Heute haben John Dos Passos * 1896 Anatoli Rybakow * 1911 Rudolf Hagelstange * 1912 Yukio Mishima * 1925 Marek Hlasko * 1934 Andreas Steinhöfel * 1962 Geburtstag ____________________________________
„Das habe ich nie vergessen. Dass man liebt, um die Kälte zu vergessen und den Winter zu vertreiben.“ Andreas Steinhöfel aus „Mitte der Welt“ ___________________________________
Nach 25 Jahren in Deutschland will der Autor Deutscher werden. Damit beginnt ein Ritt durch die Bürokratie, die der Autor mit voller Ironie und treffsicher zu Papier bringt. Warum er als Ukrainischstämmiger, der besser sächselt, als die Leipziger Schalterbeamtin, befremdelt die Menschen, bei denen er vorstellig wird. Aber alles scheint klarzugehen, bis er doch noch eine Geburtsurkunde braucht. Also eine Urkunde mit Stempel, direkt abzuholen in Kiew. Dmitrij Kapitelman schreibt locker, witzig, hintergründig ernst, über sein Leben in Leipzig, seine Reise in die Stadt seiner Kindheit und über die Versöhnung mit seinem Vater. Das Buch ist 2021 im Hanser Verlag, in einer Zeit, in der in der Ukraine noch nicht der ganz große Krieg ausgebrochen ist.
Heute haben Kurt Tucholsky * 1890 Karel Capek * 1890 Simone de Beauvoir * 1908 Hans Lebert * 1919 Heiner Müller * 1929 Klaus Schlesinger * 1937 Gisbert Haefs * 1950 Benjamin Lebert * 1982 Geburtstag ___________________________________
„Der Mensch hat, neben dem Trieb der Fortpflanzung und dem zu essen und zu trinken, zwei Leidenschaften: Krach zu machen und nicht zuzuhören.“ Kurt Tucholsky ____________________________________
Eine Vorankündigung für Ende Februar 2023.
Percival Everett: „Die Bäume“ Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl Hanser Verlag € 26,00 Das Buch erscheint Ende Februar. Als amerikanisches Taschenbuch € 14,90
Nach langer Zeit habe ich ich wieder einen Roman gefunden, den ich, zum allergrößten Teil, in einem Rutsch durchgelesen habe. So eine perfekte Mischung aus Parodie, Slapstick, schnellen Dialogen und einem Krimi, habe ich selten in einem Buch gefunden. Was erst so locker daherkommt, ist eine eiskalte Abrechnung mit dem us-amerikanischen Rassismus. Was mit zwei Morden in der Kleinstadt Money/Mississippi beginnt, endet mit einer großen Welle der Abrechnung. In den letzten Tagen haben wir viel über die Wahl des Speakers des Kongress der USA lesen können und wie Ultrarechte ihre Macht eingesetzt haben. Diese Rechten, diese Rednecks, bestimmen den Alltag in der Gegend, in der der Roman spielt. Die Großväter haben Schwarze gelyncht und die erwachsenen Enkel sind jetzt noch stolz darauf. Was Percival Everett sich ausgedacht und zu Papier gebracht ist so stark und fesselnd, dass ich das Buch nicht aus der Hand legen konnte. Ich habe mich amüsiert, war schockiert und als der amerikanische Präsident (der mit der Tolle) auch noch auftaucht und eine seiner Reden hält, legt der Autor seine Finger tief in die Wunde der us-amerikanischen Demokratie. Jetzt schon vormerken. Wir werden das Buch sicherlich an eine unserer 1.Seite vorstellen. ________________________________
„Lützerath muss bleiben“ Aus ganz Deutschland sind Menschen angereist, um die Räumung doch noch zu verhindern.
Zu einem geplanten Dorfspaziergang kam auch die Klimaaktivistin und Fridays-for-future-Sprecherin Luisa Neubauer. Vorab hatte sie Unterstützer dazu aufgerufen, ebenfalls zu kommen.
