Samstag, 18.November


Heute haben
Richard Dehmel * 1863
Klaus Mann * 1906
Vassilis Vassilikos * 1933
Margaret Atwood * 1939
Christoph Wilhelm Aigner * 1954
Geburtstag
und es ist der Todestag von Marcel Proust
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„Ruhe gibt es nicht, bis zum Schluss. Und dann? Auch am Schluss steht noch ein Fragezeichen.“
Klaus Mann
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Irgendwie steht Weihnachten vor der Tür.



Jaroslav Rudi: „Weihnachten in Prag“

Mit Illustrationen von Jaromir 99
Luchterhand Verlag € 16,00

Das Gespann Jaroslav Rudis und Jaromir 99 hat vor Jahren die sehr erfolgreiche Graphic Novel „Alois Nebel“, die auch verfilmt wurde, herausgebracht. Mit Rudis und dem Zeichner Nicolas Mahler waren auch schon mal eine Nacht in Prag und einem langen Spaziergang durch diverse Bierkneipen. „Nachtgestalten“ hieß das illustrierte Buch, das wir hier auf dem Blog auch schon vorgestellt haben.
Jetzt ist als Weihnachten, Heilig Abend, und Rudis auf Besuch bei seinen Eltern. Allerdings erst am 1. Weihnachtsfeiertag. Jetzt am 24.12. möchte er sich mit seinen Freunden für eine Runde durch die Stadt treffen. Diese melden sich jedoch nicht und so beginnt er seine Tour alleine. Allerdings trifft er sehr schnell auf Kavka (genannt: Kafka), den König von Prag, der alle Schlüssel der Stadt hat und darauf wartet, dass alle ihre Häuser verlassen, bei Freunden sind, und er dann nachschauen kann, was es dort zu holen gibt, und auf eine Italienerin aus Mailand.
Dieser Rundgang ist voller schräger Begegnungen, Erinnerung an früher und Gespräche zwischen den vieren.
Eine wunderbare Hommage an die Metropole an der Moldau, an ihre Bewohne, Besucher und hauptsächlich an die große Bierkultur und ihre dazu passenden Kneipen.
Was die „große Zoorunde“ bedeutet, verrate ich hier nicht.

Ein Blick ins Buch lohnt sich.
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Ostersamstag, 8.April


Heute haben
Johann Christian Günther * 1695
Emile Cioran * 1911
Christoph Hein * 1944
Eva Heller * 1948
Geburtstag.
Aber auch Jacques Brel, Kofi Annan, Vivienne Westwood.
Heute vor 50 Jahren starb Pablo Picasso.
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Alfred Lichtenstein (1889-1914)
Landschaft in der Frühe


Die Luft ist grau. Wer weiß was gegen Ruß?
Bei einem Ochsen, der am Boden frißt
Steht staunend ein tiefernster Hochtourist.
Bald gibt es einen kräftgen Regenguß.
Ein Junge, der auf eine Wiese pißt
Wird zu dem Quell von einem kleinen Fluß.
Was soll man machen, wenn man ernsthaft muß!
Mensch, sei natürlich. Gib dich, wie du bist.
Ein Dichter geht in dieser Welt umher,
Besieht sich den geregelten Verkehr
Und freut sich über Himmel, Feld und Mist.
Ach, und notiert sich alles sorgsam auf.
Dann steigt er einen hohen Berg hinauf,
Der gerade in der Nähe ist.
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Buchtipp:

Angelika Overath: „Unschärfen der Liebe
Luchterhand Verlag € 22,00

Angelika Overath, die seit Jahren im Schweizer Sent lebt und einige Zeit in Istanbul verbracht hat, die sowohl Romane schreibt, als auch journalistisch arbeitet und für beide Tätigkeiten ausgezeichnet worden ist, lässt in diesem neuen Roman all ihre Erfahrungen einfließen.
In dieser Zugreise von der Schweiz in die Türkei, von Chur nach Istanbul, stecken mehrere Leben, Geschichten, Mythen, Gedichte, historische Fakten und viele persönliche Erinnerungen.
Baran reist zu seinem Partner Cla, der zur Zeit in Istanbul arbeitet, forscht und Vorträge hält. Im Kopf hat er jedoch Alva, die Ex-Partnerin von Cla und Mutter ihres gemeinsamen Kindes.
Während dieser 30 stündigen Reise geht dem türkisch-griechisch-stämmigen Mann, vieles durch den Kopf. Er schaut aus dem Fenster, er beobachtet Menschen, die ein- und aussteigen. Gedankenfetzen und Erinnerungsstücke aus seiner Kindheit als Gastarbeiterkind im Ruhrgebiet, die Liebe zu Cla und die Vertrautheit zu Alva und Florinda, lesen wir, genauso wie Bruchstücke seiner Übersetzungen von Lyrik und das Hineingeworfensein in unterschiedliche Kulturen.
Die Reise endet in Istanbul, aber es ist nicht mehr alles so, wie beim Einsteigen in der Schweiz. Realität und Gedanken haben sich vermischt. Und dass es mit einem Donner endet, erstaunt zwar, ist aber im Rückblick nicht überraschend.
Engelika Overath hat hier wieder ein kluges Buch veröffentlicht, in dem mehr als eine Zugreise steckt.

