Morgens um 7 ist die Welt noch in Ordnung.
Oder?
Sonne, schwarzer Himmel, Regenbogen, Regentropfen.
Was mag da noch alles folgen?
Jetzt erst mal auf die Piste und dann stelle ich das Buch zum Sonntag vor.
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Mein Buchtipp ist heute ein ganz besonderes Leseereignis.
Otto Dov Kulka: „Landschaften der Metropole des Todes„
Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft
Originaltitel: Landscapes of the Metropolis of Death: Reflections on Memory and Imagination
Aus dem Hebräischen von Inka Arroyo Antezana, Anne Birkenhauer, Noa Mkayton
DVA € 19,99
Die Metropole des Todes, das ist Auschwitz-Birkenau. Als Kind wird Otto Dov Kulka zusammen mit seiner Mutter erst in das Ghetto Theresienstadt und dann nach Auschwitz deportiert. Er überlebt die zweimalige Liquidierung des sogenannten Familienlagers und verlässt Auschwitz schließlich im Januar 1945 auf einem Todesmarsch. Lange Zeit hat er über seine Erlebnisse geschwiegen, sich als Historiker allein streng wissenschaftlich mit dem Mord an den Juden befasst. In diesem außergewöhnlichen Text erkundet Kulka nun die Fragmente seiner Erinnerung an Auschwitz, die wiederkehrenden Träume und Bilder, die sein Leben begleiten und unauslöschlich prägen. Als Grundlage dienen ihm seine Tonbandaufzeichnungen, die er vor Jahren gemacht hat und seine innersten Gedanken ganz privat gesprochen hat.
Mehrere Male springt der 10jährige Kulka dem Tod von der Schippe. Durch Zufälle, die einfach nicht zu erklären sind. Es gibt aber auch eine Episode, in der er am Drahtzaun hängt, in der Luft zu schweben scheint und sich schon als Toten von außen sieht, bis ihm ein Mitgefangener mit der Schaufel mehrfach gegen die Brust schlägt und ihn so vom Strom trennt.
Das Buch beginnt, wie Kulka nach einer Tagung in Polen, sich mit dem Taxi nach Birkenau fahren lässt und wie er dort zu Fuss das Gelände abläuft. Er erinnert sich an bestimmte Stellen und Orte. Anderes ist ihm sehr fremd. Dies ist der Einstieg zu Erinnerungen, die Kulka auf seinen unsortierten Aufzeichnungen gesprochen hat. Es finden sich Episoden, in denen er schildert, wie es dort im Familienblock eine Kindertheatergruppe gab. Wie sich diese Gruppe bei öffentlichen Aufführungen über das KZ-System lustig macht. Wohl wissend, dass der Weg aus den Lagern nur durch den Kamin möglich ist. Kulka schreibt über den Abschied von seiner Mutter, die sich versetzen lässt und sich auf dem Weg dorthin nicht mehr nach ihm umdreht. Wer ist Orpheus, wer ist Eurydike?, fragt Kulka.
Abschließend findet sich ein Aufsatz von Kulka, der sich wissenschaftlich mit der Metropole des Todes auseinandersetzt.
In der FAZ schreibt Katharina Hacker eine Rezension, die wirklich lesenswert ist.
FAZ-Artikel
Leseprobe
Ein ganz starkes Buch, das sich durch seine Art weit von vielen anderen Büchern absetzt.
Sehr lohnenswert.
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Sonntage sollten 58 Stunden haben:
auch wenn die Zeit nicht stehn bleiben wird:
Zeit ist´s, daß das Nachtgestirn verglühe,
Lerchen schmettern in der Morgenfrühe,
Und der junge Tag mit freudigen Schlägen
Eilt der Sonne und dem Glanz entgegen.
(Christian Wagner , Vermächtnis
5. August 1835 in Warmbronn (heute zu Leonberg); † 15. Februar 1918 in Warmbronn)