Samstag

IMG_5018

1952 wurde Ulmer Bücherstube Jastram von Erika Jastram gegründet.
1983 kamen wir nach Ulm. Ich begann wieder ganz von vorne und war Lehrling bei Irmi Bürzle, die ihrerseits die Buchhandlung von Erika Jastram übernommen hatte.
Am 1.Juli 1990 übernahmen wir dann von ihr die Buchhandlung.
Jetzt sind 25 Jahre vergangen und wir alle im Laden freuen uns, dass es diese Buchhandlung noch gibt.
Ohne unsere KundInnen allerdings ist dies nicht möglich.
Deshalb gilt mein Dank nicht nur meiner Familie, meinen tollen Angestellten, sondern auch dem so treuen Publikum der Kulturbuchhandlung Jastram, wie wir sie frecherweise umgetaucht haben.

Einer Kunden, hat den Bleistift gespitzt und sich (wie schon so oft) für uns ein Gedicht verfasst.

It´s a kind of magic
oder
25 Jahre „Jastram“

Wer seine Firma bestens führt,
sich selbst und andere motiviert,
bekommt doch meist zum eig´nen Glück,
mehr als nur den Erfolg zurück!

Seit fünfundzwanzig Jahren schon
gibt „Samy“ W. hier an den Ton
und bringt zur Freude seiner Kunden
den Laden glücklich über d´Runden.

Ein freundlich Wort, ein weiser Rat,
und guter Service sind parat,
wenn man als Kunde tritt herein
in diesen Laden, klein und fein.

Hier wird mit Wissen gern geklotzt
und spielend Amazon getrotzt.
Hier gibt es Lesungen und mehr.
Wer einmal kam, kommt wieder her.

Denn „Jastram“ heißt ein Zauberwort
das führt in Ulm an diesen Ort,
an dem das Buch wird hochgeschätzt
und nicht elektrisch wird vergrätzt.

Dort kann man riechen an den Seiten,
von Wissenschaft zu Krimis gleiten,
Musik auch kaufen und genießen;
und draußen vor tun Blumen sprießen.

Hier hat das Buch ´nen sich´ren Hort
und will von dort nur wieder fort,
wenn sich ein liebend Käufer findet,
der lesend sich mit ihm verbindet.
Was ist hier anders denn und so?
Warum grad hier und nicht auch do?
Das lässt sich einfach nicht so sagen,
drum soll man´s auch nicht hinterfragen.

Wer einmal in dem Laden drin,
ist glücklich jetzt und fürderhin.
Zum Buch die Liebe strahlt umher
und fordert fröhlich auf „Kauft mehr!“

So wurde hier mit Team und Kunden
ein richtig guter Weg gefunden,
um besten Service zu bewahren,
zu weit´ren Jubiläumsjahren!

Denn wo Fortuna Zukunft streute,
da gratuliere ich nun heute
und hoffe, dass auch künft´ge Zeiten
erfolgreich dieses Glück ausbreiten!

Herzlichen Glückwunsch zum silbernen Jubiläum mit den allerbesten Wünschen bis zum goldenen Jubeltag!

ThomasD.

Vielen Dank dafür, auch an Peter, der uns die 25 gelbe Rosen mitgebracht hat.

Donnerstag

Heute haben
Sándor Márai * 1900
Marlen Haushofer * 1920
Geburtstag
________________________

gast-225x380

Edward Gorey:Ein fragwürdiger Gast
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Alex Stern
Lilienfeld Verlag  € 12,90

Nun gibt es ihn wieder, den seltsamen Gast. Der plötzlich bei einer Familie auftaucht und nicht mehr geht. Seit Jahren waren die Bücher von Gorey vergriffen; einmal ging sogar eine Palette Gorey-Bücher beim Diogenes Verlag im Keller verschütt und tauchte erst Jahre später wieder auf. Mittlerweile wurde genau diese Ausgabe hochgehandelt auf dem Antiquariatsmarkt. Der Lilienfeld Verlag versucht sich nun wieder am Altmeister der schrägen Kunst aus den USA. 1957 erschien dieses Werk zum ersten Mal in den USA und hat seinem Autoren Weltruhm verschafft. Mit seinem feinsinnig-schrägen Spaß und reichlich viktorianischem Flair, der aber auch schnell ins gruselige Dunkel abrutschen kann, seine witzigen Textzeilen, die in anderen Büchern auch so richtig britisch böse werden können, erzählt er hier von einem fremden Gast (ja was ist das eigentlich für ein Wesen?), der plötzlich dasteht und nicht mehr verschwindet. Nicht nur dass er am Tisch alles wegfuttert, incl. des Tellers; er versteckt auch Dinge aus dem Haushalt, oder wirft sie gleich in den nahegelegen, zugefrorenen Teich.
Markenzeichen des Gastes sind seine weißen Leinenschuhe, mit denen Gorey auch herumgelaufen ist.
Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen mit dem kleinen, schön gestalteten Büchlein mit seinen feinen schwarzweiss Zeichnungen.

Im Buch blättern
Edward Gorey Website
__________________________

Neues aus der New York Underground Public Library:

“The Great Gatsby,” by F. Scott Fitzgerald
„The Great Gatsby“ by F.Scott Fitzgerald

“The Hum and the Shiver,” by Alex Bledsoe
„The Hum and the Shiver“ by Ales Bledsoe
___________________________

Mittwoch

Heute haben
Alfred Kubin * 1877
Claudi Magris * 1939
Geburtstag
und Stefan Heym wird heute 100 Jahre alt.
________________________

Gestern habe ich meinen Reisebegleiter kurz erwähnt; konnte ihn aber nicht länger besprechen. Das soll jetzt kommen.