Leseprobe

Mittwoch, 10.November

Heute haben
Friedrich Schiller * 1759
Arnold Zweig * 1887
Jiri Grusa * 1938
Geburtstag
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„Deine Weisheit sei die Weisheit der grauen Haare, aber dein Herz –
dein Herz sei das Herz der unschuldigen Kindheit.“
Friedrich Schiller: Die Räuber
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Was für ein Leseerlebnis:


Elizabeth Strout: „Oh William!
Luchterhand Verlag € 20,00
Amerikanische Originalausgabe € 20,00
Aus dem Amerikanischen von Sabine Roth

Liebe Leser*innen,
hallo – und willkommen zu Oh, William! Ich bin so glücklich, das Buch jetzt mit Ihnen teilen zu können. William ist, wie Sie vielleicht schon wissen, Lucy Bartons erster Ehemann, und in „Die Unvollkommenheit der Liebe“ hat sie nicht viel über ihre Ehe mit ihm gesagt. Aber mir war natürlich klar, dass er seine eigene Geschichte hat. Hier ist sie also. Es geht um vielerlei Dinge, aber im Kern des Ganzen stehen die unerwarteten Kräfte, die uns zusammenhalten, ob nun in einer Ehe oder in einer Freundschaft oder in irgendeiner Beziehung zu jemandem, der uns sehr nahegestanden hat. Es war eine große Freude und eine ganz besondere Erfahrung, dieses Buch zu schreiben – ich hoffe sehr, dass es Ihnen gefällt.
Elizabeth

So stellt die Autorin Elizabeth Strout ihren neuen Roman vor. Dem ist fast nichts mehr hinzuzufügen.
Mit großer Herzenswärme erzählt sie über die Zeit mit ihrem ersten Ehemann William, damals, und auch über ihre Gegenwart mit ihren erwachsenen Töchtern. Erinnerungen an ihre arme Kindheit flicht sie mit ein und wir befinden uns wieder in einer beiden Büchern mit Lucy Barton. Genauso wie bei Lucy tauchen bei mir dann Situationen auf, die ich vor Jahren über sie gelesen habe.
Ein tolles Buch über Freundschaft, Erinnerungen, das Älterwerden, über Leben und Sterben.

Donnerstag, 15.April

Der Jörg-Syrlin-Schuldino

Heute haben
Wilhelm Busch * 1832
Henry James * 1843
Robert Walser * 1878
Erich Arendt * 1903
Tomas Tranströmer * 1931
Geburtstag
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Wilhelm Busch
Vertraut


Wie liegt die Welt so frisch und tauig
vor mir im Morgensonnenschein.
Entzückt vom hohen Hügel schau ich
ins frühlingsgrüne Tal hinein.

Mit allen Kreaturen bin ich
in schönster Seelenharmonie.
Wir sind verwandt, ich fühl es innig,
und eben darum lieb ich sie.

Und wird auch mal der Himmel grauer;
wer voll Vertraun die Welt besieht,
den freut es, wenn ein Regenschauer
mit Sturm und Blitz vorüberzieht.
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Ferdinand von Schirach: „Jeder Mensch
Luchterhand Verlag € 5,00

Das kleine, schmale Buch von Ferdinand von Schirach ist veröffentlicht und hat für großen medialen Wirbel gesorgt. Ich möchte hier nur diese sechs Grundrechte auflisten und am Ende Ihnen die Möglichkeit zum Unterschreiben geben.

Für neue Grundrechte in Europa

Europäisches Parlament, Europäische Kommission, Regierungen der EU-Mitgliedstaaten

Diese Initiative wird von Stiftung Jeder Mensch e.V. organisiert.

Wir fordern sechs neue Grundrechte

Ein Verfassungskonvent soll die Charta der Grundrechte der Europäischen Union um folgende Grundrechte erweitern:

Artikel 1 – Umwelt

Jeder Mensch hat das Recht, in einer gesunden und geschützten Umwelt zu leben. 

Artikel 2 – Digitale Selbstbestimmung

Jeder Mensch hat das Recht auf digitale Selbstbestimmung. Die Ausforschung oder Manipulation von Menschen ist verboten. 

