Heute haben
Andreas Gryphius * 1616
Graham Greene * 1904
Helga Schütz * 1937
Anna Mitgutsch * 1948
Lisa St.Aubin de Terán * 1953
Geburtstag

Andreas Gryphius
Morgen Sonnet
Die ewig helle schar wil nun jhr licht verschlissen/
Diane steht erblaßt; die Morgenrötte lacht
Den grawen Himmel an/ der sanffte Wind erwacht/
Vnd reitzt das Federvolck/ den newen Tag zu grüssen.
Das leben dieser welt/ eilt schon die welt zu küssen/
Vnd steckt sein Haupt empor/ man siht der Stralẽ pracht
Nun blinckern auf der See: O dreymal höchste Macht
Erleuchte den/ der sich jtzt beugt vor deinen Füssen.
Vertreib die dicke Nacht/ die meine Seel vmbgibt/
Die Schmertzen Finsternüß die Hertz vnd geist betrübt/
Erquicke mein gemüt/ vnd stärcke mein vertrawen.
Gib/ daß ich diesen Tag/ in deinem dinst allein
Zubring; vnd wenn mein End‘ vnd jener Tag bricht ein
Daß ich dich meine Sonn/ mein Licht mög ewig schawen.

Mitternacht
Schrecken/ vnd stille/ vnd dunckeles grausen/ finstere kälte bedecket das Land/
Jtzt schläfft was arbeit vnd schmertzen ermüdet/ diß sind der trawrigen einsamkeit stunden.
Nunmehr ist/ was durch die Lüffte sich reget/ nunmehr sind Thiere vnd Menschen verschwunden.
Ob zwar die jmmerdar schimmernde lichter/ der ewig schitternden Sternen entbrand!
Suchet ein fleißiger Sinn noch zu wachen? der durch bemühung der künstlichen hand/
Ihm die auch nach vns ankommende Seelen/ Ihm/ die an jtzt sich hier finden verbunden?
Metzet ein bluttiger Mörder die Klinge? wil er vnschuldiger Hertzen verwunden?
Sorget ein ehren-begehrende Seele/ wie zuerlangen ein höherer stand?
Sterbliche! Sterbliche! lasset diß dichten! Morgen! ach! morgen ach! muß man hin zihn!
Ach wir verschwinden gleich alß die gespenste/ die vmb die stund vnß erscheinen vnd flihn.
Wenn vnß die finstere gruben bedecket/ wird was wir wündschen vnd suchen zu nichte.
Doch wie der gläntzende Morgen eröffnet/ was weder Monde noch Fackel bescheint:
So wenn der plötzliche Tag wird anbrechen/ wird was geredet/ gewürcket/ gemeynt.
Sonder vermänteln eröffnet sich finden vor deß erschrecklichen Gottes Gerichte.
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Gestern ausgepackt und heute möchte ich Ihnen das Buch gleich vorstellen.
„Hallgatás“ ist der Erstlingsroman der Schweizer Schriftstellerin und Journalistin Ursula Pecinska. Was bisher nicht möglich schien, woran vielleicht auch niemand gedacht hat, ist nun geschehen. Ursula Pecinska hat eine Fortsetzung, einen zweiten Teil von Sandor Marais Roman „Die Glut“ geschrieben und zwar aus der Sicht der Ehefrau.
Geht das? Darf sie das? Ja, zwei mal ja. Es funktioniert.
Ursula Pecinska: „Hallgatás. Das Tagebuch der Krisztina„
Bilger Verlag € 22,90
Wir erinnern uns noch an die „Glut“, der Roman, der 1950 erstmals auf deutsch erschienen ist und zwar unter einem Titel, der dem Original sehr nahe kommt: „Die Kerzen brennen ab“. 1995 brachte der Piper Verlag eine Neuübersetzung von Christina Viragh unter dem Titel „Die Glut“ heraus. Dies wurde ein großer Erfolg und es begann eine, immer noch nicht endende Renaissance des Werkes von Sandor Marai.
