Donnerstag, 16.März

Heute haben
César Vallejo * 1892
Sybille Bedford * 1911
Tiziano Scarpa * 1963
Zoe Jenny * 1974
Geburtstag
____________________________________

Theodor Storm
März

Und aus der Erde schauet nur
Alleine noch Schneeglöckchen;
So kalt, so kalt ist noch die Flur,
Es friert im weißen Röckchen.
______________________________________

Unser Buchtipp:

Toni Morrison: „Rezitativ
Aus dem Amerikanischen von Tanja Handels
Mit einem langen Nachwort von Zadie Smith
Rowohlt Verlag € 20,00
Random House € 14,90

1983 veröffentlichte Toni Morrison diese Erzählung. „Rezitativ“ bleibt ihre einzige in ihrem umfangreichen Werk. In deutsch steht sie uns jetzt jetzt zum ersten Mal zur Verfügung.
Wie ein Experiment mutet die Lektüre im Nachklang an. Eine Versuchanordnung, über die wir lange gemeinsam diskutieren könnten.
Twyla und Roberta trafen sich in einem Kinderheim. Ihre alleinerziehende Mütter konnten sich nicht ausreichend um die beiden Mädchen kümmern. Twylas Mutter hatte die Nächte durchgetanzt und ihr Kind allein gelassen. Robertas Mutter war ständig krank. Vier Monate lebten sie dort zusammen.
„Schlimm genug, früh am Morgen aus dem eigenen Bett geholt zu werden – aber dann noch an einem fremden Ort festzusitzen, zusammen mit einem Mädchen von ganz anderer Hautfarbe. Und Mary, so heißt meine Mutter, hatte ja recht. Von Zeit zu Zeit hörte sie nämlich gerade so lange mit dem Tanzen auf, um mir was Wichtiges zu erklären, und unter anderem hat sie mir erklärt, dass die sich nie die Haare waschen und komisch riechen.“
Eines der beiden Mädchen ist schwarz, das andere weiss. Nach diesem Zitat ist klar, wer. Aber stimmt das? Toni Morrison lässt das, ganz bewusst, offen. Bis zum Schluss, wissen wir es nicht, erahnen, verwerfen.
Dieses raffinierte Spiel mit den verschiedenen Wahrnehmungen zieht sich durch den kompletten Text. Dazu kommen noch die Fallstricke mit unseren Erinnerungen, an denen wir ein halbes Leben festhalten, obwohl es sich vielleicht/wahrscheinlich ganz anders ereignet hat. Denn Jahre später treffen sich die beiden Frauen mehrfach wieder. Irgendwie sind die Rollen, die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen sie leben, wie auf den Kopf gedreht, wenn wir uns an die beiden Mädchen zu Beginn der Erzählung erinnern.
Die Rassentrennung ist seit den 60er Jahren in den USA abgeschafft, aber weder 1983, noch 2023 hat die Gewalt gegen die schwarze Bevölkerung nachgelassen. Erst vor zwei Tagen haben wir das in den Texten von Mumia Abu-Jamal zu hören bekommen.

Wichtig an dieser Ausgabe ist das sehr lange Nachwort (im Original heisst es: Einführung) von Zadie Smith, das unglaublich klug, erhellend ist und uns die Erzählung nochmals aufdröselt, in das Werk der Nobelpreisträgerin einführt und die Bezüge zum täglichen Rassismus herstellt.

Eine kleine Sensation.

Leseprobe
_______________________________________________

Donnerstag, 9.März

Heute haben
Peter Altenberg * 1859
Agnes Miegel * 1879
Umberto Saba * 1883
Vita Sackville-West * 1892
Marie Cardinal * 1929
Ota Filip * 1930
Keri Hulme * 1947
Geburtstag.
Es ist der Todestag von Charles Bukowski.
___________________________________

„Das Leben ist so kurz, und die Menschen verstehen es nicht einmal, sich aus den doch noch bestehenden vierundzwanzig Stunden ein kleines, feines, flüchtiges Paradies zu machen!“
Peter Altenberg
____________________________________

Gestern erschienen:


Gilda Sahebi: „‚Unser Schwert ist Liebe‘
Die feministische Revolte im Iran
S.Fischer Verlag € 24,00

Gilda Sahebi, im Iran geboren und in Deutschland aufgewachsen, ist ausgebildete Ärztin und studierte Politikwissenschaftlerin. Sie arbeitet als freie Journalistin mit den Schwerpunkten Antisemi-tismus und Rassismus, Frauenrechte, Naher Osten und Wissenschaft. Sie ist Autorin für die ‚taz‘ und den ‚Spiegel‘ und arbeitet unter anderem für die ARD. Seit dem Tod von Jina Mahsa Amini und der darauf folgenden Protestbewegung berichtet sie unermüdlich über die Geschehnisse im Iran.
Diese aktuellen Berichte finden sich in dieser Neuerscheinung wieder. Fast unerträglich ist es zu lesen, wie das Regime in Iran Menschen auf offener Straße ermordert, Jugendliche erschießt, in Gefängnisse steckt und nach ein paar Tagen behauptet, die Personen hätten Selbstmord begangen. Kaum zu glauben, dass es immer noch zu Protesten kommt, wo doch die Repressalien immer heftiger werden.
Gilda Sahebis Buch ist gestern, zum Weltfrauentag, erschienen und sie schreibt: „Was im Iran geschieht, ist feministische Weltgeschichte.“
Gilda Sahebi schreibt, in historischen Rückblicken, wie es dazu kommen konnte, wie der Unterdrückungsapparat seit Jahrzehnten existiert und zum Machterhalt des Regimes dient.
Auf Kosten von Freiheit und vieler, vieler Menschenleben.