Scherben

Ismet Prcic: „Scherben
Suhrkamp Verlag  € 21,95

Gestern schrieb ich schon, dass der Autor und sein gleichnamiger Protagonist im Roman vor einem Scherbenhaufen seines Lebens sitzt. Durch den miterlebten Bosnienkrieg ist er schwer traumatisiert. Er sitzt mitlerweile in den USA, lehrt Theaterpädagogik und sein Therapeut rät ihm, sich alles von der Seele zu schreiben. So weiss ich nicht, was ist Realität und was ist Fiktion. Das ist jedoch auch bei keinem Roman, bei keiner Biografie klar zu erkennen.
„Jeder ist der Held seiner eigenen Märchen. … Ich habe kein Heimweh, mati. Ich bin die ganze Zeit daheim. In der Vergangenheit. In der Fiktion.“
Schulabenteuer, erste Liebe, der verzweifelte Ruf an seine Mutter, der Krieg, die Spielchen; all dies wird in einzelnen Episoden erzählt. Ohne eine fortlaufende Chronologie. Der größte Teil des Buches sind die Jugendjahre von Ismet Prcic in Tuzla. „Chaos war die Normalität. Und die Normalität war unnatürlich, brüchig.“ Dieses Chaos überträgt sich auf den Schreibstil. Ismets Jahre dort sind auch noch kindlich naiv. Mit Abenteuerspielchen durchsetzt und über allem schwebt schon eine Vorahnung eines Krieges. Er ist 15, als 1992 der Krieg nach Tuzla und die bosnischen Serben die Stadt zu beschießen beginnen. Und er ist 18, als er 1995 auswandern kann, ehe er noch zum Kriegsdienst eingezogen wird.
„Zivilisten fällten Bäume im Park, wurden auf Fußballplätzen beerdigt, verfeuerten Bücher und Möbel, hielten Hühner auf dem Balkon, reparierten Schuhe mit Klebeband, jagten und aßen Tauben, bauten Öfen aus alten Waschmaschinen, züchteten Pilze im Keller, ersetzten kaputte Fensterscheiben durch schmutziges Plastik, drehten durch und sprangen von Hochhäusern, verdünnten Brennspiritus mit Kamillentee, damit er nicht mehr feuergefährlich war, und tranken ihn, drehten sich Kräuterzigaretten aus Klopapier, litten, hofften, warteten, fickten.“
Er erfindet sich eine weitere Figur, Mustafa, der vielleicht ein zweites Ich sein kann. Mustafa erlebt den Krieg, er kann nicht fliehen. Er bleibt zurück. „Mustafa geht mir nicht aus dem Kopf. Stundenlang träume ich im Wachzustand sein Leben, während ich darauf warte, dass meines einen Sinn ergibt“, notiert Ismet in seinem Tagebuch. „Ich wollte eine Figur, die weggeht und den Krieg von außen sieht; und eine andere Figur, die kämpft und den Krieg am eigenen Leib erfährt. Irgendwann kollabieren die beiden Figuren ineinander, ohne dass man wissen kann, welche wirklich ist.“
Zusammen mit seinen Kumpels versucht er in eine andere, heile Welt abzutauchen.
„Ich blendete einiges aus, wenn ich mit meinen Freunden zusammen war. Wir vermieden es, über Politik und Religion zu sprechen. Stattdessen zogen wir, allesamt geil und verliebt, durch die Straßen. Wir schrammelten auf verstimmten Gitarren, erzählten einander Lügengeschichten über sexuelle Erfahrungen, tauschten italienische Comics und deutsche Pornos, rissen eklige Witze und schimpften über die Schule.“
Das Leben erträglich macht Ismet eine Laientheatergruppe, der er sich anschließt. Durch diese Arbeit vergißt er die Greuel des Alltags. „Das Theater war Labor, Religion, Geheimkult. Es war alles. Es geht darum, der Welt zu zeigen, dass es in Bosnien Schönheit gab, und wir nicht nur die Opfer von Geisteskranken waren, Experten im Leiden, verzweifelt um Hilfe Bettelnde, die in ihren Städten vor sich hin vegetierten und darauf warteten, gerettet zu werden, während die Welt auf CNN zusah.“
Was sich nun als sehr sehr und grausam darstellt, ist im Buch witzig, frech auch rotzig aufgeschrieben. Voller Liebe zu bestimmten Personen und kindlich naiv. Ich habe das Buch atemlos gelesen und immer wieder geschmunzelt, mich gewundert und finde es großartig.

Leseprobe
Website des Autors, auf der ganz groß das Wort Izzy steht. So wird Ismet in den USA genannt.

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=v3XtjwjhRHY]
Interview mit dem Autor

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=oONTvehntIw]
Lesung bei First Novel Fete 2011
________________________

Neues aus der Underground New York Public Library:

NY

„Notes from the Underground“ by Fyodor Dostoyevsky

NY2

„In Praise of Messy Lives“ Essays by Katie Roiphe

Dienstag

Heute schreibe ich den Blognicht von zu Hause, sondern sitze in Bad Säckingen im Hotel. Unser halbjähriges Buchhändlertreffen hat uns dieses Mal tief in den Süden verschlagen.