„Man merkt, dass anscheinend unterschätzt wurde, welche Kraft in diesem Ort steckt“, sagte Neubauer in Lützerath. „Hier zeigt eine Gesellschaft, dass sie versteht: Es geht um alles. Das Dorf hier ist überlaufen von Menschen, die aus der ganzen Republik angereist sind.“ Die Politik traue sich noch nicht, das anzuerkennen, „aber die Zivilgesellschaft schon“, so Neubauer. Die Kohle müsse im Boden bleiben. „Seit Jahren erleben wir die Klimafolgen, im Sommer 2022 wüteten in ganz Europa die gravierendsten Waldbrände, die Zerstörung muss aufhören, die bisher durch die deutsche Politik und Wirtschaft befeuert wird.“
Das 21.Küken von Anke Raum. ________________________________________
Heute haben Jean Racine * 1639 Ludwig Christoph Heinrich Hölty * 1748 Isolde Kurz * 1853 Oda Schäfer * 1900 Anthony Powell * 1905 Heinrich Böll * 1917 Felix Huby * 1938 Thomas Hürlimann * 1950 Rolf Lappert * 1958 Geburtstag und es ist der Todestag von Kurt Tucholsky, T.Scott Fitzgerald, Leon Feuchtwanger _________________________________________
„Der Regen ist hier absolut, großartig, erschreckend. Diesen Regen schlechtes Wetter zu nennen, ist so unangemessen, wie es unangemessen ist, den brennenden Sonnenschein, schönes Wetter zu nennen.“ Heinrich Böll aus: „Irisches Tagebuch“ _________________________________________
Emanuele Coccia: „Das Zuhause“ Philosophie eines scheinbar vertrauten Ortes Aus dem Italienischen von Andreas Thomsen Hanser Verlag 22,00
Daniel Schreiber: „Zuhause“ Die Suche nach dem Ort, an dem wir leben wollen Hanser Verlag € 20,00
In den nächsten Tagen fahren viele Menschen an ihr altes Zuhause. Dort, wo sie aufgewachsen sind, wo die Eltern noch wohnen. Ist das dann daheim sein? Was macht unser Zuhause aus? Welche Rolle spielt das Zuhause für das menschliche Glück. Wie kann ich eine Verbindung zu einem Zuhause aufbauen, wenn ich keine Möglichkeit der Auswahl hatte und nehmen musste, was es gab? Kann es in Großstädten ein Zuhause geben? Philosophisch, soziologisch und sehr persönlich erzählen die beiden Autoren was für sie Zuhause bedeutet. Wie verändern wir unsere vier Wände und wie verändern diese Räume uns? Wie haben sich Wohnräume z.B. durch Homeoffice verändert. Zwei Bücher, die Spaß beim Lesen machen und immer wieder zum Nachdenken anregen. __________________________________
Beurer-Klimalauf 2022/2023 – beim Wettlauf um die Erde vom 21. Dezember bis 6. Januar zählt jeder Kilometer.
Wer läuft die meisten Kilometer auf dem jeweiligen Breitengrad um die Erde? Die Läuferinnen und Läufer im Süden oder die im Norden? Leer liegt auf dem 54 Breitengrad (Länge 23.529 km), Ulm/Neu-Ulm auf dem 48 Grad (26.861 km). Damit haben die Nordlichter ein bisschen Vorsprung, aber den laufen wir im Süden weg, oder?
Also Laufschuhe an und vom 21. Dezember bis zum 6. Januar Kilometer sammeln und hochladen. Die Anmeldung startet am 01. Dezember.
Zur Anmeldung geht es hier. Alle Infos über den Wettbewerb, die Idee, das Hochladen der Kilometer finden Sie hier. Und für alle Schwaben unter uns: Der Lauf ist kostenlos. _____________________________________
Heute haben Hans Leip * 1893 Rosemunde Pilcher * 1924 Fay Weldon * 1931 Lutz Rathenow * 1952 Peter Prange * 1955 Geburtstag. Und auch Hans Scholl * 1918 (Weiße Rose) _________________________________
Theodor Storm Ein grünes Blatt
Ein Blatt aus sommerlichen Tagen, Ich nahm es so im Wandern mit, Auf dass es einst mir möge sagen, Wie laut die Nachtigall geschlagen, Wie grün der Wald, den ich durchschritt. ____________________________________
Unser Buchtipp:
Dylan Thomas: „Unterm Milchwald„ Ein Stück für Stimmen Zweisprachige Ausgabe, aus dem Englischen und einem Nachwort von Jan Wagner Plus einer Lageskizze von Llareggub von Dylan Thomas Hanser Verlag € 27,00
„Von diesem grandiosen Klassiker des Wortweltmeisters Dylan Thomas waren sie alle begeistert- die Stones, die Beatles, Anthony Hopkins, Richard Burton, Igor Strwainsky – und ich auch!“ Elke Heidenreich
„To begin at the beginning:
It is spring, moonless night in the small town, starless and bible-black, the cobblestreets silent and the hunched, courters’-and-rabbits’ wood limping invisible down to the sloeblack, slow, black, crowblack, fishingboatbobbing sea. The houses are blind as moles (though moles see fine to-night in the snouting, velvet dingles) or blind as Captain Cat there in the muffled middle by the pump and the town clock, the shops in mourning, the Welfare Hall in widows’ weeds. And all the people of the lulled and dumbfound town are sleeping now.