Leseprobe

Gilda Sahebi ist Morgen, Freitag, 10.März, von 14.00 bis 16.30 Uhr im Stadthaus Ulm und hält einen Vortrag genau zu diesem Thema im Rahmen der Ulmer Denkanstöße.

Am Samstag, den 11.März ist die Vernissage zur Ausstellung im Haus der Begegnung Ulm.


Ausstellung: „Frau, Leben, Freiheit“                                         

Illustrationen von Demonstrierenden der Revolution im Iran vom 11.3.- 21.4.2023
täglich 9-18 Uhr, Sonntag bis 16 Uhr im Haus der Begegnung

Herzlich willkommen zur Vernissage: Samstag, 11. März um 18.00 Uhr im Haus der Begegnung
Bei der Vernissage wird es eine Liveschaltung zu der Künstlerin Naghmeh Jah aus Kanada geben und die Schauspielerin Jasmin Tabatabai spricht per Videobotschaft zur Situation im Iran.

Mittwoch, 8.März

Heute haben
Kenneth Grahame * 1859
Heinar Kipphardt * 1922
Walter Jens * 1923
Juri Rytcheu * 1930
Jeffrey Eugenides * 1960
Geburtstag
___________________________________________

„Es gibt Leute, die bereit sind, die Freiheit zu schützen, bis nichts mehr von ihr übrig ist.“
Heinar Kipphardt
____________________________________________

Platz 1 der SWR Bestenliste März 2023


Friedrich Christian Delius: «Darling, it’s Dilius!»

Erinnerungen mit großem A
Rowohlt Verlag € 24,00

F.C.Delius war immer für eine Überraschung gut. Politisch, gesellschaftlich hat er sich mit seinen Texten eingemischt und das in seiner literarisch ruhigen, oft auch ironischen Art aufnotiert. Frühe Werkreportagen, wie bei Siemens, seine SPD Zeit mit Willy Brandt, das Erlebnis Fußball-Weltmeister zu werden und das am Sonntagnachmittag am Radio verfolgen zu können, die Flucht eines Mannes aus der DDR und seine Rückkehr, das Zittern des Papst beim Gebet in einer römischen Kirche und vieles vieles mehr, hat er in seinen (meist schmalen) Romanen veröffentlicht.
80 Jahre wäre er im Februar diesen Jahres geworden. Gestorben ist er im Frühjahr davor. Hinerlassen hat er uns eine Biographie in 300 Kapiteln, die alle mit einem Wort mit A in der Überschrift beginnen.
Von „Abbey Road“, „Abendrot“, „Adorf“, „Adorno“, „Akte“, „Aktien“, „Altkanzler“, „Abstand“, „Anstand“, „Aufstand“ bis zu „Arroganz“ und „Azzurro“ geht die Reihe und dahinter verstecken sich poetische, gedankenscharfe, sehr perönliche Erinnerungen aus seinem Leben. Rom, Berlin, New York, Kindheit, Familie, Arbeit und Mitmenschen sind u.a. Themen darin und zeigen einen sehr klugen, zurückhaltenden Menschen und Autor, der versteht, uns zu unterhalten.
Hi, Dilius, schade, dass es beim A geblieben ist. Was wäre es wohl für ein Buch geworden, wenn Sie den Buchstaben D ausgesucht hätten?
Vielen Dank für diese Lebenserinnerung und Auf Wiedersehen.

Leseprobe
___________________________________________


Ausstellung: „Frau, Leben, Freiheit“                                         

Illustrationen von Demonstrierenden der Revolution im Iran vom 11.3.- 21.4.2023
täglich 9-18 Uhr, Sonntag bis 16 Uhr im Haus der Begegnung

Herzlich willkommen zur Vernissage: 11. März um 18.00 Uhr im Haus der Begegnung
Bei der Vernissage wird es eine Liveschaltung zu der Künstlerin Naghmeh Jah aus Kanada geben und die Schauspielerin Jasmin Tabatabai spricht per Videobotschaft zur Situation im Iran.

Unter den politischen Slogans des Jahres 2022 dürfte jener aus dem Iran der bekannteste sein: „Frau, Leben, Freiheit“ riefen Tausende in den Straßen der Islamischen Republik. Auslöser der landesweiten Massendemonstrationen in Iran war der Tod der 22-jährigen iranischen Kurdin JînaMahsa Amini.
Mittlerweile sind es Proteste von enormem Ausmaß, angeführt von Frauen, die unter Einsatz ihres Lebens ihre Stimme erheben gegen brutale Menschenrechtsverletzungen. Es ist demographisch die jüngste Widerstandsbewegung, die auch von mutigen Männern unterstützt wird.
Mittlerweile gibt es ca. 19000 inhaftierte Demonstrierende und unzählige Ermordungen und Hinrichtungen. Die im Exil lebende iranische Künstlerin Frau Naghmeh Jah möchte diese mutigen Menschen, die entweder hingerichtet, ermordet, gefoltert oder inhaftiert wurden und werden ein unvergessliches Gesicht geben, indem sie tagesaktuell auf social Media kunstvolle Grafiken von ihnen veröffentlicht.

