Dienstag, 23.Mai

Heute haben
Harry Graf Kessler * 1868
Max Herrmann-Neiße * 1886
Pär Lagerkvist * 1891
Annemarie Schwarzenbach * 1908
Geburtstag
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Heute im Gedichtekalender:

Friedrich Hölderlin
Geh unter, schöne Sonne

Geh unter, schöne Sonne, sich achteten
Nur wenig dein, sie kannten dich, Heilige, nicht,
Denn mühelos und stille bist du
Über den Mühsamen aufgegangen.

Mir gehst du freundlich unter und auf, o Licht!
Und wohl erkennt mein Auge dich, Herrliches!
Denn göttlich stille ehren lernt ich,
Da Diotima den Sinn mir heilte.

O du des Himmels Botin! wie lauscht ich dir!
Dir Diotima! Liebe! wie sah von dir
Zum goldnen Tage dieses Auge
Glänzend und dankend empor. Da rauschten

Lebendiger die Quellen, es atmeten
Der dunkel Erde Blüten mich liebend an,
Und lächelnd über Silberwolken
Neigte sich segnend herab der Aether.
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Claudia Wiltschek empfiehlt:

Coco Burckhardt:Erste Hilfe mit frischen Wildpflanzen
Die Naturapotheke für unterwegs
Ulmer Verlag € 9.90

Nachdem wir jetzt nun schon wissen, dass wir die halbe Wiese zu Suppen, Aufläufen, Pestos und Smoothies verarbeiten können, gibt es nun ein kleines Büchlein, das uns Pflanzen zeigt, die uns erste oder sogar vollständige Hilfe bei kleinen Verletzungen leisten können. Perfekt, wenn wir in der Natur unterwegs sind, gestochen werden, oder uns den Knöchel verstauchen, sogar wenn uns die Puste ausgeht ….. auch hier ist ein Kraut gewachsen.

Bei Insektenstichen hilft uns der Spitzwegerich, das Gänseblümchen, wilde Malve und der Ampfer. Einfach die Blätter zerquetschen und auflegen.
Bei Prellungen und Stauchungen suchen wir Beinwell, Gänseblümchen und die Minze.
Schafgarbe, Schlehe, Esche und die Rose helfen bei kleinen Wunden. Und sogar unser vielgeliebter Giersch ist ein wahres Wundermittel Reich an Mineralstoffen und Vitaminen hilft auch er bei Wunden und Insektenstichen.
Ob wir aber eine Brennessel gegen Erschöpfung kauen wollen ist wohl etwas fraglich…..

Das Büchlein ist reich und naturgetreu bebildert, damit wir auch das richtige Kraut finden. Es hat jede Menge andere Rezepturen und im Anhang eine schöne Übersicht über alle im Buch genannten Pflanzen.
Alles sind „Allerweltskräuter“ und bestimmt auch auf dem nächsten Spaziergang zu entdecken und wenn
die Mücken stechen, dann gibts ein Gänseblümchen gegen den Juckreiz.

Blick ins Buch

Die Wildpflanzenexpertin Coco Burckhardt, Bad Grönenbach, lebt auf einem Selbstversorgerhof mit Wildpflanzenanbau im Allgäu. Seit über 20 Jahren sammelt und erprobt sie alte und neue Wildpflanzen-Verwendungsweisen. Als Dozentin für Weiterbildung und als Walderzieherin gibt sie ihr fundiertes Wissen und ihre erprobten Rezepturen weiter.

Samstag, 25.März

Heute gibt es keinen Buchtipp, dafür morgen (Sonntag) „Orte 2“ von Christel Müller und Silvia Trummer.

Andreas Gryphius
Morgen Sonnet

Die ewig helle Schar will nun ihr Licht verschlissen,
Diane steht erblaßt; die Morgenröthe lacht
Den grauen Himmel an, der sanfte Wind erwacht
Und reizt das Federvolk, den neuen Tag zu grüßen.

Das Leben dieser Welt eilt schon die Welt zu küssen,
Und steckt sein Haupt empor, man sieht der Strahle Pracht
Nun blinken auf der See: O dreimal höchste Macht
Erleuchte den, der sich jetzt beugt vor deinen Füßen.

Vertreib die dicke Nacht, die meine Seel‘ umgibt,
Die Schmerzen Finsternis, die Herz und Geist betrübt.
Erquicke mein Gemüth und stärke mein Vertrauen.

Gib, dass ich diesen Tag in deinem Dienst allein
Zubring‘ und wenn mein End‘ und jener Tag bricht ein,
Daß ich dich, meine Sonn, mein Licht, mög‘ ewig schauen.

Samstag

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Heute haben
Georg Büchner * 1813
Alfred Polgar * 1873
Ernst Blaß * 1890
Nathanael West * 1906
Arthur Miller * 1915
Geburtstag

Kann man einen Roman über die Atomindustrie, über die Energiewende, über unsere Politiker und die Verfilzung von Industrie und Politik schreiben? Und: Kann das auch funktionieren?

