Donnerstag, 24.Januar

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Guten Morgen Ulm

Heute haben
E.T.A. Hoffmann * 1776
Edith Wharton * 1862
Vicki Baum * 1888
Eugen Roth * 1895
Geburtstag
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„Wer wagt, durch das Reich der Träume zu schreiten, gelangt zur Wahrheit.“

E.T.A. Hoffmann
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Ganz neu als Taschenbuch:

978-3-498-09463-8

Matthew Weiner: „Alles über Heather„
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Robben
Rowohlt Verlag € 10,00

Auf gerade mal 144 Seiten spielt der Roman von Matthew Weiner. Aber die haben es in sich. Dass der Autor vor seinem Erstling weltweit Erfolge mit Serien wie „Mad Men“ und „Die Sopranos“ hatte, wird überall erwähnt. Mehr kann nicht nicht dazu sagen, da ich sie noch nie gesehen habe. Aber: Man merkt dem Roman an, dass Weiner schreiben kann. Knapp, pointiert, präzise und messerscharf.

Eigentlich hatte sie die Hoffnung auf ein normales Familienleben schon aufgegeben. „Karen war schon fast vierzig und jenseits aller Hoffnung, jemanden zu finden, der es mit ihrem Vater aufnehmen konnte.“ Bis Mark kam. Mark, Sohn eines Lehrers und Footballtrainers aus Newton, Massachusetts, kann ihr dank seines lukrativen Jobs im Finanzdistrikt von Manhattan zumindest materielle Sicherheit bieten: eine repräsentative Wohnung (auch wenn es nur die Gegend jenseits der Park Avenue ist, und nicht die 5th Avenue), ein ordentlich gefülltes Bankkonto, ein ruhiges, Leben.

Ein ruhiges Leben könnten die Breakstones in ihrem Appartment in Manhattan haben. Erfolg, eine glückliche Ehe und eine liebreizende Tochter. Heather ist der Mittelpunkt dieses kleinen Kosmos. Karen entwickelt sich zur Helikopter Mutter, beobachtet, bewacht und stellt ihre Tochter auf einen hohen Sockel. Doch diese Vater-Mutter-Kind-Beziehung ist instabil und als Heather in die Pubertät kommt bricht dieses selbst konstruiertes Kartenhaus zusammen.

Als Heather sich von Karens erstickender Liebe zu lösen beginnt, gerät das nach außen aggressiv beschworene Familienglück vollends ins Wanken. Während Karen, radikal desillusioniert von ihrem armseligen Leben, am Rande des Nervenzusammenbruchs wandelt, konzentriert sich Mark in obsessiver Weise auf das Glück und die Unversehrtheit seiner Tochter. Deren unbeschwerte Existenz in Gefahr gerät, als plötzlich ein Fremder vor ihrem Haus steht.

Parallel erzählt Matthew Weiner das Schicksal von Bobby Klasky, Kind einer drogensüchtigen Prostituierten, der den Liebhabern seiner Mutter zur Hand geht, um ihnen einen Schuss zu setzen. Als er wegen Vergewaltigung ins Gefängnis kommt, wird er zerbrochen und verliert den letzten Rest von Menschlichkeit.
Ab dem Moment, als sich die Lebenswege von Heather und Bobby kreuzen, wird uns Lesern klar, dass die Katastrophe vorgegeben ist. Die Frage ist nur, wann, wo und bei wem.

Dass ihm das Zufügen von Schmerzen Lust bereitet, zählt für den Jungen zu den aufregendsten Entdeckungen seines Lebens. „Durch Zufall entdeckte er seine eigene Macht, als er einen Vogel fand, der sich in der Air-Condition am Fenster verfangen hatte. Bobby stellte die Anlage an und sah ehrfürchtig zu, wie das Tier von den Rotoren zerhackt wurde, bis Blut aus dem Ventilator spritzte.“ Den letzten Rest Mitgefühl für andere Lebewesen verliert Bobby, als er nach der brutalen Misshandlung eines mexikanischen Mädchens aus der Nachbarschaft für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis muss. Wie es der Zufall will, findet er seinen ersten Job nach dem Knast mitten in New York, bei der Renovierung eines Hauses im Brownstone-Viertel nahe der Park Avenue. Jenem Haus, in dem Heather mit Mark und Karen das Penthouse im zehnten Stock bewohnt.

Als er das schlaksige Mädchen mit den blauen Augen zum ersten Mal sieht, ist es, als habe ihn ein Blitz getroffen. „Bobby würde Heather besitzen, jeden Teil von ihr; sie beide würden in ihm eins werden, und er wäre der Anfang und das Ende von allem.“ Die Kollision zweier Menschen, die sich unter normalen Umständen nie begegnet wären, ist ebenso unausweichlich wie das der beiden Lokomotiven, die auf demselben Gleis aufeinander zurasen. Kein Ausweichen möglich, das Verhängnis nimmt seinen Lauf.

Diese Extreme komponiert Matthew Weiner zu einem beklemmend guten Psycho-Kammerspiel. Wir erkennen Seite für Seite, dass die Breakstones eine Fassade aufgebaut habe, die sie nicht mehr aufrechthalten können. Wir merken, dass Bobby ein Mensch ist, der noch zu Regungen fähig ist. Durch seinen enormen Geruchsinn wird er auf Heather aufmerksam und ihm fällt sein Kaffee aus der Hand. Wie in der griechischen Tragödie gibt es kein Entrinnen mehr.
Matthew Weiners Erstling lebt von diesen engen Verstrickungen, den Verirrungen, Hoffnungen und der Angst vor dem Abgrund. Dazu braucht er nicht die Zutaten eines brutalen Thrillers. Er macht dies viel subtiler und sehr geschickt.
Mehr mag ich nicht verraten.

