Mittwoch, 29.März

Heute haben
Yvan Goll * 1891
Ernst Jünger * 1895
Opa Hans * 1927
Georg Klein * 1953
Jo Nesbo * 1960
Geburtstag
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Mario Mensch / Anna Olschwesky: „Planet der Hühner
Über die Nutzung des Huhns durch den Menschen
Brandes & Aspel Verlag  € 14,90

Eigentlich sollten Sie schon alles wissen über das Huhn und das Ei, nachdem wir hier schon zwei Bücher zum Thema vorgestellt haben. Fast täglich nehmen wir Nahrung zu uns, zu deren Bestandteil Eier gehören. Wo wir hinschauen finden wir Hühnermasten, in denen Unmengen von Tiere großgezogen werden. Mittlerweile gibt es dreimal so viele Hühner wie Menschen.
„Chicken or meat?“ heißt es im Flugzeug und zu den vielen Fragen rund um das Huhn wollen wir mit diesem Buch möglichst viele Antworten finden.
Mit vielen Zeichnungen, Grafiken, Tabellen und Zeittafeln versuchen uns die Autoren möglichst alles über den Planeten der Hühner zu erklären.

Das Hühnerfleisch das Fleisch der Zukunft? lautet auch somit gleich das erste Kapitel, bevor wir mehr über das Huhn erfahren.
Fortpflanzung
Das Ei
Brut und Aufzucht
Lebensstationen
Wahrnehmung
Tagesablauf
Sozailverhalten
heißen die nächsten Kapitel und wir sehen, um welche Uhrzeit Hühner Gefiederpflege, Futtersuche, Nestbau und Eiablage betreiben, bis sie sich nach mehreren anderen Tätigkeiten zur Nachtruhe begeben.
Geschichtlich geht es weiter: Von der Frühgeschichte bis zur Gegenwart.
Danach wird es knackig, wenn wir lesen und sehen, was mit Masthühnern und Legehennen passiert. Was hinter welchen Konzernen steht, wie die Wege des Eis bis in den Eierbecher sind. Futter, Mist, Schlachtung und Seuchen gehören genau so dazu wie die vielen Produkte, in denen Ei enthalten ist.
Nach der Lektüre wissen wir wieder deutlich mehr als vorher und wir können das Buch auch gut mit größeren Kindern anschauen, da die Grafiken sehr klar und anschaulich und überhaupt nicht schockierend sind.

Jetzt aber genug mit Huhn und Ei. Freuen wir uns auf Ostern und darauf, daß wir drei so tolle Bücher im Laden haben.
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Heute abend bei uns in der Buchhandlung um 19 Uhr:
Der Psychologe Stefan Plöger liest aus seinem neuen Buch „Im Licht in der Nacht“ und berichtet über seine Arbeit als Leiter der Telefonseelsorge Ulm.
Eintritt € 5,00

Dienstag, 28.März

Heute haben
Maxim Gorki * 1868
Bohumil Hrabal * 1914
Marianne Fredrikssen * 1927
Mario Vargas Llosa * 1936
Tilman Röhrig * 1945
Geburtstag
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Noch ein Eierbuch.

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Britta Teckentrup:Das Ei
Aus dem Englishen von Kathrin Köller
Prestel Verlag 19,99
Kinderbuch ab 6 Jahren

Britta Teckentrupp ist wirklich genial. Egal welches Bilderbuch sie veröffentlich, immer geht es viel zu Staunen und zu bewundern. Sie hat ihren eigenen Stil, an dem sie erkannt werden kann und doch variiert sie, ändert, verändert und gibt dem jeweiligen Thema eine ganz besondere Note.
Jetzt hat der Prestel Verlag rechzeitig vor Ostern dieses Buch veröffentlicht, das meiner Meinung nach als Kunstband durchgehen kann. Ein Bilderbuch, ein Sachbuch, ein Buch, das einfach gut tut, in seiner Ruhe, in seiner Zartheit.
Das Ei, der Beginn allen Lebens, ist gerade rund um die Osterzeit überall präsent. Doch woraus bestehen Eier eigentlich? Und was passiert in ihnen? Legen nur Hühner, Gänse und Schwäne Eier – oder wer sonst noch? Britta Teckentrup hat spannende naturwissenschaftliche Informationen zu Farben und Formen, zu Vögeln und Nestern, zur Mythologie und zur kulturellen Bedeutung gesammelt und in faszinierende Bilder umgesetzt. Die Eier werden in Originalgröße in herausragenden künstlerischen Illustrationen abgebildet. Ein umwerfendes Sachbilderbuch, das in keinem Osternest fehlen darf.
Recht hat der Verlag, der dies auf seiner Homepage veröffentlicht hat.