Artikel 3 – Künstliche Intelligenz

Jeder Mensch hat das Recht, dass ihn belastende Algorithmen transparent, überprüfbar und fair sind. Wesentliche Entscheidungen muss ein Mensch treffen. 

Artikel 4 – Wahrheit

Jeder Mensch hat das Recht, dass Äußerungen von Amtsträgern der Wahrheit entsprechen.

Artikel 5 – Globalisierung

Jeder Mensch hat das Recht, dass ihm nur solche Waren und Dienstleistungen angeboten werden, die unter Wahrung der universellen Menschenrechte hergestellt und erbracht werden. 

Artikel 6 – Grundrechtsklage

Jeder Mensch kann wegen systematischer Verletzungen dieser Charta Grundrechtsklage vor den Europäischen Gerichten erheben.

Hier geht es zur Unterschriftsliste.

Und hier ein Video mit Ferdinand von Schirach:
https://www.zdf.de/nachrichten/video/panorama-schirach-jedermensch-100.html
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Wir haben Unterstützung aus dem hohen Norden bekommen.
Anke Raums Lazy Chicks strampeln mit uns.
Vielen Dank ihr Hühner und grüßt Anke recht schön.

Mittwoch, 3.März

Heute haben
Gudrun Pausewang * 1928
Josef Winkler * 1953
Nicholas Shakespeare * 1957
Isabel Abedi * 1967
Geburtstag.
Aber auch Jan Garbarek, Miriam Makeba, Antonio Vivaldi und Gesine Cresspahl.
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Winfried Hermann Bauer
Der Panther

angelehnt an das Gedicht „Der Panther“ von Rainer Maria Rilke

Ihm ist, als ginge er im Geist zurück
nur die Erinnerung hält
Als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt

Das Hin und Her trübt seinen Blick
gequält, betäubt, ins Licht gerückt
Zuckt er und bebt und lauscht gespannt
Eigensinnig, stur, in sich verrannt

Spürt er noch immer seine Kraft
Und mit geschmeidig starkem Schritte
Dreht er sich und tanzt um jene Mitte
Die ein großer Wille schafft
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Neue Sachbücher und Romane frisch ausgepackt:

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Jaroslav Rudiš, Nicolas Mahler: „Nachtgestalten
Luchterhand Verlag € 18,00

© APA Jaroslav Rudis und Nicolas Mahler

Da haben sich zwei gefunden. Da hält vor Jahren Jaroslav Rudiš eine Laudatio auf Nicolas Mahler, als dieser den Preis der Literaturhäuder bekommt und Jahre später revanchiert sich Mahler und laudiert Rudiš, der den gleichen Preis bekommt. Jetzt ist ihr erstes gemeinsames Werk herausbekommen und ich bin begeistert. Großartig, wie die beiden Figuren mit ihren großen Nasen (wir kennen die Nasen schon aus der Thomas Bernhard Biographie von Nicolas Mahler, die hier auf dem Blog vor ein paar Wochen vorgestellt worden ist) durch das nächtliche Prag flanieren und reden und reden und Bier trinken und reden und Bier trinken und: Es wird auch viel geschwiegen. Nur der Mond beleuchtet die Nachtszenen und begleitet mit uns die Beiden.
Beim Lesen und Anschauen dieser Graphic Novel bekam ich Lust auf ein golden leuchtendes tschechisches Bier. Das hätte zum vollkommenen Leseglück noch gefehlt.

Leseprobe

Nicht verpassen:
Am Montag, den 15.März um 19.30 Uhr können Sie virtuell und online dabei sein, wenn „im“
Literaturhaus Stuttgart Andreas Platthaus ein Gespräch mit den Beiden moderiert.
Karten gibt es für € 5,00 hier:  https://stream.reservix.io/e1651403/
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Derzeit im Stadthaus-Fenster in Ulm:

The Road to Ulm
Auf dem Weg von Ucross zur Geisterstadt Ulm, Wyoming
Fotografiert von Laurie Schwartz