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Eva Ladipo:Wende
Picus Verlag € 22,90
als E-Book € 17,99

Die Autorin Eva Ladipo, geboren 1974, studierte in Cambridge Politische Wissenschaften und wurde mit einer Arbeit über das russische Steuersystem promoviert. Begann als Journalistin bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und arbeitete zuletzt für die „Financial Times“. Lebte längere Zeit in Russland und Kolumbien und wohnt jetzt mit ihrem Mann und zwei Kindern in London. „Wende“ ist ihr erster Roman.
Nach dieser Biografie zu schließen, hat Eva Lapido Einblick in Wirtschaft rund um den Erdball. Sie kennt die Beziehungsgeflechte und Machenschaften der Staatengemeinschaften und ich vermute schwer, dass hinter dem Roman ein großer Haufen Wahrheit steckt.
Atemberaubend spannend schreibt sie ihren Roman, den Sie, wenn Sie die ersten Seiten gelesen haben, nicht mehr aus den Händen legen werden. Sehr gekonnt auch das Umschlagsfoto. Wie ein Standfoto aus einem alten Spionagefilm. Es könnte ein Filmplakat sein.
Die Wende ist im Roman doppelt besetzt. Einerseits die Energiewende, die nach dem Reaktorunglück von Fukushima in Deutschland heftig diskutiert wurde und natürlich die Wende in Deutschland im Jahr 1989. Eva Lapido leistet sich den Luxus aus den vielen Fakten, die sich sicherlich bei ihr stapeln, kein Sachbuch zu schreiben, sondern wagt sich an einen Roman, der voll von verzwickten Geschichten und immer neuen Ideen steckt. Während ich gefesselt den Roman las, klickte es immer wieder in meinem Kopf, als mir dieses und jenes in einem ganz anderen Blickwinkel dargeboten wurde, wie ich es bisher in Tageszeitungen gelesen hatte. Wahrscheinlich ist die Realität noch schlimmer, als das, was hinter den Ideen der Autorin steckt. Warum schwenkt Angela Merkel so plötzlich von der Atomkraft weg? Was wurde aus den Ideen der rot-grünen Regierung? Und wer zog dort die Fäden? Ein Ministerpräsident, der die Grünen am Liebsten aus der Regierung gejagt hätte, bejaht plötzlich diese neue Koallition. Was haben die Stasi, der KGB mit der Energiewende zu tun? Und wer profitierte denn bei diesen beiden Wenden?
Der junge Ostdeutsche René Hartenstein lebt, nach dem Jurastudium, mit seiner Freundin in Frankfurt und steigt langsam die Karrieretreppe in der Energieindustrie hoch. Als sein engster Freund Martin Jäger tot aufgefunden wird (erhängt am eigenen Gürtel und als Selbstmord deklariert), wird Hartenstein misstrauisch und findet in den Unterlagen seines Kollegen Dinge, die er nicht für möglich gehalten hätte. Er nimmt sich seines Kalenders an, um Martin Jägers Termine abzusagen. Dabei stößt er auf den Namen Anna Smoktum, die in der Investmentbranche in London arbeitet. Dort hat sich Jäger auf eine Stelle beworben. Hartenstein trifft sich mit ihr in London und sie bietet im ein hochdotierten Job an. Anna Smoktum könnte, vom Alter her, fast seine Mutter sein und doch entwickelt sich eine Art von Liebesbeziehung zwischen den beiden. Parallel dazu forscht er in der Vergangenheit seiner neuen Chefin und fragt sich, woher sie das Startkapital für ihr Unternehmen hat. Sehr schnell landet er bei sehr brisanten Verbindungen, die ihm bisher noch nicht klar waren.
Ich mag gar nicht mehr dazu schreiben. Lesen Sie selbst das Erstlingswerk „Wende“ und sie werden aus dem Staunen nicht mehr herauskommen und dabei auf höchstem Spannungsniveau unterhalten.
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Tanja Hanser hat bei uns wieder ein Fenster dekoriert, neue Postkarten und ein neues Büchle drucken lassen, die es bei uns zu kaufen gibt.

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Morgen ist es wieder soweit.
Es gibt neue Sonntagsskizzen von Detlef Surrey.

Sonntagsskizzen von Detlef Surrey

Montag

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Heute haben
Johann Friedrich Cotta * 1764
Zhang Jie * 1937
August Wilson * 1945
Geburtstag
Am Sonntag hatte Ludwig Uhland Geburtstag * 1787

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Ludwig Uhland
Lob des Frühlings

Saatengrün, Veilchenduft,
Lerchenwirbel, Amselschlag,
Sonnenregen, linde Luft!

Wenn ich solche Worte singe,
braucht es dann noch große Dinge,
Dich zu preisen, Frühlingstag!

Frühlingsglaube

Die linden Lüfte sind erwacht,
Sie säuseln und weben Tag und Nacht,
Sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun muß sich alles, alles wenden.

Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
Man weiß nicht, was noch werden mag,
Das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste, Tal:
Nun, armes Herz, vergiß der Qual!
Nun muß sich alles, alles wenden.
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Joseph Mitchell: „Old Mr. Flood“
Geschichten von Fischessen, Whiskey, Tod und Wiedergeburt
Aus dem amerikanischen Englisch von Andrea Stumpf und Sven Koch
Diaphanes Verlag € 14,95

„Er hat viel gelacht und viel gegessen und seinen Whiskey unverdünnt getrunken. Er pflegte Barmännern gegenüber zu bemerken, dass er keinen Sinn darin sehe, ­Wasser in Whiskey zu schütten, da ­Whiskey doch sowieso nass sei.“

Joseph Mitchell wurde in Iona (North Carolina) geboren. Im Alter von 21 Jahren kam er einen Tag nach dem Börsenkrach 1929 nach New York und begann seine journalistische Laufbahn als Kriminalreporter bei verschiedenen Tageszeitungen. Er gilt als Mitbegründer des New Journalism. Als Chefreporter des New Yorker wurde er zur lebenden Legende.

