Montag

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Bestenliste des SWRs – und wir haben alle zehn Bücher im Laden!
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Heute haben
Blaise Cendrars * 1998
Friedrich Georg Jünger * 1898
Andrej Platonow * 1899
August Stramm * 1915
Willems Hermans * 1921
António Lobo Antunes * 1942
Andreas Maier * 1967
Geburtstag
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Passend zum frühen Morgen unser heutiger Buchtipp:

blondel

Jean-Philippe Blondel: „6 Uhr 41“
Aus dem Französischen übersetzt von Anne Braun
Deuticke Verlag € 16,90
als Ebook € 12,99
als Hörbuch auf 3 CDs€ 16,99
gelesen von Andrea Sawatzki und Christian Berkel

Ich liebe Züge. Die Stunden, die an einem vorbeirauschen. Man packt eine Tasche für die Fahrt – ähnlich wie Kinder, wenn sie noch klein sind. Man steckt zwei Bücher ein, Kaugummis, eine Flasche Wasser – am liebsten würde man auch noch seine Schmusedecke mitnehmen. Nur um die Zeit angenehm zu verbringen. Am Bahnhof angekommen, schaut man noch am Kiosk mit den Zeitschriften vorbei und kauft sich eine, vorzugsweise über die Reichen und Schönen. Es ist, als würde man an den Strand gehen – und genau wie am Strand schlägt man keinen der Romane und keine der Zeitschriften auf, isst keine der Süßigkeiten und vergisst sogar, das Wasser zu trinken. Man starrt wie hypnotisiert auf die Landschaft, die am Fenster vorbeigleitet, oder auf die rhythmisch heranrollenden Wellen.

Eine Zugfahrt um 6:41 Richtung Paris steht im Mittelpunkt dieser 120 Seiten. Eine Fahrt ohne Pause, voll mit Menschen, die zur Arbeit gehen. Mit im Zug sind Cécile und Philippe, die vor mehr als 30 Jahren für ein paar Monate gingen und sich seither nicht mehr gesehen haben. Mittlerweile haben beide verschiedene Beziehungen hinter sich, (fast) erwachsene Kinder versuchen immer noch das eigene Leben in Griff zu bekommen. Wie im richtigen Leben halt auch. Es wird kaum etwas gesprochen in diesem schmalen Roman. Das allermeiste sind Gedanken der beiden Personen, die sich kapitelweise abwechseln.
Cécile hat das Wochenende bei den Eltern verbracht. Jetzt sitzt sie erschöpft hier und ärgert sich, dass sie nicht doch schon am Vorabend zurück zu Mann und Kind gereist ist. Der Platz neben ihr ist frei, ein Mann setzt sich. Cécile erkennt ihn sofort: Philippe Leduc. Auch Philippe hat Cécile gleich erkannt.
Aber statt sich vielleicht um den Hals zu fallen und ein dreifaches, französosisches Küsschen folgen lassen, schweigen beide und verharren in einer Art Schockhaltung. Philippe wollte eigentlich schon in einen anderen Wagen weitergehen, als er sie erkannt hat, setzt sich dann aber doch. Nun rattert es in den Köpfen der beiden, wie in einer alten Eisenbahn. Beide erinnern sich an ein gemeinsam verbrachtes Wochenende in London, das dann so richtig in die Hose ging und die kurze Beziehung zum Verplatzen brachte.
Die Durchsage im Zug kündigt schon Paris an, als es zu einem unfreiwilligen Dtop auf freier Strecke kommt. Wenn Sie nun meinen, ja,  jetzt passiert es, dann haben Sie sich geschnitten. Aber beiden reden tatsächlich die ersten Worte miteinander, nachdem sie sich minutenlang überlegt haben, wie sich denn überhaupt ansprechen sollen, ob sie das überhaupt wollen und nicht lieber „unerkannt“ in der großen Stadt zu verschwinden. Es bleiben noch ein paar Minuten und ein paar wenige Seiten und es scheint nicht so, dass Cécile, die immer noch sauer auf Philippe ist, eine Bewegung auf ihn zu macht.
Wenn Sie jedoch hoffen, dass ich Ihnen die letzte Seite hier verrate, dann haben Sie sich geschnitten.
Selber lesen. Aber nicht nur den Schluss.
In Frankreich ein großer Erfolg (so schreibt der Verlag), macht es richtig Spass, die Gedanken der beiden zu lesen. Wir finden immer wieder Fetzen, die wir selbst gut kennen und selbst erlebt haben. Blondel schafft es, die Spannung bis auf die letzten Zeilen hochzuhalten und das obwohl das Allermeiste sich in den Köpfen des ehemaligen Pärchens abspielt.

Leseprobe
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Werner Färber
UNGEREIMTHEIT DER WOCHE: (aus der Reihe TRAUMBERUFE UND LEIDENSCHAFTEN)

BUCHHÄNDLER

Den Buchhändler stimmt vieles heiter,
was manch einer so von sich gibt.
„Mein Kind ist fünf, aber schon weiter“,
ist unter Eltern höchst beliebt.

„Man hat mir ein Buch empfohlen,
dunkelgrün und ziemlich dick.“
„Ich geh es schnell im Lager holen.
Einen Moment, bin gleich zurück.“

„Das Buch ist noch in Cellophan“,
sagt ein Mann, der Händler reißt es
ab, damit der Kunde blättern kann.
Gekauft wird dann ein eingeschweißtes.

„Ich bräuchte Bücher, die gut passen
zum neuen Schrank, Eiche-Natur.
Kann ich die auch liefern lassen?“
„Es dauert ein, zwei Tage nur.“

„Guten Tag, ich such‘ ein Buch“,
hebt ein andrer an sehr wichtig,
als er im Laden zu Besuch.
„Ich glaub‘, Sie sind hier durchaus richtig.“
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P.S.: Amazon ist KEIN Buchhändler
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UNGEREIMTHEIT DER WOCHE (… aus der Tierwelt):

DIE ACKERSCHOLLE
 
Selbst wenn hoch oben schwere Wellen rollen,
leben am Meeresgrund in aller Ruh’ die Schollen.
Tobt die Naturgewalt jedoch besonders kräftig,
strömt es bisweilen auch dort unten heftig.
 
So kommt es vor, dass eine Scholle wird erfasst
von starkem Sog, weil sie nicht aufgepasst.
Eine Welle wirft sie wuchtig an den Strand
und frisbeegleich geht’s tief ins Binnenland.
 
Laut heult der Sturm, sehr schlecht ist auch die Sicht,
dass sich ein Traktor nähert, merkt die Scholle nicht.
 
So überrollt nichts ahnend Bauer Bolle,
die an Land geworf’ne Ackerscholle.
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Morgen, Dienstag, 2.9. um 19 Uhr
„Die erste Seite“
Clemens Grote liest aus vier neuen Büchern.
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