Freitag, 2.Oktober

Heute haben
Andreas Gryphius * 1616
Graham Greene * 1904
Helga Schütz * 1937
Anna Mitgutsch * 1948
Lisa St.Aubin de Terán * 1953
Geburtstag
_____________________________________________________________

Andreas Gryphius
Morgen Sonnet

Die ewig helle schar wil nun jhr licht verschlissen/
Diane steht erblaßt; die Morgenrötte lacht
Den grawen Himmel an/ der sanffte Wind erwacht/
Vnd reitzt das Federvolck/ den newen Tag zu grüssen.
Das leben dieser welt/ eilt schon die welt zu küssen/
Vnd steckt sein Haupt empor/ man siht der Stralẽ pracht
Nun blinckern auf der See: O dreymal höchste Macht
Erleuchte den/ der sich jtzt beugt vor deinen Füssen.
Vertreib die dicke Nacht/ die meine Seel vmbgibt/
Die Schmertzen Finsternüß die Hertz vnd geist betrübt/
Erquicke mein gemüt/ vnd stärcke mein vertrawen.
Gib/ daß ich diesen Tag/ in deinem dinst allein
Zubring; vnd wenn mein End‘ vnd jener Tag bricht ein
Daß ich dich meine Sonn/ mein Licht mög ewig schawen.
_______________________________________________________________

Heute erscheint die neue Kraan-Scheibe:

KRAAN: Sandglass
36music / Broken Silence
Erscheint am 2. Oktober 2020 (CD / LP / digital)

  1. SANDGLASS 4:19 (Hattler)
  2. FUNKY BLUE 2:47 (Wolbrandt)
  3. SOLITUDE 4:01 (Hattler)
  4. GLEIS 10 4:58 (Wolbrandt)
  5. PICK PEAT 5:44 (Hattler)
  6. PATH 4:35 (Hattler)
  7. SCHÖNER WIRD’S NICHT 2:20 (Fride/Wolbrandt)
  8. DAS MEER 2:39 (Wolbrandt)
  9. HALLO KANTE 4:57 (Wolbrandt)
  10. MOONSHINE ON SUNFLOWERS 3:10 (Fride/Hattler/Wolbrandt)
  11. BUDENZAUBER 4:03 (Wolbrandt)
  12. RESCUE 3:12 (Wolbrandt)
  13. HIPPIE JAM 3:12 (Hattler)

    Total playing time: 50:15 min.
    All tracks edited, mixed and mastered by Juergen Schlachter at 36music Studio, Leipheim,
    Germany

    Peter Wolbrandt: Guitars, synths, vocals
    Jan Fride: Drums, percussion
    Hellmut Hattler: Basses, vocals
    Martin Kasper: Keys on „Sandglass“, „Solitude“, „Path“ and „Hippie Jam“, supporting vocals
    on „Solitude“ and „Path“; Shirley Fischer: Flute on „Sandglass“; Joo Kraus: Horns and
    Wurlitzer Piano on „Pick Peat“; Juergen Schlachter: Tambourine on „Solitude“; Ingo Bischof:
    Keys on „Moonshine On Sunflowers“

    Front cover logo and back cover painting by Peter Wolbrandt

Solitude“ als Hörprobe.

Gibt es intelligente Töne? Kluge Melodien? Scharfsinnige Beats?

Wer KRAAN kennt und wer das neue Album „Sandglass“ mit wachen Ohren hört, wird dies bestätigen können. Drei hochmusikalische Könner ihres Fachs zelebrieren ebenso lässig wie konzise, gleichermaßen geschichts- wie selbstbewusst und souverän über die eigenen Stärken verfügend eine komplexe und doch entspannte Musik, die aus der Zeit gefallen zu sein scheint und doch tatsächlich zeitlos ist.

In Reinkultur und erneuter Verfeinerung spielen die drei Kraaniche ihre ureigene Form des melodischen Jazzrocks mit dem Markenzeichen „KRAAN-Stil“, für den es weithin keine klangliche Entsprechung gibt.

Auf dem neuen Album sind Melodiebögen von purer Schönheit, subtiler Melancholie und kompositorischer Gestaltungsfähigkeit zu bewundern. Originelle harmonische Wendungen und eine trickreiche Rhythmisierung veredeln die 13 Titel in einer Weise, die man von KRAAN zwar im Grunde schon lange kennt, die doch nun in neuer Anmutung mit erstaunlich viel Popappeal daherkommt.

Sieben der dreizehn Titel sind Songs, also mit gesungenen Texten, wobei die Gesangsstimme wie ein weiteres Instrument ins Arrangement eingebunden wird.

