Samstag, 20.Februar

Heute haben
Johann Heinrich Voß * 1751
Heinz Erhardt * 1909
Julia Franckh * 1970
Geburtstag
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Hoffentlich mein letztes Wintergdicht für die nächsten Monate:

Matthias Claudius
Ein Lied hinterm Ofen zu singen

Der Winter ist ein rechter Mann,
kernfest und auf die Dauer;
sein Fleisch fühlt sich wie Eisen an
und scheut nicht süß noch sauer.

Aus Blumen und aus Vogelsang
weiß er sich nichts zu machen,
haßt warmen Drang und warmen Klang
und alle warmen Sachen.

Doch wenn die Füchse bellen sehr,
wenn’s Holz im Ofen knittert,
und um den Ofen Knecht und Herr
die Hände reibt und zittert;

wenn Stein und Bein vor Frost zerbricht
und Teich‘ und Seen krachen;
das klingt ihm gut, das haßt er nicht,
dann will er sich tot lachen. –

Sein Schloß von Eis liegt ganz hinaus
beim Nordpol an dem Strande;
doch hat er auch ein Sommerhaus
im lieben Schweizerlande.

So ist er denn bald dort, bald hier,
gut Regiment zu führen.
Und wenn er durchzieht, stehen wir
und sehn ihn an und frieren.
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Unser Tipp:


Sabine Lemire (Text) und Rasmus Bregnhøi (Illustrationen):
Mira #familie #paris #abschied

Aus dem Dänischen von Franziska Gehm
Klett Kinderbuch € 15,00
Ab 10 Jahren

Das ist jetzt schon der vierte Band von Miras Erlebnissen als Graphic Novel.
Ich habe das nie so richtig beachtet, bin nach der dieser Lektüre hellauf begeistert und habe die ersten drei Bände nachbestellt. Die Geschichte ist so treffend erzählt und gezeichnet. Genauso so, wie es im wirklichen Leben ist. Dazu noch mit einer ordentlichen Portion Humor. Die Kleinigkeiten, wie das dauernde aufs Handy starren, die Dreitagebärte der Männer, machen schon ordentlich Spaß.
In diesem Buch findet Mira alles doof, die Mutter nervig und den kleinen Bruder überflüssig. Gut, dass sie ihre Freundinnen hat, obwohl in der Schule auch schwer gezickt wird. Und noch besser: Ihre Oma, mit der sie alles besprechen kann.
Miras Mama kann ihrer Tochter nichts recht machen und da kommt Omas Vorschlag, mit ihrer Enkelin nach Paris zu fahren, gerade richtig.
Irgendwie kommt es doch ganz anders und das wiederum gibt viel Stoff in Miras Tagebuch.
Ein super Buch für Mädchen ab 12 und die passenden Eltern dazu.

Leseprobe

Mittwoch, 25.Januar

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Heute haben
Virginia Woolf * 1882
Eva Zeller * 1923
Silvio Blatter * 1946
David Grossman * 1954
Alessandro Baricco * 1958
Geburtstag
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Foto: Florian Arnold

Gestern abend hatten wir ein literarisches Highlight in unserer Buchhandlung.
Carlos Peter Reinelt las seinen Text „Willkommen und Abschied„.
Die Buchhandlung füllte sich zu einer angenehmen, interessierten Runde. Schön war es auch, daß drei syrische junge Männer sich in die erste Reihe setzten. Sie sind in der Ulmer ADK, um Schauspiel und Regie zu lernen. Nach der Veranstaltung kamen sie und Reinelt ins Gespräch und sie wollen seinen Text in ihr Projekt einbauen.
Reinelt war gerade mal 20 Jahre alt, als im August 2015 ein Kühllaster mit Menschen darin, auf der Autobahn abgestellt wurde und alle Flüchtlinge darin erstickten.

