Heute haben
Ulrich Bräker * 1735
Hugo Loetscher * 1929
Renate Welsh * 1937
Margit Schreiner * 1953
Felicitas Hoppe * 1960
Geburtstag
und vor 157 Jahren wurde Giacomo Puccini geboren.
Hinter dem 22.Türchen versteckt sich ein ukrainischer Autor, den ich dann gleich mal so vorstellte:
Und warum geben wir ihm nicht einfach den Nobelpreis für Literatur?
Der Nobelpreis ging dann allerdings nach Weissrussland und nicht in die Ukraine.
Serhij Zhadan: “Mesopotamien“
Aus dem Ukrainischen von Claudia Dathe, Juri Durkot und Sabine Stöhr
Suhrkamp Verlag € 22,95
als E-Book € 19,99
Der ukrainische Autor Serhij Zhadan ist in seiner Heimat sehr bekannt, hat er doch schon mehrere Romane und Gedichtbände veröffentlicht und er sagt, dass Zuhörer in seinen Lesungen zu weinen beginnen. Dies liegt sicherlich nicht daran, dass seine Bücher traurig sein. Nein, genau das Gegenteil ist der Fall. Zhadans Bücher sind voller Witz und versteckter und offener Ironie. Viele seiner Figuren leben am Rande der Gesellschaft und es geht nicht immer sehr fein zu. Aber Zhadan versteht es, mit einer sehr großen Empathie für seine Personen zu schreiben. Wir lieben sie, obwohl wir ihnen nicht unbedingt nachts auf der Straße begegnen wollen. Dass er gleichzeitig noch in einer Band spielt, die zu deutsch “Hunde im Weltall” heisst, zeigt, dass er eng mit der Lyrik verbunden ist. Sein Vorgängerroman “Die Erfindung des Jazz im Donbass” (der übrigens sehr witzig und schräg ist) wurde von der BBC zum Roman des Jahrzehnts gewählt. Das will etwas heissen. Der Suhrkamp Verlag bemüht sich seit Jahren um diesen jungen, frechen Autoren. Als Suhrkamp Taschenbuch finden wir seine Romane, oder in der Edition Suhrkamp. Und nun der zweite Roman in gebundener Form.
Charkiw ist die Hauptperson und das ist kein menschliches Wesen, sondern Zhadans Heimatstadt. Schon immer wollte er einen Roman über eine Stadt, über seine Stadt schreiben.
“Mein Ziel war es, einen Roman zu erschaffen, in dem nicht die Menschen, sondern meine Heimatstadt selbst die Hauptrolle spielt”
Gleichzeitig zeigt sich wieder einmal die Hellsichtigkeit des Autors. Denn wenn wir im Text schon vom Heraufkommen von Gewalt lesen, so schrieb Zhadan diesen Roman, bevor es zum Krieg in der Ukraine kam. Während er dann auf Lesereise ging (mit 100 Lesungen in 30 Städten) wurde schon an der Rändern der Republik geschossen.
“Alles, was ich über diese Stadt wusste, wusste ich von ihr. Sie […] erzählte mir von den unterirdischen Gängen, beschrieb die metallenen Drachen, die in den Straßenbahndepots Feuer atmeten, […] Sie berichtete von Messern und Schwertern, die in alten Fabriken hergestellt wurden, […] Sie erzählte, wie das Wasser im Frühjahr die Fundamente der alten Sanatorien unterspülte, die Flüsse rot wurden und nach Medikamenten rochen. Außerdem sagte sie, dass auf der Straße wieder geschossen werde, …. und niemand die Absicht habe, sich zu ergeben.”
Zhadan erzählt uns aus dem Leben von neun Personen in seiner Stadt. Menschen, die unterschiedlicher nicht sein können und doch irgendwie miteinander verkettet sind. Immer wieder tauchen Personen auf, die wir in der Geschichte vorher schon getroffen haben. Da ist ein junger Student, der sich in seine ältere Nachbarin verliebt und in seinen Träumen die schönsten Phantasien hat. Es gibt den Boxer, dem übel mitgespielt wird. Wir lernen die Freunde von Murat kennen, die sich 40 Tage nach dessen Tod nach orthodoxem Brauch zu einem Fest zusammenfinden. Sie kommen aus allen Teilen der ehemaligen Sowjetunion und leben jetzt in diesem “Zweistromland” zwischen dem ukrainischen Dnjepr im Westen und dem russischen Don im Osten. Sie sind Verlierer, ihnen wurde übel mitgespielt. Gleichzeitig versuchen sie mit allen legalen und illegalen Tricks, sich über Wasser zuhalten. Saufen und rauchen, landen im Krankenhaus und wollen möglichst schnell wieder von dort verschwinden, um in ihrem eigenen, jämmerlichen Zuause zu leben und zu sterben.
Dies alles schreibt Zhadan in einem lockeren, frechen, witzigen Stil und lässt uns die Not der Menschen vergessen. Sie haben immerhin noch sich und ihre Freunde. Es gibt viel Sätze in diesem Roman, die ich gerne unterstreichen und weitergeben würde. Dass der Roman (in neun Novellen) am Ende in einem langen Gedicht endet, ist dann fast schon logisch.
Serhij Zhadan, 1974 im Gebiet Luhansk/Ostukraine geboren, studierte Germanistik, promovierte über den ukrainischen Futurismus und gehört seit 1991 zu den prägenden Figuren der jungen Szene in Charkiw. Er debütierte als 17-Jähriger und publizierte zwölf Gedichtbände und sieben Prosawerke. Für “Die Erfindung des Jazz im Donbass” wurde er mit dem Jan-Michalski-Literaturpreis und mit dem Brücke-Berlin-Preis 2014 ausgezeichnet (zusammen mit Juri Durkot und Sabine Stöhr). Die BBC kürte das Werk zum “Buch des Jahrzehnts”. Zhadan lebt in Charkiw.