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Werner Färbers Ungereimtheit der Woche:

Bumerang – Down Under CCCXXXII
(Joachim Ringelnatz gewidmet)

Es schlenderte ein Mann entlang
Down Under mit ’nem Bumerang.
Er warf ihn auf ein Känguru,
traf aber nicht, so kam im Nu
(zu des Beuteltieres Glück)
das Wurfgeschoss sirrend zurück.
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Am kommenden Mittwoch liest Stefan Plöger aus seinem neuen Buch
„Im Licht der Nacht“ und berichtet über seine Arbeit bei der Telefonseelsorge.
Beginn: 19 Uhr
Eintritt: € 5,00
Bei uns in der Buchhandlung

Mittwoch

Heute haben
Peter Hille * 1854
O’Henry * 1862
D.H.Lawrence * 1885
Geburtstag
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Peter Hille
Hymnus an die Dummheit

Dummheit, erhabene Göttin,
Unsere Patronin,
Die du auf goldenem Throne,
Auf niedriger Stirne die blitzende Krone,
Stumpfsinnig erhabenes Lächeln
Auf breitem, nichtssagendem Antlitz –
Königlich sitzest:
Siehe herab mit der Milde Miene
Auf deine treuen, dir nach-
Dummenden Kinder,
Verjage aus dem Land
Die Dichter und Künstler und Denker,
Unsere Verächter,
Vernichte die Bücher – Traumbuch und Rechenknecht,
Briefsteller und Lacherbsen verschonend,
Und wir bringen ein Eselchen dir,
Dein Lieblingstier,
Dein mildes, sanftes, ohrenaufsteigendes Lieblingstier.
Eine goldene Krippe dafür
Und ein purpurnes Laken von Disteln.
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Jastrams Kinderbuchexpertin Anja empfiehlt heute:

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Jostein Gaarder: „2084 – Noras Welt
Übersetzt aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs
Jugendbuch ab 12
Hanser Verlag € 14,90
als eBook € 11,99
Als ungekürzte Lesung auf 1 MP3-CD € 14,99
Der Hörverlag
Gelesen von Rosalie Thomass

„Die Schlittenfahrt
Solange Nora denken konnte, waren die Familien aus dem Dorf zu Silvester mit dem Schlitten zu den Almhütten hinaufgefahren. Zur Feier des neuen Jahres striegelte und schmückte man die Pferde, und an den Schlitten wurden in der Dunkelheit Schellen und brennende Fackeln befestigt. In manchen Jahren fuhr eine Schneewalze voraus, damit die Pferde nicht im losen Schnee auf der Stelle traten, aber hinauf in die Berge ging es am Silvesterabend immer, und nicht auf Skiern oder mit dem Schneemobil, sondern mit Pferd und Schlitten. Die Weihnachtszeit hatte auch so ihren Zauber, aber die Schlittenfahrt zur Hütte in den Bergen war erst das wahre Wintermärchen.
Zu Silvester war alles anders. …“ So beginnt der Roman.

Nora, 15 in ein paar Tagen 16 Jahre, macht sich viele Gedanken um die Umwelt. Dieses Thema beschäftigt Sie so sehr, dass sie sogar Nachts davon träumt. Ihre Träume spielen immer im Jahr 2084, wo alles gar nicht mehr so bunt und artenreich aussieht wie jetzt. Im Gegenteil. Viel Wüste, viele Flüchtlinge ziehen mit Ihren Kamelen umher und Autos gibt es schon lange nicht mehr. Im Traum ist Sie Urgroßmutter einer Enkelin namens Nova. Alles Zufall? Daran glaubt Nora eigentlich nicht. Und der Diamantring, den Sie seit wenigen Tagen am Finger trägt, ist auch nicht ganz unbeudeutend für die ganzen irritierenden Träume….
Sie muss im Hier und Jetzt etwas gegen die Erderwärmung unternehmen, mit Ihrem Freund Jonas zusammen entwickelt Sie einen „Notfall- Plan“, hoffentlich ist es noch nicht zu spät….
Jostein Gaarder ist ein starkes Buch zu einem wichtigen Thema gelungen. Er hat viele Infos in seine Geschichte mit eingeflochten, wenn man das Buch zuklappt, wirkt es noch lange nach.
Ganz tolles Buch!

Leseprobe
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Heute bekommen Sie den letzten Lesehappen aus
Stefan Plögers: „Der Klang der Hingabe“.

