Heute haben
Bettine von Arnim * 1785
Leutréamont * 1846
Marguerite Duras * 1914
Geburtstag.
Es ist der Todestag von Max Frisch (1991)
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Dünnes Eis auf dem Fischteich mit nur noch einem Bewohner.
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Endlich kam gestern das Buch in den Laden geflattert, das ich über eine Kundenbestellung entdeckt habe. Gleichzeitig steckt (natürlich) hinter dem Buch, dem Verlag auch eine prima Website und ein informativer Blog. Schön für alle, denen Lyrik gefällt, neue deutsche Literatur und Interesse an Buchbesprechungen.
„Der gelbe Alkrobat„
Michael Braun & Michael Buselmeier
100 deutsche Gedichte der Gegenwart,
kommentiert
360 Seiten
Poetenladen € 18,80
Ein Vierteljahrhundert Gegenwartsdichtung
Das Gedicht als Gesprächspartner: Michael Braun und Michael Buselmeier haben 100 deutschsprachige Gedichte der Gegenwart ausgewählt und kommentiert.
Dabei bilden biografische und persönliche Aspekte häufig den Einstieg und wecken Neugier auf das Gedicht – fern jedem akademischen Gestus. Fast beiläufig geben die Kommentare einen Einblick in die Gegenwartsdichtung. Hierzu gehören formanalytische und poetologische Annäherungen, Gedanken zum politischen oder experimentellen Gedicht und Überlegungen zur grundsätzlichen Frage, was Lyrik heute noch zu leisten vermag.
Michael Braun, unübertroffen in der Kenntnis deutscher Gegenwartslyrik, legt hier zusammen mit dem namhaften Lyriker Michael Buselmeier so profund wie verständlich ein Standardwerk vor, das unerlässlich ist für all jene, die wissen möchten, was Lyrik heute noch zu leisten vermag.
Michael Braun war auch Herausgeber des (leider nicht mehr erscheinenden Lyrikkalenders).
Aus dem Vorwort
Ein Gedicht kann ein geistig anregender Gesprächspartner sein. Man sollte freilich das Zuhören systematisch einüben, um die oft chiffrierten, gegenläufigen und vieldeutigen Aussagen eines Gedichts auch verstehen zu lernen. Die in diesem Buch versammelten 100 deutschsprachigen Gedichte der Gegenwart werden von ebenso vielen Kommentaren begleitet.
…
Unsere Kommentare bieten Lesarten an und stellen einen Zusammenhang her, sie begründen die innere Logik dieser Anthologie. Fern jedem akademischen Gestus verstehen sie sich als sympathetische Dialoge mit der zeitgenössischen Poesie. In diesen Dialogen wird nicht immer streng text – immanent operiert, sondern es wird das elementare Bewusstseinsereignis aufgezeichnet, das die Begegnung mit einem Gedicht noch immer darstellt. So bieten die Kommentare Lyrikfreunden, Studenten und Lehrern Verständnishilfen an, schlagen Lesarten vor, öffnen Zugangswege, fordern auch zum Widerspruch heraus.
Michael Braun und Michael Buselmeier
Auf der Website Poetenladen.de werden einzelne Gedichte mit ihrem Kommentar veröffentlicht. Im Moment sind wir bei der Nummer 28.
Im Winter 1988 war ich zu einem Seminar in einem gewerkschaftseigenen Tagungsheim im Pfälzer Wald eingeladen, um Laienautoren, die ihre braven Gedichte und Geschichten vortrugen, zuzuhören und Verbesserungsvorschläge zu machen. Am Abend saß ich in der Kantine vor Kartoffelsalat mit Würsten und fremdelte. Bis plötzlich von einem der Nachbarstische her ganz unerhörte Laute und Worte an mein Ohr drangen, die mich alle Kantinen-Tristesse vergessen ließen. Der mir bis dahin (und den meisten bis heute) unbekannte Dichter Werner Laubscher las Freunden aus seinem im Entstehen begriffenen Gedichtband Winterreise. Wintersprache Verse vor, denen der hohe Ton hymnischen Sprechens, das Pathos hermetischer Naturlyrik noch zu gelingen schien.