Veranstalter*innen:   Diakonische Bezirksstelle, Iraniansofulm, Haus der Begegnung

Montag, 27.Februar

Heute haben
Henry Wadsworth Longfellow * 1807
John Steinbeck * 1902
Lawrence Durrell * 1912
Elisabeth Borchers * 1926
Geburtstag
________________________________________

Winfried Hermann Bauer
Nymphaea

Alles was in die Tiefe sinkt
Stinkt, fault, gärt
Nährt dich
Ist Kraft für deine Blüte
Dein Blatt
Blassrosa, blutrot oder weiß
Wie der Schnee auf den Bergen
Deine Reinheit
Verwandelt den Schmutz der Welt
In pures Licht
Als wäre Leid und Schmerz
Nicht mehr als eine
Dunkle Erinnerung
_________________________________________

Unser Buchtipp, frisch ausgepackt:

Michel Bergmann: „Mameleben
oder das gestohlene Glück
Diogenes Verlag € 25,00

Michel Bergmann kennen Sie wahrscheinlich noch von seinem Roman „Die Teilacher“, der 2010 erschienen ist. Damals schrieb er sehr verschmitzt über seinen Vater, der mit seinen Angestellten nach dem Krieg wieder von Tür zu Tür ging, um Weisswäsche zu verkaufen. Das wäre ja an sich nichts besonderes. Aber die Familie Bergmann sind Juden und viele Angehörige wurden während der Zeit des Nationalsozialismus ermordert. Michel Bergmann führte uns damals schon in das jüdische Denken ein, erzählte über das Verhalten der Menschen an der Tür, die den überlebenden Bergmann erstaunt wiedererkennen.
Jetzt, nach so vielen Jahren kommt der Roman, der Bericht, über seine Mame, seine Mutter. Schon die ersten Kapitel zeigen auf, wo es in diesem Buch lang geht. Bergmann liebt seine Mutter, aber oft ist sie nicht zum Aushalten. Das war schon, als er ein Kind war und hörte auch 50 Jahre später nicht auf.
Sie ist eine übergriffige Mutter, eine egozentrische Frau, eine verletzende Person, aber auch gleichzeitig eine extrem starke Person, die die Nazizeit schwer traumatisiert überlebt hat, nie mehr nach Deutschland zurückkehren will, das Glück bei zwei Ehemännern sucht und sich durch ihr Leben kämpft. Auf dieser Suche durchlebt sie alle Höhen und Tiefen und behält ihr jüdischen Mutter-Glucken-Verhalten bei, das ihr Sohn bei jedem Gespräch zu spüren bekommt.
Wieder hat Michel Bergmann eine sehr ernste Lebensgeschichte mit viel Humor erzählt und uns eine jüdische Biografie sehr nahegebracht.
Eine besondere Leseempfehlung.

Lesen Sie die beiden Kapitel in der Leseprobe und Sie bekommen einen guten Einstieg ins Buch.

Samstag

IMG_5662
Eine „Unbekannte“ bringt uns Nahrhaftes vorbei.

Heute haben
Dorothy Parker * 1893
Wolfdietrich Schnurre * 1920
Ray Bradbury * 1920
Irmtraud Morgner * 1933
Geburtstag und morgen
Alfred Lichtenstein * 1889
Ephraim Kishon * 1924
Ilija Trojanow * 1965.

Alfred Lichtenstein
An Frida

Zwischen uns sind Wände Trennung.
Spinn-Netze Sonderbares.
Doch oft fliege ich schmal in meiner sinkenden,
Händeringenden Stube, ein blutender Piepmatz.
Wärst du da.
Ich bin so ermordet.
Frida.

Der Angetrunkene

Man muß sich so sehr hüten, daß man nicht
Ohn jeden Anlaß aufbrüllt wie ein Tier.
Daß man der ganzen Kellnerschaft Gesicht
Nicht kurz und klein haut, übergießt mit Bier.

Daß man sich nicht die ekle Zeit verkürzt,
Indem man sich in einen Rinnstein legt.
Daß man sich nicht von einer Brücke stürzt.
Daß man dem Freund nicht in die Fresse schlägt.

Daß man nicht plötzlich unter Hundswauwau
Die Kleider sich vom feisten Leibe reißt.
Daß man nicht irgendeiner lieben Frau
Den finstern Schädel in die Schenkel schmeißt.

Der Morgen

… Und alle Straßen liegen glatt und glänzend da.
Nur selten hastet über sie ein fester Mann.
Ein fesches Mädchen haut sich heftig mit Papa.
Ein Bäcker sieht sich mal den schönen Himmel an.

Die tote Sonne hängt an Häusern, breit und dick.
Vier fette Weiber quietschen spitz vor einer Bar.
Ein Droschkenkutscher fällt und bricht sich das Genick.
Und alles ist langweilig hell, gesund und klar.

Ein Herr mit weisen Augen schwebt verrückt, voll Nacht,
Ein siecher Gott … in diesem Bild, das er vergaß,
Vielleicht nicht merkte – Murmelt manches. Stirbt. Und lacht.
Träumt von Gehirnschlag, Paralyse, Knochenfraß.
__________________________

Rasmus Schöll empfiehlt:

u1_978-3-86971-116-4

Tim Krohn: „Nachts in Vals“
Galiani Verlag € 16,99

Tim Krohn dürfte noch so manchen mit „Aus dem Leben einer Matratze bester Machart“ bekannt sein. Respektive, der ein oder andere erinnert sich noch an den Auftritt des Schweizers in Klagenfurt beim Ingeborg-Bachmann-Preis. Jedenfalls liegt nun ein neues Buch von ihm vor: “ Nachts in Vals“. Krohn hat diese Erzählungen als „Zimmerlesungen“ im „Hotel Therme“ in Vals gelesen. Erzählt werden die ganz unterschiedlichen Beweggründe einzelner Menschen, warum sie im besagten Hotel zu Gast sind und in der Therme baden. Da gibt es das junge Pärchen, dem das Geld zu Übernachtung nicht reicht und die sich in einer kleinen heruntergekommenen Absteige einquartieren. Beim Nachtbaden schleichen sie sich als Gäste ein und erhoffen sich ein biaachen mehr für ihre Liebe. Ein vom Leben verzagter Barmusiker findet im Laufe der Geschichte seinen eigenen Klang. Da ist ein alter Schriftsteller, der des ganzen Trubels
müde, genötigt wird, seinen achtzigsten Geburtstag zu feiern und doch noch Ruhe findet. Da sind die Berge, da ist der Schnee und die kalte Luft und ganz viel „Therme“. Ein  Buch für ein kurzweiliges Lesevergnügen, ob im Zug, oder Abends, wenn die Augen schwer werden und lange Handlungstränge in den Träumen untergehen. Ein Buch das Lust macht, den kleinen Ort Vals einmal selbst zu besuchen.