Laurie Schwartz und die Geisterstadt Ulm, Wyoming Amerika um 1900. Im unberührten Clear Creek Valley hält der technische Fortschritt Einzug, die Eisenbahn wird verlegt. In der Weite des Westens sprießt ein Städtchen namens Ulm wie aus dem Nichts aus dem Boden. Das war die Boom-Periode von Sheridan County; Menschen kamen zuhauf, und sie gingen bald wieder – bis zum heutigen Tage. Geblieben sind knapp 2500 Bewohner, vier pro Quadratkilometer. In Ulm weht nur noch der Wind durch die Straßen, schon seit den 1960er Jahren wohnt hier niemand mehr. Ulm war der Musikerin und Komponistin Laurie Schwartz ein Begriff, das schwäbische Ulm. 2018 hatte sie hier im Stadthaus beim Festival neue Musik mitgewirkt. Das Geister-Ulm entdeckte sie bei Ucross am Fuß der Bighorn Montains, wo sie Gast war eines Künstlertreffpunkts. Mit ihrer Kamera zog sie los und fotografierte, was sie in Ulm, Wyoming, fand: Endlos erscheinende Straßen, weite Landschaften, verlassene Holzhäuser, Wegweiser in the Middle of Nowhere, verstreute Viehherden – und Überwachungskameras, damit in der Weite sich verirrende Seelen gefunden werden können. Laurie Schwartz, geboren in Northampton, Massachusetts (USA), lebt seit Anfang der 1980er Jahre in Berlin mit Zwischenstation in Italien. Ihre Werke umfassen Field Recordings, Interviews, gesprochene Texte, Gestik, Choreografien und Video in den Kompositionen, oft in Kombination mit elektronisch verstärkten Stimmen und/oder Instrumenten.

Karla Nieraad

     

Dienstag

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Heute haben
Bertha von Suttner * 1843
Rudolf Borchardt * 1877
Richard Friedenthal * 1896
Curzio Malaparte * 1898
Jurij Brezan * 1916
Patricia Cornwell * 1956
Wolfram Fleischhauer * 1961
Geburtstag
und Tex Rubinowitz liest ab 19:30 in der Museumsgesellschaft in Ulm.

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Zitate von Bertha von Suttner:

Nach „lieben“ ist „helfen“ das schönste Zeitwort der Welt.

Rache und immer wieder Rache! Keinem vernünftigen Menschen wird es einfallen, Tintenflecken mit Tinte, Ölflecken mit Öl wegwaschen zu wollen. Nur Blut, das soll immer wieder mit Blut ausgewaschen werden.

Die Waffen nieder!

Die Macht erzeugt Übermut.

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Unser Buchtipp für heute und überhaupt.
Ein Roman für diejenigen, die mehr wissen wollen über die glücklichen jungen Paare und Familien, wie wir sie auf sehr witzige Weise im Buch „Altes Land“ kennengelernt haben.

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Kristine Bilkau: „Die Glücklichen“
Luchterhand Verlag € 19,99

Isabell und Georg haben alles erreicht. Sie spielt Cello in einem Orchester und Georg hat einen tollen Job als Journalist. Als sie ihren Sohn Mtti bekommen, scheint das Glück perfekt zu sein. Die beiden haben sich ihren Alltag gut aufgeteilt. Wenn Isabell abends spielt, passt Georg auf Matti auf. Dazu kommt immer wieder ein Mädchen, die mit dem Kleinen spazierengeht, oder ihn ins Bett bringt, wenn beide Abendtermine haben. Sie ernähren sich gesund, achten auf ein nachhaltiges Leben und sind mit sich im Reinen. Das Viertel ist voll mit den passenden Geschäften, genau für dieses Klientel und wir kennen diese Beschreibungen aus dem oben genannten Roman „Altes Land“. Dörte Hansen hat in ihrem Buch einen sehr frechen, witzigen, bissigen Ton angeschlagen, Kristine Bilkau dagegen einen warmen, ruhigen, mitfühlenden. Wir sind ganz nah bei ihren Personen, sehen, wie sie mit Matti spielen und sich das Glück einreden wollen, obwohl sich dunkle Wolken über ihnen zusammenziehen. Nach der Geburt von Matti steigt Isabell wieder im Orchester ein, aber ihre Hände zittern, wenn sie im Orchestergraben sitzt und ihr Solo spielen soll und bei Georg stehen Kündigungen an. Bei beiden beginnt es im Kopf zu rattern. Wie überstehen wir die kommende Zeit, wie stehen wir vor unseren Freunden da? Dort ist doch überall heile Welt. Bei Kleinkindtreffen im Café haben die befreundeten Mütter keinerlei Probleme mit ihrem Nachwuchs. Was sich hinter deren Fassaden abspielt bekommen wir jedoch auch am Rande mit. Plötzlich hängt ein Kronleucher im Flur und eine Mieterhöhung liegt im Briefkasten. Es scheint, als stürzt diese Idylle wie ein Kartenhaus zusammen. So denken die beiden. Jeder für sich. Keiner spricht mit dem anderen. Sie gehen sich aus dem Weg. Was zu Beginn des Romanes kleine Geplänkel waren, sind nun große Probleme, die in Streitereien ausarten. Kristine Bilkau versteht es jedoch, dass ihr die zwei Figuren nicht gänzlich entgleiten, dass sie immer noch eine starke Verbindungen zueinander haben. Sie lässt sie diese Klippen irgendwie umschiffen, sie schaffen es mit der Mutter von Georg ins Klare zu kommen und diese beiden können mit ein wenig Glück nach diesem Buch besser mit Niederlagen, Hoffnungen und Träume umgehen und in eine gemeinsame Zukunft schauen.
Kristien Bilkau hat ein sehr intensives Buch geschrieben, mit einer Leichtigkeit in der Sprache, das präzise aufdeckt, was in den Köpfen junger Menschen vor sich geht, deren Zukunft so unsicher, ihre Arbeitswelt kräftezehrend und ihre Umwelt von vielen Begehrlichkeiten geprägt sind, mit denen sie in den Medien überschüttet werden.
Ein gelungenes Debüt und ein klasse Roman.