VII
Die beiden zögerten. Sie waren sich ihrer Sache nicht sicher. Das sagten sie ihm. Sie hatten heute ja erst angefangen. Aber irgendwie passte es auch, Ari daran teilhaben zu lassen. Warum sollte er in diese Zwiesprache nicht eingeschlossen sein? Zögernd standen sie auf. Claus setzte sich an den Flügel, Jan nahm seine Geige. Sie begannen mit dem ersten Satz. Sie ließen sich Zeit dabei und spielten einige Passagen mit Bedacht aus. Trotzdem spürten beide, dass die Musik nicht wirklich ankam. Sie zerfloss ihnen unter den Fingern. Als ob sie etwas suchen würden, das sie auf Abstand hielt. Ihre Unsicherheit wuchs. Sie brachen den Satz ab, ohne ihn zu beenden. Sie waren selbst überrascht. Warum konnten sie nicht überzeugender sein? Sie schauten auf Ari, ohne sich wirklich eine Antwort von ihm zu erwarten. Er wollte nicht die Rolle des Kritikers übernehmen. Dazu fühlte er sich nicht berufen. Musik zählte für ihn, wenn sie fähig war, Herzen zu berühren. Jetzt wollte er den anderen beiden beispringen, aber auch beitragen, dass sie in ihren Versuchen weiterkämen.
„Ich ahne etwas von dem, was ihr mit der Musik meint. Ihr seid ja am Anfang. Bitte, dafür…Aber, was ist es, was fehlt? Es ist wie hinter einem Vorhang gespielt. Als ob alles von Nebel umgeben ist. Ich kann es nicht besser sagen.“
Claus wusste, dass für Ari klassische Musik nicht im Mittelpunkt seines musikalischen Interesses stand. Aber er hatte irgendwie recht. Claus merkte selbst, wie er gebremst war, sich der Musik wirklich zu überlassen. Hatte Ari etwas dazu zu sagen? Claus wollte seine Meinung hören. Vielleicht war das ja ein Vorteil, dass Ari einen ganz anderen musikalischen Hintergrund hatte.
„Du kannst uns da vielleicht helfen. Sag, was ist dir aufgefallen?“
„Na ja: Wenn ich mit meinen Leuten Musik mache, dann machen wir Musik mit dem ganzen Körper. Bei euch sehe ich die Bewegung der Hände. Aber ich habe nicht gesehen, dass eure Körper vibrieren.“
Ari erzählte ihnen davon, dass jemand, der seine Musik spielt, sich ihr mit Haut und Haaren überlassen müsse. Es war eine Musik, die mit Körper und Seele gespielt wurde. Es gab keine Distanz zu ihr. Seine Musikanten waren keine Interpreten. Sie waren die Musik selbst.
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Ab morgen gibt es Ausschnitte aus Jagoda Marinics Roman: „Restaurant Dalmatia„, das gestern in den Laden kam und aus dem sie am Donnerstag, den 26.9. um 19 Uhr bei uns im Buchladen lesen wird.
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Auf unserem Fotoblog sehen Sie heute eine Geldbörse, hergestellt aus einer Musikkassette.
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Dienstag

Heute haben
Hilda Doolittle * 1886
Franz Werfel * 1890
Carl Jacob Burckhardt * 1891
Georges Bataille * 1897
Reinhard Lettau * 1929
Geburtstag
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Hier kommt das nächste Textschnipsel aus
Stefan Plögers Roman: „Der Klang der Hingabe“

VI
Sie hatten eine ganze Zeit musiziert, als es klingelte. Die Musik brach ab. Claus erwartete niemanden. Jan schaute ihn an, er zuckte mit den Achseln. Ari stand vor der Tür. Überraschung und Freude waren gleich groß. Das sah Ari ähnlich, unangemeldet vorbei zu kommen in der traumwandlerischen Sicherheit, dass er schon jemanden antreffen würde. Claus bat Ari herein und stellte ihn Jan vor. Ihm fiel sofort sein letzter Besuch bei Ari ein. Sie fanden schnell zusammen. Es gab viel zu erzählen. Von gemeinsamen Freunden. Von der langen Zeit, in der Ari nicht in Deutschland gewesen war. Von seiner Ausweisung, die er nicht verschwieg. Sie war präsent. Ari nahm kein Blatt vor den Mund. Es war spürbar, wie sehr er verletzt worden war. Aber es tat dem guten Einvernehmen der drei keinen Abbruch.
Ari erzählte von seiner Reise. Er verschwieg seine Begegnung im Zug, die ihm selbst noch zu frisch und unmittelbar war. Er konnte sich vorstellen, den beiden an anderer Stelle davon zu erzählen. Er merkte, dass es ihm schwer fiel, einfach sitzen zu bleiben. Er ging durch das Zimmer, strich über die Oberfläche einer alten Kanne. Er schaute auf eine Radierung, die einen alten Frauenkopf zeigte. Die verhärmten Züge standen in merkwürdigem Kontrast zu der Eindringlichkeit der Gestalt, zur Wachheit ihres Blicks. Ari schlenderte zum Flügel. Er deutete auf die aufgeschlagenen Noten.
„Habt ihr das gerade gespielt?“
Er blätterte darin.
„Lasst doch mal hören.“
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Mein Buchtipp des Tages hat enorme Aktualität und bleibt von den großen Feuilletons unbeachtet. Die vielen Onlineportale haben ihn noch nicht auf dem Schirm, obwohl er an vielen Ecken schon aktiv ist. Gut, das dicke, äh bunte Ende kommt erst noch, sein Wirken ist jedoch schon deutlich zu erkennen. Der Herbst kommt mit aller Macht und da passt das Gedicht von Peter Hacks ausgezeichnet.

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Peter Hacks: „Der Herbst steht auf der Leiter
Illustrationen von Annika Huskamp
Eulenspiegel Verlag € 6,95

Das kleine Format, die dicke Pappe, die super Illustrationen passen sehr gut zusammen. Ein Buch für die Kleinen zum Vorlesen und die haben dann noch ein handliches Bilderbuch zum Anschauen. Und als besondere Dreingabe gibt es auf der letzten Seite noch Noten zum Mitsingen. Ideal für die ganze Familie.
Feiern wir also die heutigen Klassiker: Den Herbst und natürlich Peter Hacks, den großen Autoren, der 1928 geboren und 2003 in Berlin gestorben ist.

Peter Hacks

Der Herbst steht auf der Leiter
Und malt die Blätter an,
Ein lustiger Waldarbeiter,
Ein froher Malersmann.