Die Homepage des Autors
______________________

Die Longlist für den Deutschen Buchpreis 2015 ist bekannt.
Hier finden Sie alle Buchdecke. Nur zwei von den zwanzig ausgewählten Büchern haben wir (noch) nicht im Sortiment, werden dies aber sofort nachholen. Kostenlos zum Mitnehmen, das Reinlesenheft mit Leseproben aus allen Titeln der Longlist.

Buchpreis2

Mittwoch

IMG_5558

Heute haben
Jacinto Benavente * 1866 (Nobelpreis 1922)
Alfred Kantorowicz * 1899
Karl Mickel * 1935
Stefano Benni * 1947
Hans-Ulrich Treichel * 1952
Geburtstag.
Und es ist der Todestag von Thomas Mann (+ 1955)

IMG_5562

Byung-Chul Han: „Die Errettung des Schönen“
S.Fischer € 19,99
als eBook € 18,99

Han bleibt mit diesem neuen Buch seinem Thema treu. Er ist ein großer Kritiker der neuen Medienwelt und misstraut dem allzu Glatten, dem Sauberen und rechnet dazu auch die Informationen und Texte, die durchs digitale Netz schwirren.
Augangspunkt diesmal ist die Kunst Jeff Koons, die mit extrem glatten Flächen aufwartet, in denen sich der Zuschauer spiegeln kann und über die man so gerne streicheln würde, wäre da nicht das aufmerksame Wachpersonal. Alles, was Jeff Konns von den Zuschauern seiner Werke hören will ist ein lautes „Wow“, so zitiert in Han. Mehr nicht. Glatt sind auch unsere iPhones und Tablets. Keine Kanten, keine Ecken. Sogar leicht geformt tauchen sie auf, damit sie besser in die hintere Hosentasche passen. Dies wird uns als schön vorgestellt. Und auch das, was wir uns als Email, über WhatsApp, oder Facebook schicken, sind glatte Botschaften, Nichtigkeiten. Wir sind scharf darauf, möglichst viele dieser Likes zubekommen und formulieren dementsprechend unsere Kurztexte. Informationen aus dem Netz entsprechen dieser Art von Text und lassen meist keine Doppeldeutigkeit der Worte und Formulierungen zu, wie es in einem Roman oft der Fall ist.
Han zitiert Brecht und misstraut der Schönheit, die uns ohne Brechung und Riss vorgestellt wird. Schönheit entsteht erst durch eine Art der Verhüllung. Sonst, so Han, sind wir auf einer Ebene der Pornografie. Erotik entsteht dort, wo sich eine Kleinigkeit offenbart und unsere Phantasie angeregt wird. Diese Begriffe der Pornografie und Erotik verwendet Han in den verschiedensten Bereichen und nicht nur für Fotos und Filme.
Han kramt in den Werken von Roland Barth, Adorno und Hegel, zitiert Heidegger und Kant und belegt mit vielen Zitaten seine These. So sagt Hegel, dass kein Gegenstand des Konsums schön sein kann, weil ihm die Freiheit fehlt. Und Han schreibt, dass es die Aufgabe von Schriftstellern ist, sich zu poetisieren, denn die Schönheit ist ein Beziehungsereignis. Schönheit hat ein Nachleuchten und alles was wir mit einem „Wow“ begrüßen,verschwindet auch schnell wieder aus unserem Gedächtnis.
Han vergelicht das Digitalschöne mit dem Naturschönen, geht auf den Begriff des Desasters ein, schreibt über die Wahrheit des Schönen und das pornographische Theater, das der Grund war, warum Botho Strauss keine Theaterstücke mehr schreibt. Pornographie auch hier in dem Sinne, dass nichts mehr verborgen bleibt, dass plakativ auf der Bühne agiert wird und dem Zuschauer keine Unstimmigkeiten mehr zugemutet werden, über die er grübeln kann.
„Verweilen am Schönen“ und „Schönheit als Reminiszenz“ nennt er noch eine der letzten Kapitelüberschriften seines Buches.
Han zeigt uns auf seinen etwas 100 Seiten einen Querschnitt durch das Thema Schönheit in unserer modernen Welt, schreibt, wie dieser Begriff in der Antike gesehen worden ist, und bleibt ein Kritiker der schnelllebigen Welt, in der uns Konsumgegenstände als das einzig Wahre, Gute, Schöne vorgegaukelt werden.

Byung-Chul Han, geboren 1959, studierte zunächst Metallurgie in Korea, dann Philosophie, Germanistik und katholische Theologie in Freiburg und München. Nach seiner Habilitation lehrte er Philosophie an der Universität Basel, ab 2010 Philosophie und Medientheorie an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, und seit 2012 Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.
Im S. Fischer Verlag ist zuletzt erschienen „Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen Machttechniken“ (2014).

Zwölf Seiten Leseprobe, die sich lohnen.