Dienstag, 8.Januar

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Heute haben
Wilkie Collins * 1824
Paul Scheerbart * 1863
Leonardo Sciascia * 1921
Juan Marsé * 1933
Stephen W.Hawking * 1942
Gudrub Mebs * 1944
Geburtstag
und David Bowie und Sarah.
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Paul Scheerbart
Dicker roter Mond

Ach, ich kann ja gar nicht schlafen!
Über dem dunkelgrünen Myrtentor
Thront ein dicker roter Mond. —
Ob es später wohl noch lohnt,
Wenn man auf dem Monde wohnt?
Über dem dunkelgrünen Myrtentor?
Wär’s nicht möglich, daß uns drüben
»Längre« Seligkeiten küßten?
Wenn wir das genauer wüßten!
Hier ist alles zu schnell aus.
Jeder lebt in Saus und Braus.
Wem das schließlich nicht gefällt,
Hält die ganze große Welt
Auch bloß für ein Narrenhaus!
Ach, ich kann ja gar nicht schlafen!
Alter Mond, ich lach dich aus!
Doch du machst dir nichts daraus!
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Buchpräsentation am Freitag, den 8.Februar um 19 Uhr.
Das Buch liegt jetzt schon zum Anschauen in der Buchhandlung aus.

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Theodor Trampler & Ulrich Balß:
„New York
Past & Present 1928 – 2018“

160 Fotos, Briefe, Dokumente und Musik auf einer beigelegten CD.
Jaro Verlag € 30,00

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Eine Buchvorstellung und Zeitreise in das New York des Jahres 1928 . Geschichten und Briefe gelesen vom Autor Ulrich Balß sowie historische Fotos aus New York.
Dazu werden auf Leinwand über 50 historische Aufnahmen projeziert.

Der rote Faden beginnt 1928 mit Theodor Trampler aus Leipzig und endet 2018, 90 Jahre später mit der Fertigstelung dieses Buches durch seinen Enkel. Das Buch ist auch ein Dokument über die Lebensumstände eines Arbeitsemmigranten in New York 1928. Trampler schrieb über 100 Briefe nach Hause.Diese Briefe wurden mit dem Schiff über den Atlantik transportiert und Neuigkeiten waren damit schon Wochen alt, als sie in Leipzig bei seiner Frau und seinen Kindern ankamen. Als Buchbinder und Fotograf mit eigenem Fahrrad in New York unterwegs hinterließ Trampler ein herausragendes Dokument der Zeitgeschichte, einer Geschichte von Arbeitslosigkeit und Hoffnung, Flucht hier nach New York und nicht von Afrika nach Europa wie heute millionenfach praktiziert. Er dokumentierte und bewahrte all dies und jetzt 90 Jahre später ist daraus ein Buch entstanden.

Mit im Buch eine CD mit Musik aus New York von damals und heute.

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Hier geht es zu einem Radiobericht im NDR.

Donnerstag, 5.Januar

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Heute haben
Paula Ludwig * 1900
Fred Wander * 1917
Friedrich Dürrenmatt * 1921
Juan Gyotisolo * 1931
Umberto Eco * 1932
Geburtstag
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Lange auf der Liste und jetzt endlich geschafft:

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Inside Llewyn Davis
DVD USA 2013
Drama / Musikfilm, 100 Min.
Regie: Ethan Coen, Joel Coen
Darsteller: Oscar Isaac, Carey Mulligan, Justin Timberlake
€ 7,99

Ich wusste doch, daß das ein guter Film ist. Im Kino ging er mir raus und auf DVD habe ich ihn erst jetzt angeschaut. Herrlich schräg, angenehm, verwirrend und schön. Die Coen-Brüder können auch witzig sein. Nicht immer, wie dieser Film zeigt, aber sie haben einen großen Schelm im Nacken, der hier immer wieder zum Vorschein kommt. Lleweyn Davis lebt im Village in New York 1961. Genauer gesagt lebt er vielleicht da, aber er schläft auf diversen Sofas von diversen Freunden und Freundinnen. Sprich: kein einfaches Leben für einen, der für die Folkmusik lebt und in dessen Leben so fast alle schief geht. Also wirklich: fast alles. Immer wieder haben wir die Hoffnung, daß er es jetzt, ja genau in diesem Moment schafft und dann ist der Karton mit dem Schifferpatent doch im Altpapier gelandet.
Als besonderen Gag haben die Brüder u.a. eine Katze eingebaut, die verschwindet, wieder eingefangen wird und sich als die falsche herausstellt, bis die richtige wieder auftaucht und dann auch noch den Namen Odysseus trägt.
Aber wovon der Film wirklich erzählt, ist die Folkmusik Anfang der 60er in New York in all seinen Facetten. Daß es dabei auch schon ordendlich Müll gab, zeigen die Coen-Brüder genauso, wie die vielen Lieder, die Llewyn Davis zur Gitarre singt und voller Herzblut sind. Alle Manager sind fasziniert und wir starren mit offenem Mund zu, was sie wohl sagen. Aber außer: „Damit ist kein Geld zu verdienen“ haben sie dem Musiker nicht zu bieten.
Daß die Musiker danach mit den Liedern auf Tour gingen verwundert nicht.
Ein großartiger Musikfilm, eine großartige Homage an die Folkmusik, gerade jetzt, wo olle Bob Dylan den Nobelpreis bekommen hat. Und genauso endet auch der Film. Nach einer weiteren Schlappe verläßt Llewyn Davis den Club, in dem er gespielt hat und sieht einen lockigen Sänger mit Gitarre, der mit näselnden Stimme singt.