CIMG9152

Und überall gibt es etwas zu entdecken.
__________________________

Auf der meine Reise habe ich ein Buch mitgenommen, was schon lange auf meinem Lesestapel liegt.

CIMG9141

Ismet Prcic: „Scherben“
Suhrkamp Verlag

Ismet Prcic wurde 1977 un Tuzla geboren und lebt als Kriegsflüchtling in den USA. Theaterspielen, Theatermachen hat ihm wohl das Leben gerettet und er arbeitet jetzt auch als Theaterpädagoge. Traumatisiert durch die Geschehen des Bosnienkrieges empfiehlt ihm ein Therapeut, alles aufzuschreiben; diese Scherben wieder zusammenzufügen. Scherbenartig ist auch dieser Roman, der aus vielen Episoden zusammengesetzt ist. Witzig, skuril und aus Kindersicht naiv, als Indianerspiel betrachtet, liest sich dieser Roman sehr flott. Gleichzeitig zeigt er auch die ganze Bandbreite der Kriegsgreuel.
Ich füge Ihnen eine Leseprobe an und schreibe morgen mehr zu diesem Buch, da die Tagung auf mich wartet.

Leseprobe

Montag

Heute hat Christoph Hein Geburtstag (* 1944)
________________________

Eine schöne Entdeckung am Wochenende, die ich gerne weitergeben möchte:

C_978-3-498-06423-5.indd

Susanne Schedel: „Wer soll denn das anziehen, bitteschön
Rowohlt Verlag € 18,95
als eBook € 16,99

„Die Krägen, die Knöpfe, die Muster reihten sich zu Sätzen über das, was in der Luft lag, was um uns war. Sätze einer Sprache, die ich mit dem ganzen Körper verstand.“

1998 bekam Susanne Schedel den Förderpreis der Stadt Ulm.
Davor machte sie 1992 in Ulm das Abitur, lebt jedoch in Düsseldorf.
Jetzt hat sie ihr zweites Buch veröffentlicht.
Erst auf der Innenseite steht neben dem Titel der Vermerk: Erzählungen.
Sind es nun Erzählungen, oder doch acht Episoden eines Romanes?
Egal! Durch die einzelnen Texte zieht sich ein roter Faden, gibt dem Buch einen inneren Halt und eine Struktur. In allen Texten geht es um normale Menschen, die unbewusst ihrem Leben eine Wendungen geben (können/könnten). Sie handeln, ohne über Tragweite nachzudenken. Es gibt eine junge Frau, die ihren Freund in den USA beucht, der dort an einer Uni forscht. bei einem „Ausbruchsversuch“, einer Fahrt mit dem Auto zu einem Traumort, kommt sie gerade noch rechtzeitig zum vereinbarten Treffen mit einem Uni-Professor zurück.
Eine alte Dame, die bei ihrem Sohn mit Familie untergekommen ist, wird einmal die Woche ins nahegelegene Spielcasino gefahren und hat bis auf 30 Euro nie etwas gewohnen. Nun hat sie plötzlich 4.000 in der Tasche.
Eine Studentin bricht heimlich ihr Medizinstudium ab und versucht sich als Modedesignerin in Amsterdam.
Es geht um eine junge Frau, die einem Pärchen Deutschunterricht gibt. es entsteht eine vermeintliche Nähe zwischen den Dreien, bis auch die plötzlich verpufft.
Das klingt nach ausweglosen Situationen? Susanne Schedel sieht das nicht so: „Ich habe versucht, zu den Erzählungen zum Ende einen Ausweg oder wenigstens eine Art Wegweiser zu bieten. … Schlussendlich soll aber jeder seine eigene Botschaft und eigene Schlüsse aus dem Buch ziehen. … Das ist der Vorteil an der Literatur.“
Susanne Schedel lässt uns diese Personen unterschiedlich lange verfolgen, bis zu einer Wegkreuzung, an der wir und die Personen (noch) nicht wissen, wie es weitergeht.
Schön, denke ich, dass dies nicht auch nicht ausgearbeitet ist, sondern dass dieser Freiraum bleibt, in dem wir uns selber unsere Gedanken machen können. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschmelzen dann zu einem Ganzen.
Eine sehr angenehme Lektüre, die eine schöne Leichtigkeit verströmt, wie wir sie auch aus Episodenfilmen kennen.
Mit Sätzen, die nachklingen und Bildern, die nicht so schnell verschwinden.

Leseprobe
________________________

Und hier noch das heutige Gedicht aus meinem Kalender.

August Graf von Platen

Wohl mit Hafis darf ich sagen:
Ewig trunken ist mein Mut!
Nimmer könnt’ ich es ertragen,
Diesem Rausche zu entsagen,
Dieser Liebe, dieser Glut!

Magst du, Freude, mir gesellen
Deinen sprudelnden Pokal!
Mich verleumden, mich entstellen
Mögen nüchterne Gesellen,
Ihre Liebe wäre Qual!

Keiner wird es mir entwinden,
Dies unsägliche Vertraun:
Menschen hoff ich noch zu finden,
Die mich, wie sich selbst, empfinden,
Die mich, wie sich selbst, durchschaun.

Gern als Opfer sei gespendet
Dieser Erde Ruh’ und Glück:
Kehrt doch stets, von Gott gesendet,
Jenes Glück, das nimmer endet,
Ins zerrißne Herz zurück!

Wohl ein Glück ist’s, laut zu sagen,
Was das Innre leis empfand;
Selig fühl ich mich getragen
Auf den Schwingen meiner Klagen
In des ew’gen Friedens Land.