IMG_5564

Samstag

IMG_5491

Heute haben
Nina Berberowa * 1901
Jostein Gaarder * 1952
und
Birgit Vanderbeke * 1956
Geburtstag
___________________

Unser heutige Buchtipp gilt einer besonderen Neuerscheinung:

17652

Jocelyne Saucier: „Ein Leben mehr“

Aus dem Französischen von Sonja Finck
Suhrkamp Verlag € 19,95

Das schöne Porträts eines alten Mannes auf dem Umschlag zeigt uns die Richtung, in der sich der Roman hinbewegt. Allein dieses Foto ist ein grossartiger Hingucker. Das ist schon ein gekonnter Schachzuges des Verlages. Die französisch schreibendende Autorin Jcelyne Saucier nimmt uns mit auf eine Reise in die Wildnis Nordkanadas. Dorthin, wo normalerweise niemand mehr lebt. Gold gibt, oder gab es dort noch nie. Eine Eisenbahnlinie hätte gebaut werden sollen. Ein pfiffiger Mann wollte davon profitieren und hat ein Hotel an einen strategisch wichtigen Punkt gebaut. Die Eisenbahn kam nie und das Hotel modert vor sich hin.
Dort also in der Einsamkeit sollen sich alte Männer zurückgezogen haben, die sich den Fängen der staatlichen und privaten Überwachung entzogen haben. Sie wollen nicht in ein Heim, sie wollen keine Sozialarbeiterin, die bei ihnen privat herumschnüffelt und sie wollen mit ihren diagnostizierten Krankheiten nicht ins Krankenhaus. Sie wollen selbst über ihr Leben entscheiden. Und über ihren Tod. Drei alte Männer, über 80 Jahre, sind es, das weiss eine ca. 40jährige Fotojournalistin, die sich in dieser Wildnis einigermaßen auskennt. Sie sucht einen dieser Männer wegen einer Reportage über sein Leben. Die Wegbeschreibung, die sie vom Hotel bekommt, erweist sich als halbherzig, oder gar falsch und sie erkennt schnell, dass der Hotelier bewusst Fragende in die Irre führt, um die Männer zu schützen. Die Journalistin findet einen der Männer, der sie zuerst wortkarg stehen lässt und ihr Stunden später mitteilt, dass der gesuchte Mann, Boychuck, vor kurzem verstorben ist. Die Frau braucht mehrere Anläufe, bis sie mit dem ersten und dann auch mit dem zweiten und dritten Alten ins Gespräch kommt. Dann entwickelt sich dies jedoch zu einer ganz besonderen Art von Freundschaft. Ganz irre wird es, als eine 80jähre Dame auftaucht, die fälschlicherweise fast ihr ganzes Leben in der Psychiatrie verbracht hat. Sie wird von ihrem Enkel „entführt“ und auch in die Wälder zu den drei Alten gebracht.
Diese Mischung aus Lebensphilosophie, Freiheitsdrang, großer Armut, dem Trauma der großen Brände, die vor Jahrzehnten hunderten von Menschen ihr Hab und Gut und auch das Leben geraubt haben, machen diesen schmalen Roman zu etwas Besonderem. Zu einem Buch, in dem das Älterwerden und das gemeinsame Leben, Lieben und Sterben dieser sehr eigenwilligen Menschen in der Wildnis im Mittelpunkt steht.
Der französische Titel heisst auf deutsch „Als die Vögel vom Himmel fielen“ und bezieht sich auf die enorme Hitze und Rauchentwicklung bei den großen Waldbränden, so dass den Überlebenden Vögel tot vor die Füße fielen.

Leseprobe
_________________________

Gestern baute Arthur Goldgräbe mit seiner Familie seine Rebholzskulpturen bei uns in zwei Schaufenstern auf. Lassen Sie sich inspirieren durch durch diese Figuren, die in andauernder Zwiesprache mit sich und vielleicht mit Ihnen zu stehen scheinen.

Die Website von Arthur Goldgräbe

21

Skulpturen aus Rebholz

Ein Schaufenster wird zum Galeriefenster, zum Skulpturenraum, zur Bühne menschlicher Gestalten. Sie sind allesamt aus Rebholz. Für einen Bildhauer ein wahrhaft metaphorisches Material, das Geschichten in sich trägt und durch seine wilden, kaum beherrschbaren Windungen und Verwachsungen zu originellen Formen herausfordert. Es sind Bewegungsstudien, die mit berührenden Gestiken emotionaler Momente korrespondieren. Ihre Geschichten bleiben unausgesprochen.

Gebärdensprache
Gebärdensprache

Kommen Sie vorbei, schauen Sie durch das Fenster auf die Bühne der kleinen Figuren und interpretieren Sie die Geschichte ihrer Bewegtheit.

Skulpturen-Dialoge

Montag

IMG_5419

Heute haben
PD James *1920
Leon Uris * 1924
Véronique Olmi * 1962
Geburtstag
_____________________

Unser Buchtipp für eine heisse Woche:

showcover

S. Corinna Bille: „Venusschuh“
Aus dem Französischen von Hilde und Rolf Fieguth
Rotpunkt Verlag € 19,90

„Mit Venusschuh fand Corinna Bille ihre ganz eigene und unverwechselbare Stimme.“
Peter Hamm, Die Zeit