Die Website zum Film

Montag

Heute haben
Paul Verlaine * 1844
Sean O’Casey * 1880
Jean Giono * 1895
Uwe Timm * 1940
Gert Heidenreich * 1944
Geburtstag
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Rasmus Gabriel Schöll empfiehlt:

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Rachel Kuschner: „Flammenwerfer“
Rowohlt Verlag € 22,95
als E-Book 19,99
„The Flamethrowers“ als TB € 14,99
als amerikanisches E-Book € 13,95

Cool, coolness, grandios am coolsten!
Ungefähr so lässt sich Rachel Kushners Roman: „Flammenwerfer“ zusammenfassen.
Das Cover Bild des Buches, hat Rachel Kushner, bevor auch nur ein Wort geschrieben war, an ihre Wand gepinnt und es hat sie dazu inspiriert, die Geschichte von Reno, der schnellsten Frau der Welt zu schreiben.
„Ich war, kaum zu fassen, die schnnellste Frau der Welt, 496,493 Stundenkilometer. Ein offizieller Rekord für das Jahr 1976…“
Es ist schon merkwürdig, dass so verdammt viele und so verdammt gute Bücher aus den USA kommen. Aber wir nehmens mit Freuden hin.
Zunächst, wir haben es mit keiner stringent durcherzählten Geschichte zu tun. Das Buch lebt und wird durchlebt in Vor- und Rückblenden, deren Bedeutung erst im Laufe der steigenden Seitenzahl ersichtlich wird. Also nicht unbedingt, die “ Ich lese noch fünf Seiten Bettlesegeschichte“.
Reno, so der Name der Hauptperson, ist jung und schön, nicht das Rachel Kushner dies erwähnen würde, nur man bekommt als Leser mit der Zeit so eine Ahnung. Sie liebt das Motorradfahren, sie liebt die Geschwindigkeit und ein freies Leben. Sie rast über Salzseen, verliebt sich in einen New Yorker Künstler, Sandro Valera, der ganz nebenbei Spross einer italienischen Reifen- und Motorrad-Dynastie ist. Sie braust durch die New Yorker Kunstszene der 70er Jahre, voller Leidenschaft und Feuer. Reno, auf der Suche nach ihrer eigenen künstlerischen Identität, nach ihrem eigenen Ausdruck. Um es so richtig krachen zu lassen, besucht sie mit Sandro zusammen dessen aristokratische Familie am Comer See und gerät mitten in die römischen Unruhen des Jahres 1977.
Die ganze Zeit dachte ich beim Lesen, oh mann, das ist ja wie wenn Godard und Fellini zusammen einen Film gemacht hätten.
Das Buch ist sicher nicht für jedermann und knapp 600 Seiten eignen sich nicht als Versuch. Und dennoch, allein die Geschichten in der Geschichte sind richtig gut.
„Es war ein Desaster. Ich hätte nicht fahren sollen. Aber er rief mich irgendwann an und klagt verzweifelt. Drei Uhr nachts, und er beklagt sich … Saul, hab ich gesagt, möchtest du, dass ich das Kaninchen hole und es dir bringe? Soll ich das tun? – Mensch, Ronnie, sagt er, ich will dir das nicht zumuten. Aber wenn ich ehrlich bin, würde es mir unheimlich viel bedeuten. Du könntest meinen Jaguar nehemen. Und ich dachte, scheiß drauf, warum nicht? …“

Ein Mann soll für einen anderen Mann ein Kaninchen durch halb Amerika fahren. Der Mann gibt sich sehr viel Mühe. Aber als er endlich ankommt, hört er ein Jaulen des anderen Mannes. Das Kaninchen ist tot!
Diese Geschichte ist mit soviel Humor, Witz und Charme erzählt. Vielleicht ist es auch Godard, Fellini und Tarantino, die da zusammen ein Buch geschrieben haben.
Sicher, es sind die 70er Jahre und man muss schon ein gutes Pfund geschichtliches Interesse mitbringen, Aber hey: Godard, Fellini und Tarantino!

Leseprobe

Ein kleiner Nachtrag:
In der Autobiografie von Kim Gordon, der Gründerin, Sängerin und Bassistin von „Sonic Youth“, einer unabhängigängen Alternativ-Rock-Punk-Band aus New York, steht folgender Satz:

„Als ich Rachel Kushners Roman „The Flamethrowers“ las, konnte ich das darin beschriebene Gefühl, jung zu sein in New York und am Rande der Kunstszene zu leben, sehr gut nachvollziehen. Und das U-Bahn-Foto bildete diese Ungewissheit und auch diese Zeit sehr ghenau ab. Ich liebe es.“

Gordon
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UNGEREIMTHEIT DER WOCHE (… aus der Tierwelt)
 
DIE LACHSFORELLE – CCLCXXXII
 
An eines Flusses Quelle
schoss die Lachsforelle
weit übers Ziel hinaus.
 
… aus!
SOMMERZEIT
 
Eingeführt vor vielen Jahren,
hat man dich, o Sommerzeit,
um damit Energie zu sparen.
Diese Idee schien blitzgescheit!
 
Längst ist inzwischen allen klar,
dass jener Spareffekt blieb aus.
Trotzdem heißt es auch dieses Jahr:
man muss ’ne Stunde früher raus.
 
Ein paar gibt’s, die es nie kapieren,
und die kommen am Montag dann,
weil sie vergaßen zu justieren
die Uhr, ’ne Stunde später an.
 
© Werner Färber

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Morgen abend um 19 Uhr:
Literalotto
Spaß und Literatur mit Florian Arnold und Rasmus Schöll

Mittwoch

Mit diesem Schneemann kann ich natürlich nicht mithalten, wenn ich morgens aus dem Fenster schaue.

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Den Schneemann hat eine Buchhändlerin aus New York mit der Bemerkung: „Beste Gelegenheit zum Lesen, bei dem Schneesturm.“ ins Netz gestellt. Nur nicht den Humor verlieren, wenn 60 cm Neuschnee angesagt sind.
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Heute haben
Colette * 1873
Hermann Peter Piwitt * 1935
David Lodge * 1935
Anselm Glück * 1950
Arnaldur Indridason * 1961
Geburtstag
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Rainer Maria Rilke
Wintermorgen

Der Wasserfall ist eingefroren,
die Dohlen hocken hart am Teich.
Mein schönes Lieb hat rote Ohren
und sinnt auf einen Schelmenstreich.