Sonntag

CIMG9136

Heute haben
Flora Tristan * 1803
Victoria Ocampo * 1890
Geburtstag.
________________________

CIMG9133

CIMG9137
__________________________

Von unserer Kinder- und Jugendbuch Expertin Anja Reiprich kommt dieser Jugendbuchtipp:

ella

Antonia Michaelis:Ella Fuchs und der hochgeheime Mondscheinzirkus
Oetinger Verlag € 13,95
ab 9 Jahren
Mit Illustrationen von Imke Sönnichsen

Ferien, Freiheit, Abenteuer! Zirkusluft für Sommerkinder.

Ella verbringt die Ferien auf Usedom und möchte ein richtiges Abenteuer erleben. Sie schnappt sich den alten Schäferkarren, spannt die zwei Esel vom Hof vorne hin und los gehts.  Auf der Fahrt „sammelt“ sie Ferienkinder ein und gründet einen Zirkus. Und dann ist der Truppe auch noch der blaue Reiter auf den Fersen…

Ein toller Abenteuerroman für alle LeserInnen ab 9, der bis zum Schluss spannend  bleibt.

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=hSFZdjjzu6w]

Auf dem Kinder-, Jugendbuchblog:Verenas Weltgibt es auch
ein großes Lob für das Buch.

______________________

Antwerpen
Museumsshop in Antwerpen. Eingeschickt von Susi.
______________________

Mehr „Frühjahrs“-Fotos gibt es auf unserem Fotoblog jastram.tumblr.com.

Samstag

Also wenn diese schreckliche Hintergrundsfarbe keinen Frühling herauszaubert, dann weiss ich auch nicht.
_______________________

Erich Mühsam * 1878
Leonora Carrington * 1917
Günter Herburger * 1932
Friedrike Roth * 1948
haben heute Geburtstag.
Nicht zu vergessen:
Raffael * 1483
_____________________

Zum Wochenende hin gibt es mal ein richtiges Quatschbuch.
Bildergeschichten ohne Text. Biographien in Zeichen.
Mal ganz leicht, mal sehr schwer.
Die beiden Autor schreiben in einem klitzekleinen Vorwort, dass es für dieses Buch kein Vorwort braucht und auch keine Gebauchsanleitung. Dann schreiben sie aber doch, welche Methoden des Lesens und Anschauen es gibt.
Sie geben den einen oder anderen Tipp, den das Buch (laut deren Meinung) gar nicht benötigt und wünschen dann viel Spaß.
Den wünsche ich Ihnen auch.

Sekunden

Matteo Civaschi und Gianmarco Milesi:
Das Leben in 5 Sekunden
200 Biographien von Gott bis Pippi Langstrumpf
Scherz Verlag € 14,99

Mit den Biographien von Che Guevara, Cinderella, Al Capone, Dracula, Mozart, George W. Bush, Jimi Hendrix, Superman, Mark Zuckerberg, Harry Potter, John Travolta, Einstein, Elvis Presley, Mutter Teresa, Michael Jordan, Caesar, Alien, Beethoven, Jack the Ripper, Hannibal Lecter, Dschingis Khan, Moses, Moby Dick, Satan, Tiger Woods, Picasso, Batman, King Kong, Gott und vielen anderen mehr.

Lust auf mehr: Dann finden Sie in dem Buch noch weitere 193 Biografien.
____________________________

Die Kirchentreppe
Per aspera ad astra. Steil wie eine Himmelsleiter führte sie in die Höhe, die Steintreppe zu Füßen der evangelischen Kirche in Jungingen, fast senkrecht hinan zum Gotteshaus. Und Sonntag für Sonntag wurde sie erklommen, schwitzend und schnaufend oder leichtfüßig, je nach Alter und Gesundheit, von einer mal zahlreicheren, meist jedoch eher kleinen Gemeinde zum Dienst am Herrn. Beschwerlich war der Weg nach oben, keine Frage, über die von vielen Generationen und aber Generationen schief getretenen Steinstufen, gefährlich auch, im Winter zumal, wenn Schnee und Eis den Weg unsicher machten, sodass manch ein gebrechliches Weiblein auf den glitschigen Stufen nur knapp und mit Gottes Hilfe einem schmerzhaften Unfall oder Schlimmerem entrann.
Nach dem Gottesdienst am Fuß der Treppe, wenn die Gemeinde sich noch austauschte, lachend sich Neuigkeiten zuwarf, wirkten alle heiter und erleichtert, als wären sie froh aus der bisweilen schwindelerregenden geistigen Höhe des Glaubensbekenntnisses über die schwierige Treppe wieder heil herabgestiegen zu sein, um nun reineren Gewissens und flotteren Schrittes einem frugalen Mahl entgegen zu eilen.
In ihrer Art war diese Treppe das beste Bild für den Einzug ins Himmelreich und die beste Vorbereitung für die sonntägliche Zeremonie, denn Christ sein ist kein Spaziergang, nichts für Spaßvögel oder Hedonisten. ‚Strengt Euch an!’ schien sie ihren Bezwingern zuzurufen. ‚doch seht euch vor, denn wie leicht könntet ihr fallen auf Eurem Weg!’.
Das Beschwerliche aber wurde unmodern, die Gefahr sollte aus dem Leben verschwinden, auch die Lahmen und Alten sollten sicheren und bequemen Schrittes den Aufstieg bewältigen und so schlängelt sich nun, statt der alten, steilen Steintreppe mit den Spuren unserer Urväter, ein Serpentinenpfad aus grauem Kopfsteinpflaster in sanfter Steigung den Kirchhügel hinan, gemütlich wie ein Wanderweglein in den sonnigen Bergen der Toskana. Der Weg ist etwas länger geworden, wie unser irdisches Dasein länger geworden ist und symbolisiert mit seinen Kehren und Kehrtwendungen statt des oben leuchtenden Seelenheils nun vielleicht mehr die Ab- und Umwege, denen wir bisweilen folgen auf unserem steinigen Pfad durchs Leben.

