher

Es ist mir meine Lust, bei Toten stets zu leben,
Mit denen um und um, die nicht seyn, seyn gegeben,
Zu fragen, die sind taub, zu hören, die nichts sagen,
Und die, die haben nichts, sehr viel hingegen tragen,
Zu halten lieb und werth. Ich bin auff die beflissen,
Die mir viel gutes thun und doch von mir nichts wissen;
Ich halte diese hoch, die mich nur an nicht sehen;
Die manchmal mich mit Ernst verhöhnen, schelten, schmähen,
Sind meine beste Freund. Und solt ich die begeben,
Eh geb ich alle Welt, eh geb ich auch das Leben.

Theodor Storm
O süßes Nichtstun

O süßes Nichtstun, an der Liebsten Seite
Zu ruhen auf des Bergs besonnter Kuppe;
Bald abwärts zu des Städtchens Häusergruppe
Den Blick zu senden, bald in ferne Weite!
O süßes Nichtstun, lieblich so gebannt
Zu atmen in den neubefreiten Düften;
sich locken lassen von den Frühlingslüften,
Hinabzuziehn in das beglänzte Land;
Rückkehren dann aus aller Wunderferne
In deiner Augen heimatliche Sterne.
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Gestern in der Süddeutsche Zeitung. „Immer schön hochkochen“. In Müchen trafen sich E-Book-Verlage und die passenden Autoren dazu. So lässt das Erfolgsduo, das sich hinter dem Namen Iny Lorentz („Wanderhure“) ihren nächsten Roman („Wanderapothekerin“, hahaha) als eSerial erscheinen. Erstmal kostenlos anfixen und dann zweimal wöchentlich bezahlen. Klasse. In der FAZ steht, dass der Lübbe Verlag seine Jerry Cotton-, Drindl- und Arzt-Romane digital auf den chinesischen Markt werfen will. Dort sei ein großes Potential und ein riesiger Markt. „Oh Herr lass Hirn ra!“
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Samstag

So! Freitag, den 13. haben wir hinter uns gebracht.
Es war halt doch mal wieder nur ein ganz normaler Freitag, oder?
Und heute, am 14.September haben
Theodor Storm * 1817
Michel Butor * 1926
und
Ivan Klima * 1931
Geburtstag
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Theodor Storm
Das ist der Herbst

Das ist der Herbst; die Blätter fliegen,
Durch nackte Zweige fährt der Wind;
Es schwankt das Schiff, die Segel schwellen –
Leb wohl, du reizend Schifferkind! —
Sie schaute mit den klaren Augen
Vom Bord des Schiffes unverwandt,
Und Grüße einer fremden Sprache
Schickte sie wieder und wieder ans Land.
Am Ufer standen wir und hielten
Den Segler mit den Augen fest –
Das ist der Herbst! wo alles Leben
Und alle Schönheit uns verlässt.
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Heute folgt Teil 2 aus Jagoda Marinics:Restaurant Dalmatia