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„›Ich vertrag Muscheln nicht besonders‹, sagte er, ›aber sechs oder sieben Dutzend werd ich schon essen, um Ihnen Gesellschaft zu leisten.‹“

Der Diaphanes Verlag hat bisher drei dicke Bücher mit Joseph Mitchells gesammelten Reportagen veröffentlicht. Jetzt gibt es einen Nachschlag im kleiner Format für die Jackentasche. Die drei Geschichten um und über Mr.Flood sind fiktiv, setzen sich jedoch aus verschiedenen Typen zusammen, denen Mitchell auf seinen Reportagearbeiten um den Fulton Fish Market begegnet ist.
Mr Hugh G. Flood ist 93 Jahre alt, pensionierter Abbruchunternehmer und möchte gerne 115 Jahre alt werden. Sein Motto: Fisch. Nichts ist gesünder als Fisch und Meerestiere aller Arten. Austern helfen gegen jede Krankheit. Gut, es müssen dann schon drei bis vier Dutzend sein. Dazu noch Whiskey und die frische Luft vom New Yorker Hafen. Er verbringt seine alten Tage in einem einfachen Hotel, bewohnt dort ein kleines Zimmerchen, obwohl er sich doch mit seinem Geld ein sonniges Leben in Florida leisten könnte. Aber was will er im Süden, wenn seine Welt der Fischmarkt und die Kneipen drumherum sind. So begleiten wir Mr Flood auf seinen Gängen durch das Viertel, dürfen dabei sein, wenn er sich mit den Fischern, Händlern und Barkeepern unterhält und seine Weisheiten von sich gibt, die mitunter sehr an den Haaren herbeigezogen sind. Was jedoch seine Meinung zu Lebensmitteln anbelangt, so war er Ende der 40er Jahre, als die Geschichte entstanden, sehr aktuell. Fisch und Meerestiere seine die einzige Lebensmittel, die noch nicht verändert worden worden sind. Brot, Fleisch, Gemüse, alles nicht mehr das, es schmeckt nach nichts und Brot ist nur frisch getoastet genießbar.
Wir treffen mit ihm auf seine schrägen Kumpels, auf die anderen alten Männer, die im selben Hotel wohnen. Wir erfahren, was wir machen müssen, damit wir nicht krank werden und auch, dass die Schnecken, die die Austern zerstören, fast noch besser schmecken, als die Austern selber. Das merkte Mr Flood, als er kurzerhand einige dieser Schädlinge roh gegessen hat. Aber ein Verkaufsschlager würde das nie werden und im nächsten Jahr sind die Schnecken auch wieder verschwunden.

„Nimm dir Zeit und iss ein Dutzend Austern, iss zwei Dutzend, iss drei Dutzend, iss vier Dutzend. Dann lässt du dem Mann ein schönes Trinkgeld da, kaufst dir eine gute Zigarre, setzt dir den Hut schief auf und spazierst zum Bowling Green. Schau zum Himmel rauf! Ist er nicht blau? Und schau den Mädchen nach, die klapperdiklapp auf ihren niedlichen kleinen Füßen an dir vorbeilaufen!“

Verschwunden ist diese Gegend um den Fischmarkt. Es gibt sie nicht mehr, die knarzigen Typen und die alten Kneipen. Joseph Mitchell ist ein Chronist dieser Zeit, dieser Stadt, dieses Viertels und seiner Bewohner. Das hat er in seinen Reportagen jahrelang gezeigt. Wir sind hier mittendrin im Gewusel, riechen fast die vielen Fische, das Hafenwasser. Dass Mitchell irgendwann aufgehört hat zu schreiben und jahrelang zwar täglich in die Redaktion des „New Yorkers“ kam, ohne etwas abzuliefern, ist verwunderlich, aber auch verständlich, wenn wir merken, wie stark diese Geschichten, Reportagen und Erzählungen sind. Vielleicht ging es einfach nicht besser.

„Schließlich sind wir nicht an der New Yorker Aktienbörse, wo ja jeder anständig und ehrlich und redlich ist, wie’s heißt – wir sind hier am Fischmarkt.“

Eine Leseprobe aus dem Buch als pdf: Mr Flood
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Werner Färbers Ungereimtheiten:

Agenturmeldungen von enormer Wichtigkeit:

NACKT IN DER WASCHMASCHINE

Welcher Menge maskuliner
Hormone bedarf es genau,
dass in eine Waschmaschin‘ er
kroch, zu beeindrucken die Frau?

Oder schlüpfte er nur zum Zweck
der Reinigung ins enge Loch,
weil er vor lauter Schmutz und Dreck
bereits höchst unangenehm roch?

Zum Glück kam ja die Feuerwehr,
um mit Öl ihn einzufetten,
denn ohne deren Einsatz wär
so ’ne Type kaum zu retten.

(Spiegel-online 06.01.2014, 11:58:
Olivenöl als Schmiermittel: Feuerwehr befreit nackten Mann aus Waschmaschine.)


LIB- UND BACHFORELLE

Dicht über eines Baches Welle
sieht man schweben die Libelle.
Nicht weit weg von jener Stelle
lauert eine Bachforelle.

Flink, behänd und blitzeschnelle
schießt die hungrige Forelle
zwecks Verspeisung der Libelle
mit offnem Maul aus der Welle.

Über eines Baches Welle
schwebte einst eine Libelle

Freitag, der 13.