Ein kurzes Interview mit Kristien Bilkau

Interview am 3sat-Stand auf der Leipziger Buchmesse:
http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=49990

Samstag

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Heute haben
Chuck Palahniuk * 1962
David Foster Wallace * 1962
Ljudmila Ulitzkaja * 1943
W.H.Auden * 1907
Anais Nin * 1903
Raymond Queneau * 1903
Geburtstag
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W. H. Auden
Lullaby

Lay your sleeping head, my love,
Human on my faithless arm;
Time and fevers burn away
Individual beauty from
Thoughtful children, and the grave
Proves the child ephemeral:
But in my arms till break of day
Let the living creature lie,
Mortal, guilty, but to me
The entirely beautiful.

Soul and body have no bounds:
To lovers as they lie upon
Her tolerant enchanted slope
In their ordinary swoon,
Grave the vision Venus sends
Of supernatural sympathy,
Universal love and hope;
While an abstract insight wakes
Among the glaciers and the rocks
The hermit’s carnal ecstasy.

Certainty, fidelity
On the stroke of midnight pass
Like vibrations of a bell,
And fashionable madmen raise
Their pedantic boring cry:
Every farthing of the cost,
All the dreaded cards foretell,
Shall be paid, but from this night
Not a whisper, not a thought,
Not a kiss nor look be lost.

Beauty, midnight, vision dies:
Let the winds of dawn that blow
Softly round your dreaming head
Such a day of welcome show
Eye and knocking heart may bless,
Find the mortal world enough;
Noons of dryness find you fed
By the involuntary powers,
Nights of insult let you pass
Watched by every human love.
_________________________

Cunn

Michael Cunningham: „Die Schneekönigin“
Originaltitel: The Snow Queen
Aus dem Amerikanischen von Eva Bonné
Luchterhand Verlag € 21,99
Auch in der Originalausgabe und als eBook erhältlich