Das Buch, das ein Jahr später in einer bibliophilen Ausgabe in einem kleinen Verlag erschien, enthält vier Gedichtzyklen, die sich emphatisch auf Franz Schuberts grandioses Werk beziehen, auch auf die Gasteiner Symphonie (die entweder verschollen oder doch mit der Großen Symphonie in C-Dur identisch ist): „Morgenstimmen / das große traumbeatmete Wandern / wenn wir aufsteigen / in den Montgolfieren / die Nacht zu bemessen / die Sterne die Augen den Schlaf …“
Das hier vorgestellte Gedicht ist Teil des elf Poeme umfassenden Zyklus Winterreise. Wintersprache. Die einzelnen Texte sind dergestalt miteinander verbunden, dass der Anfang jedes Gedichts das Ende des vorausgehenden aufnimmt. Wörtliche Zitate aus der Winterreise sind selten, es gibt jedoch zahlreiche Anspielungen auf Wilhelm Müllers Gedichtzyklus. Vor allem geht es Laubscher darum, Schuberts autonome Musik behutsam in angemessene Schnee- und Hagelworte zu übertragen. Der späte Dichter, fremd „in der Sternhaufen Hinterhof“, ist bemüht, „in die Sprach mich zu schlagen / Worte: / Ein Ich.“ Wie bei Schubert und Müller ist der Winter auch hier allbeherrschend und die „Fremdheit“ des Wanderers in der „trüben“ Welt bis zum letzten Vers spürbar. „Zeit ist / betteln zu gehn.“
Eine „Wintersprache“ in einem weit gefassten, auch gesellschaftlichen Sinn zu entwickeln, kann nur unter größter Anstrengung, als Arbeit am Material gelingen: „Zeilenweis. / Blattweis. / Schichtweis“, damit „aufreiße die Erde / quer über die Meridiane.“ Ein gewaltsamer, fast apokalyptischer Vorgang, der die Erde öffnet und „Schläfer“ wie „Wachen“ aufspringen lässt, als sei ein Blitz eingeschlagen, ein Komet am Horizont aufgetaucht oder ein Vulkan ausgebrochen.
Aus demselben artistischen Geist der Musik, gleichsam als Satyrspiel zur Tragödie, stammen Laubschers Lautgedichte, Rhythmopoeme und Ludinotate, versammelt in dem witzigen Band Wortflecht und Lautbeiß, vermutlich angeregt von den knapp zehn Dada-Gedichten seines pfälzischen Landsmanns Hugo Ball; kindlich-verrückte Sprachspiele, die mehr dem Klang, dem Tonfall und dem Rhythmus folgen als einem konventionellen „Sinn“.
Doch hinter allem, was Laubscher geschrieben hat, auch hinter den brillantesten Wortspielereien, steht unüberhörbar das Kriegserlebnis, genauer: das lebenslange Trauma eines Jungen, der mit 17 Jahren zu einer Panzereinheit der Waffen-SS eingezogen wurde. Er spricht nie direkt davon, doch tauchen Bruchstücke dieser dunklen Erfahrung in Gedichten und Erzählungen immer wieder bedrohlich auf: die „Schwarzbemantelten“, die „Männer mit den Lederkappen“, „Wachhundgebell“. Und in dem Gedichtband Winterkassation. Ein Totentanz heißt es: „da oben / da wo der Schmerz sitzt / die Last des Worts / Tyskland.“
Der Dichter, Maler und Musiker Werner Laubscher wurde 1927 in Kaiserslautern geboren und starb im Januar 2013 in Landau. Er arbeitete als Lehrer in Kandel. Er veröffentlichte u.a. die Gedichtbände Wortflecht und Lautbeiß (Verlag Thomas Plöger, Annweiler 1989) und Winterkassation (Wunderhorn Verlag, Heidelberg 1997). Eine zweibändige Werkausgabe erschien 2007/08 im PoCul Verlag in Saarbrücken. – Das vorgestellte Gedicht stammt aus dem Band Winterreise. Wintersprache (Verlag Thomas Plöger, 1989).
Wir danken dem Verlag für die Wiedergabe des Gedichts im Rahmen des Kommentar.
(Ich danke allen für die Übernahme der Texte hier auf diesem Blog und hoffe, dass dies auch im Sinne der jeweiligen Verlage ist.)
Lohnenswert auch die Website zum Lyrikmagazin „poet„, das halbjährlich erscheint.
poet nr. 14
Literaturmagazin
Andreas Heidtmann (Hg.)
poetenladen, Leipzig Frühjahr 2013
ca. 232 Seiten, 9.80 Euro
Hier geht es zur aktuellen Ausgabe.
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Falls es noch nicht aufgefallen ist, ich habe den Hintergrund noch etwas heller gestaltet, um das Grau diser Tage aus der Reserve zu locken.