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Geburtstag
Wer gestern nicht im Vortrag von Jörg Friedrich in der vh Ulm war, der hat einen sehr informativen, gleichzeitig unterhaltsamen und hoch aktuellen Vortrag verpasst.
Als Mitherausgeber des Buches „Refugees Welcome“ stellte er diverse Projekte vor, wie wir die jetzige Flüchtigswelle als Chance nützen und zum Wohle der Neuankömmlinge passende Wohnformen gestalten können.
„Refugees Welcome„
Konzepte für eine menschenwürdige Architektur
Jörg Friedrich / Simon Takasaki / Peter Haslinger / Oliver Thiedmann / Christoph Borchers (Hg.)
Jovis Verlag € 28,00
256 Seiten, ca. 140 farb. Abb. und Pläne
Täglich machen sich Menschen auf den beschwerlichen Weg nach Europa und nach Deutschland – auf der Flucht vor Gewalt, Hunger, Verfolgung, Armut, Naturkatastrophen. Wem es gelingt, die streng gesicherten Außengrenzen der EU zu überwinden, landet meist in überfüllten Notunterkünften an der Peripherie der Städte, ohne gesicherten Aufenthaltsstatus und ohne Chance auf gesellschaftliche Integration. Die Politik scheint zu kapitulieren angesichts des angeblich nicht mehr zu bewältigenden Ansturms an Flüchtlingen. Wir brauchen neue Ideen für eine Willkommenskultur – und das heißt auch für eine angemessene Unterbringung der Neuankömmlinge im Herzen der Städte, in der Mitte der Gesellschaft.
Refugees Welcome zeigt, dass und wie dies möglich ist. Basierend auf einem Entwurfsprojekt an der Leibniz-Universität Hannover, präsentiert das Buch Handlungsstrategien und konkrete architektonische Konzeptmodelle für innovative und prototypische Formen des Wohnens für Flüchtlinge. Die Herausgeber plädieren für eine menschenwürdige „Architektur des Ankommens“ und fordern das Recht auf Architektur ein – auch für Flüchtlinge.
Dies schreibt der Verlag in seiner Ankündigung.
Entstanden ist dieses Projekt, bevor die Flüchtungswelle auch nach Deutschland gekommen ist. Plötzlich stand das Fernsehen vor der Türe und berichtete groß drüber.
http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=54096
Kurz vor Drucklegung des Buches war der Bürgermeister von Hannover überzeugt, dass die angezielte Aufnahme von 4.500 Flüchtlingen nicht zu schaffen sei. Vielleicht 20 oder 30. So wurden ausserhalb Container aufgebaut, um die Ankommenden unterzubringen. Diese zogen relativ schnell in eine Zeltstadt in die Innenstadt. Denn dort sind die Wege zu Behörden, zu Ärzten zu anderen Menschen kürzer. Jörg Friedrich besuchte mit seinen Studenten dieses neue Lager und fand plötzlich ein Bild auf der Straße, das ein Kind dort mit Kreide hingemalt hat. Ein Haus in typisch deutscher Art war dort zu sehen. So wie wir auch ein Haus malen würden. Mit schrägem Dach, Dachschindeln, Kamin mit Rauch, Fenstern und einer Türe zentral in der Mitte. Für Friedrich war dies die Initialzündung für dieses und weitere Projekte. Diese Sehnsucht nach Geborgenheit, das das Bild ausstrahlte traf ihn mit voller Wucht.
Ist diese Fluchtwelle eigentlich neu?, fragte er als nächstes. Nein, wirklich nicht. Schon immer waren Menschen auf der Flucht. In der Bibel ging es durch Rote Meer, im 17.Jahrhundert gab es große Wanderungen der Hugenotten, die aus Frankreich vertrieben worden sind. Hungersnöte, die Verfolgung der Juden in Europa sind uns noch gut in Erinnerung.
Es gibt ca. 60 Millionen Flüchtlinge auf der Welt.
2,4 Millionen in Europa
1,0 Million in Deutschland
20 % davon sind Kinder
11.000 wurden abgeschoben
Die Türkei nahm 2,3 Millionen auf
Der Libanon 1,5 Millionen. Dort gibt es mehr Flüchtlinge als Einwohnen.
Durch Neuansiedlungen enstanden auch neue Architekturen. So gibt es in Schleswig-Holstein eine Ortschaft ganz im Stile holländischer Bauweise. Damals bekamen diese Flüchtlinge vom König ein unwirtliches nassen Gebiet. Er wusste, dass diese Menschen sich gut mit Wasser auskannten. Und so kam es auch. Diese Holländer legte das Gelände trocken, bebauten es und machten es zu ihrer neuen Heimat.
Der Gendarmenmarkt in Berlin ist auch so ein Beispiel. Dort entstand etwas ganz Neues. Und immer wurde schon damals darauf geachtet, dass es öffentliche Räume, Plätze für jedermann, Theater, Kirchen, Schulen im Zentrum gab.
Diese Franzosen sprachen in der 1.Generation kein Deutsch. Erst in der 3. und 4.Generation unterhielten sie sich in ihrer neuen Sprache. Beide hier genannten Beispiele sind mittlerweile UNESCO Weltkulturerbe.