Eilmeldung: Jan Wagner bekam für seinen Gedichtband: „Regentonnenvariationenden Buchpreis der Leipziger Buchmesse.
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Heute haben
Oskar Loerke * 1884
Hugh Walpole * 1884
Frank Thieß * 1890
Jannett Flanner * 1892
Erich Kästner * 1904
Juri Andruchowytsch * 1960
Geburtstag

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Hugh Walpole

„The most wonderful of all things in life is the discovery of another human being with whom one’s relationship has a growing depth, beauty and joy as the years increase. This inner progressiveness of love between two human beings is a most marvelous thing; it cannot be found by looking for it or by passionately wishing for it. It is a sort of divine accident, and the most wonderful of all things in life.“
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Lydia Tschukowskaja: „Untertauchen“
Aus dem Russischen von Swetlana Geier
und mit einem Nachwort von Hans Jürgen Balmes
Originaltitel: Spusk pod vodu
Dörlemann € 18.90

Grossartig, was sich der Dörlemann Verlag hier wieder getraut hat. In ihrer Reihe mit schön gemachten Leinenbändchen in Neuübersetzung, erschien jetzt der Roman aus dem Jahre 1949, nachdem es ihn schon einmal in den 70er Jahren auf deutsch gab, aber längst verschollen ist.
Seit 1949 wartete das Buch auf seine Veröffentlichung, aber in der Sowjetunion wurde das Buch verboten und erschien erst 1972 in einer amerikanischen Ausgabe. Dies hatte zur Folge, dass Lydia Tschukowskaja in ihrer Heimat ab dem Jahre 1974 mit Berufsverbot belegt worden ist.
Die Autorin wurde 1907 in St.Petersburg geboren und starb 1996. Sie arbeitete für Zeitungen und als Übersetzerin. Während ihrer Zusammenarbeit mit Anna Achmatowa lernte sie deren Gedichte auswending, weil Anna Achmatowa fürchtete, dass der Geheimdienst ihre Gedichte vernichten würde. Auch politisch trat Lydia Tschukowskaja in Erscheinung, als sie zu den Unterstützern von Alexander Solschenizyn gehörte.
Die Jahre des Terrors stehen im Mittelpunkt des Romanes „Untertauchen“. Die Autorin schildert aber nicht im Detail über die Machenschaften der Geheimdienste, oder über das Innenleben der Lager. Sie schreibt über die Monate Februar und März 1949, in denen die Übersetzerin Nina Sergejewna in einem Heim des sowjetischen Schriftstellerverbandes verbingt. Sie wartet auf ihren Mann, der zu zehn Jahren Haft mit Briefverbot verurteilt worden ist. Mittlerweile sind jedoch schon zwölf Jahren vergangen. Dass der Mann der Autorin auch abgeholt wurde und nicht mehr aufgetaucht ist, zeigt, dass es sich um einen sehr biografischen Roman handelt. Und so ist diese Buch auf zwei Arten zu lesen. Wir bekommen den Alltag von Bespitzelung, Terror und Lüge im Alltag mit und gleichzeitig versucht sich die Autorin ihr Trauma von der Seele zuschreiben, das ihr den Schlaf raubt und ihr Leben unter einem graune Nebel versinken lässt.
In diesem Erholungsheim verbingt Nina ihre Tage mit langen Spaziergängen und Gesprächen mit verschieden Personen aus dem literarischen Leben. Sie kann natürlich nicht mit allen offen reden, da sie nicht weiss, was mit ihren Worten passieren wird. In diesen grauen, kalten Tage sind die Birkenwälder oft ihr Trost, bevor sie sich in ihr Zimmer verkriecht. Doch stösst sie auf ihren Wanderungen auf Gräber und Grabhügel, weil dort vor Jahren der sowjetisch-deutsche Krieg tobte. Das Grauen lässt sie nicht mehr los.
Einer ihrer Gesprächspartner ist der Schriftsteller Bilibin, der die Aufzeichnungen aus seiner Zeit in den Lagern hier zu einem Roman zusammenfassen und fertigstellen will. Beide umkreisen sich in Gesprächen und auf ihren Wanderungen. Als die Lage im Heim auch immer unsicherer wird und eines Tages ein jüdischer Autor abgeholt wird, holt Nina ihre Vergangenheit wieder ein. Immer weniger traut sie Bilibin und als der allgemeine Opportunismus um sich greift und dessen Romanentwurf bei weitem nicht mehr dem entspricht, wie er es ihr erzählt hat, sondern staatskonform daherkommt, beschimpft Nina ihn als „Feigling, ein falscher Zeuge, ein Lügner“.
Genau diese drei Worte sind es, die sich durch diesen Roman ziehen und dagegen möchte die Autorin anschreiben. Sie lebte dafür und wurde dafür mit Berufsverbot belegt. Nina und Lydia versuchen die Wahrheit zu finden, entdecken jedoch immer mehr Lügenkonstrukte. Nicht einmal in der Literatur gibt es eine reine Wahrheit.
In einer einfachen Sprache schreibt die Autorin über Menschlichkeit und die große Hoffnung auf Gerechtigkeit. Sie prahlt nicht mit Brutalität. Die bekommen wir gut zwischen den Zeilen mit. Einmal schreibt sie über eine junge Frau, die in bitterer Kälte Schlange steht und ihren Platz auch dann nicht aufgibt, als ihr Säugling auf dem Arm erfroren ist. Und diese Sequenz sagt mehr als ausführliche Beschreibungen von Gewalt.
Eine lohnenswerte Lektüre, die wir nicht nur als die vergangene Wirklichkeit in der Sowjetunion im Jahre 1949 lesen sollten. Wir müssen uns nur umschauen.

