Mittwoch, 22.Juli

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Heute haben
Oskar Maria Graf * 1894
Tom Robbins * 1936
Arno Geiger * 1968
Franka Potente * 1974
Geburtstag
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Conrad Ferdinand Meyer
Der schöne Tag

In kühler Tiefe spiegelt sich
Des Juli-Himmels warmes Blau,
Libellen tanzen auf der Flut,
Die nicht der kleinste Hauch bewegt.

Zwei Knaben und ein ledig Boot –
Sie sprangen jauchzend in das Bad,
Der eine taucht gekühlt empor,
Der andre steigt nicht wieder auf.

Ein wilder Schrei: „Der Bruder sank!“
Von Booten wimmelt′s schon. Man fischt.
Den einen rudern sie ans Land,
Der fahl wie ein Verbrecher sitzt.

Der andre Knabe sinkt und sinkt
Gemach hinab, ein Schlummernder,
Geschmiegt das sanfte Lockenhaupt
An einer Nymphe weiße Brust.
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Marie-Hélène Lafon: „Die Annonce“
Aus dem Französischen von Andrea Spingler
Rotpunktverlag € 22,00

Solche Romane kenne ich aus der Schweiz. Diese spezielle, ruhige Art zu erzählen, die Beschreibungen einer verschwindenden, verschwundenen Welt und das auf dem Hintergrund einer besonderen Liebesgeschichte.  Paul, 46, ist Bauer in der Auvergne. Mitten im Nirgendwo, auf tausend Metern Höhe, betreibt er den familieneigenen Hof. Nur will er nicht wie seine beiden alten Onkel als Junggeselle enden und gibt eine Annonce auf.
In einer tristen Industriestadt am anderen Ende Frankreichs hat Annette, 37, gerade eine gescheiterte Beziehung mit einem straffälligen Alkoholiker hinter sich. Einen Vater im Gefängnis möchte sie ihrem elfjährigen Sohn Éric nicht auch noch zumuten, und sie reißt die Annonce aus der Zeitschrift aus.
Marie-Hélène Lafon verfügt über eine sehr rhythmische Sprache, oft mit Einschüben ohne Kommata, wie wenn die Geschichte so nebenbei erzählt werden würde. Und doch dringen wir in das Seelenleben der einzelnen Personen ein.
Souverän hält Marie-Hélène Lafon den Ausgang der vielschichtigen Narration in der Schwebe. Dennoch bleibt „Die Annonce“ ein Abgesang. Eindrucksvoll und ohne Bedauern lässt sie archaisch anmutende, bäuerliche Lebensweisen untergehen.

„Die Annonce“ stand auf der Shortlist des Prix Renaudot, wurde mit dem Prix Pages des libraires ausgezeichnet und von Arte verfilmt. Es ist ihr erstes Buch in deutscher Übersetzung.

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