Er kleckst und pinselt fleißig
Auf jedes Blattgewächs,
Und kommt ein frecher Zeisig,
Schwupp, kriegt er auch nen Klecks.

Die Tanne spricht zum Herbste:
Das ist ja fürchterlich,
Die andern Bäume färbste,
Was färbste nicht mal mich?

Die Blätter flattern munter
Und finden sich so schön:
Sie werden immer bunter.
Am Ende fall’n sie runter.

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Montag

Heute haben
Leo Tostoj * 1828
Cesare Pavese * 1908
Geburtstag
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Theodor Fontane
Im Garten

Die hohen Himbeerwände
Trennten dich und mich,
Doch im Laubwerk unsre Hände
Fanden von selber sich.
Die Hecke konnt` es nicht wehren,
Wie hoch sie immer stund.
Ich reichte dir die Beeren
Und du reichtest mir deinen Mund.
Ach, schrittest du durch den Garten
Noch einmal im raschen Gang,
Wie gerne wollt` ich warten,
Warten stundenlang.
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Hier kommt der 5. Lesehappen aus Stefan Plögers Roman: „Der Klang der Hingabe„, den es bei uns im Buchladen für € 12,50 zu kaufen gibt.

V
Niemand hätte auch nur im Entferntesten geahnt, dass dieser Abend der Beginn einer Entwicklung war, aus der keiner der Beteiligten unverändert hervorgehen würde.
Es war nicht das erste Mal, dass sich Claus und Jan zum Musizieren verabredeten. Immer wieder hatten sie sich mehr oder weniger spontan getroffen und genossen es, ohne große Vorbereitung in anspruchsvolle Literatur einsteigen zu können. Es brauchte keine Vorbereitung, dass sie etwas vom Blatt spielen konnten – und noch dazu so, dass sie ihren Spaß daran hatten.
Jan hatte seine Geige ausgepackt und gestimmt. Sie hielten einen Moment inne, nahmen Blickkontakt auf und begannen mit dem Ausatmen. Claus lauschte beim Spielen der Geigenkantilene. Es waren Nuancen, die ihm mitteilten, in welcher Stimmung Jan gerade war. Sie hatten gelernt, aufeinander zu hören. Es gab ein unausgesprochenes Einverständnis zwischen ihnen. Sie kannten die Gefühlsbewegungen des Anderen und konnten sich ihm mitteilen. Sie bewegten sich durch die Fülle des musikalischen Materials. Wie Kinder, die sich staunend in einer ihnen ganz neuen Welt bewegen. Sie hatten den ersten Satz ohne Unterbrechung durchgespielt. Es gab Stellen, die ihnen mit ihren gegensätzlichen Rhythmen alles abverlangten. Sie freuten sich daran, gut im Kontakt zu sein oder sich immer wieder zu finden und schwierige Passagen zu bewältigen. Natürlich war es undenkbar, gleich alle Verbindungen und Nuancen zu verstehen. Da war noch viel Arbeit zu tun. Das wussten beide.
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Was es auch noch gibt, ist das neue Büchle von Tanja Hanser.
„Ich bin wichtig“ gibt es ab dieser Woche für € 15,00.
Mehr oder weniger exklusiv bei uns im Laden.

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Tanja Hanser lädt im Rahmen der Ulmer Kulturnacht wieder ein.

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Mehr von Tanja Hanser gibt es hier und bei uns im Laden.

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Mein Buchtipp für den Montag ist etwas gewagt, da der Philosoph Byung-Chul Han ein großer Kritiker des Internets ist und ich doch Sie als LeserIn meines Blogs einfangen will. Ein klarer Fall eines Dilemmas.
Trotzdem, hier kommt die Buchvorstellung, so wie wir die anderen Bücher von ihm hier schon erwähnt haben.

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Byung-Chul Han: „Im Schwarm
Ansichten des Digitalen
Matthes & Seitz Verlag € 12,80