1952 erschien dieser Roman, der jetzt in einer Neuauflage im kleinen, feinen schweizer Rotpunkt Verlag erschienen ist. Acht Jahre nach ihrem großen Erfolg „Theoda“, den wir seit Jahren immer im Laden vorrätig halten und hier auf dem Blog und in unserer „Ersten Seite“ vorgestellt haben. Ein einsames Schweizer Bergdorf im Winter spielt die Hauptrolle, neben den Einwohnern und ihren unentwirrbaren Verflechtungen. Wieder ist es ein Intrigenspiel und ein Kampf um Leben und Tod.
Es beginnt damit, dass der junge Student Martin Lomense auf seinen Wanderungen entlang der Rhone auf eine Frau trifft, die auf dem Wasser geht. Dieser phantastische Einstieg ist typisch für diesen Roman. Was im ersten Moment verwunderlich klingt, klärt sich sehr schnell, denn die alterslose Frau versucht sich im Fluss zu ertränken. Martin Lomense rettet sie und hängt sich an ihre Fersen, bis er mit ihr in deren Heimatdorf ankommt. Auch dort kann er sich nicht von ihr, dem Dorf und Menschen dort lösen und verbringt den Winter in dieser Abgeschiedenheit der Schweizer Bergwelt. Als er eintrifft findet gerade ein Hochzeit statt. Der reiche Schreinermeister Grégoire hat sich mit der schöne Bara vermählt, die ihn am gleichen Abend heimlich verlässt, um ihren Liebhaber im nahen Ausland zu treffen. Lomense verfängt sich in dem Gewebe der Beziehungen zwischen Grégoire, Bara und der Frau, die er gerettet hat. Diese widerum entpuppt sich als die ehemalige Geliebte des Schreiners. Aber auch die Bewohner des rückständigen Dorfes sind Gefangene dieser Intrigen.
Dass dies nicht gut ausgehen kann, wird relativ schnell klar und die Autorin lässt auch alles auf einen rasanten Showdon auf der letzten Seite hinauslaufen.
Corinna Bille vermag es, in ihrer sinnlichen, ruhigen Sprache brodelnden Affekte wie auch die gewaltsamen Ausbrüche der verschlossenen Menschen einzufangen. Hinter der scheinbaren Ruhe vebirgt sich rohe Gewalt, die sich nicht rational begründen lässt. Corinna Bille verzichtet auf Kommentare, Analysen und Erläuterungen und lässt die Geschichte bis zum bitteren Ende weiterlaufen. Und so können wir nur zuschauen, wie Martin Lomense versucht, die Situation zu retten, aber viel zu spät eingreifen kann.
„Die Sachen entglitten ihm in dem Moment, in dem er dabei war, sie zu fassen“, schreibt Corinna Bille über den Studenten.
Ein weiterer toller Roman der Schweizer Autorin, die von 1912 bis 1979 lebte und 1975 den Prix Goncourt erhalten hat.

Blick ins Buch

Venus-Musikkomponiert von Jürgen Grözinger.
___________________

Natürlich Literatur!
Termin 3: Montag, 03.08.15, 19.30 Uhr
Literaturreihe im Botanischen Garten
IM SÜDEN (Termin 3)
Die Landschaften des Südens, die wir literarisch durchwandern: Südeuropa und Südamerika.
Es lesen: Rasmus Schöll und Literaturgast Moritz Wigand, der den Abend auch musikalisch begleiten wird…
Treffpunkt: Gewächshaus-Foyer
Unkostenbeitrag: 6 € | Person (freier Eintritt für Kinder und Jugendliche bis 16)
____________________

Die Erste Seite
Dienstag, 04.08.15, 19:30
Wir stellen vier neue Romane vor
Es liest Clemens Grote
Eintritt frei
Die Bücherliste finden Sie hier

Dienstag

IMG_4560

Heute haben
Edmond Huot de Goncourt* 1822
Vitezslav Nerval * 1900
Erich Hackl * 1931
Geburtstag
________________________

Heute auf dem Kalenderblatt des Harenberg Literaturkalender 2015 entdeckt:

Friedrich Hebbel
Der junge Schiffer

Dort bläht ein Schiff die Segel,
Frisch saust hinein der Wind;
Der Anker wird gelichtet,
Das Steuer flugs gerichtet,
Nun fliegt’s hinaus geschwind.

Ein kühner Wasservogel
Kreist grüßend um den Mast,
Die Sonne brennt herunter,
Manch Fischlein, blank und munter,
Umgaukelt keck den Gast.

Wär‘ gern hinein gesprungen,
Da draußen ist mein Reich!
Ich bin ja jung von Jahren,
Da ist’s mir nur ums Fahren,
Wohin? Das gilt mir gleich!

Und auf geht’s in die neue Woche!
______________________

Buchtipp:

IMG_4539

Ruth Schweikert: „Wie wir älter werden“
S.Fischer Verlag € 21,99
als eBook € 18,99

10 Jahre musste wir auf den neuen Roman von Ruth Schweikert warten. Es hat sich gelohnt. Nachdem ich gelesen habe, dass die 49jährige Autorin fünf Söhne hat, wundert es mich sowieso, wie sie so einen verschachtelten, vertrackten Roman auf die Beine gestellt hat.

Auf dem Esstisch lagen die Carmina von Horaz. Jacques hatte nachts geblättert darin, als der Hustenreiz endlich nachließ, und wie so oft war er hängen geblieben an jenem Gedicht, das mit Integer vitae begann und von der Begegnung mit einem Wolf erzählte, der den Dichter nicht anfiel, obwohl (oder gerade weil?) er keine Waffen bei sich trug; seine einzige Waffe war das integere Leben, das der Erzähler offenbar führte, frei von Schuld und Frevel; darin stimmte Jacques mit Horaz überein; die Wölfe, die Bedrohungen und Gefährdungen, die Angriffe in seinem und auf sein Leben waren nie von außen gekommen, sondern hatten ihren Ursprung, die verborgene Höhle, in der sie heranwuchsen, stets in ihm selbst gehabt.