Aus Bernd Schmitt: „Lückentexte“. Mit Illustrationen von Dorothea Grathwohl.
__________________________

Herr Steidl bereitet einen Ausstellung in Barcelona und philosophiert nebenbei über’s Büchermachen.
Sehr speziell.

[vimeo http://vimeo.com/59789979]

Freitag

Ich versuche es mit allen Mittel, den Frühling an Land zuziehen.
Deshalb gibt es heute einen grünen Hintergrund.
________________________

Was Farben anbelangt, haben wir unsere DVDs jetzt auch farblich sortiert.

CIMG9127
___________________________

Der niederländische Autor Hugo Claus hat heute Geburtstag ( * 1929)
________________________

Bevor die Pfingstferien beginnen, haben Sie jetzt noch Zeit, sich in die Geschichte, in Land und Leute Italiens einzulesen. Und das auf eine sehr angenehme Art.

Italien

Wenn Sie sich die Inhaltsangabe durchschauen, bekommen Sie einen guten Überblick, über den Aufbau des Buches. Dem Schotten David Gilmour liegen die einzelnen Regionen sehr am Herzen. Er spricht auch davon, dass die Gegenden an sich so viele Kunstschätze (in jeglicher Hinsicht) besitzen, dass sie sich mit einem geeinten Italien sehr schwer tun. Das hat sich auch bis heute nicht ändert. Gilmour hat das Land 35 Jahre lang bereist, gibt uns Einblicke in die Geschichte bis in die Ära Berlusconi. Er stellt Vergleiche auf vom korrupten alten Rom bis zu den bestbezahlten Politikern Europas, die z.B. zwar Sitze im Europaparlament haben, dort aber sehr sehr selten gesehen werden, da sie nebenher noch zwei politische Ämter in der Heimat besetzthalten.

David Gilmour:Auf der Suche nach Italien
Eine Geschichte der Menschen, Städte und Regionen von der Antike bis zur Gegenwart
Klett-Cotta Verlag € 27,95
als eBook € 21,99

1
Vielgestaltiges Italien
Uneinheitliche Geographie
Italien und seine Menschen
Italien und seine Sprachen
2
Imperiales Italien
Italien in der Römerzeit
Das barbarische und das byzantinische Italien
Italia germanica
3
Die Macht der Städte
Kommunale Träume
Kommunale Wirklichkeit
Republikanisches Italien
Das Italien der Fürsten
4
Venedig und der adriatische Raum
5
Umkämpftes Italien
Fremde Herrscher
Aufgeklärtes Italien
Das napoleonische Italien
Italien und die Restauration
6
Revolutionäres Italien
Romantisches Italien
Aufständisches Italien
Opernland Italien
7
Italien auf dem Weg zur Einheit
Piemont in den 1850er Jahren
Die Lombardei und die Herzogtümer 1859
Sizilien und Neapel 1860
Venedig (1866) und Rom (1870)
8
Legendenumwobenes Italien
Die Generation der Giganten
Der klügste Staatsmann
Der edelste Römer
Vater der Nation
Einige Generäle und ein Admiral
Risorgimento ohne Helden
9
Die Einigung der Italiener
Piemont und Neapel
Mit Sizilien geht es bergab
Rom und das Parlament
Schöne Legenden
Das Streben nach Ruhm
Der Bär von Busseto
10
Das nationalistische Italien
Italietta
Kriegslüsternes Italien
Das zerrissene Italien
11
Das faschistische Italien
Italia romana
Italia imperiale
12
Italien im Kalten Krieg
Die Christdemokraten
Die Kommunisten
Das wohlhabende Italien
13
Das moderne Italien
Zentrifugales Italien
Berlusconi
Unverwüstliches Italien