Die Sonne küßt uns. Traumverloren
schwimmt im Geäst ein Klang in Moll;
und wir gehn fürder, alle Poren
vom Kraftarom des Morgens voll.
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Und wenn wir schon bei den Gedichten sind und bevor der neue Gedichtband von Heinrich Detering erscheint, stelle ich Ihnen diesen Band von 2009 vor, den ich geschenkt bekommen habe. (Nochmals vielen Dank dafür). Ich kannte den Autoren nicht und war sehr angetan von diesem sehr schnmalen Büchlein.

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Heinrich Detering: „Wrist“
Gedichte
Wallstein Verlag € 14,90

Detering geht auf Entdeckungsfahrt in abgelegene Landschaften, geht mit uns von Berlin bis Erlangen und spielt mit einer gewissen Sehnsucht, die hinter all den Orten verborgen sind. Boston und der Borgo-Pass, Oxford und die Schatzinsel, viel Natur und Wölfe in den Karpaten sind weitere Themen, die er mit Sprachwitz und Leichtigkeit hier veröffentlicht hat. Zwischen den Zeilen entdecken wir Melancholisches durch das Verschwinden dieser fernen, nahen Orte, die meist ums Eck sind, die wir haben gar nicht mehr betrachten, weil uns die schnelle, Glitzerwelt viel wichtiger erscheint.

Wrist

Wenn irgendwo die Schrift erscheint
Hic habitant leones
dann ist vermutlich Wrist gemeint
Ich weiß es Ich bewohn es

Ich lebe hier im Zwischenreich
aus Himmeln und aus Mooren
Die Welt ist mir inzwischen gleich
Der Welt ging ich verloren

Hier werd ich sein wenn nichts mehr ist
nicht Löwen Land noch Karte
Die Ewigkeit sieht aus wie Wrist
Ich habe Zeit ich warte

Und wenn wir schon über Schnee und über das
(hoffentlich baldige) Ende des Winters reden:

Ende des Winters
I

die zierlich geschwänzte Katze
am Hoftor in Mehltau-
Regen

fremde Gesichter am Fenster
Sperlinge morgens
Amseln im Mittagslicht
abends der Käuzchenflug
lautlos am Birken-
geflacker

und die Schwäne
stehn still und starr

Das als kleiner Einblick in die poetische Welt des Heinrich Deterings.
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Für alle Besserwisser unter uns, für alle unter uns, die nicht wissen, wie man genau den Autorennamen Houllebecq ausspricht, gibt es hier eine kurze Nachhilfestunde:


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Zu Schluss des heutigen Eintrages:
Ich bin wirklich überwältigt, wieviele sich wegen des L.S.D.-Buches gemeldet haben. Die Mails kamen bis aus Wales. Herrlich. Schade jedoch, dass ich nur ein Exemplar hier liegen habe.
Das Los entschiedt, der Gewinner wird benachrichtigt. Ich danke (!!!!) allen, die mitgemacht haben. In meiner Verzweiflung suchte ich noch nach Trostpreisen und habe tatsächlich zwei schmale, weisse Moleskine-Notizbücher gefunden, die ich auch noch in den Lostopf werfen und verteilen werde.

Mittwoch

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Heute haben
Hans Sachs * 1494
und Hanns-Josef Ortheil * 1951
Geburtstag.
Aber auch uns Uwe Seeler.
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Ich denke, ich sollte diesem Blog einen anderen Namen geben. Vielleicht „Das literarische Netz“. Immer wieder tauchen Verknüpfungen auf und lassen mich merken, dass in der Literatur im Literaturbetrieb vieles sehr eng miteinander verwoben ist

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Gestern packte ich einen Karton mit Büchern aus dem Suhrkamp Verlag aus. Mittendrin u.a. Neuauflage von Lutz Seiler, der den Deutschen Buchpreis gewonnen hat und Jürgen Becker, dem Preisträger des diesjährigen Büchner Preises.
Ich blättere im Gedichtband „pech und blende“ und bleibe bei „doch gut war“ hängen. einem Gedicht, das Lutz Seiler Jürgen Becker widmete.

“ zu atmen, aus
& ein ging die atmung im gipsschiff

& einsam wie crusoe im schiefer,
tief
im radio schlief das radiokind …
ich sah crusoe, meinen vater;“

Wer den Gewinneroman „Kruso“ von Lutz Seiler gelesen, oder über ihn gelesen hat, dem fallen sofort die Bezüge auf. Kruso, sowieso, und auch das Radio, das dauernd in der Küche dudelte, bis es mit einer Küchenutensilie ermordert worden ist. Dazu kommt noch die Widmung für Jürgen Becker, der in seinen Aufzeichnungen „Schnee in den Ardennen“ u.a. über Ahrenshoop und eine dort ansässige Künstlerin schreibt, über die uns Herr Seidel in der Buchhandlung schon einen kurzen Vortrag gehalten hat.
„Das Netzwerk, an dem die Galeristin arbeitete, dehnte sich weit und weiter aus.“
Ahrenshoop hat natürlich wieder direkt mit Uwe Johnson, Mecklenburg, den „Jahrestage“ zu tun und Jürgen Becker schreibt einige Seiten weiter vorne auch ein Kapitel über das große Werk. Er schreibt über Johnsons Umgang mit seinen Personen. Mit Gesine und Marie. Wie er sie sich ausdachte und wie sie sich während seines Aufenthaltes in New York vermenschlichtigten und selbstständig machten.
„In Mecklenburg, sagt Jörn, finde ich eine Landschaft des Verlust, den das Gedächtnis des Schriftstellers auzuheben versucht hat.“
„Ob Gesine Cresppahl mit ihrer Tochter Marie in New York noch lebt?“, schreibt Becker und berichtet, wie Johnson seiner Gesine in der 42.Straße über den Weg gelaufen ist und er sie in seinen Roman gepackt hat. Als dies geschehen war, ließen sie ihn nicht mehr los und er musste wissen, wie es ihnen nach den 1.700 Seiten ging.
„- Hello?
– Please, ähm, I’m speaking with gesine Cresspahl?
– Who are you?
– My name ist Winter, Jörn Winter, coming from Germany, and …
– What do you what?
…“
So stellt sich Jürgen Beckers Figur (Jörn Winter) ein erstes Gespräch mit Gesine vor, wenn er sie denn suchen und finden würde in ihrem Appartment im Riverside Drive. So könnte er die Biographie der beiden Damen fortschreiben, die zur Zeit des Romanes von Jürgen Becker siebzig, bzw. Mitte vierzig sein müssten.
So sind wir also mitten in den Jahrestagen, aus denen wir Ende August von 19.00 bis 1.00 in der Nacht vorgelesen haben. Und am Rednerpult hing eine Fotografie des großen Hauses, in denen die Cresspahls wohnten, das ich gemacht hatte, als ich sie in New York besuchen wollte, mich aber nicht bis zum Klingelbrett vorgewagt hatte.
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Nach dem Spiel ist vor dem Spiel, sagt einst Sepp Herberger. Und nach einer schönen, vollen „Ersten Seite“ in unserer Buchhandlung, möchte ich Ihnen in den nächsten Tagen immer wieder Texte von Karen Köhler zeigen, die am Freitag, den 14.11. ab
19 Uhr aus ihrem Buch „Wir haben Raketen geangelt“ bei uns lesen wird.
Diesen Text hat sie exklusiv für die Ulmer Südwestpresse geschrieben, nachdem sie, wegen einer Krankheit, die Teilnahme am Ingeborg Bachmann-Wettbewerb absagen musste.