Der Roman spielt im Jahr 1941 auf einem Schloss in den Karpaten. Der alte Schlossherr Henrik erwartet seinen Jugendfreund Konrád, den er seit 40 Jahren nicht gesehen hat. Die Freundschaft der beiden Männer wurde durch einen Vorfall zerstört, Konrád verlässt das gemeinsame Dach und flieht in die Tropen. Damals waren sie unzertrennlich, obwohl Henrik aus reichem Adel und Konrád der Sohn eines verarmten Barons ist. Auf der Jagd meint Henrik, dass sein Freund sein Gewehr auf ihn anlegt, jedoch nicht abdrückt. Danach ist Konrád verschwunden und die Ehe von Henrik und seiner Frau Krisztina zerbricht. Die beiden reden keinen Ton mehr miteinander. Vielmehr er verweigert jeden Kontakt mit ihr und beiden ziehen in entfernte Flügel des weitläufigen Schlosses, bis Krisztina acht Jahre danach stirbt. Nun sind also 40 Jahre vergangen. Konrád meldet sich zu einem Besuch an und wir erleben ein Gespräch der beiden alten Männer, wobei sich Konrád nur zu Beginn zu Wort meldet. Danach entwickelt sich das Gespräch zu einem Monolog von Henrik, der von seinem Freund und Gegenspieler zwei Fragen beantwortet haben will. Warum er auf ihn gezielt und ob er ein Verhältnis mit seiner Frau hatte. Auf beide Fragen erhält er jedoch keine Antwort und das einzige Beweismittel, dasTagebuch von Krisztina, landet ungelesen im offenen Kaminfeuer.
Wir erinnern uns sicherlich an dieses Buch, das damals für großes Aufsehen gesorgt hat. Nun erfahren wir im gerade erschienen Roman „Hallgatás. Das Tagebuch der Krisztina“, was in diesem Tagebuch der Ehefrau gestanden hat. Das einzige Beweisstück, das für die Ewigkeit verschollen schien, liegt vor uns. „Hallgatás“ heisst im Ungarischen „Schweigen“ und das wird hier, zumindest von Seiten der Ehefrau aufgebrochen. Und wenn es natürlich nicht das Originaltagebuch sein kann, so ist es doch eine gelungenes Debut. Ein schöner Liebes- und Sehnsuchtsroman, der mit den Motiven gekonnt spielt. Es gilt nicht das große Geheimnis zu lüften und Antworten zu finden auf die beiden Fragen. Allein die Idee der Autorin, die sicherlich genauso fasziniert von „Der Glut“ war und ist, funktioniert und wir tauchen wieder ein in eine Zeit, die noch nicht lange her ist und uns doch sehr fremd in seinen Zwängen, Moralvorstellungen und Lebensweisen. Natürlich schreibt die Autorin aus einer weiblichen Sicht und ergänzt so den Männertext von Marai.
Krisztina schrieb täglich in ihr Buch und legte es in die Schreibtischschublade das Mannes. Immer in der Hoffnung, er möge hineinschauen und vielleicht den Fluch des Nichtmiteinanderredens zu brechen. Doch dies geschieht nicht und Krisztina stirbt, ohne mit ihrem Mann in Kontakt getreten zu sein. Es ist ein Roman mit vielen Hoffnungen einer weltoffenen, nach Neuheiten gierenden Frau, die mit ihren Bediensteten auf dem Schloss lebt und ihre wahren Träume nicht erfüllen kann. Diese Gefühle, dieses Hoffen und Bangen hat Ursula Pecinska gekonnt aufgeschrieben und jetzt veröffentlicht.
„In jener Nacht legte ich das Tagebuch in Deine Schreibtischschublade, wie wir das seit vier Jahren handhaben. In den ersten Tagen nach Deinem Auszug bin ich morgens jeweils mit klopfendem Herzen zu Deinem Schreibtisch geeilt, erfüllt von einer irrationalen Gewissheit, in unserem kleinen Buch würde ich – dieses Mal, dieses Mal ganz gewiss – die Antwort auf das Unbegreifliche Deines Auszugs, Deines Schweigens, Deiner Rückweisung finden. Und tief, abgrundtief meine Enttäuschung! Du hast es nicht geholt, nicht holen lassen!“
Dank an Ricco Bilger, in dessen Verlag das Buch erschienen ist.
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Es folgt ein weiterer Abschnitt aus „Applaus für Bronikowski“, aus dem Kai Weyand bei uns am kommenden Donnerstag ab 19 Uhr lesen wird.
Aber dann kam eines Tages im November das Abendessen, das zwar wie immer genau neunzehn Uhr begann, aber nicht wie sonst mit leeren Tellern, gefüllten Bäuchen und mittlerer Laune endete. Nies hatte sich schon am Nachmittag gewundert, dass seine Mutter in der Küche laut mit Geschirr hantierte. Ein Römertopf stand bereit, und die ganze Küchenablage war vollgestellt mit Schüsseln, Raspeln, Gewürzen und anderen Dingen, die deutlich machten, dass dem Tag das Alltägliche genommen werden sollte. Es musste etwas Außerordentliches vorgefallen sein, wenn es nicht wie sonst Brot und Aufschnitt geben sollte.