Immer gefährlich, wenn Autoren Bücher nach Märchen schreiben, oder wenn sie Motive daraus entnehmen und weiterentwickeln. Trotzdem habe ich in den neuen Roman von Michael Cunningham reingeschaut, da mir seine anderen Romane sehr gut gefallen haben. Wir kennen noch alle seienn Roman „Stunden“ über Virginia Woolf, der auch ins große Kino gekommen ist.
Hier also die Schneekönigin von Andersen, die als Motto vorangestellt wird. Dort zerbricht ein Zauberspiegel und wenn jemand einen Spliter davon ins Auge bekommt, sieht er weiterhin alles in einem negativen Licht. Ttrifft ein Splitter das Herz, wird dies kalt wie Eis. Soweit das Märchen. Cunningham beginnt mitten im tiefsten Winter in Bushwick/Brooklyn und als Tyler nachts aufsteht um das Fenster zu schließen, da der Wind Schnee ins Schlafzimmer geweht hat, spürt er einen Splitter im Auge.
Seine Frau Beth liegt mit Krebs im Bett neben ihm und im Zimmer nebenan wohnt sein schwuler Bruder Barrett, der gerade mal wieder eine Abfuhr von einem Freund bekommen hat. Alle drei sind im besten Alter und haben die Stufen der großen Karriereleiter noch nicht erklommen. Tyler, ein begnadeter Musiker, möchte gerne das ultmatives Liebeslied auf seine Frau komponieren und wartet inständig auf einen Plattenvertrag. Barrett hat Literaturwissenchaft studiert, ein Unternehmen gegründet, arbeitet jedoch im Secondhand-Laden von Beth, in dem Designer-Klamotten verkauft werden. Beth selbst liegt im Sterben, rappelt sich wieder auf und ihre Krebszellen verschwinden so schnell, wie sie gekommen sind.
Mit im Boot sind noch ein befreundetes Paar, die alle dort wohnen, wo die Mieten noch erschwinglich sind, die alle vom großen Glück träumen, die eng aufeinander sitzen, vieles von den anderen wissen und doch bewahrt jeder ein Geheimnis für sich.
In der Nacht, als Tyler im verschneiten Schlafzimmer aufwacht, sieht Barrett im Central Park eine ungewöhnliuche Lichterscheinung am Himmel. Er traut sich nicht Tyler dies zu erzählen, da er ihn nur lächerlich machen würde, aber er vergisst dieses Phänomen nicht, trägt es jahrelang mit sich herum.
Die großen Hoffnungen und die dagegenstehende Realität zeigen sich in den einzelnen Kapiteln, die meist vor einer großen Präsidentenwahl in den USA beginnen. Zu Beginn des Romanes steht die zweite Amtszeit von George W.Bush an. Alle hoffen schwer, dass dieser Kerl nicht noch einmal Präsident wird und  dass die Wähler diesem Verbrecher nicht glauben. In einem späteren Kapitel stehen wir vor dem Konkurrenzkampf McCain – Obama und sehen sich schon unter einer Aussenministerin, die Afrika für einen Staat hält und Wölfe vom Helikopter aus schiesst. Wie das jeweils ausging, bschreibt Cunningham in keiner Zeile.
Wie leben mit diesen Personen eng zusammen. Belauschen sie bei ihren intimen Beredungen, oder im Miteinander auf einer Silvesterparty. Dort, wo Wünsche für das neue Jahr ausgesprochen werden. Wir hoffen mit ihnen und wünschen ihnen nur das Beste. In den weiteren Kapiteln, die einige Monate, oder Jahre später spielen, sieht die Welt um die beiden Brüder ganz anderes aus. Die Karten wurden neu gemischt. Cunningham hält sich nicht lange mit Erklärungen auf, sondern wirft uns ohne Vorbereitung in die jeweilige neue Situation, belohnt uns aber mit einem Ende, das gut aussieht, jedoch sich alle Optionen offenhält.
Der Ton des Romanes ist so wohlwollend warm und einfühlsam, dass es mir beim Lesen richtig gut getan hat, ohne einen Moment kitschig zu sein. Er beschreibt zwar die einzelnen Stadtteile Brooklyns und die Straßenkreuzungen sehr genau, das Buch könnte jedoch in vielen anderen Grossstädten der Welt spielen. Die Hoffnungen sind überall die selben.
Michael Cunningham hat eine Hymne auf den Glauben an die Liebe und das Leben geschrieben, der nicht in den Kanon der Weltliteratur aufgenommen werden wird, aber mir ein paar sehr angenehme Lesestunden beschert hat.

Leseprobe

Michael Cunningham redet über seinen Roman und liest daraus vor.
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Nächsten Mittwoch stellt Herr Lauinger seinen Manesse Verlag vor.
Nutzen Sie diese einmalige Gelegenheit.
Beginn ist 19 Uhr, de Eintritt kostenlos.
Ich freue mich sehr auf Ihr Kommen.
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Donnerstag

Heute haben
Johanna Spyri * 1827
Djuna Barnes  * 1892
Sandro Penna  * 1906
H.C.Artmann * 1921
Henry Slesar * 1927
Anne Frank * 1929
Christoph Meckel * 1935
Geburtstag
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Gestern haben wir eine große Überraschungskiste des Jaja-Verlages ausgepackt. Annette Köhn, die Verlagsleiterin stellt ihren Verlag bei uns vor. Siehe unsere Veranstaltungstipps.

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Unser heutiger Buchtipp ist mal wieder eine ordentlich schräge Lektüre. Sehr zum Schmunzeln, Lachen und Staunen.

Vrhulst

Dimitri Verhulst: „Der Bibliothekar, der lieber dement war als zu Hause bei seiner Frau
Aus dem Niederländischen von Rainer Kersten
Luchterhand Verlag € 12,99
als eBook € 9,99