Leseprobe
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Mehr Bilder aus der Jastram- und Bücherwelt finden Sie auf unseren Fotoblogs:
Jastram.tumblr.com
wiebuecherleben.tumblr.com

Mittwoch, 31.12.2014

Das Ende vom Jahr ist ja nicht das Ende vom Lied, sondern der Beginn eines neuen Jahres. Und so wird es auch bei uns in der Buchhandlung sein.
Ich bin zwar kein großer Planer, wir haben jedoch ein paar Termine im Kalender stehen. Manche schon fest, manche müssen noch terminiert werden.

Auf jeden Fall gibt es Januar keine „Erste Seite“. Das steht schon mal fest.
Am Freitag, den 16.1.2015 liest bei uns Verena Günthner aus ihrem Debüt:“Es bringen“. Für sie ist es ein Heimspiel, da sie 1978 in Ulm geboren wurde.
Für ihren Roman wurde sie mehrfach ausgezeichnet, u.a. auch mit dem Kelag-Preis beim Bachmann-Wettbewerb.

Für’s Frühjahr eingeladen haben wir noch den Leiter des Manesse-Verlages, der uns ein wenig über das Innenleben dieser besonderen Bücher erzählen wird.
Die Neu-Ulmerin Christine Langer habe ich eingeladen, um aus ihrem neuen Gedichtband zu lesen, der im Frühjahr erscheinen wird.
Rainer Moritz kommt vielleicht und stellt sein neues Buch über Proust und Paris vor. Er leitet das Literturhaus Hamburg, ist Übersetzer und Schriftsteller und vieles mehr.
Hermann Gummerer vom Folio-Verlag möchte im April seinen Verlag und Südtirol vorstellen. Dazu bringt er ein Auto voll Essen und Trinken mit. Für diese Veranstaltung müssen vorab Plätze reserviert werden.
Florian Arnold hatte die Idee eines „Literalottos“, das wir bei uns in der Buchhandlung starten wollen. Ungefähr viermal im Jahr wollen wir eine Variante des „Chaoslesen“, das es nicht mehr gibt, aufleben lassen.
Dazu natürlich wieder ab Februar Büchervorstellen an jedem ersten Dienstag des Monats ab 19 Uhr.
Dies nur als kleine Vorschau auf das kommende Frühjahr, jetzt wo wir erstmal im dicksten Winter stecken.

Kommen Sie gut ins neue Jahr. Auf dass Ihre Wünsche und Vorsätze sich erfüllen.
Bleiben Sie gesund (oder werden Sie es) und der Literaturwelt gewogen.
In einem Buch stecken 1.000 Leben und das können wir nicht über viele Dinge sagen.

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel, sagte schon Sepp Herberger und so haben wir am 2.Januar wieder ab 9 Uhr geöffnet. Mit oder ohne Internet, das sehen wir dann.
Bis dahin,
Ihr/euer Samy Wiltschek

Samstag

Heute haben
Heinrich von Kleist  * 1777
Henri Bergson * 1859
Tibor Déry * 1894
Klaus Kinski * 1926
Geburtstag
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Gestern hatten wir einen vollen Tag und einen vollen und tollen Abend im Buchladen.

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500 verkaufte Exemplare von Robert Seethalers: „Trafikant“ ist schon ein Wort in unserer kleinen Buchhandlung. Es sind, genaugenommen, sogar mehr als die gefeierten Bücher. Rechnen wir die gebundene Ausgabe dazu und die Exemplare, die wir über die Grosshändler bezogen haben, wird die Anzahl noch um ein kleine Summe höher. Egal. Hier also das offizielle, amtliche Ergebnis. Wir freuen uns und wissen natürlich, dass dieser verkaufte Stapel nur daher kommen kann, dass Sie als KundInnen von diesem Buch begeistert sind, und es all Ihren FreundInnen weiterverschenken.
Danke.
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Dann hört das mit den Neuerscheinungen gar nicht auf. Täglich trudeln neue Bücher herein. Dazu kommen noch die grossformatigen Wandkalender, die wir gestern aufgehängt haben.

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Abends dann ein volles Haus mit Martina Jung, Fee Katrin Kanzler, Silke Knäpper und Christiane Wachsmann, den vier Ulmer Frauen, die selbst schreiben und bei uns vorlasen. Drei Romananfänge von noch nicht veröffentlichten Werken und eine Erzählung bekamen wir zu hören. Alle vier Texte waren unterschiedlich im Ton und in der Intention und machten die Lesezeit von über einer Stunde zu einem kurzweiligen Zuhören. Danach entwickelte sich die Buchhandlung zu einem Diskussionsforum, das von mir kaum zu stoppen war. Herrlich laut und lustig ging es zu und nach einer geraumen Zeit fanden wir tatsächlich nochmals zurück auf unsere Stühle und es gab die Möglichkeit, die Autorinnen das eine oder andere zu fragen. Was tatsächlich auch kräftig getan wurde.
Ein herrlicher Abend, der so wahrscheinlich nicht mehr zu wiederholen sein wird.
Danke an die vier Damen und an das tolle Publikum.

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Es wurde reichlich spät und ich kam spät ins Bett, deshalb heute und hier kein Buchtipp, sondern dieser kleine Rückblick auf den gestrigen Freitag.