Hush, the babies are sleeping, the farmers, the fishers, the tradesmen and pensioners, cobbler, schoolteacher, postman and publican, the undertaker and the fancy woman, drunkard, dressmaker, preacher, policeman, the webfoot cocklewomen and the tidy wives. Young girls lie bedded soft or glide in their dreams, with rings and trousseaux, bridesmaided by glowworms down the aisles of the organplaying wood. The boys are dreaming wicked or of the bucking ranches of the night and the jollyrodgered sea. And the anthracite statues of the horses sleep in the fields, and the cows in the byres, and the dogs in the wetnosed yards; and the cats nap in the slant corners or lope sly, streaking and needling, on the one cloud of the roofs.“
Das legendäre Werk des walisischen Dichters Dylan Thomas in einer neuen Übersetzung von Jan Wagner, der „Unterm Milchwald“ als das schönste Stück Literatur bezeichnet, „das jemals über den Äther lief“. Der Morgen beginnt in dem kleinen Fischerdorf Llareggub an der walisischen Küste und das, was Dylan Thomas und seiner kleinen Seestadt macht, ist so einzigartig, dass ich richtig süchtig geworden bin. Voller Wortwitz, mit verrückten Wortketten und Wortassoziationen lässt er die Einwohner der kleinen Stadt einen Tag lang zu Wort kommen. Vom frühen Morgen bis spät in die Nacht geht der Reigen an der wallisischen Küste. Es wird gelacht, geweint, gesungen und gebrüllt. Es werden Kartoffeln poliert und Bier gesoffen, der Teufel im Wald vertrieben und Orgel gespielt. Die Toten werden wieder lebendig und der Briefträger erzählt den Empfängern der Post gleich an der Türschwelle, was es alles Neues gibt auf den zugestellten Postkarten. Ich kann hier keine Inhaltsangabe schreiben, da das Stück voller überbordender Ideen ist. Was aber Gossamer Beynon, Orgel-Morgan, Mrs Ogmore-Pritchard, Mrs Willy-Nilly, Kapitan Cat, Mr Waldo, Mary Ann Seefahrer, Eli Jenkins, Lily Smalls, Boyo, Mrs Cherry Owen und Sinbad, auf den Straßen, in den Häusern, auf dem Friedhof und in der Kneipe treiben, ist einfach großartig. Und damit auch der Autor Dylan Thomas.
Dylan Thomas, 1914 in Swansea geboren, 1953 in New York gestorben, arbeitete ab 1934 für Zeitschriften und die BBC in London. 1949 zog er sich in den kleinen walisischen Fischerort Laugharne zurück. Er schrieb Gedichte, Essays, Briefe, Drehbücher, autobiographische Erzählungen und das Stück „Unterm Milchwald“, das postum mit dem Prix Italia 1954 ausgezeichnet wurde. ______________________________________
Der Maro Verlag hat uns eine Kiste voll mit seiner unglaublichen schönen Anthologie „Marotte“ zugeschickt, die wir im Laden verschenken. Wenn Sie ein Exemplar haben wollen – bitte melden.
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Wir haben während des Klimastreiks unseren Buchladen von 15 bis 17 Uhr geschlossen. Danach ist bis 18 Uhr wieder geöffnet.
Heute haben Paul Claudel * 1868 Christa Reinig * 1926 Kjell Westö * 1961 Geburtstag __________________________________
Friedrich Hebbel Sommerbild
Ich sah des Sommers letzte Rose stehn, Sie war, als ob sie bluten könne, rot; Da sprach ich schauernd im Vorübergehn: So weit im Leben, ist zu nah am Tod!