Ich hatte den schmalen Roman gar nicht beachtet. Buchtitel, die so ähnlich klingen, wie „Der Hundertjährige, der …“ sind mir suspekt. Zumal der Titel im niederländischen Original „Der Nachzügler“ heisst. Fast könnte man meinen, es gibt nur noch solche Titel, wenn sich etwas Humorvolles versteckt. Oder sie beginnen mit „Warum …“ wie gerade die SZ oder FAZ großflächig bemerkt hat. Also blieb das schmale Buch von mir ungelesen auf dem Tisch liegen. Letzte Woche kam eine vielbelesene Kundin in den Laden und nach meiner Frage, was sie denn Gutes gelesen hätte, schwärmte sie in allen Tonlagen davon. Sie hätte es in einem Rutsch durchgelesen und viel gelacht. Sie hätte es übrigens von einer Freundin bekommen. Nachdem ich dann noch gelesen hatte, dass der flämische Autor Dimitri Verhulst hinter dem sehr schrägen Film „Die Beschissenheit der Dinge“ steckt, war es dann soweit und ich kann Ihnen sagen: Auch ich habe es auf einen Satz verschlungen. Wirklich nicht schwierig. Flott und frech geschrieben und mit seinen 144 Seiten überschaubar.
Um was geht es nun eigentlich? „Bibliothekar“ macht sich immer gut im Titel. Désiré Cordier war ein solcher, aber das ist so wichtig gar nicht für die Geschichte. Er war einfach gebildet, hatte immer ein Zitat auf den Lippen und sehr zufrieden mit seinem Beruf und seinen Basteleien rund um sein Haus. Was irgendwie nicht geklappt hat, war das Leben mit seiner Frau Moniek. Aber solange er noch zur Arbeit ging, konnte er ihr locker aus dem Weg gehen. Jetzt als Rentner ist das schon etwas schwieriger. Und nachdem Moniek verkündet, dass sie aus dem Haus in eine kleiner Wohnung ziehen werden, da die Kinder aus dem Haus sind, bekommt er es mit der Angst zu tun. Wie kann er seiner Frau auf den paar wenigen Quadratmetern aus dem Weg gehen, wenn er keinen Keller und keine Werkbank mehr hat? So beschließt der 74jährige Désiré dement zu werden. Er spielt das monatelang so perfekt, dass er tatsächlich in das Pflegeheim „Winterlicht“eingeliefert wird. Die vielen Passagen, wie er seine Demenz spielt sind so witzig geschildert und Verhulst packt immer noch eine Pointe oben drauf. Im Pflegeheim hat Désiré seine Ruhe, entdeckt viele Missstände und sieht sich heillos überforderten PflegerInnen ausgesetzt, findet eine Art neue Liebe und ärgert einen alten Nazi zu Tode.
Verhulst zeigt uns, eine neue Variante des Altwerdens und in Würde Sterbens. Das auf eine sehr freche, bissige Art und nicht auf Kosten von Demenzkranken.
Ein Buch bestens geeignet für den Baggersee, die lauen Abende auf dem Balkon, oder im Wartezimmer beim Hausarzt. Ha!

Leseprobe

Dienstag

Heute haben
J.C.Powys * 1872
M.Zwetajewa * 1892
H.J.Schädlich * 1935
Geburtstag
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Terézia Mora erhält den Deutschen Buchpreis 2013
für ihren Roman „Das Ungeheuer“.

Gratulation!

Die Begründung der Jury:
„Ein schwarzer Strich zieht sich durch den Buchtext von Terézia Moras Roman ,Das Ungeheuer‘. Er teilt die Geschichte von Darius Kopp und Flora. Sie waren ein Ehepaar, er ein Jedermann, der seine Frau mehr als alles, aber heillos liebte und überfordert war von ihrer Krankheit, ihren Depressionen. Flora hat Selbstmord begangen. Kopp bleibt zurück mit ihrer Asche in einer Urne und einer Datei, in der die Ungarin Flora Tagebuch über ihre Krankheit führte. Er macht sich auf den Weg durch Osteuropa von Ungarn nach Kroatien, nach Albanien und immer weiter bis er schließlich in Griechenland strandet, auf der Suche nach einer Heimat für die Asche und seine Verzweiflung. ,Das Ungeheuer‘ ist ein stilistisch virtuoser, perspektivenreicher Nekrolog und eine lebendige Road-Novel aus dem heutigen Osteuropa. Terézia Mora findet eine radikale Form, der verstorbenen Flora und ihrem Leiden, das sie Darius nicht mitteilen konnte, eine Stimme zu geben. Ihre Tagebuchdatei ist parallel zur Reiseerzählung von Darius unter dem schwarzen Strich zu lesen, ein Mosaik autobiografischer und medizinischer Skizzen zur Depression. Als Schriftstellerin gelingt es Mora, zwei Charaktere, die sich im Leben verfehlten, und zwei Textformen miteinander in Verbindung zu setzen. Terézia Mora vereint hohes literarisches Formbewusstsein mit Einfühlungskraft. ,Das Ungeheuer‘ ist ein tief bewegender und zeitdiagnostischer Roman.“