Ich wünsche Ihnen ein gutes, erholsames Wochenende.

Montag

1
Sonntag auf der Alb

Heute haben
Frederick Forsyth * 1938
Maxim Biller * 1960
Taslima Nasrin * 1962
Geburtstag
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Wir haben wohl wirklich den letzten Tag des Sommers verpasst und somit eine der Regeln aus dem Bilderbuch von Shaun Tan nicht beachtet. Dafür freut sich so langsam aber wieder der Herr Doktor aus dem Gedicht von Wilhelm Busch.

Wilhelm Busch
Im Sommer

In Sommerbäder
Reist jetzt ein jeder
Und lebt famos.
Der arme Dokter,
Zu Hause hockt er
Patientenlos.

Von Winterszenen,
Von schrecklich schönen,
Träumt sein Gemüt,
Wenn, Dank der Götter,
Bei Hundewetter
Sein Weizen blüht.
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besuch

Hila Blum: „Der Besuch“
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler
Berlin Verlag € 22,99

„Es gibt Dinge, die können nur in den schmalen Spalten der Nachlässigkeit geschehen, der Unaufmerksamkeit, in einem Wirbel aus Trägheit und Licht. Plötzlich entspringen sie der Phantasie und landen im gelebten Leben.“

In diesem Erstlingswerk der 1962 geborenen israelischen Autorin herrscht richtig Sommer. Hochsommer. Eine ungewöhnlich hartnäckige Hitze liegt über Jerusalem und es beginnt damit, dass ein Junge verschwindet. Die Nachrichten sind voll mit dieser Meldung. Dies hat mit dem Roman nichts zu tun, zieht sich aber wie ein roter Faden durch das Buch, bis es am Schluss zu einem glücklichen Ende mit dem Jungen kommt.
„Alles Mögliche passiert in diesem Sommer. Es ist der Sommer der nicht so fernen Katastrophen, einer Kette seltsamer Unfälle.“
Warum diese Episode? Vielleicht ist es die Nähe der Katastrophe, in der beiden Hauptpersonen Nili und Nataniel (Nati) leben. Ein Sommer kann schnell vorüber gehen, ein glücklicher Tag plötzlich schrecklich enden. Ein Kind geht über die Straße und wird von einem heranbrausenen Auto getötet, ein Sturz aus dem Haus kann zu einem langen Aufenthalt im Krankenhaus führen. Dies sind genau die Dinge, die irgendwann auch in diesem Roman passieren.
Nili und Nataniel sind kinderlos. Die ältere Tochter aus Natis erster Ehe ist bei ihrer Mutter in Amsterdam und die kleine Tochter mit der Schwester von Nili am Meer. Was könnte es also schöneres geben, als die wenigen freien Tage im Hochsommer zu genießen. Doch beide aufpassenden Frauen sind nicht richtig einzuschätzen. Die eine die Ex-Frau des Ehemannes, die andere die psychisch  labile Schwester. Somit sitzt Nili auf Kohlen und möchte fast ständig online mit den beiden Kindern sein. Der Anruf eines französischen Millionärs, der ihnen am letzten Tag ihrer Hochzeitsreise in einem Pariser Edelrestaurant aus der Patsche geholfen hat, bringt das eh schon fragile Gleichgewicht der Ehe schwer ins Wanken.
Hila Blums Debüt erzählt nicht nur die Geschichte von Nili und Nati, wie sie sich kennen und lieben gelernt haben. Sie zeigt ihre Sehnsüchte, ihre Fluchten und Hoffnungen, die sich nicht immer mit denen des Partners decken. Sie schreibt über dieses Paar um die vierzig, denen es so gut gehen könnte und die es sich selbst schwer machen. Hila Blum bohrt in den den Rissen und deckt unter der dünnen Oberfläche nach weiteren Rissen und Unebenheiten auf. Gleichzeitig wissen wir, dass damals vor 10 Jahren in Paris noch etwas geschehen ist, als Nili und Duclos, der Millionär, allein vor der Restaurant standen.
Während wir nun darauf warten, bis die beiden sich mit dem Fremden zum Abendessen treffen, erzählt uns Bila Blum die Jahre der Beziehung von Nili, Nati und ihren Kindern, aber auch die Zeit als Nili alleine in Jerusalem mit den Kleinen und Nati für einige Wochen in der Schweiz zum Arbeiten ist. Hier legt die Autorin noch eine weitere Ebene frei und schreibt sehr treffend Dialoge zwischen der Mutter, ihrer pubertierenden und der kleinen, fragilen Tochter, wie wir sie nur zu gut kennen.
Sie merken schon, Hila Blum hat sich viel vorgenommen. Ihr Schreibstil ist gekonnt flüssig, die Konstruktion des Romans verschachtelt, spannungssteigernd und wir lesen diesen Erstling in einem Rutsch durch. Einzelne Episoden sind vielleicht etwas zu lang geraten, das Geheimnis um Duclos fast eine Luftnummer, aber insgesamt finde ich, ist es ein mehr als gelungener Roman, der sich wirklich lohnt und augezeichnet auf hohem Niveau unterhält.

Leseprobe
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Werner Färber
UNGEREIMTHEIT DER WOCHE (… aus der Tierwelt):

PROBLEMKUH VERUNSICHERT LÄNDLE *

Im Wald zu Gaildorf gibt’s ’ne Kuh,
die ist seit Wochen nicht bereit,
zu leben friedlich und in Ruh –,
nein, sie sucht offensichtlich Streit!