„Ich puller mich ein“

Protokoll eines Zweifels: Die Autorin Karen Köhler liest beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb

1
Ich habe diese Angewohnheit, mir immer das Schlimmste vorzustellen, mir mein privates Worst-Case-Scenario auszumalen, um irgendwie aufs Leben vorbereitet zu sein. Als ich eine Mail mit dem Betreff „Winkels“ von meinem Verlag erhalte, denke ich zum Beispiel, dass sich darin eine wohlformulierte höfliche Absage verbergen wird und lasse die Mail erstmal ungeöffnet in meinem Postfach liegen.

Ich kenne Hubert Winkels aus dem Fernsehen. Er ist einer der Juroren, die in Klagenfurt bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur über Texte urteilen, sie auseinandernehmen, interpretieren, analysieren, sie bei Bedarf auch verreißen oder loben, um am Ende, nach drei Tagen dann einige Preisträger zu bestimmen. Und das alles eben auch noch live im Fernsehen. Seit ein paar Jahren verfolge ich das Ingeborg-Bachmann-Wettlesen über Livestream und Twitter. Sieben Juroren laden jeweils zwei Autoren mit einem Text ein. Mein Verlag hat Winkels zwei Texte von mir geschickt.

2
Klick. Mail geöffnet. Da steht, dass Hubert Winkels mich mit einem Text einladen wird. Klagenfurt. Ingeborg-Bachmann-Preis. Wettlesen. Das, das sind die anderen, die richtigen, die echten Literaten. Das sind die Katja Petrowskajas und die Benjamin Maacks. Das bin doch nicht ich. Das muss ein Irrtum sein. Ein Scherz. Ein Missverständnis vielleicht. Kurt Felix, kannst rauskommen. Nicht lustig.

3
Vielleicht überlegt Hubert Winkels sich’s noch mal. Oder: Vielleicht kommt in den nächsten Tagen eine Mail, in der drinsteht, dass es sich um ein furchtbares Missverständnis handle, man habe die Texte verwechselt und eingeladen werden sollte eigentlich jemand anderes. Ich warte ab. Es kommt eine weitere Mail mit dem Betreff „Winkels“. Klick. Meine Agentur gratuliert mir. Ich fürchte: Spätestens in Klagenfurt wird dann rauskommen, dass ich gar nicht schreiben kann.

4
Ein paar Wochen später: Mein Telefon klingelt. Hubert Winkels ist dran. Es scheint zu stimmen. Er lädt mich zum Wettlesen ein. Ich wurde nicht vertauscht.

Holy shit. Die Worstcase-Turbine in meinem Kopf läuft: Wer sind die anderen Autoren? (Hoffentlich MitleserInnen mit Humor. Damit lässt sich vieles überstehen. Wenn schon scheitern, dann wenigstens umgeben von Intelligenz.) Was, wenn ich die Startnummer 1 ziehe und als Erste lesen muss? Wer leiht mir seine Elefantenhaut? Was, wenn ich mich einpullere, live? Oder was, wenn ich einen Migräneanfall habe? Oder Lippenherpes? Zack. Oder schlimme Schweißflecken unter den Armen? Oder Nasenbluten? Oder einen endlosen Hustenanfall? So einen hatte ich schon mal im Theater. Es war furchtbar. Oder was, wenn ich mich ständig verhasple? Wie überlebt man das? Soll man sich die Jury nackt vorstellen? Überhaupt: Was ziehe ich an? Kann man die Socken auch sehen? Wie laut soll man lesen? Muss man sein Manuskript selber mitbringen? Soll man das Wasserglas ansehen, es berühren, daraus trinken? Es exen? (Antworten bitte an @KareninaKoehler twittern)

5
Mein Vater sagt, das ist wie bei einer Olympiade: Dabeisein ist alles. Klar. An die Preise wage ich ja auch gar nicht zu denken. Die sind für die echten, richtigen Literaten. Ich will das nur überleben, will da in Würde irgendwie durch gelangen.

6
Die ersten Mails vom ORF und 3 Sat trudeln ein. Organisatorisches. Die Texte müssen in der Endfassung abgegeben werden. Porträtfilme sollen gedreht werden. In mir ist großes Widerstreben, irgendwie auf diese Art vermarktet zu werden. Ich will nicht vor der Kamera an repräsentativen Orten meiner Stadt vor einer bewegten Menschenmenge stehen. Mir Notizen machen. Oder auf meinem Sofa sitzen und über mich sprechen. Das geht niemanden was an, wie mein Sofa aussieht. Ich entscheide also: Ich will in meinem Porträtfilm gar nicht vorkommen, und bastle aus Raumfahrtarchivmaterial der 60er Jahre etwas zusammen, unterlege es mit einem Miniaturtext von mir, und hoffe, dass mir niemand dafür den Kopf abreißt.