Auffällig im neuen KRAAN-Werk ist eine ihrer bekannten Qualitäten, die nun noch brillanter in Erscheinung tritt: Die Meister des Offbeats erzeugen mit vorgezogenen Betonungen und spannungsvollen Akzenten zwischen den Grundschlägen ein polyrhythmisches, pulsierend-vibrierendes Gewebe, das ihre Musik in einer Weise vitalisierend grooven und swingen lässt als würden drei Kraniche im Liebesrausch ihre Balztänze hüpfend auf einem Trampolin wie ein mitreißendes Leidenschafts-Ritual aufführen (wenn man mir diese etwas verwegene Metapher erlaubt).

Vor 10 Jahren erschien in gleicher Triobesetzung das letzte Studiowerk von KRAAN „Diamonds“. In den Jahren danach folgten zwei Live-Alben: „The Trio Years“ von 2018 und „The Trio Years – Zugabe“ von 2019.

Nun endlich, ein Jahrzehnt nach Veröffentlichung des letzten Studioalbums und 50 Jahre nach der KRAAN-Gründung, kommen die Welt des Pop und die KRAAN-Fans im Besonderen in den Genuss neuer, bedeutsamer KRAAN-Musik. Das Warten hat sich also gelohnt. Wird es eine Fortsetzung geben? Das Leitmotiv des Albums lässt da Zweifel aufkommen: „See the time pass – There’s a crack in the sandglass“.

Zu den Aufnahmen:
Die verstreichende Zeit, die kostbare Lebenszeit, die ja nicht vermehrbar ist, sondern höchstens im Erleben zu intensivieren, das scheint das durchgängige Leitmotiv des Albums zu sein.

Hellmut Hattler: „Die Arbeit an diesem Album ist in der Zeit des lockdowns entstanden; jeder hat den jeweils anderen Kraanichen seine Files geschickt, und da alle ans Haus gefesselt waren und Zeit hatten, ging der Ideenaustausch ziemlich flott vonstatten und alle waren froh, diesem gespenstischen Zuhause-bleiben eine auf- und anregende, ja, leicht magische Arbeit entgegenstemmen zu können.“

Hellmut Hattlers Albumtitel sind überwiegend in dieser Zeit entstanden.

Peter Wolbrandt hatte den Großteil seiner sieben neuen Stücke bereits in der Schublade liegen. Seine Titel mussten nur noch von den beiden Kraan-Freunden ergänzt und fertig gestellt werden. Er spielt seine Gitarrensoli mit dringlichem Gespür und immer mit dem Wissen um die reichen Schatzkammern der großen Gitarreros der Rockgeschichte im Hinterkopf. Zu den besonderen Soundfinessen, fantasievollen Klangräumen und attraktiven Arrangementdetails des Albums tragen auch seine ornamentale Synthesizer-Einspielungen bei.

Zum ersten Mal bei KRAAN übernimmt Hellmut Hattler die Leadstimme gleich bei drei Titeln, die er auch selbst geschrieben hat. Es sind sehr persönliche Texte, also drängt es sich geradezu auf, dass er diese, seine persönlichen Gedanken auch selbst mit seiner Stimme mitteilt – auch wenn seine Gesangsstimme sicher nicht sein bevorzugtes Ausdrucksmittel ist. Sein unverkennbarer Basston, sein virtuoses, immer melodiebetontes und ungemein intelligentes Bass-Spiel dominiert den KRAAN -Sound vor allem bei seinen fünf Eigenkompositionen des Albums.

Auch der im Januar 2019 verstorbene langjährige KRAAN-Keyboarder Ingo Bischof ist im Album präsent. Hellmut Hattler: „ich habe in meinem digitalen Schallarchiv noch ein paar Keyboard-files von Ingo gefunden, da er ja früher, bevor er krank wurde, mit seinen Klängen viele meiner Kompositionen angereichert hatte – und die Akkorde bei „Moonshine On Sunflowers“ sind nun sozusagen sein aktueller Beitrag aus dem Jenseits (vielleicht zur Abrundung unserer langjährigen KRAAN-Freundschaft oder wie immer man so einen Vorgang nennen möchte…)“.

Anspieltipps:


1. Sandglass

Schon das Titelstück startet mit einer verwirrend uneindeutigen Rhythmik im Sinne von: „Wo bitte ist die Eins?“ Das clever punktierte Riffmotiv zum Einstieg lässt die klare Taktzuordnung ebenso offen wie der später einsetzende, akkordisch gespielte Bass und das vor Offbeat-Betonungen nur so strotzende Schlagzeug. Erst mit dem Gesangseinsatz verläuft die Rhythmusstruktur im nachzählbaren Achtelmetrum. Was für ein vorzüglicher, raffiniert gebauter Auftakt des Albums!