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Sein Text enstand dann in einem Urlaub in Spanien, wobei er sich über die Form nicht im Klaren war. Er wollte zuerst etwas im Thomas Mann-Stil. Später kam dann das Problem dazu, daß der Mann, der diesen Monolog hält, am Ende des Textes tot ist. So kam er auch parallel auf die Idee der besonderen Gestaltung. Sein Text ist eingerahmt und umrahmt von den Worten „Willkommen und Abschied“. Der Rahmen entspricht den Maßen des Kleinlasters. Und so eingezwängt wird der Text immer dunkler. Bis nur noch schwarz zu sehen ist. Die Schrift ist mal normal, mal groß und fett (wenn der junge Mnn brüllt und schreit) und auch klein und zart (wenn er leiser wird und nachdenkt). Zum Schluß sehen wir nur noch kleine arbaische Schrift. Und so las Carlos Reinelt auch seinen Text vor. Er fragte mich im Vorfeld, ob er auch einen Tisch hätte. Na klar, sagte ich und dachte nicht weiter nach. Daß ein Tisch für seinen Vortrag jedoch sehr wichtig wird, erlebten wir dann später, als er seinen Protagonisten gegen die Wände des Lasters donnern läßt und er dieses Geräusch mit der Faust auf dem Tisch nachahmte.
Der Schrecken ist bei uns angekommen, sagte er, und nicht nur in den Nachrichten zu sehen. Genau diese Betroffenheit spürten wir gestern abend in der Buchhandlung. Wir lesen über ertrunkene Flüchtlinge und blättern weiter. Dieser Text, dieser Vortrag, ließ uns das Grauen hautnah erspüren.
Totenstille (ja, das Wort trifft wirklich zu) war es nach der halben Stunde, in der Carlos Reinelt gelesen hat. Umso freundlicher wurde danach in kleiner Runde mit dem Autoren diskutiert.

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Carlos Peter Reinelt: „Willkommen und Abschied“
Wallstein Verlag € 9,40
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Werner Färbers Ungereimtheit der Woche
Kleine Verwechslung

Wenn eine Schlange hüpft durchs Gras,
während ein Frosch kriecht an sie ran,
beschleicht mich das Gefühl, dass das,
was hier passiert, nicht stimmen kann.

 

Mittwoch, 11.Januar

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Heute haben
Diana Gabaldon * 1952
und Katharina Hacker * 1967
Geburtstag
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Albert Cüppers Bild des Monats:
„Gekipptes Balkenhemd mit Stützfläche“

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Werner Färbers Ungereimtheit der Woche:
DER YANGCHUANOSAURUS

Yangchuanosaurus wurd’s genannt,
als man es jüngst versteinert fand,
das Tier, das streifte irgendwann
durch Chinas weites Sichuan.

Vier Tonnen war wohl sein Gewicht.
Doch überleben konnt‘ es nicht.
Fragend leg ich die Stirn in Falten:
Wieso blieb die Art nicht erhalten?

Der Forschung neuester Bericht
erklärt, dass es dem Saurus nicht
gelang, sich satt zu fressen,
weil mit Stäbchen er gegessen.
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Am Dienstag, den 24.Januar ist Carlos Peter Reinelt mit seinem Text „Willkommen und Abschied“ bei uns zu Gast.
In Zusammenarbeit dem Literatursalon Ulm e.V.
Beginn: 19 Uhr

Ein konzentrierter und schockierender Text zum Thema Flüchtlinge und wie wir mit ihnen umgehen.

Carlos Peter Reinelt wagt viel in seinem literarischen Erstling. Sein Erzähler ist ein junger Mann, ein Rabauke, einer, dessen erstes Wort »verdammt« lautet und der im Jargon pausenlos Flüche von sich gibt. Vor allem (und von allem) ist er genervt, und erst recht stört ihn die schlechte Luft, die Enge, das Geschrei der Kinder, der Gesang der Mütter. Von Allah redet er dann und von einer Geschichte, die sich in seinem Heimatdorf zugetragen hat. Nicht schön. Der Autor lässt ihn nicht aussprechen, wo er sich befindet, aber wer im Jahr 2015 Nachrichten gesehen und gehört hat, ahnt es bald: In einem dunklen Kasten auf der Ladefläche eines LKW. Hier redet einer um sein Leben; und wie der Autor das mit sprachlichen und graphischen Mitteln gestaltet, wie er im Rhythmus des Sprechens die Worte ins Schlingern geraten lässt, dass sie ihre Bedeutung gewinnen und verlieren und auf andere Art wiedergewinnen, neu buchstabiert werden müssen, umrahmt von Goethes »Willkommen und Abschied« und in Beziehung dazu gesetzt, hat etwas den Atem Verschlagendes.