Was macht die Kuh so aggressiv,
dass sie vollkommen ungeniert
(vielleicht sogar demonstrativ)
bisweilen den Verkehr blockiert?

Sie stellt sich Autos in den Weg,
statt sich zu laben an dem Grase.
Wenn ich mir das so überleg,
tut sie’s vielleicht, dass man nicht rase

(* Bildschirmtext ARD am 22.08.2014)

UNGEREIMTHEIT DER WOCHE: (aus der Reihe BEI HEMPELS UNTERM SOFA)

BEI HEMPELS UNTERM SOFA XLI

… liegt ein Stapel von Plakaten,
die Hempel an der Straße störten,
weil sie nach seiner ganz privaten
Meinung dort nicht hingehörten.

Parolen von der NPD
musst‘ vom Straßenrand er klau’n!
Auch jene von der AfD
war’n ihm schlichterdings zu braun!

Montag

Heute haben
Beatrix Potter * 1866
Malcolm Lowry * 1909
John Ahsbery* * 1927
Remco Campert * 1929
Geburtstag
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Antonie Jüngst
Sommernebel

Duftumgraut der Himmelsbogen,
Schattenbilder rings die Höhen;
Träge rinnt des Stromes Welle,
Regungslos die Linden stehen.
Kaum ein Raunen in den Tannen,
Kaum ein Flüstern in den Halmen,
Ein Verklingen ferner Glocken,
Gleich dem Widerhall der Psalmen.

Die geheimnisvolle Stille
Bricht kein Laut, nur leise, leise
Singt aus sommergrünen Zweigen
Eine Amsel ihre Weise.
Rote Rosen, weiße Lilien
An geneigtem Stengel schwanken,
Und um beide schmiegt das Geißblatt
Seine blütenschweren Ranken.

Ausgelöscht und wie versunken
Hinter einem Dunstgeschiebe
Bläulich weißer Nebelmassen
Dieser Erde wirr Getriebe,
All ihr Hasten, all ihr Jagen,
Ihr verzweiflungsvolles Sehnen
Nach den glanzumflossnen Bildern
Eitlen Glücks und eitler Tränen.

O, ich lieb‘ euch, sanft umflorte,
Dämmerstille Sommertage,
Wenn mir ungezählt verrinnet
Stund‘ um Stund‘ im grünen Hage,
Wenn verstohlen durch die Wipfel
Hundertjähr’ger, alter Bäume
Auf des Westwinds leichten Flügeln
Gleiten süße Märchenträume.
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Lappert

Simone Lappert: „Wurfschatten“
Metrolit Verlag € 20,00
als eBoook € 16,00

In ihrem Erstlingsroman schreibt die Schweizer Autorin Simone Lappert über Ada, die eigentlich Adamine heisst (aber wer schon so heissen), die erst 25 Jahre alt ist, aber voller Ängste. Lange zu leben hat sie wohl eh nicht, so meint sie. Mit einem Stetoskop hört sie sich ab, wenn ih Herz mal wieder anfängt zu rasen, oder auszusetzen.

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Die Nächte sind das Schlimmste. Meist stirbt sie in ihren Träumen aufs Neue und kann sich am Tag kaum auf den Beinen halten. Um diese Ängste, die sie schön alphabetisch auflistet von A wie Atomtod bis Z wie Zyste, zu verarbeiten, hat sie in einem leeren Zimmer ihrer Wohung ein Zimmer eingerichtet, in dem sie auch eine Therapietapete unterhält, auf der sie Text- und Bildmaterial sammelt und dran befestigt.
Jetzt muss ich aber eines sofort klarstellen:
Simone Lappert schreibt zwar über Ada und ihre schrecklichen Ängste, das aber in so einem flotten frechen Ton, dass wir uns unweigerlich an Hendrikje aus dem Roman „Hendrikje vorübergehend erschossen“ von Ulrike Purschke erinnern. Diesen saukomischen Roman über eine Pechvogelin erster Güte. Simone Lappert ist eine Wortschöpferin, eine Ideenfinderin und baut immer wieder hintergründig witzige Situationen ein, dass einem das Schmunzeln im Gesicht stehen bleibt.
Genau dies passiert nämlich, als ihr Vermieter die längt überfälligen Mieten einfordern, Ada aber nicht vor die Türe setzen will. Sie strebt nämlich eine Karriere als Schauspielerin an, verdient ihr Brot aber als Leiche in einem Krimispiel. Das mit dem Vorsprechen an einem Münchener Theater hat sie wegen einer Panikattacke im Zug verpasst, weil sie erst in Rosenheim entdeckt hat, dass sie längst an ihrem Treffpunkt vorbeigefahren ist.
Nun also zurück zum Vermieter. Er setzt ihr seinen Enkel in die Wohnung, wo sie doch ein leeres Zimmer dort habe, und verzichtet auf das längst fällige Geld. Juri hat die Goldschmiedewerkstatt seines Vaters übernommen und ist frisch in die Stadt gezogen. Also alles prima, denkt der Vermieter und Juri richtet sich auch sehr unkompliziert ein und legt Adas Therapedinge ihr fein säuberlich auf ihr Bett. Ada ist entsetzt über diesen Störfaktor auf ihrem „Leidensweg“ und beginnt zuerst mit Störmanöver gegen den Eindringling. Sehr frech und böse beschreibt Simone Lappert dies und auch wie Juri sich widerum an ihr rächt.
Zum Glück hat Ada einen Freundeskreis im Haus und vom Beruf her, so dass sie von dieser Seite Unterstützung und neue Tipps bekommt. Aber eigentlich ist Juri ein ganz normaler junger Mann, der Ada aus dem Schlamassel herausziehen könnte und Ada entwickelt immer mehr Zuneigung zu ihm, wenn da nicht mehrfach in der Woche morgens fremde Frauen aus seinem Zimmer kämen.