Der Berliner Verlag packt in seiner Reihe „Fröhliche Wissenschaft“ immer wieder heisse, aktuelle Themen an. Und in Herrn Han hat er einen fundierten Gegner des Internets. Nicht dass er es komplett verteufelt, er stellt jedoch die Folgen dieses umwälzenden Erneuerung in vielen seiner Bücher vor.
Müdigkeitsgesellschaft„, „Transparenzgesellschaft„, „Agonie des Eros„, „Digitale Rationalität und das Ende des kommunikativen Handelns“ seien hier genannt. Alle sind in dieser schmalen Reihe erschienen, die ausgezeichnet in fast jede Hosen-, Manteltasche passt.
Hans Bücher drehen sich, wie schon erwähnt, oft um das Thema, wie wir uns durch die Digitalisierung unserer Welt verändern. Dem einen oder anderen mag dies vielleicht zuviel sein. Ich finde, dass er in jedem seiner Bücher neue Fasetten aufdeckt. So auch auf diesen 100 Seiten. Es sind seine Worterläuterungen, die mir dieses Mal gut gefallen haben.
Er beginnt mit dem Wort „Respekt“, das „zurückblicken“ heisst. Also auch etwas mit Rücksicht zu tun hat. Respekt ist an Namen und Personen gebunden, schreibt er. Damit ist die Welt des Internets, die Welt des Anonymen respektlos. Deshalb sind diese shitstorm auch respektlos. Er führt weiter aus, dass solche shitstorms im Netz oft sehr spontan erzeugt werden und sich Menschen schnell und voller Emotionen anschließen. Dagegen gibt es in New York eine Regel, nach der man nach einem Theaterabend erst einmal ein paar Häuserblocks zu Fuß gehen soll, bevor man sich zu einem Urteil hinreissen lässt. Also erst einmal darüber schlafen, könnte man auch dazu sagen.
Er zitiert Michel Butor, einen wichtigen Vertreter des Nouveau Roman, der meint, dass die europäische Literatur auf der Stelle tritt. Es gäbe nichts Neues mehr, dass der Geist in der Stille groß wird. Und im Lärm des Internets und seiner Kommunikationsmittel gibt es keine Stille mehr. Er zitiert Kafka, der meinte, dass man nur nahe Personen wirklich fassen kann. Alles andere gehe über die Menschenkraft. Geschriebene Küsse kämen nicht an ihren Bestimmungsort, sie würden von Gespenstern gefressen. (Ha, der gute alte Franz). Nun ist jedoch die Zeit der Briefe und Depeschen längst vorbei und wir meinen, wir sind uns durch die viele Techniken über große Entfernungen hinweg wieder sehr nahe. Oder geht uns damit nicht die wirkliche Nähe verloren?
Sie merken schon, Han polarisiert und macht sich angreifbar. Er erwähnt große Internetkonzerne, ohne näher auf sie einzugehen. Er erwähnt Google Glass, von dem ich ausgehe, dass es viele Menschen (incl. mir) nicht kennen. Wie würde mein Alltag aussehen, hätte ich diese ganzen digitalen Möglichkeiten nicht? Und wie sieht er dann aus, wenn sie ausfallen. Han stellt Thesen in den Raum, über die man nächtelang diskutieren kann.Und das macht es doch gerade sehr spannend.

Donnerstag

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Heute hat Julien Green (* 1900) Geburtstag
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Doug Adams
„But there are nights when the wolves are silent, and only the moon howls.“
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Ein weiteres Texthäppchen aus Stefan Plögers: „Der Klang der Hingabe“:

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Auf der Straße merkte er, wie sich sein Magen zusammenzog. Es fühlte sich an, als stünde er unter Hochspannung. Ein intensives Vibrieren nahm Besitz von seinem Körper, gegen das er sich nicht wehren konnte. Er wusste, er war nicht in unmittelbarer Gefahr. Um so erschreckender war der Angstzustand, der ihn jetzt mehr und mehr überfiel. Es gab keine Erklärung dafür. Eine hoch aufgerichtete Klapperschlange direkt vor ihm hätte nicht erschreckender sein können. Aber die gab es nicht. Gerade das machte es so bedrohlich. Er spürte den kalten Schweiß, der in feinen Rinnsalen seine Wangen hinab lief. Seine Gedanken rasten. Was war mit ihm los? Er konnte es sich nicht erklären. Er musste sich hinsetzen. Er hatte Angst, dass sein Kreislauf versagen und er umfallen würde. Einen Augenblick hielt er die Augen geschlossen, aber das hielt er nicht aus. Alles drehte sich. Er riss die Augen wieder auf und wusste: So musste es sich anfühlen, wenn es zu Ende ging. Wenn der Tod an seiner Seite war, ihn umschlich und auf den günstigen Moment wartete, wo er ihn überfallen und umreißen könnte. Claus suchte eine Parkbank. Die Banklehne drückte unangenehm in den Rücken. Er spürte, dass er sich gerne fallen lassen würde, aber genau das durfte er jetzt nicht. Er musste sich aufrecht halten. Sein Herz raste. Es schlug viel zu schnell. War das das Ende? Es war nur eine leise, kaum hörbare Stimme in ihm, die ihm sagte, dass er sich fügen und das akzeptieren müsse, was ihm vorbestimmt war. Es war wie ein Stillstand, der sich in ihm ausbreitete, wie das Schweigen der Tiere, wenn sich die Dämmerung auf die Erde senkt. Es war ein unerwarteter Frieden, der ihn umgab. Er merkte, wie die Verkrampfung nachließ. Erschöpfung überfiel ihn. Er zog ein Taschentuch aus seiner Hosentasche, hatte Mühe, es in der Hand zu halten, und wischte sich zitternd den Schweiß von der Stirne.
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Hamid

Mohsin Hamid:So wirst du stinkreich im boomenden Asien
Aus dem Englischen von Eike Schönfeld
DuMont Verlag € 18,99