Wie der Schlagzeuger Jan Fride im Instrumentalteil des Openers „Sandglass“ den Takt verschleiert durch unkonventionelle Schlagfolgen und verblüffende Betonungen außer der Reihe und doch in einem stimmigen pulsierenden Rhythmus-System (ab 2:23 bis 3:01), das zeugt von außergewöhnlichem Rhythmusverständnis, superber Technik und inhaltlicher Kompetenz.

3. Solitude

Zum Thema Einsamkeit würde man eher eine melancholische Ballade erwarten. Doch Hellmut Hattlers musikalische Umsetzung des Themas ist rhythmisch packend und beginnt mit einem energisch intonierten und akkordisch gesetzten Bass-Akzent. Peter Wolbrandts singendes, hoch melodisches Solo in „Solitude“ kann als Referenzbeispiel für ein absolut gelungenes, das Leitmotiv bereichernd ausdeutendes Gitarrensolo gelten. Und die fast poppige Refrainmelodie klingt eher forsch und positiv als klagend oder deprimiert. „Solitude“ beschreibt gleichermaßen die Einsamkeit eines isolierten Patienten in der Intensivstation und die coronabedingte Abgeschiedenheit in der Isolation der Quarantäne. Dennoch formuliert der Refrain fast trotzig: „Solitude can’t bring me down“.

5. Pick Peat

Großartiger Instrumentaltitel, komponiert von Hellmut Hattler mit dem Trompeter Joo Kraus, als Kreator der Horn Section.

6. Path

„Gelassenheit in Tönen“ so könnte eine Charakterisierung des Songs „Path“ lauten, in dem Hellmut Hattler sein Textmotiv aus „Sandglass“ erneut aufgreift: Die Irritation, wenn Zukunftsperspektiven ins Schwanken geraten, weil der eingeplante Weg plötzlich verbarrikadiert zu sein scheint. So klug wie der Text ist hier tatsächlich auch die Melodieführung des Songs. Die instrumentale Hauptmelodie ist wunderbar gefühlvoll geschwungen und lebt von einem tiefen Sentiment, das die Balance zwischen Melancholie und Hoffnung zu halten sucht. Auch die Gesangsmelodie orientiert sich am dynamisch rhythmisierten Sprechgesang aus „Sandglass“. Daneben gibt es noch zwei Melodievarianten oder Nebenthemen, die mal von der Gitarre, mal von den Keyboards, gespielt von Martin Kasper, getragen werden. Dieser Song „Path“, eine Komposition von Gewicht, steht exemplarisch für den Weg, den das gesamte Album im Blick hat.

7. Schöner wird’s nicht

Jan Fride erweist sich im neuen KRAAN-Album wieder als ein exzellenter Schlagzeuger, der keine mathematisch berechneten Patterns perfektioniert, sondern organisch-musikalisch, „geradezu harmonisch“ spielt (Hellmut Hattler). Seine Komposition „Schöner wird’s nicht“, gemeinsam geschrieben mit seinem Bruder Peter Wolbrandt, ist ein perkussives Lehrstück für die spielerische Wandlungsfähigkeit und tänzelnde Lebendigkeit eines weltoffenen, Stilgrenzen überschreitenden Schlagwerks. Im rein perkussiven, conga-dominierten Mittelteil (ab 1:08) lassen Afrobeat und Latinrock à la Santana freundlich grüßen.

8. Das Meer

In Peter Wolbrandts beatle-esken Song „Das Meer“ klingt im Refrain die „Mind Games“-Melodie von John Lennon an und George Harrisons Songjuwel „Something“ aus dem „Abbey Road“-Album scheint angedeutet. Und doch, trotz pophistorischer Anklänge ist dieses gravitätisch schreitende Reflektionslied „Das Meer“ eine originäre Songkomposition von Peter Wolbrandt. Es ist übrigens der einzige deutschsprachige Song des Albums („Ich starre auf das Meer und wünsch mir etwas mehr Gelassenheit in dieser öden Zeit. Möwen ziehen dahin, bin froh, dass ich hier bin am weißen Strand – und ich seh’, es tut weh, doch es ist vorbei.“)

12. Rescue
In Peter Wolbrandts Songkomposition „Rescue“ finden sich kleine Reminiszenzen an große Momente der Pophistorie: Die melodisch umspielenden Gitarrenfiguren erinnern die an typische Phrasierungen von Jimi Hendrix, wobei der Song letztlich in seiner raffinierten Harmonik und sorgfältigen, vielgestaltigen Gitarrenarbeit ganz und gar als Wolbrandt/Kraan-Original zu gelten hat.

Text von Volker Rebell.