7
Zum Glück habe ich bis kurz vor dem Wettbewerb noch einen Mount-Everest-Arbeitsberg zu erklimmen, da bleibt wenig Zeit für weitere Zweifel. (Dachte ich.) Aber sie tauchen immer wieder auf: Mein Text ist zu punk, zu wenig Literatur, zu dick zu dünn, zu dies zu das. . .

8
Die Teilnehmerliste wird veröffentlicht. Tatsächlich. Ich bin dabei. Da stehen die Namen der anderen Autoren und meiner mittendrin. Auf einige freue ich mich. Manche sagen mir nichts, so wie auch ich manchen wohl gar nichts sagen werde. Ein Bekannter fragt mich, ob ich jetzt lesen übe. Und dass die anderen Autoren jetzt meine Feinde seien. Quatsch, sage ich.

9
Auf einmal denke ich, dass meine Arbeit ja schon gemacht ist: Der Text ist ja bereits geschrieben. Er wurde ausgewählt, nun muss ich ihn nur noch vorlesen. Wer dann was dazu sagt, und wie wer das findet, das hat mit mir und meiner Arbeit nichts mehr zu tun. Das ist die Metaebene, auf der die anderen tanzen. Vielleicht gefällt er nicht, vielleicht fällt er durch, vielleicht mag ihn jemand, aber das alles kann ich nicht mehr beeinflussen, das ist Show, das ist Politik, das ist der Literaturbetrieb. Da kann ich nur zusehen, an die Heisenbergsche Unschärferelation in der Kunst denken und daran, dass die messenden Instrumente das Messergebnis bereits beeinflussen.

10
Ich rede mir ein: Toll: Österreich, Wörthersee, Schwimmen, Sonne, Kasnudeln, Ferien. . . Mein Po ist trotzdem auf Eis.

(Alle Rechte bei der SWP, Ulm und der Autorin)

Samstag

Foto 1

Heute haben
Pablo Picasso * 1884
Peter Rühmkorf * 1929
Harold Brodkey * 1930
Jan Schütting * 1937
Anne Tyler * 1941
Jakob Hein * 1971
Geburtstag.
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[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=tNsiRZjMVZ4]
[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=rigIkOTgpiI]
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„Wenn man zu schnell geht, bekommt man Falten“, sagte eine Nachbarin zu mir. Um mir das mitzuteilen, hatte sie mich mitten auf dem West Broadway angehalten. „Tatsächlich“, sagte ich. „Davon bin ich felsenfest überzeugt“, antwortete sie. Ich sah ihr Gesicht an. Sie ist um die Sechzig. Ihr Gesicht war verhältnismäßig faltenlos. „Ich kenne Sie“, sagte sie. „Sie gehen immer sehr schnell.“ Damit hatte sie recht. Ich gehe gern schnell. Es ist gar nicht so einfach auf den überfüllten Straßen Manhattans schnell zu gehen.“

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Liliy Brett: „Immer noch New York“ und „New York“
Deutsch von Melanie Walz
Suhrkamp Verlag € 19,95
Suhrkamp TB € 6,50

„In Downtown Manhattan sah man oft einen Mann, der mit einem Papagei auf dem Kopf herumspazierte. Ein Papagei weckt in New York kein großes Interesse, ein Papagei auf dem Kopf eines Mannes schon.“

Für uns ist Lily Brett die Autorin aus New York. Ihre Romane über ihre jüdische Familie im Großstadtgewühl von Manhatten sind legendär. Dass sie aus Australien kommt, von dort, wohin ihre Eltern vor der Ermordung durch die Nazis geflohen sind, wird uns gar nicht klar. In New York hört das jeder. „Sie reden immer so langsam“ und „Sie mit ihrem Dialekt“ hört sie des öfteren, wenn sie mit Menschen redet. Das langsam reden hat sie sich in New York angewöhnt,  wo die Hektik den Menschen schon in den Genen steckt. Und dass man sich dort auch nicht immer gleich versteht, erklärt sich, das 40 % der Einwohner ursprünglich nicht aus dieser Stadt kommen. Dies alles sagt uns Lily Brett in ihrem neuen Buch mit gesammelten New York Betrachtungen. Sie zeigt uns stille Orte, nimmt uns mit in ihre Lieblingscafés, zu ihren Bäckern mit dem besten Schokoladenbrot. Sie schreibt, dass sie gerne Besorgungen zu Fuß macht und dabei schon mal 50 Minuten zum Bäcker in Kauf nimmt. Sie schwärmt allerdings auch von der U-Bahn, in der sie es genießt, die Menschen zu betrachten. Dem Bahnhof Grand Central widmet sie ein ganzes Kapitel. Sie ist fasziniert von den vielen Menschen, die dort dort täglich aus- und eingehen. Er gilt als der größte Bahnhof der Welt und vielleicht auch als der schönste und sie weiß genau wieviel Gleise er besitzt. Lily Brett rät uns ins Untergeschoss in die Essabteilung zu gehen. Dort empfiehlt sie die Oyster Bar mit ihrem riesigen Angebot an Meeresfrüchten, aber auch zu Käsekuchen und und und. Aber wussten Sie vom Tennisclub im Bahnhof. Dort, wo die Stunde über 100 $ kostet? Sie schreibt darüber, dass in Manhattan niemand regelmäßig kocht und listet dann auch gleich mal alle verschiedenen Nationen auf, aus deren Küche sie sich in ihrem Viertel Essen bestellen kann. Sie schreibt über ihre Manie wahnsinnige Mengen zu kochen und meint, dass ihr Gefrierschrank jetzt noch voll von Produkten ist, die sie vor Jahren gekocht hat. Ihr alter Vater (weit über 90 Jahre) taucht immer wider auf, genauso wie ihre Kinder und Enkel. Sie schreibt über den Kauf zweier Büstenhalter und über Schoßhündchen und die Gespräche mit ihrer Kosmetikerin. Dass New York am Meer liegt, ist Inhalt ihrer letzten Betrachtung. Sie meint, dass das Meer, das Wasser die Menschen prägt und erzählt von ihrer Kindheit, wie sie in einem ganz bestimmten Ritual mit der Familie ans Meer ging. Wie die Mutter Brote schmierte und Wasser in Flaschen abfüllte. Wie sie sich immer einen Platz im Schatten suchten und den Sonntagmittag in der Hitze genossen. Dabei fällt ihr ganz zum Schluss ein, dass sie dort am Meer in Australien, damals in ihrer Kindheit, nie ins Wasser gingen.
Lily Bretts Kolumnen sind grossartig und zeigen in ihrer kurzen Form die biografischen Themen, die sie in Romane verpackt.

