Montag, 2.Januar


Heute haben
Ernst Barlach * 1870
Isaac Asimov * 1920
Ilma Rakusa * 1946
Geburtstag
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Achim von Arnim
Neujahr

Altes Jahr, du ruhst in Frieden,
Deine Augen sind geschlossen;
Bist von uns so still geschieden
Hin zu himmlischen Genossen,
Und die neuen Jahre kommen,
Werden auch wie du vergehen,
Bis wir alle aufgenommen
Uns im letzten wiedersehen.
Wenn dies letzte angefangen,
Deutet sich dies Neujahrgrüßen,
Denn erkannt ist dies Verlangen,
Nach dem Wiedersehn und Küssen.
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Ein passendes Buch zum Jahreswechsel frisch ausgepackt:

Herlinde Koelbl: „Metamorphosen“
Die Schönheit des Vergänglichen
Steidl Verlag € 45,00

Wie eine indische Farbexplosion liegt das Buch vor mir auf dem Tisch. Herlinde Koelbl hat hier zum ersten Mal keine Menschen fotografiert. Löchrige, feingeäderte Blätter, Früchte und verwelkte Büten(blätter) verschmelzen hier zu einer ungeahnten Phantasiewelt. Verängelichkeit, Veränderungen, Metamorphosen zeigen ihre Schönheit in Form und Farbe. Ein zweiter Blick zeigt, dass es kein Textilprodukt, kein Stein, kein von handgemachtes Kunstwerk ist, sondern ein Spiel der Natur.
So ähnlich kann es auch uns mit dem Ende des jetzigen und dem Beginn des neuen Jahres gehen. Schauen wir mit offenen Augen in die nahe und ferne Zukunft und nehmen wir die sich verändernde Schönheit unserer Umwelt wahr und natürlich auch Veränderungen an uns selbst.
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Montag, 13.September


Heute haben
Marie von Ebner-Eschenbach * 1830
Sherwood Anderson * 1876
J.B.Priestley * 1894
Roald Dahl * 1916
Geburtstag
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„Ein anregendes Buch: eine Speise, die hungrig macht.“
Marie von Ebner-Eschenbach
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Und wieder ist ein neues Heft erschienen und wieder sind wunderbare Perlen darin versteckt:


„Sinn und Form“
Heft 5 / 2001 € 11,00

Enzensbergers Briefwechsel mit Adorno, Undine Gruenters Gedichte, Michael Krüger, John Burnside, Hans Blumenberg, Inger Christensen, Friedrich Diekmann: „Bei Lesen alter Sinn und Form Hefte“, Paul Stoop: „Susan Sontag am 11.September 2001“ und dann noch eine Poetik des Sandes und etwas über den Wombat.
Das ist aber nicht alles.
Fazit: Es lohnt sich da mal Reinzublättern.

Paul Stoop: „Der Schmerz der anderen“
Susan Sontag am 11.September 2001

»Und wo warst du, als …?« Es gibt weltpolitische Ereignisse, die den mit Radio und Fernsehen aufgewachsenen Generationen dauerhaft in Erinnerung geblieben und auch Jahrzehnte später noch Gesprächsthema sind: »Ich war gerade in XY, als die Nachricht kam …« Der Tag des Mauerbaus, der Tag, an dem John F. Kennedy erschossen wurde, der Tag des Mauerfalls. Und zuletzt vor genau zwanzig Jahren die Terrorangriffe auf das World Trade Center und das Pentagon.

Am 11. September 2001 schaute die ganze Welt zu, wie in einer Metropole zwei Wolkenkratzer, in denen Tausende Menschen arbeiteten, nach dem Angriff mit zwei gekaperten Passagierflugzeugen in Brand gerieten und einstürzten. Wer konnte, floh aus dem Gebäude, Hilfskräfte gingen unter Lebensgefahr hinein, verzweifelte Menschen sprangen aus höheren Stockwerken in den Tod – vor den Augen der Öffentlichkeit.