Die Wölfe von aussen und das Schweigen von innen, beherrschen dieses Buch, das mit unendlich vielen Erzählsträngen hantiert. Von den Nachkriegsjahren, über die Mondlandung, zur Olympiade in München geht es bis in die Gegenwart und zeigt, wie zwei Familien unzertrennlich miteinander verbunden sind und nicht voneinander loskommen. Die beiden alten Ehepaar hatten sich neun Jahre getrennt und in einer Familien enstanden drei Kuckuckskinder. Schweigen ist das oberste Gebot. Ein Schweigen, dass  kaum auszuhalten ist. Ein Schweigen zum Schutz der vielen Kinder und Enkelkinder, die jedoch nicht damit zurecht ommen und oft daran zerbrechen und scheitern. Ruth Schweikert erzählt diesen Roman nicht chronologisch, hüpft von einer Person zur anderen, nimmt Zeitsprünge in Kauf und macht uns das Lesen nicht leicht. Sie hat jedoch die Gabe, dies alles in einer einfachen Sprache zu erzählen, die in langen Sätzen münden und oft im letzten Nebensatz das Wichtigste präsentieren und unser Interesse wecken, wie es mit dieser Person weitergeht. Gerne würde ich ihren Schreibplan sehen, um zu schauen, wie sie dieses Personen und Handlungsstränge unter einen Hut bekommen hat.
Genau das macht auch diesen besonderen Roman aus. Wir lesen ein neues Kapitel, wissen im Moment gar nicht, wer denn dieses (Enkel)kind schon wieder ist und in welche Familie es gehört und doch lassen wir uns darauf ein, genießen die neuen Ideen und Finten der Autorin, entdecken die Zusammenhänge und bevor wir ausrufen: „Ja, jetzt weiss ich es!“, ist sie schon weiter, bei einer anderen Figur und einer neuen Geschichte. Ich ließ mich also fallen, genoß jede Seite und entdeckte immer wieder Anspielungen aus anderen Romanen, oder meinte zumindest, so etwas zu lesen. Ruth Schweikert hat mit diesem Generationenbuch einen neuen deutschen Roman hingelegt, der Maßstäbe jetzt und erst einmal eingeholt werden muss.
Lassen Sie sich auf dieses Abenteuer dieser drei Generationen und deren Wegen durch Irrungen und Wirrungen des Lebens und der Liebe ein.

Leseprobe

Vita

Ruth Schweikert wurde 1964 in Lörrach geboren und ist in der Schweiz aufgewachsen. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Zürich und ist als Schriftstellerin und Theaterautorin tätig. Von ihr erschien 1994 der vielbeachtete Erzählungsband „Erdnüsse. Totschlagen“ und 1998 ihr erster Roman „Augen zu“. 1994 erhielt sie beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb das Bertelsmann-Stipendium und 1999 den Preis der Schweizerischen Schillerstiftung. Zuletzt erschien 2005 ihr Roman „Ohio“.
(Quelle: S.Fischer Verlag)
___________________________

Die Literaturwoche steht vor der Tür, die Handzettel sind gedruckt und werden verteilt.
Im Juni gibt es jede Menge Lesungen und Ausstellungen in Ulm und Neu-Ulm.
Kleine Verlage und große Autoren, KünstlerInnen und eine Bloggerin, ein Ingeborg-Bachmann-Preisträger und eine Theatertruppe und vieles mehr, stehen für Sie bereit.
Mehr dazu auf der Website der Literaturwoche:

Literaturwoche Ulm 2015

Bei uns in der Buchhandlung kommt es nach langer Zeit wieder zu einem Treffen mit unserem „Hausheiligen“ Arno Schmidt. Susanne Fischer und Bernd Rauschenbach werden am Donnerstag, den 11.Juni aus Arno Schmidts Briefen vorlesen, die als Buch unter dem Titel: „Und nun auf, zum Postauto!!“ veröffentlicht worden sind.
Einen Tag später, am Freitag, den 12.Juni, liest Bernd Rauschenbach aus seinen Erzählungen, die gesammelt unter dem Titel: „Applausordnung“ erschienen sind.
Beginn ist jeweils 19:30

Montag

IMG_3253

So geht die Woche gut los, nach diesem fast sommerlichen Sonntag.

Heute haben
Peter Altenberg * 1859
Agnes Miegel * 1879
Vita Sackville-West * 1892
Marie Cardinal * 1929
Geburtstag
und es ist der Todestag von Charles Bukowski
______________________

IMG_3262

Zum ersten Mal am Sonntagmorgen auf der Terasse und bei sommerlichen Temperaturen meine Ration Kafka und das Debüt von Edan Lepucki: „California“ auf dem E-Reader zuende gelesen.
Dabei ergab sich ein kleines Problem. Als ich dachte, ich bin laut Anzeige schon auf den letzten Seiten und ich mich immer mehr gewundert habe, wie die Autorin auf diesen wenigen Seiten noch ein schlüssiges Ende hinbekommt, stellte sich heraus, dass ich mich in der ersten Stelle der Seitenangabe verguckt habe und dass noch 100 Seiten folgen werden. So etwas kann nur beim E-Reader passieren. Hätte ich ein richtiges Buch in der Hand, wüsste ich jederzeit, wann das Ende kommt.
Das Ende ist längst eingeläutet in „California“, das in einer Zeit spielt, als die USA von diversen Katastrophen heimgesucht worden ist und sich Menschen am sichersten in Gated Communities aufhalten, oder alleine in der Wildnis versuchen zu überleben, da die Unterhaltkosten in den Städten unerschwinglich geworden sind.