WebsiteDeutscher Buchpreis

Das Ungeheuer von Terezia Mora

Terézia Mora:Das Ungeheuer
Luchterhand Verlag € 22,99
als eBook € 18,99

Nun wird über Frau Mora und ihr Buch überall berichtet, so dass ich Ihnen nichts über den Inhalt des Buches erzählen brauche. Es ist ein harter Stoff, der mich ordentlich runtergezogen hat. Zwei Leben, die es sehr viele gibt, werden in diesem Roman vorgestellt und ausgebreitet. Terézia Mora, von der vor vier Jahren schon einmal ein Roman auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand, macht es uns nicht leicht. Ihre Personen haben keine Chance und das bekommen wir zu spüren. Dass sie schreiben (und übersetzen) kann steht ausser Frage. Das Buch passt jedoch genau in meine Aufforderung, der Kälte zu entkommen und zu den Sätzen, die ich gestern abend, vor dem Carla Bley-Konzert , das übrigens grossartig war) schon formuliert habe.

Kampf dem Nebelwetter!
Das Internet meldet: Erster Schnee am Freitag.
Keine Lust auf kalte Finger auf dem Rad.
Nur gut, dass es Musik gibt, die uns so richtig einheizt.

Shorty

Trombone Shorty: „Say That To Say This“
Verve CD € 19,99

Die Meinungen gehen auseinander. Die einen sagen, dass seine ersten beiden Alben besser waren, die andere sprechen von zehn Volltreffern auf der neuen Scheibe. Auf jeden Fall knackige Beats und gute Rhythmen.

Auf der website von Universal Musik können Sie in alle Lieder reinhören.

Und hier gibt es ein Konzert in Jazzfestival Montreux 2011

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=ngB5GaavEdU]

Donnerstag

Mein Lyrikkalender überrascht mich heute mit einem Gedicht aus dem 17.Jahrhundert.

Johann Georg Schoch
AMaRille

1.
AMaRille/
Wenn soll ich erlangen/
Daß dein Lippen-Thau/
Schöne Frau/
Feuchte meine Wangen?
AMaRille.

2.
AMaRille/
Wenn sol mein Begehren
Dein so süsser Schmatz/
Liebster Schatz?
Doch einmal gewehren?
AMaRille.

3.
AMaRille/
Dämpffe meine Lüste;
Ich sag‘ unverhölt/
Was mich quält/
Das seynd deine Brüste.
AMaRille.

4.
AMaRille/
Kan es nicht geschehen/
Daß ich heute mag
Noch den Tag
Deiner Augen sehen.
AMaRille.

5.
AMaRille/
Was ich noch muß hoffen/
Das ist deine Gunst/
Schönste/ sunst
Steht das Grab mir offen.
AMaRille.

6.
AMaRille/
Was du mir kanst geben
Steht bey dir allein:
Ja/ und Nein/
Sterben/ oder Leben.

Johann Georg Schoch (getauft 28. Februar 1627 in Leipzig; † um 1690) war ein deutscher Lyriker, Dramatiker und Übersetzer der Barockzeit.
______________________

Gestern abend noch ein paar Erzählungen gelesen, die so richtig reinlaufen, ohne große Haken und viel über den Kulturbetrieb offenlegen. Die Szene in Berlin am Theater, Preisverleihungen, Filmfestivals.
Johanna Adorjàn, die wir noch aus ihrem Roman über ihre ungarische Grosseltern kennen („Eine exklusive Liebe“), schreibt worin Sie sich als Journalistin der FAZ auch gut auskennt. Dieser Auflauf der kulturellen Gutmenschen, die dann doch ihre Macken haben, ihr Eigenleben, obwohl sie so glatt in Medien reproduziert werden.
Sie schildert Personen, die Darsteller sind und sich darstellen wollen. Die vielleicht auch mehr sein wollen, als sie im wirklichen Leben sind. Sie wollen mitschwimmen in den Edellokalen und Theaterpremieren.
Johanna Ardojàn nimmt uns mit an die Hand und öffnet uns Türen, zu denen wir wohl keine Berechtigung hätten. Frech, witzig, im Stile von Suter, Heidenreich,wenn diese Vergleiche erlaubt sind.
Das Buch ist eine wahre Freude.
In blauem Leinen gebunden, geprägte Schrift auf dem Deckel, blauer Buchschnitt und blauer Druck. Schönes Papier und überhaupt ein wahrer Genuß in der Hand.
Wem so etwas wohl eingefallen ist?

Freunde

Johanna Adorján: „Meine 500 besten Freunde
Luchterhand Verlag € 18,99

Die erste Erzählung: „Ein Tisch in der Mitte“ wurde auch schon komplett in der FAZ abgedruckt.
Ha, ein perfekter letzter Satz. Lassen sie sich den nicht entgehen und lesen Sie ihn wirklich erst am Schluss.
Oder habe ich jetzt schon zu viel verraten?
Viel Spaß damit:
Ein Tisch in der Mitte