Heute haben
Karl Wolfskehl * 1869
William Carlos Williams * 1883
Hugo Hartung * 1902
Frank O’Connor * 1903
Horst Krüger * 1919
Karin Reschke * 1940
Geburtstag
Karl Wolfskehl
Lobgesang
Büchern bin ich zugeschworen,
Bücher bilden meine Welt.
Bin an Bücher ganz verloren,
Bin von Büchern rings umstellt.
Zärter noch als Mädchenwangen
Streich’l ich ein geliebtes Buch,
Atme bebend vor Verlangen
Echten Pergamentgeruch.
Inkunabeln, Erstausgaben,
Sonder-, Luxus-, Einzeldruck:
Alles, alles möcht ich haben –
Nicht zum Lesen, bloss zum Guck!
Bücher sprechen ungelesen –
Seit ich gut mit Büchern stand,
Weiss ich ihr geheimstes Wesen:
Welch ein Band knüpft mancher Band!
Bücher, Bücher, Bücher, Bücher
Meines Lebens Brot und Wein!
Hüllt einst nicht in Leichentücher –
Schlagt mich in van Geldern ein!
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Die Shortlist für den deutschen Buchpreis ist veröffentlicht und am Mittwoch, den 30.September veranstalten wir unser „Shortlistlesen“.
Beginn: 19 Uhr
Eintritt: frei
Unser Buchtipp:
Zora del Buono: „Gotthard„
Novelle
C.H.Beck € 16,95
als E-Book € 13,99
Von 6:00 bis 12:23 (mit einem kleinen Nachklapp) leben wir mit einer handvoll Menschen rund um den Gotthard zusammen. Dort entsteht der längste Tunnel der Welt und wir sind in diesem schmalen Buch mitten drin im Leben dieser Personen. Zora del Buono (Architektin, Journalistin und Schriftstellerin, …) pickt sich diese wenigen Stunden heraus und wir können uns das Leben davor und danach sehr gut selber weiterdenken. Die Autorin schafft es, direkt in die Handlung springen, uns die Menschen nahezubringen, so dass wir gar nicht merken, dass wir es mit einer Novelle zu tun haben und nicht mit einem 700-Seiten-Roman.
Der roten Faden der Novelle ist Fritz Bergundthal, ein Eisenbahnbegeisterter, ein train spotter, der im wahren Leben Buchhalter in Berlin ist und sich hier im Tessin auf einem Campingplatz eingemietet hat, um besondere Eisenbahnen zu fotografieren. Oh ja, ich kenne diese älteren Männern, wie sie mit ihren Stativen auf Brücken stehen, oder an der Geislinger Steige. In seinem Leben ist alles geregelt. Frauen kommen nicht groß vor, sie sorgen eher für Durcheinander. Anzüge gibt es nur in zwei Farbtönen. Welche für Sommer, welche für Winter. Die anderen beiden Jahreszeiten gibt es nicht. Im Tessin, auf dem Campingplatz, angekommen, trifft er auf die LKW-Fahrerin Flavia, auf deren überdrehte, schrille Mutter Dora Polli-Müller, den motorradfahrenden Ehemann, auf die brasilianische Hure Monica, den frauenbesessenen Robert Filz. Auf Thomas Oberholzer, der seine Ehe überdenkt und es satt hat übers Wochenende zu seiner Frau in den Osten Deutschlands zu fahren. Im Mittelpukt steht jedoch der Tunnel, das tiefe Loch, das Gestein, die Hitze in der Tife, die Arbeit, die Hoffnungen und Wünsche. Manchmal wähnte ich mich gar nicht in der Gegenwart, sondern in einer Zeit, wie in Robert Seethalers Roman „Ein ganzes Leben“. Alles ist miteinander verbunden. Über zwei Ecken haben alle Personen Kontakt zueinander. Wir schlüpfen in ihre Gedanken, bekommen von der Autorin in jedem Kapitel, die mit fortlaufenden Uhrzeiten überschrieben sind, ein weiteres Türchen geöffnet, bis es zu einer dramatischen Situation kommt, die sich so ganz schleichend ankündigt und dann doch wie ein plötzliches, heftiges Gewitter über die Akteure prasselt.
Zora del Buono hat genau recherchiert, lässt immer wieder Fakten einfließen; Nummern, Zahlen und Namen, stellt uns Maschinen und Spezialwerkzeuge vor. Und doch füllt sie ihre Novelle mit dickem, roten Herzblut und erzählt über die verschiedenen Formen der Einsamkeit. Und dafür ist das Arbeiten im Tunnel ein gelungenes Bild. Das Alleingestelltsein Untertage mit den Tonnen von Gestein über einem. Ein Sinnbild für das normale Leben, das auch ganz leicht und oft unerwartet aus den Schienen (die in der Novelle eine zentrale Rolle spielen) geraten kann.
Wir versuchen die Autorin im nächsten Frühjahr zu uns in die Buchhandlung zu bekommen.