Es regte sich kein Hauch am heißen Tag, Nur leise strich ein weißer Schmetterling; Doch, ob auch kaum die Luft sein Flügelschlag Bewegte, sie empfand es und verging. _________________________________
Das neue Buch des Nobelpreisträgers:
Patrick Modiano: „Unterwegs nach Chevreuse„ Aus dem Französischen von Elisabeth Edel Hanser Verlag € 22,00
Patrick Modiano ist immer noch auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Wie in seinen vorhergegangenen Romanen taucht er in die 60er Jahr in Paris ein. Erinnerungen kommen hoch, manchmal verblasst wie Tintenschrift, oder verfärbt wie alte Fotos. Wieso erinnern wir uns plötzlich an Dinge, die längst verschollen sind ?Und waren die Begebenheit tatsächlich so, wie sie jetzt vor uns liegen? Patrick Modianos Hauptperson, ein alter Mann, sieht die Zeit der 60er Jahre wieder vor sich. Wie er damals in Kontakt kommt mit einer jungen Frau, die sich Totenkopf nennt, aber Camille heißt. Sie bewegt sich in einer undurchsichtigen Clique, von der nicht klar ist, auf was sie hinauswill. Als ihm auffällt, dass die Frau ein Haus mietet, in dem er selbst 15 Jahre zuvor gelebt hat, kann das doch alles kein Zufall sein. Auf drei Zeitebenden bewegt sich der schmale Roman und reiht sich ein in das Gesamtwerk des großen französichen Autors.
Heute haben Thomas Mofolo * 1875 Philippe Soupault * 1897 Joseph Hayes * 1918 James Baldwin * 1924 Isabel Allende * 1942 Bei Dao * 1949 Caleb Carr * 1955 Geburtstag ____________________________________
Not everything that is faced can be changed, but nothing can be changed until it is faced. James Baldwin ____________________________________
„Die erste Seite“ Heute abend ab 19 Uhr Bei uns in der Buchhandlung Eintritt frei
Diese vier Bücher stellen wir heute abend vor. Ralf Grimminger erzählt über sein Buch „Kleinstadthelden“. Clemens Grote liest aus den anderen drei Romanen.
Heute haben Karoline von Günderrode * 1806 George Bernard Shaw * 1856 André Maurois * 1885 Aldous Huxley * 1894 Robert von Ranke-Graves * 1895 Ana Maria Matute * 1926 Geburtstag _____________________________________
Karoline von Günderrode Liebst du das das Dunkel
Liebst du das Dunkel Tauigter Nächte? Graut dir der Morgen, Starrst du ins Spätrot, Seufzest beim Mahle, Stößest den Becher Weg von den Lippen? Liebst du nicht Jagdlust, Reizet dich Ruhm nicht, Schlachtgetümmel? Welken die Blumen Schneller am Busen, Drängt sich das Blut dir Pochend zum Herzen? _____________________________________
Alem Grabovac arbeitet als Journalist und hätte genauso ein Sachbuch schreiben können über die Eingliederung (oder nicht Eingliederung) von Gastarbeitern in Deutschland. Er sagt, dass auf diesem Gebiet noch nicht viel aufgearbeitet worden ist. Alem Grabovac hat sich jedoch für einem Roman entschieden, bei dem Orte und Namen zum größten Teil original übernommen worden sind. Seine Mutter arbeitet als Gastarbeiterin in einer Schokoladenfabrik, sein Vater, ein Kleinganove, der viel trinkt, beklaut seine Frau im Krankenhaus, vor der Geburt des Autors, so dass sie zu Fuß nach Hause laufen muss. So der Einstieg. Alem wird zu einem deutschen Pflegefamilie gebracht und ist dort das achte, nach sieben eigenen Kindern. Der Pflegevater ist ein ewig gestriger Nazi. Seine Mutter heiratet wieder, wobei das Verhältnis zu seinem Stiefvater sehr schlecht ist, da er immer wieder brutal zu ihm ist. Dies klingt alles sehr hart und doch schafft es der Autor eine gute Geschichte daraus zu machen. Ein Mann, der sich auf die Suche nach seiner Identität, nach den Biografien der Erwachsenen in seinem Umfeld macht. Dabei hilft ihm seine unverblümte Sprache und ohne zu werten. Gelungen.
Von der Hanser-Seite übernommen: 5 Fragen an Alem Grabovac
Herr Grabovac, worum geht es in Ihrem Roman Das achte Kind? Um Bauern, Diebe, Fabrikarbeiterinnen, Tito, Nationalsozialisten, drei Väter, zwei Familien und das ganze schräge Inventar aus dem kurzen 20. Jahrhundert mit all seinen großen und kleinen Erzählungen, die sich schicksalhaft in die Biografien der Protagonisten eingeschrieben haben.
Die Geschichte hängt sich weitgehend an Ihrer Biografie auf. Wie war der Schreibprozess für Sie? Zunächst: Was kommt hinein, was lasse ich weg, wie ordne ich alles an und was muss ich erfinden, um die Realität glaubhaft und spannend zu erzählen. Es handelt sich um eine Autofiktion, eine Autobiografie, in die fiktionale Handlungsebenen verwoben sind. Und dann habe ich das alles so schlicht und kristallklar wie nur möglich aufgeschrieben. Die Sprache sollte, ganz ohne poetologische Ornamentik, geräuschlos und zugleich lebendig hinter der Handlung verschwinden.