Wie man viele Menschen auf kleinstem Raum ansiedeln kann, zeigt das Ghetto in Venedig. Dort entstanden Hochhäuser mit bis zu 10 Stockwerken. Eng zusammengequetscht und trotzdem immer darauf bedacht, dass es freie Plätze zum Luftholen und für die Kommunikaton gibt.
Im Gegensatz dazu Ellis Island. Die kleine Insel vor Manhattan, auf der alle Ankömmlingen untergebracht worden sind. Dort gab es jährlich bis zu 5.000 Selbstmorde.
Nach 1945 kamen 2,5 Millionen Flüchtlinge aus dem Osten. Für sie wurde neuer, günstiger Mietraum geschaffen, der zum Teil heute noch existiert. Auf dem gezeigten Foto waren die damals schon angelegten Grünflächen zu sehen. Früher als Gärten genutzt, heute als wohltuendes Grün.
Eine andere Flüchtlingsform ist die Urlauberwelle Richtung Mittelmeer. Dass dort (in Spanien) ein grausame Architektur in bester Lage entstanden ist, zeigte ein weiteres Bild. Bauruinen und buntes Leben am Strand. Fürs Auge genau so schlimm, wie die Container bei uns.
Zwei Fehler gibt es gleich zu Beginn, sagt Friedrich:
1. Der Zaun
2. Die Container
Und so entwickelten er und seine Teams neue Bauformen, die günstig zu erstellen sind, die erweiterbar und umgestaltbar sind. Gerade im Süden, dort wo die Sonne fast das ganze Jahr brennt, ist Schatten wichtig. Strom, Wasser, Schatten, Kühlschränke und Steckdosen. Dies entdeckte er auf Lampedusa und erdachte sich neue Wohnformen auf dem Wasser, da diese Insel viel zu klein für die vielen Flüchtlinge ist. Kleine künstliche Inseln aus Holz, die ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Weiterhin erdachten sie sich kleine Inseln auf dem Mittelmeer, an denen Boote anlegen können, um sich mit Frischwasser, Strom und Nahrung versorgen können. Diese Inseln könnten autark mit Sonnenkollektoren und Maschinen zur Gewinnung von Trinkwasser ausgerüstet sein.
Die Idee dazu kam, weil Containerschiffe Flüchtlingsboote aufnehmen müssen und es extra dafür eine Kontrollbehörde in Rom gibt, die diesen Schiffen mitteilt, wo sich Schiffe befinden. Im Gegenzug haben sich die Reeder zusammengetan und leiten ihre Schiffe um, damit ihre Ladung nicht mit großer Verzögerung am Zielhafen ankommt. Profit vor Menschenleben, sagt Friedrich und konnte es kaum fassen.
Er nannte noch viele Beispiel aus der Vergangenheit, streute immer wieder Beispiel aus der Malerei ein. Am Ende seines Vortrages nannte er im Schnelldurchgang einige seiner Beispiele, die er an Unis entwickelt hat und die alle im Buch hervorragend dokumentiert sind.
Messehallen sind hervorragend geeigent. Allerdings nicht so, wie es im Moment gemacht wird. Er selbst verbrachte eine Nacht auf einer Matratze und hielt den Lärm und die 8 Meter hohe Decke kaum aus. Aber warum baut Audi riesige Messestände für ein paar Tage auf und warum gestalten wir nicht eine Stadt in der Stadt innerhalb der Messehallen und lassen die hohen Decken durch geschlossene Wohneinheiten nicht einfach verschwinden?
Leerstehende Denkmäler können umgebaut werden.
Parkhäuser stehen zu 80% zur Hälfte leer. Ideal sind diese Gebäude, da sie zentral liegen und eine unglaubliche Tiefe haben, die super genutzt werden kann.
Es gibt ca. 3.000 leere Frachtboote auf deutschen Flüssen, die nicht mehr genutzt werden, da keine Kohle mehr transportiert wird.
Aufstockungen auf Häusern. So können auf den Flachdächern vieler Unis neue Wohneinheiten für Flüchtlinge gebaut und ein enges Miteinander von Studenten, Lehrenden und Lernen enstehen.
Schrebergärten gibt es in Deutschland ca. 1,7 Millionen.
Wenn also jeder Schrebergarten nur einen Flüchtling … (das nur als kleine Anmerkung). Aber auch hierfür gibt es Beispiel, die dann auch den Weg in die überregionale Presse fand.
Es bedarf allerdings Eigeninitiative, neuer Debatten. Die Verwaltungen zeigen sich im Moment aber als sehr flexibel, was Vorschriften anbelangt. So können Richtwerte und Vorgaben für einzelne Projekte verändert werden, damit eine neue, wachsende Architektur entstehen kann, die günstig ist und je nach Bedarf verändert werden kann. Denn es geht ihm nicht im ein temporäres Bauen, sondern um eines auf Zeit, wie die Geschichte gezeigt hat.
Dies und noch viel mehr können sie in dem vorgestellten Buch nachlesen.
Der Erlös geht zu 100% in eines seiner Flüchtlingsprojekte.
„Es wäre wünschenswert, dass stimmberechtigte Abgeordnete dieses Buch lesen, um noch besser zu verstehen, bevor sie entscheiden, worum es gehen muss – um Architektur für Menschen, die leben und zusammenleben wollen.“
(Bauwelt 48/2015; Josepha Landes; www.bauwelt.de/Refugees-Welcome)
(alle Bildrechte beim Jovis Verlag und Jörg Friedrich)