Donnerstag, 4.August

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Heute haben
Percy Bysshe Shelley + 1792
Knut Hamsun * 1859
René Schickele * 1883
Witold Gombrowicz * 1904
Liao Yiwu * 1958
Geburtstag.
Aber auch Barack Obama.
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Carlos Peter Reinelt:Willkommen und Abschied
Wallstein Verlag € 9,40

24 Seiten, die es in sich haben. Dieses geklammerte Heftchen mit seinem Monolog läßt Sie so leicht nicht mehr los.
Wir haben gestern auf die beiden Ausstellungen in Ulm hingewiesen, die auf Probleme in arabischen Ländern hinweisen. Gestern kam mit einer Kiste Neuerscheinungen auch dieser Text von Carlos Peter Reinelt, der dafür den wichtigen Rauriser Förderpreis 2016 erhalten hat.
Wir befinden uns zwar nicht in Syrien, dem Land, aus dem der Protagonist kommt, sondern mitten in Europa. Auf einer Autobahn in Österreich und er befindet sich mit 60 anderen Personen eingepfercht und eingeschlossen in einem LKW eines Schleppers und redet, flucht, betet um sein Leben. Dies bekommen wir nach und nach mit.
Sein Erzähler ist ein junger Mann, ein Rabauke, einer, dessen erstes Wort „verdammt“ lautet. Vor allem (und von allem) ist er genervt, und erst recht stört ihn die schlechte Luft, die Enge, das Geschrei der Kinder, der Gesang der Mütter. Von Allah redet er dann und von einer Geschichte, die sich in seinem Heimatdorf zugetragen hat. Diese freche Geschichte zeigt viel über den Zustand, die Befindlichkeit, die Tradition in seinem Heimatland. Als dieses Ereignis tödlich für seinen Freund endet, ist klar, daß er fliehen muß. Seine Familie vertraut auf Allah und er zieht alleine los. Er hat den Weg über das Mittelmeer geschafft und befindet sich nun im freien, zivilisierten Österreich.
Die Gestaltung des Textes ist sehr besonders, denn er ist eingerahmt mit den Worten „Willkommen und Abschied“, gedruckt in der alten deutschen Schrift. Der Hintergrund der eigentlichen Geschichte wird immer grauer, bis er ganz schwarz ist und wir nichts mehr erkennen können. Auch die Schriftgröße ändert sich, je nachdem wie laut oder leise der junge Mann redet oder denkt.

Es ist ein Text, der uns beim ersten Lesen sprachlos macht und vielleicht laut vorgetragen werden sollte, denn der Rhythmus der Sprache ähnelt einem Gedicht. Ein Gedicht, das tragischer nicht endet könnte. Und das alles eingerahmt in das „Willkommen und Abschied“ des großen Goethe.
Dem Protagonisten geht die Luft aus und uns bleibt sie weg.

Den Rauriser Förderungspreis 2016 (vergeben von Land Salzburg und Marktgemeinde Rauris, dotiert mit € 4.000) zum Thema „Zeitraffer“ erhält Carlos Peter Reinelt für seinen Text „Willkommen und Abschied“.

Aus der Begründung der Jury (Thorsten Ahrend, Christine Haidegger, Christine Riccabona): „Der Text widmet sich mutig und respektvoll dem Thema Flucht aus mörderischen Verhältnissen und macht die unmenschliche Realität des Weges nach Europa sichtbar, indem er die Leser in die entsetzliche Spannung zwischen erhoffter Rettung und auswegloser Situation in einem Schlepper-LKW hineinversetzt.“

Leseprobe

Wolfgang Wolfgang von Goethe
Willkommen und Abschied

Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde!
Es war getan fast eh gedacht.
Der Abend wiegte schon die Erde,
Und an den Bergen hing die Nacht;
Schon stand im Nebelkleid die Eiche,
Ein aufgetürmter Riese, da,
Wo Finsternis aus dem Gesträuche
Mit hundert schwarzen Augen sah.

Der Mond von einem Wolkenhügel
Sah kläglich aus dem Duft hervor,
Die Winde schwangen leise Flügel,
Umsausten schauerlich mein Ohr;
Die Nacht schuf tausend Ungeheuer,
Doch frisch und fröhlich war mein Mut:
In meinen Adern welches Feuer!
In meinem Herzen welche Glut!

Dich sah ich, und die milde Freude
Floß von dem süßen Blick auf mich;
Ganz war mein Herz an deiner Seite
Und jeder Atemzug für dich.
Ein rosenfarbnes Frühlingswetter
Umgab das liebliche Gesicht,
Und Zärtlichkeit für mich – ihr Götter!
Ich hofft es, ich verdient es nicht!

Doch ach, schon mit der Morgensonne
Verengt der Abschied mir das Herz:
In deinen Küssen welche Wonne!
In deinem Auge welcher Schmerz!
Ich ging, du standst und sahst zur Erden,
Und sahst mir nach mit nassem Blick:
Und doch, welch Glück, geliebt zu werden!
Und lieben, Götter, welch ein Glück!