Heute haben
Issac B.Singer * 1904
Natalia Ginzburg * 1916
Polina Daschkowa * 1960
Geburtstag.
Aber auch Gustav Klimt, Ingmar Bergman und Lino Ventura.
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Bachtyar Ali: „Der letzte Granatapfel„
Originaltitel: Dwahamin Hanari Dunya
Aus dem Kurdischen (Sorani) von Ute Cantera-Lang und Rawezh Salim
Unionsverlag € 22,00
Aufmerksam auf dieses Buch bin ich durch einen euphorischen Bericht in der Süddeutschen Zeitung geworden. Zeit für die Lektüre habe ich mir danach aber nicht genommen. Erst als klar war, das Bachtyar Ali und sein Verleger Lucien Leitess im Rahmen der Cafe Beirut Veranstaltungsreihe nach Neu-Ulm in die Steinwerkstatt Vogel kommen, schnappte ich mir das Buch und war während des Lesens entrückt von dieser Welt.
Bachtyar Ali stammt aus dem Nordirak, hat dort schon einige Bücher veröffentlicht und ist dort einer wichtigsten Autoren. Vom Erlös seiner Bücher kann er hier sein Leben in Deutschland, das er seit fast 20 Jahren führt, mitfinanzieren. Mit dem Granatapfel-Buch hat er sich für mich ganz weit nach oben in der privaten Bestenliste geschrieben. Verstanden habe ich nicht alles, gebe jedoch meinen Kunden den Tipp auf den Weg: Einfach weiterlesen. Es ist ein Genuß, eine Offenbarung, etwas ganz Besonderes, sehr Spezielles. Ali vermischt Hochaktuelles aus den Kriegen, den Kämpfen in und um den Irak mit Märchenhaftem, einem orientalischen magischen Realismus. Was geschieht mit den Menschen, die seit Jahren und Jahrzehnten zwischen den Fronten der Regierungstruppen und denen der Revolutionären stehen? Wie verändern sich Soldaten, die kein anderes Leben kennen, als zu kämpfen und zu töten?
Nicht daß Sie nun meinen, daß es sich in dem Roman um eine Wiedergabe von Gräueltaten handelt. Ali schreibt über die Menschen, die damit leben müssen. Wie kann ich noch ehrlich und erhobenen Hauptes durch den Tag gehen, wenn ich überall den Schrecken sehe? Ist es nicht so, daß jeder Mensch verschedene Seite in sich hat und daß im Laufe eines Lebens sich Personen verändern, die Fronten und Ansichten wechseln? Dies erzählt Ali in einer sehr einfühlsamen Sprache, die fast schon ins Märchenhafte kippt, jedoch jeglichen Kitsch vermeidet. Der Autor versteht es seine Sprache sehr fein und nuanciert einzusetzen, Vergleiche und Bilder zu schaffen, die sich beim Lesen sofort einprägen. Bilder und Szenen, die noch länger im Kopf hängenbleiben, zum Nachdenken und Wundern anregen. Selten habe ich so ein intensives Leseerlebnis, wie hier ei diesem Roman. Es hat mich in seiner Art mit Erinnerungen umzugehen an den „Scheiterhaufen“ von György Dragoman erinnert. Gleichzeitig hatte ich im Hinterkopf, daß mich „Kruso“ von Lutz Seiler ähnlich gepackt hat, obwohl ich auch dort nicht alles kapiert habe und doch durch die Intesivität des Textes gefesselt war.
Ali erzählt von verwunschenen Schlössern, von Bienenschwärmen und Honigsammlern, von Kindern auf Schlachtfeldern, von den weißen Schwestern, die mit ihren Liedern den Bazar verzaubern, von Freiheitskämpfern, die zu Fürsten werden, von Seelen in schwarzer Trauer – und von einem Jungen mit Namen Glasherz, der von einer Welt träumt, in der alles durchsichtig und rein ist. Er sucht seinen gestorbenen Sohn und findet drei Jungen mit dem gleichen Namen. Er taucht ein in Traumwelten, besucht ein Heim für verbrannte Kinder, ist auf der Suche nach dem letzten Granatapfelbaum, der einem seine innersten Wünsche erfüllt und Blinde sehend macht.
Muzafari Subhdam war 21 Jahre in einem Gefängnis in der Wüste, hat die Hoffnung an ein Leben in Freiheit längst aufgegeben (Die Menschen meinen sowieso, daß er längst tot ist), als er von einem Freund, dessen Leben er gerettet hat und für den er ins Gefängnis ging, durch einen Austausch raus aus der ewigen Wüste kommt. Jedoch nicht ins normale Leben, sondern in ein abgeschiedenes Schloß, da er sich nicht mit dem Schrecken und der Zerstörungen der letzen Jahre auseinandersetzen soll.
Doch Muzafari Subhdam begibt sich auf eine Reise durch das, was aus seinem Land geworden ist. Eine Reise durch Geschichten, Geheimnisse und zu Personen, die ihm dabei helfen, seinen verschollenen Sohn zu finden. Eine Reise, die ihn schließlich auf den Weg führt, den Tausende schon vor ihm genommen haben: übers Mittelmeer in den Westen.
Ein großartiger Roman, dem ich viele LeserInne wünsche, obwohl er in einer Komplexität nichts für ein schnelles Lesen ist.