Leseprobe

Samstag

Heute haben
Alfred Lichtenstein * 1889
Ephraim Kishon * 1924
Ilija Trojanow * 1965
Geburtstag
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Alfred Lichtenstein
Der Morgen

… Und alle Straßen liegen glatt und glänzend da.
Nur selten hastet über sie ein fester Mann.
Ein fesches Mädchen haut sich heftig mit Papa.
Ein Bäcker sieht sich mal den schönen Himmel an.

Die tote Sonne hängt an Häusern, breit und dick.
Vier fette Weiber quietschen spitz vor einer Bar.
Ein Droschkenkutscher fällt und bricht sich das Genick.
Und alles ist langweilig hell, gesund und klar.

Ein Herr mit weisen Augen schwebt verrückt, voll Nacht,
Ein siecher Gott … in diesem Bild, das er vergaß,
Vielleicht nicht merkte – Murmelt manches. Stirbt. Und lacht.
Träumt von Gehirnschlag, Paralyse, Knochenfraß.

An Frida

Zwischen uns sind Wände Trennung.
Spinn-Netze Sonderbares.
Doch oft fliege ich schmal in meiner sinkenden,
Händeringenden Stube, ein blutender Piepmatz.
Wärst du da.
Ich bin so ermordet.
Frida.
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Denn manche Fährkapitäne ziehen zu spät auf das Becken, so daß das schwere Schiff gegen die hölzerne Pfahlwand der Einfahrt kracht, beim ersten Mal hart, dann mit einem mehr gedämpften Ton. Dann ist das Ächzen der Stämme im aufquirlenden Wasser zu hören.

So endete gestern unsere „Jahrestage“-Marathonlesung um 1Uhr in der Nacht und mit dem Eintrag vom 30.September 1967. Nach sechs Stunden und zwei Getränkepausen haben wir es bis auf die Seite 119 des Romanes von Uwe Johnson gebracht.
Dass dann allerdings am nächsten Morgen vom Wagenbach Verlag ein Buch über New York bei den Neuerscheinungen dabei ist, macht den Abschied von Gesine und Marie und ihrem Manhattan auch nicht leichter und steigert vielleicht noch die Sehnsucht.

New York

„New York“
Eine literarische Einladung
Wagenbach Verlag € 15,90
Erschienen in der roten Salto-Reihe

Von der Bronx bis Staten Island, von Greenwich Village bis Rockaway Beach – mit Texten von Woody Allen, Maeve Brennan, Michael Cunningham, Don DeLillo, Allen Ginsberg, Helene Hanff, Jonathan Lethem, Colum McCann, Grace Paley, Richard Price, David Sedaris, Eliot Weinberger, Colson Whitehead, Tom Wolfe und vielen mehr.
Zwei Karten am Anfang und am Ende des Büchleins sind mit Nummern versehen und wir können uns nach Lust und Laune daran durch New York lesen. Viele Autoren kennen wir und ein Wiedersehen mit ihnen, macht Spaß, in deren Büchern zu stöbern. Der Textausschnitt von Colum McCanns Buch über den Seiltänzer zwischen den Turm des World Trade Centers, erinnert mich an die Dokumentations-DVD, die wir vor Jahren auch im Laden und oft verkauft hatten.
Aber auch der Text von Bill Loefelm ist einfach schön

Staten Island
Die Bronx hat das Yankee Stadium; Manhattan hat Harlem, die Wall Street, den Central Park und Madison Square Garden und noch tausend andere Dinge. Queens hat das Shea Stadium und zwei internationale Fkughäfen. Die Weltausstellung hat da stattgefunden. Brooklyn? Ist Brooklyn, das allein ist schon mehr als genug. Staten Island? Wir haben die Mall und die Müllhalde.

Und wenn hier schon Brooklyn erwähnt wird, sind wir doch gleich bei Paul Auster und seinem Zigarrenhändler Auggie Wreng, der im Buch und Film „Smoke“ unvergesslich gemacht worden ist.

Auggie und ich kennen uns jetzt seit fast elf Jahren. Er arbeitet als Verkäufer in einem Zigarrengeschäft an der Court Street in Brooklyn, und da dies der einzige Laden ist, der die kleinen holländischen Zigarren führt, die ich so gerne rauche, komme ich ziemlich oft dort vorbei.

Oder auch Helene Hanffs Text über den Sommer im Central Park:

In meinem Buch über New York habe ich geschrieben, dass sich die New Yorker im Sommer in zwei Gruppen einteilen lassen: die, die am Wochenende immer wegfahren, und die, die am Wochenende nie wegfahren.

Und so verbringt sie ihre heissen Tage in der grünen Oase inmitten dieses heißen Molochs, über die auch Truman Capote schrieb, dass die Menschen dort in dieser Hitze  „wie erschossen“ auf den Wiesen lägen.