NC hatte noch immer das Lächeln seines Vaters -deut-lich vor Augen, wie er sich voller Vorfreude an den Tisch setzte und seiner Frau verschwo-rene Blicke zuwarf, als sei er sich der Überraschung -bewusst, die es hervorrufen würde, wenn sich gleich das Geheimnis lüftete. Nies spürte ein Kribbeln im Bauch, das ihn sonst nur zu Weihnachten und Geburtstagen befiel, wenn sein Vater ebenso geheimnisvoll tat und auch seine Mutter geschäftig die Besonderheit der Tage unterstrich.
Nies und Bernd sollten raten. Nies tippte auf -einen Familienurlaub in Übersee, Bernd auf ein neues Auto.
Übersee ist nicht falsch und neues Auto ist auch nicht falsch, sagte ihr Vater, aber ganz richtig ist es auch nicht.
Nies und Bernd schauten sich fragend an. Mehr?, fragte Bernd.
Die Mutter fing an zu lachen, und der Vater hob die Schultern, als sei er ahnungslos.
Nies strahlte. Ein Haus!, rief er und schlug sich die Hände vors Gesicht, als sei er selbst erschrocken über das Ausmaß an Neuigkeiten, das sich da vor ihm auftat.
Auch nicht falsch, sagte der Vater, und die Mutter forderte ihn lachend auf, die Kinder nicht länger auf die Folter zu spannen.
Schließlich nannte der Vater sechs Zahlen, die -ihnen einen hohen fünfstelligen Gewinn bei einer Lotterie -beschert hätten. Wahnsinn, oder?, rief er erregt, einmal im Leben Glück, und grad, wenn’s passt.
So sehr sich Nies gerade noch gefreut hatte, so ratlos war er auf einmal. Einmal im Leben Glück. War sein Vater bisher unglücklich gewesen?
Das Geld reicht für einen Neuanfang, sagte der Vater. Er legte seine rechte Hand auf die seiner Frau, drückte sie, zwinkerte seinen Söhnen zu und sagte: Auch für euch.
Nies konnte das Lächeln seines Vaters nicht erwidern. Er senkte seinen Blick. Warum hatte er auch für euch gesagt und nicht für uns? Sprachen sie nicht sonst immer von wir und meinten alle vier, die ganze Familie?
Wozu brauchen wir einen Neuanfang?, fragte er. Nies ahnte plötzlich, dass seine Eltern und er die -Vergangenheit unterschiedlich wahrgenommen haben mussten. Es fiel ihm schwer, die aufkommenden Tränen zurückzuhalten.
Jeder Mensch hat einen Lebenstraum, sagte sein Vater, und wenn die Chance da ist, ihn zu leben, muss man das tun.
Genau so ist es, stimmte Bernd zu, sein Vater -lächelte, und die Mutter fuhr ihm mit der Hand zärtlich über die Wange. Nies spürte einen Stich ins Herz.
Was ist denn euer Lebenstraum?, fragte er schließlich und ärgerte sich, dass seine Stimme in die Höhe sprang, als hätte er Angst vor etwas.
Kanada, sagten seine Eltern wie aus einem Mund.
Cool. Bernd nickte anerkennend, und Nies spürte wieder, wie fremd ihm sein Bruder war. Kanada, hatte er jemals seine Eltern von Kanada sprechen hören? Er konnte sich nicht erinnern. Es dauerte eine Weile, bis Nies verstand, dass er und sein Bruder in dem Lebens-traum Kanada nicht vorkamen, das heißt, sie kamen schon vor, aber nicht in Kanada. Bernd war bereits achtzehn, hatte im Sommer die Realschule mit dem besten Jahrgangsergebnis abgeschlossen und im Herbst eine Banklehre begonnen. Die Eltern sahen in der Straightness, wie sie seine Art der Lebensführung bezeichneten, nicht nur, dass er willens und könnens war, Verant-wortung für sein Leben zu übernehmen, sondern auch das Potenzial, für seinen Bruder zu sorgen, bis der die Volljährigkeit erreicht und die Schule abgeschlossen hätte.

Kai Weyand geb. 1968, Studium, Arbeit als Lehrer im Strafvollzug, Mitarbeiter einer Sozietät, lebt in Freiburg. Er ist mit dem 1. Preis beim open mike der LiteraturWERKstatt Berlin, dem Irseer Pegasus und dem Bolero-Literaturpreis ausgezeichnet worden.