„Seien wir ehrlich, ein Selbsthilfebuch ist ein Widerspruch in sich, es sei denn, man schreibt selbst eines. Es ist doch so: Du liest ein Selbsthilfebuch, damit jemand, der nicht du ist, dir helfen kann, und dieser Jemand ist der Autor. Das gilt für das gesamte Selbsthilfegenre. Zum Beispiel für Ratgeberbücher. Und für Selbstverbessungsbücher.“
Ja was jetzt? Kommt da wirklich ein Ratgeberbuch auf mich zu? Erfahre ich nun wirklich, wie ich stinkreich in Asien werden kann? Und womöglich auch in Deutschland? Womöglich sogar als Buchhändler? Wenn ja, dann her damit!
„Zieh in die Stadt“ lautet die Überschrift zum ersten Kapitel, das dann, wie oben beginnt.
„Verschaff dir Bildung“ lautet die zweite Überschrift und beginnt dann so:Es ist beachtlich, wie viele Bücher in der Kategorie Selbsthilfe fallen. Warum liest du beispielsweise diesen Hochgelobten, atemberaubend langweiligen ausländischen Roman weiter, kämpfst dich von Seite zu Seite zu Bitte-aufhören-Seite teerträger Prosa und formaler Überspanntheiten, die einem die Röte ins Gesicht treiben, wenn nicht aus dem Drang, ferne Länder zu verstehen, die wegen der Globalisierung das Leben in dem deinen deinen zunehmend beeinflussen? Was ist dieser dein Drang im Kern, wenn nicht ein Wunsch nach Selbsthilfe?
Kapitel 5 „Lerne von einem Meister“
Kapitel 7 „Scheu nicht vor Gewalt zurück“
Bis hin zum letzten und 12.Kapitel, das so überschrieben wird: „Denk an ein Ausstiegsszenario“
So weit die Überschriften und ersten Sätze in den jeweiligen Kapitel. Aber was sich dazwischen alles tut, kann ich auf die Kurze gar nicht beschreiben. Moshin Hamid ist in Pakistan geboren und hat u.a. Jura und Literatur in Harvard und Princeton studiert. Nach Stationen in New York und London lebt er mit seiner Familie wieder in Lahore. Und dieses globale Wissen, was er in seinem Leben angehäuft hat, bekommen wir hier aufgetischt. Aber: Hamid hat einen so frechen Witz, einen schwarzen Humor, der sich gewaschen hat. Seine Hauptperson, ein unbenannter Mann, wird in den Slums geboren; bekommt alles mit, was es dort an legalen und illegalen Dingen zu sehen gibt. Er ist kränklich und seine Familie glaubt nicht an großes Glück für den Kleinen. Doch das, was er in diesen Jahren gesehen hat, prägt ihn und er zieht in die Grossstadt und macht eine Tellerwäscher – Millionärskarriere. Sein Gold ist Wasser. Das wichtigste Gut überhaupt. Und mit diesem Lebensspender baut er sich ein Imperium auf, das auf Korruption, Betrug und Gewalt beruht. Sein Herz hat er allerdings an ein junges Mädchen verloren. Beide werden erfolgreich in ganz unterschiedlichen Bereichen. Die Jahre vergehen, Hochzeiten und Scheidungen gehen ins Land, aber sein Herz gehört immer noch ihr, obwohl sie sich nicht oft sehen. Moshin Hamid hat es geschafft, diese Satire, diese Farce auf den Kapitalismus mit einer Liebesgeschichte zu vermischen. Und diese Liebeschichte und die Wendungen im Verhalten des Mannes kommen erst am Ende zu Tage. Gleichzeitig sagt Hamid in einem Interview, dass es auch ein spirituelles Buch ist. Es sei ein durch und durch säkularer Text, aber handelt von spituellen Krisen. Ein Thema: Der Verlust. „Verlust von Gesundheit, Verlust von geliebten Menschen, Verlust des eigenen Lebens. Diesen Verlusten hat die Religion einmal einen Sinn gegeben.“ Doch in unserer Zeit der Glaubenskriege und der Globalisierung ist auch das vorbei. Kurz hintereinander habe ich Abbas Khiders: „Brief in die Auberginenrepublik“ und dieses Buch gelesen und in meinem Kopf haben sich beide miteinanderverwoben und mir mehrfach die Augen geöffnet. Vielleicht lohnt sich dieser Doppelpack. Sie werden es nicht bereuen.

Leseprobe

Mittwoch

Heute haben
Leonhard Frank * 1882
Antonin Artaud * 1896
Richard Wright * 1908
Geburtstag
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Leonhard Frank
Nur wer denkt und die Menschen liebt, kann ihnen den Frieden bringen.
Wir denken nicht und lieben nur uns selbst.

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Gestern haben abend hatten wir einen rappelvollen Laden mit vier neuen Bücher, einer tollen Vorleserin Marion Weidenfeld und Stefan Plöger, der selbst sein Buch kurz vorstellte. Als die Türe dann wieder offen war, gab es noch längere Gespräche und der Rosé kam gut an.
Danke für’s Kommen und Mitmachen.

Der nächste Termin ist
Donnerstag, der 26.9. um 19 Uhr
bei uns in der Buchhandlung.
Jagoda Marinic liest aus ihrem neuen Buch: „Restaurant Dalamtia“.
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In den nächsten Tagen werde ich Textpassagen aus
Stefan Plögers Buch: „Der Klang der Hingabe“ veröffentlichen.

