Dienstag

Heute haben
Wilhelm Müller * 1794
Georg Hermann * 1871
Thomas Keneally * 1953
Jesús Diaz * 1941
Geburtstag.
Aber auch Desmond Tutu und Wladimir Putin.
__________________

tumblr_ncz8376rTd1r4iwc5o1_500

Wilhelm Müller
In vino veritas

Die Wahrheit lebt im Wein.
Laßt diesen Spruch uns ehren,
Und von dem Heuchelschein
Der Zeit uns nicht betören.
Laßt uns, was recht, was schlecht,
Mit seinem Namen nennen,
Und über Herr und Knecht
Nur ein Gesetz erkennen!

Die Wahrheit lebt im Wein.
Wem gilt der erste Becher?
Schenkt klar und lauter ein! –
Er gilt dem Trugzerbrecher,
Der Wahrheit hohem Herrn,
Der bei dem hellsten Lichte,
Was hoch, tief, nah und fern
Sich birgt, ruft zu Gerichte.

Die Wahrheit lebt im Wein.
Nun füllt den letzten Becher!
Doch seht, der ist nicht rein,
Und wir sind klare Zecher.
Wem gilt der Bodensatz?
Den trüben Obskuranten
Vom Orden des Ignaz,
Und ihren Anverwandten!
_____________________

Dieses Weingedicht ist nicht für das Geburtstagskind Putin, sondern für Lutz Seiler, der als Favorit ins Rennen um den Deutschen Buchpreis gegangen ist und ihn gestern abend für seinen Roman „Kruso“ auch bekommen hat.
Prosit! Es möge nützen!
_____________________

„Ich war in der Hölle … und im Paradies“
Anton Tschechow am 10.12.1890

CIMG1631

Die Verbindung zu Russland bricht aber heute nicht ab. Dank einer Kooperation mit dem Staatlichen Literaturmuseum der Russischen Föderation in Moskau können zum ersten Mal Dokumente und Originalfotos von Tschechow von seiner Reise nach Sachalin gezeigt werden. Das Literaturarchiv in Marbach hat einen kleinen Ausstellungskatalog zusammengestellt und ihm eine neue Reihe gewidmet:

FERNE SPUREN I
Anton Tschechows Reise nach Sachalin
Mit einem Essay von Ernest Orlov und einem Nachwort des Herausgebers
48 Seiten, 66 Abbildungen
Deutsche Schillergesellschaft € 7,50
Die Ausstellung wurde Mitte September eröffnet

CIMG1633

Eine unglaubliche Reise zu Land und zu Wasser unternahm der Schriftsteller Anton Tschechow im Jahr 1890, von Moskau durch morastige Steppen und die hohen Gebirge des Ural und über den Baikalsee zum Amur und dann weiter zum Pazifik, wo 43 Kilometer nördlich von Japan eine der großen Strafkolonien des Zarenreichs lag.

„Sachalin braucht niemanden und ist auch für niemanden von Interesse“, so versuchte Tschechows Verleger Alexej Suworin seinen zu dieser Zeit schon sehr populären Autor Anton Tschechow (1860-1904) von seinem großen Projekt, der Reise nach Sachalin, abzubringen. Er sorgte sich weniger wegen der Risiken einer solch langen Reise, als um den Buchmarkt, für den dieses schwierige Thema ihm wenig geeignet erschien. Doch Tschechow reagierte ungewöhnlich heftig: „Sachalin, das ist ein Ort der unerträglichsten Leiden, deren ein freier Mensch und unfreier Mensch überhaupt fähig ist. … Nein, ich versichere Ihnen, Sachalin ist interessant, wir brauchen es, und zu bedauern ist nur, dass ich es bin, der dorthin fährt, und nicht ein anderer, der von der Sache mehr versteht.“ Von Moskau ist Sachalin mehr als 10.000 km entfernt, aufgrund ihrer geografischen Lage zwischen Japan und Kamtschatka wurde die Insel 1858 als Standort der berüchtigten Straflager gewählt.

Tschechow reiste also los, wurde von seinem Verleger finanziell unterstützt. Im Juli 1890 erreichte er sein Ziel und blieb dort drei Monate dort. Als Vorwand gab er vor, eine Volkszählung zu machen. Der eigentliche Grund war der Zweifel an seiner literarischen Arbeit. Seine kurzen Arbeiten, oft für Zeitschriften, schienen ihn nicht ausgefüllt zu haben. Nach seiner langen Reise verfasste er dann auch seine berühmten Theaterstücke.

Er war in der Hölle auf Sachalin, aber auch im Paradies, als er auf Ceylon mit schwarzäugigen Frauen ins Bett ging. Der damals schon an Tuberkulose erkrankte Autor war 30 Jahre als, als er die Reise unternahm und starb 14 Jahre später. Das System Sachalin war für ihn eine Herausforderung an sein Schreiben. Er wollte das Dokumantarische testen, das Journalistische. Gleichzeitig war er als Arzt interessiert am System Sachalin. Die Gefangenen mussten sich zu Fuss auf die ewig weite Strecke begeben, kurz vor der japanischen Grenze, dort ihre Strafzeit abarbeiten und durften danach die Region nicht mehr verlassen. Unglaubliche Strapazen warteten demnach auf diese Menschen. Auf Tschechows Bildern sehen wir diese Menschen mit hohlem Blick, die von ihrer Arbeit in Bergwerken, oder für den Eisenbahnbau gezeichnet sind. Auf einem Bild sehen wir, wie ein „Schwerverbrechen“ an einen Schubkarren gekettet wird. Dieses System „Katorga“ war nach der Todesstrafe die schwerste Strafe im zaristischen Russland.

CIMG1632

Dass es Marbach nun geschafft hat, zum ersten Mal diese Dokumente zuzeigen, gleicht einem kleinen Wunder. Und dass sie es dort im Literarturmuseum auch immer sein schön gestalten, davon können wir ausgehen.

_____________________

Heute abend „Erste Seite“ um 19 Uhr.
Es liest Clemens Grote.
Eintritt frei

Diesmal dabei:

Michela Murgia: Murmelbrüder. Eine Geschichte aus Sardinien
Roland Butti: Das Flirren am Horizont (Schweizer Literaturpreis 2014)
Niklas Maak: Wohnkomplex. Warum wir andere Häuser brauchen
und
Dietmar Herzog stellt sein neues Buchprojekt:
“Eine literarische Reise entlang der Donau” vor.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert