Freitag, 17.März

Heute haben
Siegfried Lenz * 1926
Hans Wollschläger * 1935
Geburtstag
__________________________

Hugo von Hoffmannsthal
Vorfrühling

Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehn.

Er hat sich gewiegt,
Wo Weinen war,
Und hat sich geschmiegt
In zerrüttetes Haar.

Er schüttelte nieder
Akazienblüten
Und kühlte die Glieder,
Die atmend glühten.

Lippen im Lachen
Hat er berührt,
Die weichen und wachen
Fluren durchspürt.

Er glitt durch die Flöte,
Als schluchzender Schrei,
An dämmernder Röte
Flog er vorbei.

Er flog mit Schweigen
Durch flüsternde Zimmer
Und löschte im Neigen
Der Ampel Schimmer.

Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehn.

Durch die glatten
Kahlen Alleen
Treibt sein Wehn
Blasse Schatten

Und den Duft,
Den er gebracht,
Von wo er gekommen
Seit gestern Nacht.
____________________________

Gestern abend war der alte Wolf Paul Auster in Tübingen zu Gast. Das von der Osianderschen Buchhandlung angemeitete Kino war mit 1.000 Plätzen voll und alle waren gespannt, den amerikanischen Schrifsteller mal in echt zu erleben und vielleicht noch etwas über seinen neuen Roman „4321“ zu erfahren. Zuvor wurde uns noch mitgeteilt, daß er nach der Veranstaltung Bücher signieren wird. Allerdings nur eines pro Person und er wird auch keine Selfies mit sich machen lassen. Guter Mann, kann ich da nur sagen.
Die Moderatorin sprang dann auch gleich mitten rein und wir waren beim Autoren Auster, seinen politischen Ansichten und wie er darin seinen Roman positioniert sieht. Rassismus ist für ihn ein wichtiges Thema und das zieht sich durch die über 1.000 Seiten der deutschsprachigen Ausgabe. Die amerikanische hat 200 Seiten weniger, was aber an der deutschen Sprache liegt, ihn aber sehr imponiert, wenn er den dicken deutschen Ziegelstein in Händen hält. Ja, der Rassismus in den USA beschäftigt ihn schwer. Woran sich auch nicht viel geändert hat und wie sich die weiße Bevölkerung an Obama rächt und mit Trump hofft, wieder in der „richtigen“ Hirarchie eingeordnet zu werden. Auster las vor der gemischten Lesung (abwechselnd englisch-deutsch) die erste Seite seines Romanes vor, was mich natürlich sehr freute, da wir dies außerplanmäßig an einer unserer „Ersten Seiten“ gemacht haben. Jetzt also die Originalstimme und die Bemerkung dazu, daß der Roman hätte eigentlich „Ferguson“ heißen sollen. Aber dann wurde in der Stadt Ferguson ein schwarzer Jugendlicher von einem Polizisten erschossen und daraus resultierte heftiger Widerstand der schwarzen Bevölkerung. Auster war klar, daß der angedachte Titel nicht mehr möglich war.
Und so erfuhren wir einiges über das, was Auster selbst erlebt hat, das in den Roman eingeflossen ist, was er mit den vier Fergusons gemeinsam hat und was nicht. Wie allerdings Amy Schneiderman in den Roman gekommen ist, weiß er auch nicht so genau. Aber er weiß, daß sie extrem wichtig für die vier Fergusons und den Text ist.
Insgesamt ein schöner Abend mit einem unaufgeregten, erfahrenen, klugen Autoren, der sehr erkältet war und kaum ein Wort herausgebracht hat. Auf dem Weg nach Hause hing der Mond nicht über Manhattan, sondern dick und fett vor mir über der Autobahn.

Samstag, 28.Januar

img_1651

Heute haben
Colette * 1873
Hermann Kesten * 1900
Hermann Peter Piwitt * 1935
David Lodge * 1935
Anselm Glück * 1950
Arnuldur Indridason * 1961
Geburtstag

Hilfe! Mein PC geht nicht mehr und das Bloggen wird nun schwierig.
Was ich Ihnen jedoch nicht vorenthalten will, ist die erste Seite des neuen Romans von Paul Auster, der insgesamt 1.300 Seiten hat.
So einen Einstieg habe ich selten gelesen und da ich ja ein großer Freund von ersten Seiten bin, kommt sie jetzt auch für Sie:

1.0
Der Familienlegende zufolge verließ Fergusons Großvater, versehen mit
hundert Rubeln, die ins Futter seines Jacketts eingenäht waren, zu Fuß
seine Heimatstadt Minsk, gelangte über Warschau und Berlin nach
Hamburg und buchte dort die Überfahrt auf einem Schiff namens Kaiserin
von China, das bei rauen Winterstürmen den Atlantik überquerte
und am ersten Tag des zwanzigsten Jahrhunderts im New Yorker Hafen
einlief. Auf Ellis Island, beim Warten auf die Befragung durch einen
Einwanderungsbeamten, kam er mit einem anderen russischen Juden
ins Gespräch. Der Mann riet ihm: Vergiss den Namen Reznikoff. Der
wird dir hier nichts nützen. Du brauchst einen amerikanischen Namen,
einen, der sich gut amerikanisch anhört. Da das Englische für Isaac Reznikoff
im Jahr 1900 noch eine Fremdsprache war, bat er seinen älteren,
erfahreneren Landsmann um einen Vorschlag. Sag ihnen, du heißt Rockefeller,
sagte der Mann. Damit kannst du nichts falsch machen. Eine
Stunde verging, und noch eine, und als der neunzehnjährige Reznikoff
endlich bei dem Einwanderungsbeamten an die Reihe kam, hatte er den
Namen, zu dem der Mann ihm geraten hatte, längst wieder vergessen.
Ihr Name?, fragte der Beamte. Der müde Einwanderer schlug sich verzweifelt
an die Stirn und platzte auf Jiddisch heraus: Ich hob fargessen!
Und so begann Isaac Reznikoff sein neues Leben in Amerika als Ichabod
Ferguson.

978-3-498-00097-4

Paul Auster: „4321
Rowohlt Verlag € 29,95