Der Wagenbach Verlag schafft es mal wieder mit seinen literarischen Reisen uns Städte näherzubringen. Dass dann allerdings in der gleichen Salto-Reihe ein Buch von Pasolini über Rom erscheint, ist schon fast zu viel.

Montag

Heute haben
Karl Kraus * 1874
Bruno Apitz * 1900
Harper Lee * 1926
Roberto Bolano * 1953
Ian Rankin * 1960
Geburtstag.
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Einige Zitate des großen Sprachkünstlers und heutigem Geburtstagskindes Karl Kraus

Das Leben ist eine Anstrengung, die einer besseren Sache würdig wäre.

In der Liebe ist jener der Hausherr, der dem anderen den Vortritt läßt.

Das ist das wahre Wunder der Technik, daß sie das, wofür sie entschädigt, auch ehrlich kaputt macht.

Man glaubt gar nicht, wie schwer es oft ist, eine Tat in einen Gedanken umzusetzen.
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Mit flotter Musik die Woche zu beginnen, scheint mir bei dem grauen Wetter genau das Richtige zu sein. Gestern abend habe ich den Film „Chico und Rita“ angeschaut und habe immer noch die Musik im Ohr. Deshalb beginne ich den heutigen Tipp gleich mal mit dem Trailer.

http://www.youtube.com/watch?v=ZTWxB9hRjwI

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„Chico und Rita“
Regie:  Fernando Truebaund /Javier Mariscal
DVD € 12,99
Bei uns im Laden erhältlich.
Die Musik gibt es auch als Soundtrack auf CD.

Dieser 2010 entstandene Animationsfilm wurde u.a. für einen Oscar in der Sparte „Bester animierter Spielfilm“ nominiert, bekam einen Preis beim Trickfilmfestival in Stuttgart und erhielt den Europäischen Filmpreis 2011. Und das alles für einen Film, den wir vor Jahren noch als Trickfilm bezeichnet hätten.
Die Regisseure erzählen in diesen 93 Minuten das Leben des Jazzpianisten Chico, der zusammen mit seinem Freund Ramon, in Havana auf Cuba lebt, und Erfolg haben will mit seiner Musik. Die Stadt ist voller Clubs, überall spielen Bands und es wird getanzt. Es ist das Jahr 1948, als er kurz vor einem Wettbewerb die sehr begabte Sängerin Rita trifft, in die er sich unsterblich verliebt. Sie will zunächst jedoch nichts von ihm wissen und lässt ihn abblitzen. Chico ist hartnäckig, holt sich Rita in seine Band und gemeinsam gewinnen sie den ersten Preis bei dieser nationalen Ausscheidung.
Der Film erzählt aus der Rückblende heraus. Der alte Rico kommt nach Hause, hat seine Holzkiste mit Schuhputzutensilien in der Hand und steigt alt und müde in sein Zimmer im ersten Stock hoch. Mit einem Glas Rum setzt er sich hin und schaltet sein Radio an. Als dort sein vor Jahrzehnten komponiertes Lied „Lily“, das ursprünglich „Rita“ hieß, gespielt wird, kommen ihm seine Erinnerungen hoch und er blättert Fotos und Zeitungsausschnitte durch, die er in einer abgegriffenen Schachtel aufbewahrt hat.
Zurück in die Vergangenheit. Die beiden haben Erfolg in Cuba und ein Managar tritt auf Rita zu, der ihr zu Ruhm in New York verhelfen will. Sie will jedoch den Vertrag nur unterschreiben, wenn Chico auch dabei ist. Da dieser jedoch eifersüchtig an der Bar sitzt, sich volllaufen lässt, kommt es zum Streit zwischen den beiden und Rita unterschreibt später in der Nacht. So trennen sich ihre Wege. Rita hat Erfolg in New York, wird zum Star, Chico und Ramon versuchen weiterhin ihr Glück in Havana. Chico hält es jedoch ohne seine Rita nicht aus, verkauft sein Klavier und gemeinsam mit seinem Freund und Manager Ramon reisen sie auch in die Stadt ihrer Träume. Gemeinsam mit ihnen tauchen wir in die Clubs der Stadt ein. Treffen auf Jazzgrößen wie Chucho Valdes, Dizzy Gillespie, Charlie Parker, Chano Pozo, Tito Puente, Ben Webster und Thelonious Monk, mit denen er zum Teil mitspielen kann. Chico und Rita treffen sich immer wieder. Es ergibt sich aber nicht der richtige Zeitpunkt, dass sie gemeinsam spielen, oder gemeinsam leben können. Rita hat Erfolg in Hollywood und Chico reist mit Dizzy Gillespie nach Europa. Die Geschichte hat ihren Höhepunkt, als Rita in Las Vegas auf einer Neujahrsparty den weissen Gästen von der Bühne herab erzählt, dass sie als schwarze Sängerin nicht hier im Hotel schlafen dürfe, sondern in einem Motel übernachten muss. Somit ist ihre Karriere zu Ende. Und da Ramon seinen Freund Chico betrügt, da er mitbekommen hat, dass Rita und Chico in Las Vegas heiraten wollen und somit seine Karriere als Manager auch gefährdet ist, wird Chico von der Polizei verhaftet und nach Cuba abgeschoben. Dort ist mittlerweile Revolution und Jazzmusik als dekadent verschrieen. Jetzt wissen wir auch, warum der alte Chico mit seiner Schuhputzkiste unterwegs ist. Jetzt in der Gegenwart wird er von amerikanischen Musikern entdeckt und erfährt mit einer jungen Sängerin einen späten, großartigen Erfolg und bekommt die höchsten Preise. Was ihm noch fehlt, ist seine Rita, die er seit 47 Jahren nicht mehr gesehen hat. …
Der Film ist voller Musik, tollen Farben und macht so richtig Spaß zum Zuschauen. Es ist sicherlich dem späten Erfolg des Buena Vista Social Clubs und des Dokumentarfilmes von Wim Wenders zu verdanken, dass dieser Film entstanden ist.