Eine hellsichtige New Yorkerin, die Verwandte, Freunde und Bekannte in der Stadt wußte, erlebte die Anschläge aus großer Entfernung. Für Susan Sontag manifestierte sich das Geschehen nicht direkt durch Lärm, Gestank oder den Staub, der sich über große Teile Manhattans legte, sondern in Fernsehbildern. Bilder waren für sie schon immer von größter Bedeutung. Nichts in ihrem Leben, schrieb sie in ihrer Essay-Sammlung »Über Fotografie« (1977), habe einen so »einschneidenden, tiefen, unmittelbaren« Eindruck auf sie gemacht wie die dokumentarischen Fotos vom Mord an den europäischen Juden, die sie als Zwölfjährige in einer Buchhandlung betrachtete.

Jahrzehntelang widmete Sontag der spezifisch modernen Wahrnehmung von Tod und Leiden, die uns durch dieses Medium vermittelt wird, besondere Aufmerksamkeit. Anfang 2001 hielt sie in Oxford einen Vortrag über den Schmerz der anderen, den wir aus räumlicher und zeitlicher Distanz wahrnehmen, vor allem durch Fotos von Kriegsreportern. Diese Überlegungen bildeten die Grundlage für ihr letztes zu Lebzeiten veröffentlichtes Buch, »Das Leiden anderer betrachten« (2003), in dem sie ihre frühere Auffassung revidierte, die Fülle von Abbildungen ferner Kriegsgreuel führe zu Abstumpfung.

Eine eigene zeitliche Distanz zum 11. September 2001 konnte Susan Sontag nicht mehr herstellen. Sie starb Ende 2004. Ihre unmittelbare Einordnung der Ereignisse löste aber eine heftige Kontroverse aus. In einem kurzen Text brachte sie nicht ihr Entsetzen über den Massenmord zum Ausdruck, sondern attackierte die Rhetorik der amerikanischen Regierung und der vermeintlich angepaßten Medien. Besonders ihr Satz über die Attentäter, »Feiglinge waren sie nicht«, empörte viele Kommentatoren. Sontag bestätigte nicht nur die vielen, die sie schon immer kritisiert hatten, sondern schockierte auch manche treuen Wegbegleiter.

Über ihre persönliche Situation in jenen Tagen ist bisher wenig bekannt. In der preisgekrönten Biographie von Benjamin Moser bleiben sie merkwürdig unterbelichtet. Moser beschreibt die Bilder, die damals live um die Welt gingen: »Unter den Millionen Zuschauern war Susan Sontag, die in Berlins Mitte im Hotel Adlon wohnte.« Dann läßt er seine Protagonistin für die 48 Stunden allein, die für die Weltöffentlichkeit die eindrücklichsten seit dem Mauerfall gewesen sein dürften. »Zwei Tage nach den Angriffen, als Susan in ihrer Adlon-Suite noch am Bildschirm klebte, bat ihre alte Freundin Sharon DeLano vom ›New Yorker‹ sie, etwas Kurzes für das Magazin zu schreiben.«

Die knappen Sätze suggerieren eine Entrücktheit dieser stets nervös-alerten Beobachterin des Zeitgeschehens: Sontag sitzt einsam im Hotel und schaut tagelang TV, allein, ohne sozialen Kontext, im Dialog nur mit sich selbst, eine Amerikanerin fern von daheim, die wohl auch deshalb zu einem unerhörten Urteil gelangt.

Wo war Sontag am 11. September? Sie war nicht »in ihrer Suite im Adlon«, als die Welt gebannt auf den Fernsehschirm sah. Sie war nicht allein, war nicht von der Möglichkeit des Austauschs abgeschnitten. Sie hatte am Abend sogar einen öffentlichen Auftritt, von dem Moser wohl ebensowenig wußte wie Daniel Schreiber, der 2007 die Sontag-Biographie »Geist und Glamour« veröffentlichte.

SINN UND FORM 5/2021, S. 702-706

Die komplette Leseprobe finden Sie hier.
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1.Welches Buch lesen Sie gerade?
2.Welches Buch empfehlen Sie unbedingt?
3.Welches Buch wollen Sie schon immer mal (wieder) lesen?