„Italien ist zu lang“. Mit diesem Zitat Napoleons steigt David Gilmour ein.
Nicht schlecht für ein Geschichtsbuch. Ist das nun gut oder schlecht. Auf jeden Fall birgt des Schwierigkeiten, was eine Einigung anbelangt. Als eines der längsten Länder Europas gibt es dort einen reichen Norden und einen armen Süden. Und wenn die Pizzabäckerin am Comer See mit ihrer Freundin am Telefon über den Süden redet, über die Gefahren, die dort lauern, dann meint sie aber nicht den richtigen Süden, sondern, sie spricht über Rom. Alles was dann kommt, kann nur noch gefährlicher werden.
Italien hat so wenig Nachwuchs, dass die Bevölkerung (statistisch gesehen) in vier Generationen ausgestorben sein wird.
Im Januar 2005 wurden weniger als 46.000 Kinder geboren, aber 212.000 Kraftfahrzeuge zugelassen.
Italiener schlagen sich wohl fast drei Wochen im Jahr mit bürokratischen Papieren herum.
Je nach Statistik besitzt Italien mahr als fünf- bis zehnmals soviel Gesetze wie Deutschland.
Und nur etwas über 15 % der Bevölkerung hat Vertrauen in die Politiker.
Das nur so ein paar Zahlen aus dem aktuellen Teil des 450 Seiten starken Buches.
Wie gesagt: Gilmour ist ein großer Freund der einzelnen Regionen. Dies ist auch ein Vorteil dieses flott geschriebenen Buches. Wir tauchen mit dem Autoren in die Geschichte der Gebiete an. Hören uns an, was dort prägend war, wer dort gelebt, geschrieben, gewirkt hat. So etwa auch die Tatsache, dass Papst Gregor XVI Eisenbahnen verboten hat, da sie ein Werk des Teufels sind. Auch dies dient natürlich nicht gerade dem Fortschritt und einer Einigung.
Gilmour geht mit Italien schwer ins Gericht, was Korruption und Vetternwirtschaft angeht, er hat jedoch auch große Hoffungen auf Änderung.
Für alle, die sich für die Kunst des Landes (ob Malerei, Architektur oder Küche) interssieren, ist es trotz der politischen Not ein sehr lobenswerter „Führer“ durch das Land wo die Zitronen blühnen.
Auch als eBook erhältlich und passt somit in jedes Reisegepäck.

Leseprobe

Donnerstag

Heute haben
Bettine von Arnim * 1785
Leutréamont * 1846
Marguerite Duras * 1914
Geburtstag.
Es ist der Todestag von Max Frisch (1991)
_______________________

CIMG9125

Dünnes Eis auf dem Fischteich mit nur noch einem Bewohner.
_______________________

Endlich kam gestern das Buch in den Laden geflattert, das ich über eine Kundenbestellung entdeckt habe. Gleichzeitig steckt (natürlich) hinter dem Buch, dem Verlag auch eine prima Website und ein informativer Blog. Schön für alle, denen Lyrik gefällt, neue deutsche Literatur und Interesse an Buchbesprechungen.

Akrobat

Der gelbe Alkrobat
Michael Braun & Michael Buselmeier
100 deutsche Gedichte der Gegenwart,
kommentiert
360 Seiten
Poetenladen € 18,80

Ein Vierteljahrhundert Gegenwartsdichtung

Das Gedicht als Gesprächspartner: Michael Braun und Michael Buselmeier haben 100 deutschsprachige Gedichte der Gegenwart ausgewählt und kommentiert.
Dabei bilden biografische und persönliche Aspekte häufig den Einstieg und wecken Neugier auf das Gedicht – fern jedem akademischen Gestus. Fast beiläufig geben die Kommentare einen Einblick in die Gegenwartsdichtung. Hierzu gehören formanalytische und poetologische Annäherungen, Gedanken zum politischen oder experimentellen Gedicht und Überlegungen zur grundsätzlichen Frage, was Lyrik heute noch zu leisten vermag.
Michael Braun, unübertroffen in der Kenntnis deutscher Gegenwartslyrik, legt hier zusammen mit dem namhaften Lyriker Michael Buselmeier so profund wie verständlich ein Standardwerk vor, das unerlässlich ist für all jene, die wissen möchten, was Lyrik heute noch zu leisten vermag.
Michael Braun war auch Herausgeber des (leider nicht mehr erscheinenden Lyrikkalenders).

Aus dem Vorwort

Ein Gedicht kann ein geistig anregender Gesprächspartner sein. Man sollte freilich das Zuhören systematisch einüben, um die oft chiffrierten, gegenläufigen und vieldeutigen Aussagen eines Gedichts auch verstehen zu lernen. Die in diesem Buch versammelten 100 deutschsprachigen Gedichte der Gegenwart werden von ebenso vielen Kommentaren begleitet.

Unsere Kommentare bieten Lesarten an und stellen einen Zusammenhang her, sie begründen die innere Logik dieser Anthologie. Fern jedem akademischen Gestus verstehen sie sich als sympathetische Dialoge mit der zeitgenössischen Poesie. In diesen Dialogen wird nicht immer streng text – immanent operiert, sondern es wird das elementare Bewusstseinsereignis aufgezeichnet, das die Begegnung mit einem Gedicht noch immer darstellt. So bieten die Kommentare Lyrikfreunden, Studenten und Lehrern Verständnishilfen an, schlagen Lesarten vor, öffnen Zugangswege, fordern auch zum Widerspruch heraus.
Michael Braun und Michael Buselmeier

Auf der Website Poetenladen.de werden einzelne Gedichte mit ihrem Kommentar veröffentlicht. Im Moment sind wir bei der Nummer 28.

