Donnerstag, 2.November


Heute haben
Leo Perutz * 1882
Gyula Illyés * 1902
Odysseas Elytis * 1911
Hera Lind * 1957
Joey Goebel * 1980
Geburtstag
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Christian Morgenstern
Novembertag

Nebel hängt wie Rauch ums Haus,
drängt die Welt nach innen;
ohne Not geht niemand aus;
alles fällt in Sinnen.

Leiser wird die Hand, der Mund,
stiller die Gebärde.

Heimlich, wie auf Meeresgrund,
träumen Mensch und Erde.
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November
Gedichte
Zusammengestellt von Evelyne Polt-Heinzl und Christine Schmidjell
Umschlaggestaltung von Nikolaus Heidelbach
Reclam Verlag € 6,00

Schon wieder ist ein Monat vergangen. Der November ist gerademal zwei Tage alt. Mit der Gedichtauswahl haben wir einen schönen lyrischen Querschnitt in der Tasche, der uns durch die immer kürzeren Tage begleitet. Schauen wir mal, was das Wetter in den nächsten Wochen für Kapriolen schlägt.
Sie finden das Reclam-Bändchen, wie immer, bei uns an der Kasse.

Gottfried Keller
Wie nun alles stirbt und endet

Und das letzte Lindenblatt
Müd sich an die Erde wendet
In die warme Ruhestatt,
So auch unser Tun und Lassen,
Was uns zügellos erregt,
Unser Lieben, unser Hassen
Sei zum welken Laub gelegt.

Reiner weisser Schnee, o schneie,
Decke beide Gräber zu,
Dass die Seele uns gedeihe
Still und kühl in Wintersruh!
Bald kommt jene Frühlingswende,
Die allein die Liebe weckt,
Wo der Hass umsonst die Hände
Dräuend aus dem Grabe streckt.
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Nikolaus Lenau
Herbstlied

Ja, ja, ihr lauten Raben
Hoch in der kühlen Luft,
’s geht wieder ans Begraben,
Ihr flattert um die Gruft!

Die Wälder sind gestorben,
Hier, dort ein leeres Nest;
Die Wiesen sind verdorben;
O kurzes Freudenfest!

Ich wandre hin und stiere
In diese trübe Ruh,
Ich bin allein und friere
Und hör euch Raben zu.

Auch mir ist Herbst, und leiser
Trag ich den Berg hinab
Mein Bündel dürre Reiser,
Die mir das Leben gab.

Einst sah ich Blüten prangen
An meinem Reiserbund,
Und schöne Lieder klangen
Im Laub, das fiel zu Grund.

Die Bürde muß ich tragen
Zum letzten Augenblick;
Den Freunden nachzuklagen,
Ist herbstliches Geschick.

Soll mit dem Rest ich geizen
Und mit dem Reisig froh
Mir meinen Winter heizen?
Ihr Raben, meint ihr so?

Erinnerungen schärfen
Mir nur des Winters Weh;
Ich möchte lieber werfen
Mein Bündel in den Schnee.
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Morgen, Freitag, den 3.November, liest Germana Fabiano aus ihrem Roman: „Mattanza„.
Beginn: 19 Uhr
Eintritt € 10,00
Bei uns in der Buchhandlung

So beginnt das Buch und gibt uns zunächst ein Rätsel auf, das die Autorin alsbald löst und uns durch die nächsten Jahre und Jahrzehnte auf der kleinen italienischen Insel im Mittelmeer führt.

1960

Wenn es Gott gab, hatte er diesmal einen Fehler begangen.
Dieser gotteslästerliche Gedanke stand allen sechs Tonna-
roti ins Gesicht geschrieben, die sich in der Bar Peppe Vino e Cu-
cina zu dieser späten Stunde eingefunden hatten, als hätte sie je-
mand gerufen, aber so war es nicht. Die Thunfischfänger waren
aus eigenem Antrieb hergekommen, durch die dunkle Nacht,
selbst auf die Gefahr hin, sich einen Fuß oder das Kreuzbein zu
brechen. In der allgemeinen Fassungslosigkeit mussten sie mit-
einander reden und Trost suchen. Der Fehler war geschehen, der
große Fehler, und es gab kein Mittel dagegen.
»Es gibt gegen alles ein Mittel«, sagte jedoch Nicola Valenti,
hüllte sich enger in seine Wolljacke und strich sich über den Bart.
Er war der Älteste von ihnen, und alle hörten auf ihn, ganz beson-
ders an jenem unglückseligen Abend, als niemand wusste, wie es
weitergehen sollte.
»Er ist ausgeblieben. Er hätte nicht ausbleiben dürfen, aber er
ist ausgeblieben. Nach vierhundert Jahren. Was für ein Mittel soll
es dagegen geben?«, wandte Saro Vitale ein, der zu jung war, um
mit Don Nicola in diesem Ton zu sprechen, aber es war eben eine
außergewöhnliche Nacht, und deshalb musste man ihm die Un-
höflichkeit verzeihen, dachten alle.