Ilma Rakusa (Schriftstellerin, Lyrikerin) empfiehlt:

1. Ich lese gerade das Buch von Byung-Chul Han: „Undinge. Umbrüche der Lebenswelt“ (Ullstein, 2021).
2. Unbedingt empfehlen möchte ich die Kurzgedichte des vor wenigen Tagen verstorbenen belarussischen Dichters Ales Rasanau: „Das dritte Auge. Punktierungen“ (Urs Engeler, 2007). Elke Erb hat sie wunderbar übersetzt.
3. Schön wäre es, Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ wiederzulesen – in Musse.


Herzliche Grüsse
Ilma Rakusa

Danke!!!!!

SINN UND FORM 5/2021, S. 702-706

Mittwoch, 24.August

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Heute haben
Jean Rhys * 1890
Jorge Luis Borges * 1899
AS Byatt * 1936
Joshua Sobel * 1939
Paulo Coelho * 1947
Stephen Fry * 1957
Michael Kleeberg * 1959
Geburtstag
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Abend aber lau
das Alleinsein lädt sich auf
macht keine Szene

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Ilma Rakusa:Impressum: Langsames Licht
Gedichte
Droschl Verlag € 20,00

15 Jahre hat es gedauert, bis Ilma Rakusa einen weiteren Gedichtband veröffentlicht hat. Jetzt liegt er vor und beim ersten Aufschlagen habe ich ein Ulm-Gedicht entdeckt.

Ulm, Farbenlicht

Ziemlich banal: Schneegstöber,
Nackenverspannung, bei Rossmann
Nivea Vital gekauft und ab.

Guten Tag. Gute
Hoffnung. Wir werden nicht
verloren sein. Etwas besoffen
zum Bahnhof, als flöge ich.
Die Landschaft mit Rind und
Jesuskind begleitet mich.

Städte sind wichtig im Leben von Ilma Rakusa. Viele aus dem Osten Europas, dort, wo sie herkommt, dort, wo sie sich auskennt. Darüber schreibt sie auch in ihren Erzählungen, Essays und Romanen. Und so findet sich nach Transsylvanien und Bukarest plötzlich Ulm. Danach Umea und Köln, Berlin und Praha. Diesen Orten hat sie eines der sieben Kapitel gewidmet.

Melancholien
Orte
Zeiten
Dinge
Bilder
HommagenTräume. Wünsche

Jedes Kapitel beginnt mit einem Haiku. Somit haben wir vielleicht ein weiteres Kapitel.
Durch alle Kapitel zieht sich der rote Faden der Zeit. Die Zeit, in der wir leben. Den Augenblick, den es einzufangen gilt, der Moment, der ruckzuck wieder vorbei ist. Vergangenes vermischt mit der Gegenwart. Genauso die Jahreszeiten. Wir finden Schneegestöber und laue Sommernächte.

Sommer

Sommer ist:
wenn das Zimmer bei halbgeschlossenen
Jalouisien vor sich hin dämmert.


Warten auf Schwalben

Der Flieder verblüht, doch die braunen Blüten
erinnern. Im Grün. So schnell der Wechsel,
eben noch Duft, dann keiner. Jetzt blüht es
nebenan, schaumweiß, ein kleiner Strauch
und will es beweisen. Die Vögel sporadisch,
im Dickicht versteckt. Schwalben? Albern
keine herum. Und warum? Im galizischen
Lemberg schrien sie schon, über spitzen
Giebeln. Hier nicht. Sind wo hängen
geblieben. Ich möchte wissen, an welchen
Drähten. Späher, weißt du’s?

Ilma Rakusa läßt Alltägliches in ihre Gedichte einfließen, betrachtet Kleinigkeiten und fordert uns auf, genau hinzuschauen. Nicht nur auf ihre Gedichte, sondern auf uns selbst und auf unsere Nächsten. Ihre Aufzählungen sind wie ein Blättern in einem Fotolbum, in dem ganze Lebensläufe gesammelt sein können. Sie sammelt, hortet, legt aus und mischt neu. Vielleicht können Sie sich noch an eine unserer Jahresgaben erinnern, die von Ilma Rakusa war und in der es um das Sammeln ging.
Unglaublich dicht und komprimiert können sie sein, die Gedichte, aber auch luftig leicht und winterlicht schwer.
Ein großes Vergnügen, das mich veranlaßt hat, mehrfach kreuz und quer durch das Buch zu blättern.