Hätten Sie Ihrer Romanfigur Alem lieber ein anderes Heranwachsen gewünscht? Ach, das überlasse ich meinem kleinen Sohn, der liebevoll und behütet aufwächst und dann irgendwann so seine Probleme damit haben wird.
Maxim Biller bezeichnet Das achte Kind als Bildungsroman. Was meint er damit? Zwei Dinge, vermute ich. Einerseits die noch nicht auserzählte Migrationsgeschichte der BRD und andererseits ein Fortwirken der nationalsozialistischen Ideologie, die in vielen Familien unter den Teppich gekehrt wurde. Mein deutscher Vater war zum Beispiel ein Wehrmachtssoldat, der die Juden gehasst hat. Für ihn war, wie für so viele andere Deutsche, der 8. Mai 1945 ganz bestimmt kein Tag der Befreiung.
Ist Das achte Kind auch eine Geschichte des Loslassens und Verzeihens? Nein, das Loslassen und Verzeihen hatte schon lange vor dem Schreiben stattgefunden. Ich habe versucht, die Geschichte ungeschönt und wertfrei zu erzählen. Ganz allein der Leser oder die Leserin sollen entscheiden, welche Schlussfolgerungen sie aus alledem ziehen.
Während unsere DFB-Frauen bei der Europameisterschaft in England um den Titel spielen, findet zeitgleich die Tour de France statt. In 21 Etappen durch vier Länder legen die Fahrer auf ihrem Rad knapp 3500 Kilometer zurück. Wer aber glaubt, dass diese Leistung nicht mehr zu toppen ist, hat die Rechnung ohne unser Fan-Club-Mitglied Hartmut Bögel gemacht. Mehr als 5000 Kilometer legte der 55-Jährige auf seinem Fahrrad zurück, um unsere Nationalmannschaft bei ihren beiden Vorrundenspielen in Brentford zu unterstützen.
Dafür hat sich Hartmut bereits frühzeitig auf den Weg gemacht: Während die meisten Spielerinnen unseres Teams noch ihren wohlverdienten Urlaub vor der Europameisterschaft genossen, schwang er sich am 27. Mai auf seinen Drahtesel und radelte los. „Von Anfang an war es mein Ziel, zum ersten Spiel unserer Nationalmannschaft gegen Dänemark in Brentford anzukommen“, sagt der Mann aus Ulm. Doch auf seiner Reise musste er einige Hürden überwinden, um sich seinen Traum zu erfüllen.
Spieltag als größtes Highlight der Reise
So hatte der 55-Jährige immer wieder mit technischen Schwierigkeiten zu kämpfen. „Mittlerweile ist mir schon die zehnte Speiche krachend gebrochen“, schildert unser Fan-Club-Mitglied. Doch damit nicht genug: In einer Nacht habe er beim Schlafen tierischen Besuch bekommen, ohne es überhaupt zu bemerken. „Am nächsten Morgen lagen meine Sachen wild verteilt auf dem Boden herum. Das nennt man dann wohl gesunden Schlaf“, sagt Hartmut und lacht. Immerhin war sein Deutschland-Trikot unversehrt geblieben.
Doch allen Widrigkeiten zum Trotz: Innerhalb von sechs Wochen fuhr „Hardy“, wie ihn fast jeder nennt, von der Alb bis nach London. Dabei wählte er jedoch nicht den direkten Weg zum Spiel in Brentford, sondern fuhr zusätzlich noch die bekannte „End-to-End-Tour“ bis an den nordöstlichsten Punkt Schottlands John O’Groats.
Als wohl größtes Highlight der Reise bezeichnet Hardy aber nicht etwa die legendäre Strecke quer durch Großbritannien oder die Sightseeing-Tour durch London mit dem Fahrrad, sondern den gemeinsamen Tag mit den deutschen Fans beim Auftakt in die Europameisterschaft. „Die Atmosphäre war einfach die ganze Zeit über besonders. Vom Wow-Effekt beim Erreichen des Stadions über die zahlreichen Begegnungen mit anderen Fans bis zum Fußball-Fest unserer Mannschaft am Abend – was für ein toller Tag!“
Gutes Gefühl wie 2014 in Brasilien
Es war nicht das erste Mal, dass Hartmut bei einem großen Turnier mit seinem Fahrrad dabei war. Bereits bei den Weltmeisterschafen der Männer 2014 und 2018 radelte er nach Brasilien und Russland, um unser DFB-Team zu unterstützen. „Die Radtouren zu Großereignissen unserer Nationalmannschaften sind für mich die perfekte Möglichkeit, meine beiden größten Leidenschaften zu verbinden: Fußball und Radfahren“, hält Hardy fest. Mit der Weltmeisterschaft 2026 in den USA steht auch bereits das nächste Ziel für den 55-Jährigen fest. „Eine Radtour durch Amerika fehlt noch auf meiner Liste“, lächelt er.