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Simone Lappert hat einen gekonnten Roman veröffentlicht, der von der Grundstruktur nicht von einem herkömmlichen Beziehungsroman (sagen wir ruhig Liebesroman) abweicht, der aber voller Esprit, literarischen Bildern und Ideen ist, der immer wieder ein sprachliches Feuerwerk zündet, dass er sich von der obengenannten Buchkategorie weit absetzt.
Ein großes Vergnügen.

Simone Lappert liest auf „zehnseiten“:

http://zehnseiten.de/de/buecher/detail/simone-lappert-wurfschatten-457.html

Samstag

Heute haben
Giorgos Seferis * 1900
Ralph Ellison * 1914
Franz Hohler * 1943
Franzobel * 1967
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Banana

Banana Yoshimoto: „Der See“
Aus dem Japanischen von Thomas Eggenberg
Diogenes Verlag € 19,90

In Japan schon 2005 erschienen, können wir den Roman jetzt (wieder) lesen. Ich weiss nämlich nicht, ob es diesen Roman schon einmal in deutsch gab. Banana Yoshimoto ist hier wohl die bekanneste Autorin nach Haruki Murakami und hat schon viele Bücher, die alle im Diogenes Verlag erscheinen, veröffentlich. Ihr bekanntestes dürfte wohl „Kitchen“ sein. Dieser schmale Band, den ich gestern gelesen habe, erinnerte mich stark an den neuen Roman von Murakami. Vielleicht liegen diese Themen in Japan in der Luft und in den Herzen der Menschen, oder Murakami hat einfach diesen Roman vor langer Zeit gelesen und in irgendeiner Form abgespeichert.
Die junge Frau Chihiro hat ihre Mutter verloren. Sie starb noch nicht alt im Krankenhaus. Chihiro hat sie dort dort begleitet, zusammen mit ihrem Vater. Ihre Eltern waren nie verheiratet; sie leitete eine Nachtbar, er übernahm die Firma seines Vaters. Chihiro lebt nach dem Verlust der Mutter allein, studiert Kunstgeschichte, hat gerade eine Affäre beendet und steht kurz davor einen schönen Auftrag (eine öffentliche Wandmalerei) zu bekommen. Sie genießt ihre Wohung und steht öfters am Fenster und schaut über die Stadt hinweg. Ihr gegenüber wohnt ein junger Mann, der die gleiche Angewohnheit hat. Nakajima scheint ein sehr ordentlicher Mensch zu sein. Während ihre Wäsche im schief und krumm auf der Leine hängt, sieht es bei ihm sehr akurat aus. Die beiden kommen sich näher, er übernachtet sogar bei ihr, ohne dass es zu einer körperlichen Annäherung kommt. Irgendein Geheimnis scheint in dem dünnen Mann zu stecken. Ist er schwul, denkt Chihiro sich. Banana Yoshimoto erzählt dies alles in einer sehr einfachen Sprache, schreibt von Mama und Papa, wenn sich Chihiro an ihre Eltern erinnert und schafft es dadurch, oder trotzdem eine zarte Atmosphäre um die beiden jungen Menschen zu spinnen, die in ihrer Vergangenheit etwas dramatisches erlebt haben müssen. Das ist es, was mich an den neuen Murakami erinnert hat. Junge Menschen, Verluste, Ortswechsel, Zerbrechen von Freundschaften, Geheimnisse in der Jugend oder Kindheit. Dazu eine einfache Sprache, eine fremde Welt, die aber doch sehr allgemein scheint. Die Beiden leben sozusagen zusammen und so langsam öftet Nakajima sich. Auch er hat seine Mutter verloren, mit der er eine sehr intensive Beziehung hatte. Warum, wird am Ende des Buches erklärt. Sie schlafen zusammen und beginnen sich über ihre Verluste, über ihre Kindheit auszutauschen. Nakajima schlägt Chihiro vor mit ihm an einen See zu fahren. Dort wohnen Freunde von ihm. Erst auf Nachfragen, was denn das für Freunde seinen, da er doch sonst niemand sonst um sich herum ertragen könne, erzählt er ihr von diesem Geschwisterpaar, die zurückgezogen in einem Teil eines Tempels wohnen. So beginnt ein neuer Teil dieser Freundschaftsgeschichte, in der wir fast in eine andere Welt eintauchen und das Geheimnis von Nakajima erfahren. Dieses Geschwisterpaar erscheint Chihiro zunächst sehr fremd, sie fährt jedoch etwas später alleine nochmals dorthin und nach diesem zweiten Besuch kommt sie gestärkt zurück und blickt gefasst in eine neue Zukunft. Mehr mag ich nicht erzählen, um die Spannung hochzuhalten.
Banana Yoshimotos Buch „Der See“ liest sich leicht, manchmal etwas zu leicht, lässt uns aber tief in das Innenleben dieses jungen Paares schauen. Und irgendwie komme ich nicht umhin, ob dieser Roman und der neue von Murakami nicht auch Geschwister sind.

Leseprobe
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Hier noch etwas zum Streit zwischen Papier und E-Buch:

Und_off-

Jajajajaja!