I
Claus hielt es nicht mehr zuhause. Er musste aus dieser Enge heraus. Er warf sich einen Mantel über und irrte ziellos durch die Straßen. Er hätte nicht sagen können, wo er sich gerade aufhielt. Der schlichte Kubus eines großen Gebäudes zog ihn an. Er betrat den Vorraum. Die Temperatur war ebenso unterkühlt wie das Ambiente des Raums. Die Wände weiß getüncht, klare, einfache Linien. Er war sich nicht sicher, ob er hier sein wollte. Aber nun war er hier. Er hätte nicht gewusst, was es jetzt anderes zu tun gäbe. Eine Ausstellung, deren Thema er nicht kannte. Er schlenderte an den Exponaten vorbei. Schwarz-weiß-Bilder, kaum zu unterscheiden, ob es Fotografien oder Zeichnungen waren. Keines der Bilder sprach ihn wirklich an. Er konnte sich nicht damit verbinden. Er betrat einen abgedunkelten Raum, in dem Spots auf die einzelnen Bilder gerichtet waren, so dass es schien, als würden sie von innen heraus leuchten. Das Portrait einer alten Frau zog ihn an. Er brauchte eine Weile, bis er die Gesichtszüge erkennen konnte. Er merkte, wie sich das Bild von einem zum nächsten Moment neu zusammensetzte. Es schien eine Art Kippbild zu sein, das bei längerer Betrachtung von einer Wahrnehmungsmöglichkeit in eine andere umschlug. Jetzt sah er einen alten Mann, knorrig, abweisend. Er ging einen Schritt auf das Bild zu. Die Leuchtkraft nahm zu. Und wieder sah er eine Veränderung. Ein fratzenhafter Kopf starrte ihn an. Die Backen mit Wülsten wie graumelierte Putzwolle, ein stechender Blick. Ein Zittern ging durch das Bild. Der Kopf schien aus der Bildfläche hervorzutreten. Das hämische Grinsen war unerträglich. Claus konnte eine Stimme hören: „Ich entscheide, wann ich dir begegnen will. Nicht du.“ Erst jetzt sah er die angedeuteten Hörner. Es war die Fratze eines Teufels mit glühenden Augen. Er hätte länger darauf schauen müssen, um das Bild erneut zum Kippen zu bringen. Er konnte nicht. Er schaute weg. Sein Herz klopfte. Er wusste nicht, ob jemand Anderes das sehen konnte, was er hier gesehen hatte. Er verließ das Museum wie auf der Flucht.
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Unser Tipp des Tages ist ein Bilderbuch mit einem sehr „wichtigen“ Thema:

Hopgood

Tim Hopgood: „Sooo groß
Aus dem Englischen von Stephanie Menge
Sauerländer Verlag € 14,99
Bilderbuch ab 3

Welches Kind möchte nicht endlich groß sein? So groß, wie …???
Der kleine Junge in diesem englischen Bilderbuch fragt sich auf der ersten Seite: „Wie groß bin ich?“ und in Klammern steht unten in der Ecke: „(Ich weiß es nicht)“. Dabei trägt er eine kleine Pflanze in einem Topf. Na, zumindest größer als diese Pflanze ist er schon mal. Er kann zwar seine Zehen, aber nicht den Himmel anfassen. Neben seinem Freund Ben ist er nur ein Knirps. Aber warten Sie bis zum Schluss des Buches, ob er neben Ben immer noch klein erscheint. „…ich wachse. Ich bin größer als früher, das weiss ich genau. Ich kann meine Augen im Badezimmerspiegel sehen. Aber wann bin ich GROSS?“, denkt er wieder. Gegenüber einer Ameise ist er riesig, gegenüber einem Bären …, wir wollen gar nicht drandenken. „Neben einem Popcorn bin ich ein BERG. Ich muss mindestens 500 Popcorns hoch sein.“ Aber in den Hochhausschluchten von New York ist er wirklich klein. Endlich groß zu sein, lässt ihn einfach nicht mehr los. Und vielleicht, so denkt er, wird er einmal so groß, wie sein Papa. Denn: Größer geht eh nicht.
Tim Hopgood hat ein sehr angenehmes, einfaches Bilderbuch geschrieben und illustriert. Die Bilder erinnern ein wenig an die alten Büchern aus den 50er Jahren, haben aber überhaupt nichts verstaubtes, sondern strahlen eine Ruhe aus, die wir oft in Bilderbüchern nicht mehr finden. Hopgood arbeitet mit Farben, die gut abgestimmt sind und er benutzt, sehr passend zum Buch, verschiedene Schrifttypen und natürlich verschiedenste Schriftgrößen. So beginnt ein Satz mit einem rieseigen „ABER“ und endet sehr sehr klein mit „klein“.
Ich kann mir vorstellen, dass dieses Buch, den kleinen Kindern sehr gut gefallen wird. Unsere kleine Nachbarin stellt sich jedes Mal an die alte Messlatte, die bei uns der Küche hängt und auf der noch Striche von mir drauf sind. Sie versucht mit allen Mitteln und auf Zehenspitzen auf die jeweiligen Bildchen zu gelangen.
Und: Wollen wir nicht alle ein wenig größer sein / erscheinen?