Doch zunächst heißt es, zeitnah wieder zuhause anzukommen – immerhin will er die Halbfinalspiele und das Finale wieder in der Heimat verfolgen. Dass unsere Mannschaft dann ebenfalls noch um den EM-Titel spielt, ist für unser Fan-Club-Mitglied klar: „Mein gutes Gefühl hat mich schon bei der WM 2014 in Brasilien nicht getäuscht, weshalb ich sehr optimistisch bin, dass unsere Mädels am Ende den Pokal in die Höhe stemmen können.“
Heute haben Saul Bellow * 1915 James Salter * 1925 Maurice Sendak * 1928 Mensje van Keulen * 1946 Geburtstag und heute erst Peter Kurzeck, den ich gestern schon erwähnt habe. Rudi Deuble, der Mitherausgeber seiner Werke, hat mich darauf hingewiesen. Übrigens kommt Rudi Deuble am Donnerstag, 13.Oktober zu uns in die Buchhandlung und stellt ein weiteres Buch von Peter Kurzeck vor. ______________________________________
Mittags ist das Licht so grell, daß du all deine Kraft zusammennehmen mußt, nur um in diesem Licht zu sein. Aber mußt bleiben in diesem Licht. Hin und her, auf und ab – du kannst dich nicht trennen! Wie das Leben selbst. Erschöpft oder nicht, du findest kein Ende in diesem Licht. Im Licht und so nah bist du dir und den Menschen und allem, was du siehst. Jedem einzelnen vonder Sonne beseelten Grashalm. So weit alle Wege, so eine Nähe zu dir selbst. Jedes Ding als Erleuchtung in diesem Licht. Der längste Tag. Zwei oder drei längste Tage.
aus: Peter Kurzeck: „Der vorige Sommer und der Sommer davor“ _________________________________________
Dieses Buch ist eine Wucht:
Ilya Kaminski: „Republik der Taubheit„ Aus dem Englischen von Anja Kampmann Hanser Verlag € 22,00
Was es doch für Zufälle gibt. Gestern nachmittag las ich das Buch und dann stellt sich heraus, dass es am selben Abend in der Kulkturzeit auf 3sat vorgestellt wird. Ein paar Gedichte aus dem Buch habe ich, mit Genehmigung von Anja Kampmann, die das Buch übersetzte und auch bei uns schon in der Buchhandlung ihren Roman „Wie hoch die Wasser steigen“ vorgestellt und zuvor ein paar ihrer eigenen Gedichte vorgelesen hat, hier auf dem Blog veröffentlicht. Damals haben mich die poetischen Zeilen sehr bewegt. Mir war aber nicht klar, dass dies Teile aus einem Ganzen waren. Einem Roman in Gedichten, einer poetischen Parabel über Krieg, über Liebe, über unser Zusammenleben und gegen das Schweigen. Selten habe ich so starke, bewegende Zeilen gelesen, wie gestern Nachmittag.
In der Stadt Vasenka wird ein tauber Junge, der einem Puppenspiel zuschaut, von Soldaten auf offener Straße erschossen. Daraufhin schweigen alle Bewohner der Stadt, geben sich als taub aus, verständigen sich in Gebärdensprache und leisten in dieser Form Widerstand. „Deaf Republic“ heisst das Buch im Original, wobei da sicherlich die Verwandschaft von deaf und death zu lesen ist. Neben den Grausamkeiten des Krieges gibt es eine herzzerreissende Liebesgeschichte zwischen Sonya und Alfonso und deren noch ungeborenes Kind („so groß wie ein Seepferdchen“) Anuschka. Dass dies alles nicht gut ausgehen kann, dass das Puppenspiel in den Wirren des Krieges nicht übersteht und seine MitspielerInnen nicht überleben, ist zwar kaum auszuhalten, aber wenn wir die täglichen Nachrichten aus der Ukraine verfolgen, pure Realität. Vielen Dank an Anja Kampmann, dass sie das Buch für uns entdeckt und übertragen hat. Von einer Übersetzung kann hier fast nicht gesprochen werden. Ich denke, dass nur eine Lyrikerin sich in diese poetische Form hineinversetzen kann.