Gedicht gegen die Angst

Streichle das Blatt
küsse den Hund
tröste das Holz
hüte den Mund
zähme den Kamm
reime die Lust
schmücke den Schlaf
plätte den Frust
neige das Glas
wiege das Buch
liebe die Luft
rette das Tuch
schaue das Meer
rieche das Gras
kränke kein Kind
iss keinen Fraß
lerne im Traum
schreibe was ist
nähre den Tag
forme die Frist
lenke die Hand
eile und steh
zögere nicht
weile wie Schnee
öffne die Tür
lade wen ein
schenke dich hin
mache dich fein
prüfe dein Herz
geh übers Feld
ruhe dich aus
rühr an die Welt

2.Januar 2016

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Heute haben
Ernst Barlach * 1870
Isaac Asimov * 1920
Geburtstag
und Ilma Rakusa wird 70. Herzlichen Glückwunsch.
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Ganz traditionell gibt es zum Monatsbeginn einen Hinweis auf die
Reclam-Gedichtbändhen.

978-3-15-019111-8

Januar
Gedichte
Hrsg.: Christine Schmidjell und Evelyne Polt-Heinzl
Reclam Verlag € 5,00

Auch diesmal ist es wieder eine illustre Mischung und wieder ohne Goethe.
Ausländer, Borchers, Brinkmann,Claudius, Domin, Fried, Fuchs, George, bis hin zu Trakl, Tucholsky und Werfel.
Die Damen beginnen mit der Rubrik “Ins neue Jahr”, lassen dann “Glück und Segen” folgen, bis es zum “Schneegestöber” kommt und wir dann wieder “Geborgen daheim” sind. “Frost” und “Winter im Land” lassen diese Anthologie ausklingen.

Eduard Möricke
Zum Neujahr

Mit einem Taschenkalender

An tausend Wünsche, federleicht,
Wird sich kein Gott noch Engel kehren,
Ja, wenn es so viel Flüche wären,
Dem Teufel wären sie zu seicht.
Doch wenn ein Freund in Lieb und Treu
Dem andern den Kalender segnet,
So steht ein guter Geist dabei.
Du denkst an mich, was Liebes dir begegnet,
Ob dir’s auch ohne das beschieden sei.

Achim von Arnim
Neujahr

Altes Jahr, du ruhst in Frieden,
Deine Augen sind geschlossen;
Bist von uns so still geschieden
Hin zu himmlischen Genossen,
Und die neuen Jahre kommen,
Werden auch wie du vergehen,
Bis wir alle aufgenommen
Uns im letzten wiedersehen.
Wenn dies letzte angefangen,
Deutet sich dies Neujahrgrüßen,
Denn erkannt ist dies Verlangen,
Nach dem Wiedersehn und Küssen.

Christian Morgenstern
Winternacht

Flockendichte Winternacht …
Heimkehr von der Schenke …
Stlles Einsamwandern macht,
dass ich deiner denke.

Schau dich fern im dunklen Raum
ruhn in bleichen Linnen …
Leb ich wohl in deinem Traum
ganz geheim tiefinnen? …

Stilles Einsamwandern macht,
dass ich nach dir leide …
Eine weiße Flockennacht
flüstert um uns beide…

Rainer Maria Rilke
Wintermorgen

Der Wasserfall ist eingefroren,
die Dohlen hocken hart am Teich.
Mein schönes Lieb hat rote Ohren
und sinnt auf einen Schelmenstreich.

Die Sonne küßt uns. Traumverloren
schwimmt im Geäst ein Klang in Moll;
und wir gehn fürder, alle Poren
vom Kraftarom des Morgens voll.

Das soll erstmal genügen.
Ich habe nämlich tatsächlich verpennt und muss mich sputen, damit ich rechtzeitig den Buchladen aufschließen kann.
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Morgen gibt es die 17.Sonntagsskizzen von Detlef Surrey

Barcelona

Zum kalten Jahresanfang einige Skizzen aus dem sonnigen Süden. Barcelona und seinem Strand, Barceloneta…

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