Im Winter 1988 war ich zu einem Seminar in einem gewerk­schafts­eigenen Ta­gungs­heim im Pfälzer Wald eingeladen, um Laien­autoren, die ihre braven Ge­dichte und Ge­schich­ten vortrugen, zuzuhören und Ver­bes­serungs­vorschläge zu machen. Am Abend saß ich in der Kantine vor Kartoffel­salat mit Würsten und frem­delte. Bis plötz­lich von einem der Nach­bars­tische her ganz unerhörte Laute und Worte an mein Ohr drangen, die mich alle Kantinen-Tristesse vergessen ließen. Der mir bis dahin (und den meis­ten bis heute) unbe­kannte Dichter Werner Laubscher las Freun­den aus seinem im Ent­stehen be­grif­fenen Gedicht­band Winter­reise. Winter­sprache Verse vor, denen der hohe Ton hym­nischen Spre­chens, das Pa­thos herme­tischer Natur­lyrik noch zu gelingen schien.
Das Buch, das ein Jahr später in einer bibliophilen Ausgabe in einem kleinen Verlag er­schien, enthält vier Gedicht­zyklen, die sich empha­tisch auf Franz Schu­berts gran­dioses Werk beziehen, auch auf die Gasteiner Symphonie (die entweder ver­schollen oder doch mit der Großen Sympho­nie in C-Dur identisch ist): „Morgenstimmen / das große traumbeatmete Wandern / wenn wir aufsteigen / in den Montgolfieren / die Nacht zu bemessen / die Sterne die Augen den Schlaf …“
Das hier vorgestellte Gedicht ist Teil des elf Poeme um­fassenden Zyklus Winter­reise. Winter­sprache. Die einzelnen Texte sind dergestalt miteinander verbunden, dass der Anfang jedes Gedichts das Ende des voraus­gehenden auf­nimmt. Wört­liche Zitate aus der Winterreise sind selten, es gibt jedoch zahl­reiche Anspie­lungen auf Wilhelm Müllers Gedicht­zyklus. Vor allem geht es Laubscher darum, Schu­berts autonome Musik behut­sam in ange­mes­sene Schnee- und Hagel­worte zu über­tragen. Der späte Dichter, fremd „in der Sternhaufen Hinterhof“, ist be­müht, „in die Sprach mich zu schlagen / Worte: / Ein Ich.“ Wie bei Schubert und Müller ist der Winter auch hier all­beherr­schend und die „Fremdheit“ des Wande­rers in der „trüben“ Welt bis zum letz­ten Vers spürbar. „Zeit ist / betteln zu gehn.“
Eine „Wintersprache“ in einem weit gefassten, auch gesell­schaft­lichen Sinn zu ent­wickeln, kann nur unter größter An­strengung, als Arbeit am Mate­rial gelingen: „Zeilenweis. / Blattweis. / Schichtweis“, damit „aufreiße die Erde / quer über die Meridiane.“ Ein gewalt­samer, fast apo­kalypti­scher Vorgang, der die Erde öffnet und „Schläfer“ wie „Wachen“ auf­springen lässt, als sei ein Blitz eingeschlagen, ein Komet am Horizont aufgetaucht oder ein Vulkan ausge­brochen.
Aus demselben artistischen Geist der Musik, gleichsam als Satyrspiel zur Tragödie, stam­men Laubschers Laut­gedichte, Rhythmo­poeme und Ludinotate, ver­sammelt in dem witzigen Band Wortflecht und Lautbeiß, vermutlich angeregt von den knapp zehn Dada-Gedichten seines pfälzischen Landsmanns Hugo Ball; kindlich-verrückte Sprach­spiele, die mehr dem Klang, dem Ton­fall und dem Rhythmus folgen als einem konven­tionellen „Sinn“.
Doch hinter allem, was Laubscher geschrieben hat, auch hinter den brillan­testen Wort­spielereien, steht unüber­hörbar das Kriegs­erlebnis, genauer: das lebens­lange Trauma eines Jungen, der mit 17 Jahren zu einer Panzer­einheit der Waffen-SS einge­zogen wurde. Er spricht nie direkt davon, doch tauchen Bruch­stücke dieser dunklen Er­fahrung in Gedichten und Erzäh­lungen immer wieder bedroh­lich auf: die „Schwarz­bemantel­ten“, die „Männer mit den Leder­kappen“, „Wach­hund­gebell“. Und in dem Gedicht­band Win­ter­kassation. Ein Totentanz heißt es: „da oben / da wo der Schmerz sitzt / die Last des Worts / Tyskland.“

Der Dichter, Maler und Musiker Werner Laubscher wurde 1927 in Kaiserslautern geboren und starb im Januar 2013 in Landau. Er arbeitete als Lehrer in Kandel. Er veröffentlichte u.a. die Gedichtbände Wort­flecht und Lautbeiß (Verlag Thomas Plöger, Annweiler 1989) und Winterkassation (Wunderhorn Verlag, Heidelberg 1997). Eine zwei­bändige Werk­ausgabe erschien 2007/08 im PoCul Verlag in Saarbrücken. – Das vorgestellte Gedicht stammt aus dem Band Winterreise. Wintersprache (Verlag Thomas Plöger, 1989).
Wir danken dem Verlag für die Wieder­gabe des Gedichts im Rahmen des Kom­men­tar.
(Ich danke allen für die Übernahme der Texte hier auf diesem Blog und hoffe, dass dies auch im Sinne der jeweiligen Verlage ist.)

Lohnenswert auch die Website zum Lyrikmagazinpoet„, das halbjährlich erscheint.

poet 14.indd

poet nr. 14
Literaturmagazin
Andreas Heidtmann (Hg.)
poetenladen, Leipzig Frühjahr 2013
ca. 232 Seiten, 9.80 Euro

Hier geht es zur aktuellen Ausgabe.
_________________________

Falls es noch nicht aufgefallen ist, ich habe den Hintergrund noch etwas heller gestaltet, um das Grau diser Tage aus der Reserve zu locken.