Buch

RAFAEL Toronto
14. Januar 2013

Sie greift nach dem Koffer und verdreht die Augen: „Warum packe ich eigentlich immer zu viel ein? Selbst wenn ich nur drei Tage verreise, packe ich zu viel ein! All das Zeug für keine zwei Wochen Europa!“ Plötzlich steht Rafael hinter ihr, atmet ihr in den Nacken und löst ihre Gedanken, ihre rechte Hand vom Gepäck. Sie schließt die Augen, als er nach ihren Handgelenken greift, sie hinter ihrem Rücken zusammenlegt, übereinander. Ihr Rücken rundet sich. Ihre Brust hebt sich. Ihr Kopf fällt mit sanftem Druck gegen sein Schlüsselbein. Er presst ihre Fingerknöchel gegen ihre unteren Wirbel, fährt auf und ab mit ihnen, bis ihr die Knöchel fast weh tun. Sie halten den Atem an, doch sie dreht sich nicht um. Kein Kuss jetzt, nein. Die Entscheidung ist gefallen. Seither ein Beil aus Gestern zwischen den beiden.
Vor ein paar Nächten war ihm dieses alte Polaroid-Bild von ihr in die Hände gefallen, und nur wenig später fiel die Entscheidung, zurück zu gehen. Du musst zurück nach Hause, flüsterte er in jener Nacht, du musst einfach zurück. Der letzte Kuss, bevor sich alles nur noch um Zurück drehte. ZURÜCK. Als wäre das ein Ort, der auf einen wartet, der dasteht, selbst wenn man sich verspätet, wie warme Suppe auf Großmutters Herd. Trotzdem nickte sie. Rafael, in jener Nacht noch ihr Rafael, strich ihr mitten in dieses Nicken hinein die Haare aus dem Gesicht, fasste sie in seinen Händen zu einem Zopf, zog fest an ihrem Haaransatz, dass sich ihre Augen zu Schlitzen verzogen. Dann kam er nah, so nah an ihr Gesicht, bis sich seine Augen in ihren verzerrten. Er sagte nichts weiter, nicht in jener Nacht – aber sie meinte, sie hätte etwas wie Liebe in seinem Schweigen gehört. Ja, sie würde nach Hause gehen. Dorthin, wo er es vermutete. Zuhause schien ein Ort zu sein für ihn, ein gestriger Ort, einer, der mehr mit dem zu tun hatte, wer man einst war, als mit dem, wer man sein wollte, jetzt. Oder morgen. Sie schwieg. Widersprach nicht. Fügte sich. Ihm zuliebe. Das wusste er. Denn er wusste von ihrer weiblichen Unfähigkeit, etwas sich selbst zuliebe zu tun. Über das Weibliche an dieser Unfähigkeit hätte sie sich stundenlang erzürnt, wenn er es ausgesprochen hätte, doch war sie ihm weiblich, diese Eigenschaft, das Eigene zu vergessen, sich in den Dienst von etwas zu stellen, völlig ungebeten und ungefragt; Frauen sind große Aufopfernde, diese Erfahrung hatte er längst gemacht, wusste von daher, wie kurz die Halbwertszeit dieser Aufopferung war, die alles Opfern in Zersetzung verwandelte, eine alles Wesentliche zersetzende Zersetzung, die nichts von dem mehr stehen ließ, was zuvor noch ein Opfer wert gewesen war; gerade die aufopfernden Frauen sind es, die eines Tages ihre Schwerter heben und sich vor alles stellen, was ihnen diese Opfer abverlangt; Es muss jetzt einzig um dich gehen, ließ er sie spüren in jener Nacht, als er ihr den Zopf hielt. Kaum dass sie ausgeatmet hat, ausgeseufzt, lässt er ihre Handgelenke los. Rafael verschwindet aus ihrem Nacken. Und die Tür fällt ins Schloss.

Jagoda Marinic liest bei uns im Buchladen am Donnerstag, den 26.9. um 19 Uhr.

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(Copyright : crisbeltran.com)

Ein Bericht über die Autorin und ihr Buch auf SWR2.
Ein Hörbeitrag auf Radio Bremen.
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Gestern kam ein ganzer Schwung Bücher aus der Insel-Bücherei.
Viele schöne Exemplare für Weihnachten mit Liedern, Gedichten und Geschichten.
Aber auch zwei Besonderheiten:

Sibylle Lewitscharoff, Friedrich Meckseper: „Pong redivivus
Insel Bücherei € 13,95
Vorzugsausgabe € 78,00

Pong

1998 bekam die Autorin für „Pong“ den Bachmann Literaturpreis und 2012 den Büchner Preis für ihr Gesamtwerk.Jetzt kommt Pong wieder. In dieser herrlich illustrierten Ausgabe lässt er seinen Gedanken freien Lauf. Kann er ja auch, denn er liegt im Krankenhaus.

Aber nun kommt mein wirklicher Liebling. Eines der Bücher, die auf meiner immerwährenden Bestenliste ganz oben stehen, praktisch Champions League:

Arno Schmidt:Tina“
Mit Illustrationen von Eberhard Schlotter
Insel Bücherei € 13,95

Tina

„Ja, Mann, haben Sie denn immer noch nicht gemerkt, dass Sie im Elysium sind“

Wenn ich nur daran denke, beginne ich zu schmunzeln. Schmidts Gang mit Tina in die Unterwelt. Der Eingang dorthin geht durch eine Litfasssäule (ähnlich wie beim „3.Mann“) und dort unten sind sie nun alle, die zwar tot sind, aber halt noch nicht vergessen. Ein ewiges Leben im Jenseitigen. Nicht in Ruhe tot sein können, was für eine Qual. Dies kennen wir natürlich von Homer und seinem Achill und Dantes Kömödie. Aber hier bei Schmidt ist es eine böse Satire und Schmidt zieht alle Register seines (oberlehrerhaften) Wissens. Eine name dropping vom Allerfeinsten. Da gibt es kein Halten. Wie fluchen die Alten dort unten und schimpfen auf jede Statue aus Marmor, die noch hunderte von Jahre mit ihrem Namen versehen ist. Denn, es kann nur eine wirkliche Ruhe geben, wenn nichts mehr an die jeweilige Person erinnert. Also kein Zettelchen, kein Straßenschild, keine Metallplatte. Ganz schlimm für solche Jungs wie Goethe und Schiller, die rund um den Erdball in verschiedensten Formen verewigt sind.
Entstanden ist diese Miniatur 1955 in Darmstadt, die Stadt, die Schmidt „am Darm“ bezeichnete.
Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen und rate Ihnen, essen Sie vorher keine Linsen. Die Blähungen bereiten auch unserem Reisenden einige Peinlichkeiten.

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Ein Wikipedia-Beitrag zu Arno Schmidts: „Tina“