Ilya Kaminsky Wir lebten glücklich während des Krieges
Und als sie die Häuser der anderen zerbombten
protestierten wir, aber nicht genug, wir waren dagegen, aber nicht
genug. Ich lag in meinem Bett, um mein Bett ging Amerika
zugrunde: unsichtbares Haus um unsichtbares Haus um unsichtbares Haus-
Ich stellte einen Stuhl hinaus und betrachtete die Sonne.
Im sechsten Monat dieser verhängnisvollen Herrschaft im Haus des Geldes
in der Straße des Geldes in der Stadt des Geldes im Land des Geldes, unserem großartigen Land des Geldes, lebten wir (vergib uns)
glücklich während des Krieges.
Ilya Kaminsky, geboren 1977 in der ehemaligen Sowjetunion, wanderte 1993 in die USA aus. Er ist ein ukrainisch-russisch-jüdisch-amerikanischer Dichter, Kritiker, Übersetzer und Lyrik-Professor. Bekannt wurde er durch die Gedichtsammlungen „Tanzen in Odessa“ und „Republik der Taubheit“, für die er zahlreiche Auszeichnungen erhielt. Sein Werk wurde bislang in über zwanzig Sprachen übersetzt. ___________________________________________
Hardy on Tour
Tag 14 82 km bis nach Land’s End
Die 42 km, von meinem Übernachtungsplatz in das sehr bekannte Küstenstädtchen St. Ives, waren trotz des Gegenwindes recht schnell zurückgelegt. Leider schlug, kaum dort angekommen, das Wetter um und es begann zu nieseln. St.Ives ist nicht nur wunderschön gelegen, sondern auch bekannt für seine zahlreichen Galerien und seine beliebten Surfstrände. Es gibt wohl keinen besseren Ort um endlich mal ein Bad im Meer sich zu gönnen; immerhin hat das Wasser schon annehmbare 14 Grad, allemal erfrischend jedenfalls. Die Küstenstraße von St.Ives nach Land End ist eigentlich wunderschön und bietet eine prächtige Szenerie; nur bei Wind und Regen habe ich davon leider nicht allzuviel mitbekommen. Da strampel ich die steilen Anstiege hoch, muß bei der Minimalgeschwindigkeit von grade mal 6 km/h eh schon schauen, daß ich in Balance bleibe mit dem Fahrrad, und dann spielt der Wind sein fieses Spiel, in dem er ordentlich Böen einem entgegenbläst. Aber ich habe mir die Laune nicht verderben lassen und habe mein gesamtes Liedgut dem englischen Regen gegengeträllert. Kurz vor Land’s End hatte schließlich auch der Regen genug und stellte sein Tagwerk ein. Am Abend gab es sogar noch richtig Sonne zu bestaunen. Land’s End – das erste Ziel meiner Tour habe ich nach ziemlich genau 1.600 geradelten km nun also erreicht und zugleich ist hier der Startpunkt der „End to End Tour“ hoch in den Nordosten der Insel nach John o Groats in Schottland und dorthin geht also ab morgen die Reise.
Heute haben Lenka Reinerova * 1916 Lars Gustafsson * 1936 Peter Hoeg * 1957 und Udo Lindenberg * 1946 Geburtstag _____________________________________
„Du fällst vom Himmel, irgendwann irgendwo – das nennen die dann Heimat oder so.“ Udo Lindenberg ______________________________________
Ausgezeichnet mit dem National Book Award Nonfiction 2019 in den USA
Sarah Broom: „Das gelbe Haus„ Leben und Überleben einer Familie in New Orleans Aus dem Englischen von Tanja Handels Hanser Verlag € 26,00< Die amerikanischen Ausgabe gibt es schon als Taschenbuch
Ein unglaublich stark erzähltes Sachbuch, das sich liest wie ein packender Roman. Sarah Broom erzählt die Geschichte ihrer Familie, beginnend mit ihrer Großmutter, und dem gelben Holzhaus, dem Zentrum der vielen Erwachsenen und noch mehr Kinder. Es stand in einem vernächlässigten Viertel in New Orleans und wurde, wie so viele andere Häuser, von Hurrikan Katrina weggefegt. Nichts ist mehr übrig, alle Habseligkeiten für immer verschwunden. Die Autorin widersetzt sich diesem Zustand und beginnt sich zu erinnern, aufzuschreiben und zu erzählen. Wie ihre Großmutter mit 18 ihr erstes (und einziges) Haus kaufte, wie im gelben Haus, auf engstem Raum 12 Kinder geboren wurden, wie sich Sarah für ihre Gegend geschämt hat, wie die Familie gegen Naturgewalten, wie Hochwasser, und den täglichen Rassismus kämpft. Aus diesen vielen Geschichten, die liebevoll über die schrägsten und dramatischsten Situationen erzählt sind, ergibt sich ein Bild ihrer Familie, einer Stadt und die Ungleichheiten einer ganzen Gesellschaft. Das Buch ist eines der stärksten in diesem Frühjahr.
