Predigt, Sonntag 22.März

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Predigt für den Sonntag Lätare (22. März 2020) über Jesaja 66,10-141
von Prälatin Gabriele Wulz, Ulm
(Es ist der reguläre Predigttext, den die Leseordnung für diesen Sonntag vorsieht.)

Jesaja 66:
10 Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid. 11 Denn nun dürft ihr saugen und euch satt trinken an den Brüsten ihres Trostes; denn nun dürft ihr reichlich trinken und euch erfreuen an ihrer vollen Mutterbrust. 12 Denn so spricht der HERR: Siehe, ich breite aus bei ihr den Frieden wie einen Strom und den Reichtum der Völker wie einen überströmenden Bach. Da werdet ihr saugen, auf dem Arm wird man euch tragen und auf den Knien euch liebkosen. 13 Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet; ja, ihr sollt an Jerusalem getröstet werden. 14 Ihr werdet’s sehen und euer Herz wird sich freuen, und euer Gebein soll grünen wie Gras. Dann wird man erkennen die Hand des HERRN an seinen Knechten und den Zorn an seinen Feinden.

Liebe Leserin, lieber Leser, liebe Gemeinde,

„Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“
Was für ein Wort in diesen so trostbedürftigen Zeiten.„O Heiland, reiß die Himmel auf“ –denke ich gerade sehr oft und singe das alte Adventslied –und frage mit ihm: „Wo bleibst du Trost der ganzen Welt?“

Wir suchen nach Trost. Wir sehnen uns nach Trost.Das Corona-Virus hat unser Leben durcheinandergewirbelt. Die Alltagsroutinen gibt es nicht mehr. Damit ist ein großes Stück Sicherheit mit einem Schlag verschwunden. Im Gegenzug machen sich Ängste breit.Die Unsicherheit wächst. Ich merke, wie um mich herum ganz viele Menschen ganz viel tun wollen – und es doch nicht können.

Wie verlockend ist da das Bild, zur Ruhe zu kommen. Getröstet zu werden. Wie von einer Mutter auf den Schoß genommen zu werden. Sanft gestreichelt zu werden. Zu hören: Alles wird gut.

Menschen suchen nach Trost. Sehnen sich nach Trost.Und trotzdem wollen sie sich nicht gerne trösten lassen. Vielleicht, weil das am eigenen Selbstbild kratzt. Ich will nicht krank, nicht schwach oder verletzt erscheinen.Es kann aber auch sein, dass ich untröstlich sein will, weil der Schmerz das einzige ist, was mir geblieben ist.

2Wenn Trost mehr sein soll als Vertröstung. Mehr sein soll als der hilflos stammelnde und stotternde Versuch und die Bitte, den erstarrten Blick zu lösen und auf anderes zu richten, dann braucht es mehr als den mütterlichen Trost, an den wir uns aus Kindertagen erinnern.Wenn Trost Heilung bringenbedeutet und Wiederherstellung dessen, was wir nicht zu erhoffen und zu erträumen wagen, dann muss dieser Trost von Gott her kommen.Muss Trost-Wort und Trost-Tat Gottes in einem sein.

Solchen Trost verspricht der Prophet Jesaja im Namen und im Auftrag Gottes. Trost, der den Schmerz beendet und die Trauer beseitigt. Trost, der Neues schafft und das Alte vergessen macht.Trost, der zurückbringt, was zerstört daliegt.Gottes Trost beendet den Schmerz, stillt den Jammer, wischt die Tränen ab und gibt Antwort auf die Fragen, die zu schwer und zu groß für uns sind.Gottes Trost füllt des Lebens Mangel aus –und ist so Grund unseres Lebens und unsere Hoffnung im Sterben.

„Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“Das könnte man sentimental missverstehen. Als ein Rundum-Wohlfühl-Paket. Als ein Pflaster für alle Lebens-und Notlagen. Und dem im Grunde kaum jemand wirklich Vertrauen schenkt.

Jesaja redet im Auftrag und im Namen Gottes von einem anderen Trost. Von einem Trost, der die Kritik miteinschließt.Kritik an leeren Worten. Kritik an einem Tun, das die Gerechtigkeit aus den Augen verloren hat. Kritik an harten, verbohrten Herzen.

Auf diesem Hintergrund werden die Katastrophen, die Israel erlebt, als Geduldsproben interpretiert. Und der Neuanfang, den Gott setzt, mit einer Geburt verglichen.Und dabei steht eines fest –und das gilt in allen Abbrüchen und Neuanfängen:So wenig wieeine Mutter ihren Säugling verlässt, so wenig wird Gott Israel verlassen.Und selbst wenn es doch einmal eine Mutter tun sollte und ihr neugeborenes Kind verlässt: Gott wird das nicht tun. Denn Gott ist treu.Und er liebt diese Welt. Mit allen Risiken.

Der Trost Gottes richtet sich nicht an Kleinkinder und auch nicht an solche, die es in schlimmen Zeiten wieder am liebsten wären.Sondern an Erwachsene. An gestandene Männer und Frauen.An Menschen, die Leid erprobt und Leid erfahren sind und die weitermachen.Weiterleben. Weiter hoffen. Weiter glauben.Und so in der Spur bleiben.Und das tun, was nötig ist. Im Wissen darum, dass all unser Tröstensich auf den Trost richtet, den Gott verheißen hat. Amen