1

Edan Lepucki: „California“
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Gesine Schröder
Blumenbar Verlag € 20,00
als eBook € 15,99

Der Roman wurde in den USA zu einem Politikum, da er dort zur Verlagsgruppe Hachette gehört. Amazon war/ist in heftigen Verhandlungen mit Hachette und hat dessen Bücher nicht mehr ins Programmm genommen, oder nur mit großer Lieferzeit versendet. In seiner Late-Night-Show hielt Stephen Colbert „California“ in die TV-Kameras und forderte die Zuschauer auf, dieses Buch nicht bei amazon, sondern bei einer unabhängigen Buchhandlung zu bestellen. Dem Aufruf kamen viele ZuschauerInnen nach und diese Debüt landete auf den vorderen Plätze der Verkaufslisten. Aber nicht nur der Verkauf war mehr als gut, auch Besprechungen hagelte es landauf landab und der Roman wurde in vielen Zeitungen zum Debüt des Jahres gewählt. Das wird es hier nicht schaffen, da das Thema doch sehr amerikanisch ist. Eine Lektüre lohnt sich jedoch auf jeden Fall.

#3 New York Times Bestseller
#1 Los Angeles Times Bestseller
#1 San Francisco Chronicle Bestseller
IndieBound Bestseller

“Ambitous, powerful, frightening.”
The San Francisco Chronicle

“A swiftly paced, nerve-racking novel” that is “also a shrewd exploration of a marriage.”
The Miami Herald

“One of the best novels of the year.”
The Boston Herald

lepucki_california_gr

Cal und Frida leben allein in einer schäbigen Hütte, die im Sommer zu warm und im Winter zu kalt ist. Sie sind Selbstversorger und hoffen in dieser kargen Einfachheit zu überleben. Cal hat sich an der Universität viel mit Landwirtshaft befasst und versucht am Beginn des Romanes Tierfallen zu konstruieren, da sie sich sonst nur von kärglicher Pflanzenkost ernähren. In regelmäßigen Abständen taucht ein Händler auf, bei dem sie Lebensnotwendiges kaufen / tauschen können. Sie wissen jedoch nicht, woher der Mann mit der verspiegelten Sonnenbrille kommt und wohin er geht. Diese Flucht in die Wildnis schien für die beiden verliebten jungen Leute der einzige Weg, einigermaßen frei weiterleben zu können. Dass es jedoch so hart ist, hätten sie auch nicht gedacht. In Rückblicken efahren wir über ihr Leben vor der Katastrophe und das chaotische Leben in der Stadt danach. Sie haben nur sich, keine Verbindung zu anderen Menschen, was auch gewollt ist, da es jede Menge marodierende Horden gibt, denen sie noch nicht begegnet sind und auch nicht wollen. Deshalb leben sie auch sehr versteckt und zurückgezogen. Eines Tages ergibt sich doch ein Kontakt zu einer anderen Familie mit zwei kleinen Kindern, den alle lose aufrecht erhalten. Es bleibt jedoch schwierig, weil beide Paare nicht allzuviel von sich preisgeben (wollen) und sich sehr langsam aneinander gewöhnen. Als Cal diese Familie eines tot, vergiftet auffindet, sitzt der Schock tief. Frida und Cal ziehen jedoch in deren Haus ein und verlassen ihren schäbigen Unterschlupf. Als Frida schwanger wird, wäre dies ein toller Moment in ihrer Beziehung, hier draußen scheint ein Leben mit einem Säugling fast unmöglich zu sein. Cal hat vom (jetzt toten) Ehemann erfahren, dass es in der Nähe eine Kommune geben soll, die sich „The Land“ nennt und da Frida in panischer Angst um ihr ungeborenes Kind lebt, beschließen die beiden, dort hin zu wandern und dieses neue Zuhause zu verlassen. Sie entdecken die schwergeschütze Ansiedlung, werden dort aufgenommen, sehen dort auch den fliegenden Händler und Frida findet ihren Bruder wieder, der „The Land“ anführt. Sie dachte, dass erlängst tot sei, als er sich vor Jahren als Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt hat. Cal und Frida gewöhnen sich lansgam und schwer an die eigenartigen Gebräuche in „The Land“ und entfernen sich durch den neuen Stress von einander. Dass diese Lebensgemeinschaft auch seine dunklen Seiten hat, erfahren sie recht bald und es kommt zu einem rassanten Finale, bei dem sich neue Freunde abwenden und ungeahnte Hilfen auftun.
Edan Lepucki führt uns in eine nahe Zukunft, die vielleicht näher ist, als wir glauben. Solche abgeschirmten Wohnsiedlungen finden wir schon heute, in denen ein luxuriöses Leben ohne Gefahr von aussen möglich ist.
„California“ ist ein Buch über Freundschaft und Liebe, über Betrug und Rache, das sich nicht an Thrillern und Fantasy-Romanen orientiert, sondern feine Einblicke in die Psysche des jungen Paares Frida und Cal gibt. Irritierend, spannend und ein Seitenfresser, der Sie nicht mehr loslässt.

Hier geht es zur Leseprobe, allerdings in englischer Sprache, da ich auf der Seite des Blumenbar Verlages keine deutsche Variante gefunden habe.
______________________

Werner Färbers UNGEREIMTHEIT DER WOCHE
(Agenturmeldungen von enormer Wichtigkeit)
 
 TRANSPARENTE TIGERIN
 
Durchleuchtet wird die Tigerin,
nachdem sie erste Siegerin
in einem Kampf, welcher nicht gleich.
Nun sucht man in ihr nach der Leich’.
 
dpa, 25.02.2015: Tierärzte durchleuchten Tigerin
UNGEREIMTHEIT DER WOCHE (… aus der Tierwelt)

 
EICHHÖRNCHEN CCLCXXX
 
Sehr weit entfernt, ich seh‘ es kaum,
klettert ein Eichhörnchen im Baum.
Springlebendig hüpft es munter
zwischen Ästen rauf und runter.
 
Plötzlich springt es kühn hinaus
aus jenem Baum und breitet aus
seine Flügel, um zu entschweben.
Ich hol mal meine Brille, eben.