Mitwoch

Heute hat Peter Huchel (* 1903) Geburtstag.
_______________________

Coppola

Somewhere
Regie: Sofia Coppola, USA 2010
DVD € 14,99

Der Film könnte auch „Chateau Marmont“ heissen, denn dort spielt er die meiste Zeit.
Johnny Marco, ein (im Moment) sehr angesagter Schauspieler hängt in seinem Zimmer herum, verkatert, lässt sich von zwei jungen Damen aufmuntern und pennt dabei ein. Johnny hat einen neuen Film abgedreht und weiss nun nichts mehr mit sich anzufangen. Er geht auf Parties. In seinem Zimmer finden häufig welche statt und er steht wie fremd daneben. Frauen machen ihn an, oder er schleppt sie ab. Er kommt einem dabei weder traurig noch frustriert vor, er hat keine Starallüren, und man muss nicht eine Sekunde befürchten, dass er den wilden Mann spielen könnte. „Für mich lebt er in einer Art Nebel“, sagt Sofia Coppola. Man könnte auch sagen, er sei wohl ein ganz netter Kerl, nur ein bisschen langweilig.
Doch keine Ablenkungen, die sich mit Geld erkaufen können, befriedigen ihn wirklich. Auch nicht sein schwarzer Ferrari mit dem er dauernd unterwegs ist.
Vieles erinnert an Sofia Coppolas Vorgängerfilm „Lost in Translation“. Auch hier meist Hotelszenen. Die Langeweile, das Verlorensein in der Zeit und im Ort. Alles hinterlegt mit starker unaufdringlicher Musik, die im Nachspann einigen Platz einnimmt.
Johnny Marcos Leben ändert sich leicht als seine (Ex)-Frau ihre gemeinsame 11jährige Tochter für einige Zeit abliefert, bis sie ins Feriencamp gehen kann. Hier entdecken wir bei Johnny so etwas wie Zuneigung. Eine ehrliche, die sich aber schwer aus ihm herauswindet. In den ersten gemeinsamen Szenen wird er imer wieder vom Mobiltelefon abglenkt. Das ändert sich jedoch später. Dieses Zusammenspiel der Beiden ist wirklich großartig, obwohl sich in der Grundeinstellung des Vaters nichts ändert. Sofia Coppola versteht es ausgezeichnet ganz kleine Gesten groß und lange ins Bild zu setzen. Und obwohl wir manchmal beim Anschauen denken: „O Mann, da passiert ja gar nichts!“, ist es wirklich großes Theater. Bei Tschechow wird auch viel geredet und hätten sie damals schon Computerspiele gehabt, wären sie wahrscheinlich auch davor und vor ihren Mobiltelefonen gehangen.
Auf die Frage nach einem großen Plot im Film sagt Sofia Coppola: „Das ist einfach nicht meine Art. Es ist ja auch eine Herausforderung, wie minimalistisch man eine Geschichte erzählen kann. Mich ziehen Momente im Leben mehr an als große dramaturgische Bögen.“
Genug geschrieben über diesen ruhigen, anrührenden Film, auf dessen Hülle sogar die anderen Menschen am Pool wegretuschiert worden sind. Ein Irgendwo, oder Nirgendwo in der Sonne.
Ein Grund mehr die anderen Film von Sofia Coppola wieder anzuschauen. „Lost in Translation“ gehört eh zum meinen Lieblingsfilmen und „Marie Antionette“ hat mich nach langem Zögern richtig umgehauen.

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=_eFIwc1VTC4]
Trailer

Fotogalerie
___________________________

Noch ein weiterer Text aus
Bernd Schmitts neuem Buch: „Lückentexte“,
das bei uns in der Buchandlung ausliegt.

Der Bahnhof
Schwer zu sagen, warum die Junginger ihren Bahnhof eines Tages abgerissen haben. Vielleicht hatten sie einfach kein Fernweh mehr verspürt, waren des Reisens müde geworden, wollten oder konnten ihren Ort nicht mehr verlassen.
Dabei war dieser Bahnhof der beste Ort der Welt um aufzubrechen, fort zu gehen und nie mehr wieder zu kommen. Der Wartesaal war kalt, feucht und finster. Die Bänke waren hart und man hatte den Eindruck sie über Gebühr zu belästigen, wenn man sich länger als einen kurzen Augenblick nur auf sie niederlassen wollte. Der einzige Ziehrat an den Wänden bestand aus einem Plakat voller Zahlen und Namen, das in einer gewissen Unerbittlichkeit und auf die Minute genau Auskunft gab, wann einen ein Zug wohin bringen konnte. Doch stand jeder dieser Möglichkeiten des Fortgehens eine genauso exakte Angabe gegenüber, die einem ins Gedächtnis rief, zu welcher Uhrzeit man unweigerlich wieder hierher zurückgekehrt sein würde.
Das Gebäude selbst war umstellt von einem Labyrinth aus Absperrgittern, durch dessen vorgegebene Bahnen die Reisenden gingen wie Tiere zum Schlachthof.
Kaum je ein Bahnhof, der weniger nach Freiheit gerochen hätte als dieser. Und weil er diese seine wichtigste Funktion am schlechtesten erfüllte, ja, vielleicht genau deshalb, wurde er abgerissen und geschleift und die Stelle getilgt in der Topographie eines Ortes, der beschlossen hatte, von nun an sich selbst genug zu sein.
Lediglich einige Balken des Dachgestühls stehen wie ausgebleichte Walkiefer im einen oder anderen Garten, zu einer Pergola oder einem Vordach zusammengeschraubt. Sie gemahnen als stumme Zeugen an die Zeit, als es noch die Möglichkeit gegeben hatte, auch diesen Ort zu verlassen.