Leider sind auf der Seite des Verlages keine weiteren Bilder, die ich Ihnen hier zeigen könnte. Aber schauen Sie auf die website von Tim Hopgood, die ist knallvoll mit verschiedensten Arbeiten, u.a. von „Soooo groß“.
Buon divertimento!
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Mittwoch

Heute haben
Johann Wolfgang von Goethe * 1749
Ernst Weiß * 1884
Janet Frame * 1924
und
Ai Weiwei * 1957
Geburtstag
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Johann Wolfgang von Goethe
Denn was man Schwarz auf Weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen
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Heute vor 50 Jahren hielt Martin Luther King seine berühmte „I have a dream“-Rede. Hier können Sie den kompletten Text nachlesen.

Am kommenden Dienstag veranstalten wir in unserer Buchhandlung wieder „Die erste Seite„. Wie an jedem ersten Dienstag im Monat stellen wir von 19 bis 20 Uhr vier neue Bücher vor. Diesmal ist unser Ehrengast der Ulmer Stefan Plöger mit seinem Buch: „Der Klang der Hingabe„. Marion Weidenfeld ersetzt Clemens Grote als Vorleserin. Sie stellt selbst ein Buch vor und ich erzähle dann zu den beiden anderen Büchern noch etwas.
Der Eintritt ist, wie immer frei.
Wir beginnen pünktlich und freuen uns auf Ihr Kommen.
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„Tschick“-Autor: Wolfgang Herrndorf ist tot.
Nach langem Kampf mit seinem Gehirntumor hat er wohl Selbstmord begangen.
Große Trauer. Hoffentlich findet er jetzt ein paar Mitstreiter, damit er mit ihnen auf die Reise gehen kann.
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Julia Deck: „Viviane Élisabeth Fauville
Aus dem Französischen von Anne Weber
Wagenbach Verlag € 16,90
als eBook € 11,99

Was für ein Buch! Was für eine Geschichte!
Die Übersetzerin Anne Weber, die selbst als Autorin unterwegs ist und deren Bücher wir hier im Buchladen schon vorgestellt haben, haben mich noch schneller zu diesem Buch einer mir unbekannten Autorin greifen lassen. Gut, dass ich es gemacht und den Roman gelesen habe. Obwohl, ich gestehe es, mich der Text sehr verwirrt zurückgelassen hat. Julia Deck schreibt über eine psychisch angeschlagene 40jährige Frau mit kleinem Kind, die von sich denkt, dass sie ihren Psychiater ermordet hat. Es ist jedoch kein Krimi oder Thriller, wie sie meterweise im Buchregal stehen. Vivianes Geschichte wird in der Ich-Person, dann wieder in der dritten Person Singular erzählt. Es wechseln die Perspektiven. Und all dies lässt uns ordentlich durch den literarischen Nebel tappen. Viviane wurde von ihrem Mann wegen einer Jüngeren verlassen und sie schnappt sich ihr einjähriges Kind und zieht aus dem großbürgerlichen Haus aus. Gleichzeitig ist sie mit ihrem Leben, mit ihrer Arbeit überfordert. Sie verliert ihre Stelle und ist unter psychologischer Begutachtung. Dies führt dazu, dass sie Sitzungen bei einem Analytiker hat. Bei ihrem letzten Treffen mit ihm, findet sie ihn erstochen auf. Da sie seit längerer Zeit keinen glasklaren Gedanken fassen kann, reift in ihr der Gedanke, dass sie womöglich die Mörderin ist. Der erste Besuch bei der Polizei bringt keine Klärung, sie kann jedoch jede Schuld von sich weisen. Als der Polizist jedoch beim zweiten Treffen erwähnt, dass Vivianes Mutter seit Jahren schon tot ist, obwohl sie doch etwas ganz anderes erwähnt hat, kommen ihm Zweifel. Verschiedene Personen aus dem Umfeld des Toten werden von der Polizei vernommen. Es kommt sogar zu Festnahmen. Gleichzeitig unternimmt Viviane Untersuchungen auf eigene Faust, um für sich Klarheit zu erlangen. Julia Deck schafft es mit ihrer Erzähltechnik uns Leser im Unklaren zu lassen. Viviane ist auch nicht das typische Opfer und Sympatieträgerin. Um ungestört ihren Nachforschungen nachgehen zu können, gibt sie ihrer kleinen Tochter ein Schlafmittel und legt sie in eine Schublade ihres Hotelzimmers. Nicht gerade die feine Art. „Viviane Elisabeth Fauville“ ist ein extrem gutes, literarisches Spiel mit Wahn und Wirklichkeit. Ein Spiel mit Erinnerungen und mit der eigenen Biografie.
Mein Tipp für alle, die etwas Besonderes lesen wollen. Eine neue Stimme, eine neue Autorin und ein Erstlingswerk.
Dabei verwundert es dann gar nicht mehr, dass die Bücher von Anne Weber in eine ganz ähnliche Richtungen gehen. Darin geht es um Beziehungen, um verschrobene Situationen, die sich erst langsam auflösen und uns Leser immer wieder verstört zurücklassen.
Hier zwei Romane von Anne Weber: „Tal der Herrlichkeiten“ und „Luft und Liebe„, für den sie mit dem Preis der Leipziger Buchmesse geehrt wurde.
Und eine weitere Übersetzung eines Romanes von Pierre Michon:Leben der kleinen Toten„, von dem wir auch schon zwei Bücher hier auf dem Blog vorgestellt haben.