Heute haben Maxim Gorki * 1868 Bohumil Hrabal * 1914 Marianne Fredrikssen * 1927 Mario Vargas Llosa * 1936 Jürgen Lodemann * 1936 Tilman Röhrig * 1945 Eric-Emmanuel Schmitt *1960 Geburtstag ___________________________________
Federico Italiano Camera ardente
È il primo morto di cui abbia ricordi: la zia tra le candele, senza le scarpe, i piedi nel sempiterno collant color pelle, il plissé della gonna e poi qualcosa di scavato, la penombra, la camera ardente, le voci sopra la mia testa, lo stinco gelido, che sfiorai quando non c’era nessuno. Fu la prima morte, il primo cadavere che sentii mio, mentre sul cornicione le tortore tubavano e in fondo alla strada il silenzio devoto del pomeriggio cedeva al rancore oscuro di un motorino truccato.
Die Aufbahrungskammer
Der erste Tod, an den ich mich erinnre: Die Tante inmitten der glosen- den Kerzen, ohne Schuhe, die Füße auf immer und ewig in der hautfarbenen Strumpfhose, und dann, überm Plissee des Rocks, dieses eingefallene Etwas; Zwielicht, die Kammer, die glühte, Stimmen über meinem Kopf, ein kaltes Schienbein, das ich berührte, als keiner dabei war. Es war der erste Tod, der erste Leichnam, der mir nahe war, während auf dem Sims die Turteltauben gurrten und am Ende der Straße die andächtige Stille des Nachmittags dem dunklen Grummeln eines frisierten Mopeds wich.
(aus: Federico Italiano: Sieben Arten von Weiß übersetzt aus dem Italienischen von Raoul Schrott, Jan Wagner Carl Hanser Verlag Verlag, München, 2022) _______________________________________________
Als ich das Buch letzte Woche aus der Kiste nahm, war ich sehr gespannt, um was es in diesem Buch geht. Die Adresse Riverside Drive hat mich stutzig gemacht, da dort Hannah Arendt gewohnt hat, aber auch Gesine und Marie Cresspahl aus den Jahrestagen von Uwe Johnson und ich das Gedbäude deshalb auch einmal aufgesucht habe. Was es mit den beiden Adressen auf dem Titel und dem Zahlendreher auf sich hat, war mir überhaupt nicht klar. Nach wenigen Seiten, wusste ich, dass ich diesen Essay zuende lesen will. Obwohl es sich um einen Text von 1959 handelt, der Hannah Arendt viel Kritik eingebracht hat, ist dieses Buch so hochaktuell, auch auf Grund der Black Lives Matter-Bewegung. Marie Lusie Knott nähert sich in 17 Hinweisen den Gedankengängen der Philosophin, die sich gegen die gesetzlich forcierten Integration schwarzer Schüler und Schülerinnen aussprach. 1965 schrieb sie dem afroamerikanischen Schriftsteller Ralph Ellison (der in der gleichen Straße in der Nr.730 wohnte), sie habe seine Replik auf ihre damaligen Ausführungen gelesen, die ’nackte Gewalt‘ bislang nicht bedacht und sein ‚Ideal des Opfers‘ jetzt erst verstanden. Das könnte ja schon genügen. Marie Luise Knott gibt sich mit so einer einfach Erklärung nicht zufrieden, entfaltet ein eindrückliches Mosaik an Gedanken, Bildern und Reflexionen zu den Hintergründen von Arendts Briefs und öffnet so einen Blick in den Abgrund der Geschichte des vergangenen Jahrhunderts. Ein sehr kluges Buch über zwei kluge Menschen, die beide von ihren Fenstern aus auf den selben Fluss blicken konnten, der gleich um die Ecke in jenes Meer mündet, über sie, Schwarze wie Juden, einst, wenngleich unter konträren Bedingungen, ins Land kamen.