Heute haben Albrecht Goes * 1908 Michael Hamburger * 1924 Wolfgang Bächler * 1925 Eveline Hasler * 1933 Bruno Ganz * 1941 André Heller * 1947 Érik Orsenna * 1947 Aleida Assmann * 1947 Geburtstag. Heute, im Jahre 1832, ist Goethe gestorben. _______________________________
„Wer im Leben nur rechnet, kommt nie auf seine Rechnung.“ Albrecht Goes ________________________________
Ein Tag im Freibad, der letzte schöne Tag am Ende der Ferien, in einem Bad, das noch so aussieht wie früher. Noch keine Tunnelrutsche, die Kabinen mit zugestopften Gucklöchern und der Bademeister ist der gleiche wir vor 25 Jahren. Ein Investor sitzt schon in den Startlöchern. Da ist Renate, die im Kassenhäuschen sitzt , nachdem ihr Kassensitz in der Bank durch den Automaten getauscht wurde. Da ist Joe, die eigentlich nicht unbedingt hier sein sollte, denn heute ist die Beerdigung ihres (mittlerweile ungeliebten) Mannes. Da ist Isobel, die noch aus einer ganz fernen Zeit stammt und dort auch mehr oder weniger wieder zuhause ist. Melanie kommt mit ihrer Kitagruppe zum Seepferdchen machen und das angeschlagene Geschwisterpaar, sie redet nicht und hat sich frisch die Haare abrasiert, halten das Publikum mit „dem Seemann“ vom Sprungturm in Atem. Nun taucht auch noch Lenny auf, der in der großen Welt ist und eigentlich zur Beerdigung des ehemaligen Freundes in die Heimststadt gekommen ist. Warum ihn ausgerechnet der Weg ins Freibad geführt hat, weiß er auch nicht so recht. Jetzt steht er hier und staunt, dass es hier so aussieht wie immer und dann trifft er auch noch seine Jugendliebe Joe. Kiontke, der Bademeister, hätte eigentlich ein gutes Leben, wäre nicht vor ein paar Jahren ein Unglück im Bad geschehen. Er fühlt sich schuldig, ist er aber keinesfalls. Wäre es nicht März, würde ich sagen: Ab damit ins Freibad! Der Anfang des Romans ist ein bisschen derb, aber bitte weiterlesen, dahinter versteckt sich ein wunderbar feinsinniger, humorvoller Roman im Hier und Jetzt mit einem bisschen Damals.
Arno Frank, geboren 1971, ist Publizist und arbeitet als freier Journalist vor allem für den SPIEGEL, die taz und den Deutschlandfunk. Er lebt mit seiner Familie in Wiesbaden. Zuletzt erschien von ihm der Roman „So, und jetzt kommst du“ . ________________________________________
Auf SWR Landesschau Rheinland-Pfalz gibt es einen Beitrag über Gérard Scappini, der bei uns im Buchladen aus seinem letzten Buch vorgelesen und viel erzählt hat. Genießen Sie die 4-5 Minuten.
Heute haben Hedwig Dohm * 1831 Upton Sinclair * 1878 Joseph Breitbach * 1903 Hanss Cibulka * 1920 Adolf Endler * 1930 Paulus Böhmer * 1936 Javier Marías * 1951 Michael Wildenhain * 1958 Geburtstag _____________________________________
„Gewiß, jeder hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern; das Recht aber, diese Meinung mit der Wahrheit zu identifizieren und für den Andersdenkenden Scheiterhaufen zu errichten, das hat er nicht.“ Hedwig Dohm ______________________________________
Extinction Rebellion in Berlin, 19.9.2022
Unser Buchtipp:
Jens Liljestrand: „Der Anfang von morgen„ Aus dem Schwedischen von: Thorsten Alms, Karoline Hippe, Franziska Hüther, Stefanie Werner S.Fischer Verlag € 24,00
Es brennt. Es brennt wie in Franziska Gänslers Roman „Ewig Sommer“, den wir vor ein paar Tagen hier vorgestellt haben. Die Wälder brennen und es wird danach viele Vermisste und Tote geben. Jens Liljestrand will aber kein Weltuntergangsszenario beschreiben. Er will in seinem Buch die Blickrichtung auf die Menschen richten. Was machen Menschen in so einer Extremsituation? Wie verhalten sie sich? Wie reagieren sie auf andere Menschen in ihrem Umfeld? Liljestarnd lässt dabei vier Menschen zu Wort kommen, die auch von vier Personen übersetzt worden sind. Da ist Didrik, der mit seiner Familie im Herzen Schweden in einer Waldhütte seinen Urlaub verbringt. Zu lange warten sie, bis sich entschließen, aufzubrechen. Dass dann das Auto, durch die Hitze, nicht mehr anspringt, macht die Situation noch gefährlicher. Daneben gibt es noch eine junge Influencerin, den Sohn einer Tennislegende und Didriks älteste Tochter Vilja, die am Ende des Romanes die Zügel in die Hand nimmt. Es sind die Jungen, die sich wehren, die kämpfen, die sich einsetzen und ihr Leben riskieren.
„Ich habe den Roman nicht geschrieben, damit Leute jetzt feststellen, dass es den Klimawandel gibt – das ist bekannt. Was mein Roman kann: helfen, die eigene Gefühlswelt auszudrücken – Verzweiflung oder Wut oder Trauer oder Resilienz. Das kann Kultur. Wir werden den Klimawandel nicht mit Kultur stoppen. Dafür brauchen wir Wissenschaft und Technologie. Aber Kultur lässt Menschen sich selbst und andere erkennen.“
„Der Anfang von morgen“ ist ein prallvoller Roman, über den ich noch seitenlang schreiben könnte, so viele Geschichten sind darin verwoben, in denen es um auch um Liebe und Betrug, politische Engagement und heftige Diskussionen geht. Liljestrand möchte nicht erklären und physikalische Zusammenhänge aufdröseln. Er nimmt uns mittenhinein in ein mögliche Zukunft, die schon Wirklichkeit geworden ist. Wir hören es knistern und knacken, wir spüren die Hitze und das Brüllen der Feuersbrunst und meinen direkt neben den Personen zu stehen.
„Wenn Sie diesen Roman gelesen haben und mehr über den Klimawandel wissen wollen: Lesen Sie keine Romane. Informieren Sie sich lieber darüber, was Ihre Regierungen und Wissenschaftler dazu sagen.“
Gérard Scappini: „Ankunft in der Fremde“ Lesung und Gespräch Eintritt € 8,00
Man könnte Gérard Scappinis Roman „Ankunft in der Fremde“ lesen wie einen Zeitzeugenbericht. Wie sein Protagonist Pascal Napolitana stammt Scappini aus Toulon – und nachdem der Autor in den beiden Vorgängerbänden über Kindheit und Jugend Pascals in der südfranzösischen Stadt geschrieben hat, geht es nun ins Freiburg der Jahre 1966/67, wo der junge Mann, wie damals der Autor selbst, seinen 16-monatigen Militärdienst ableisten muss. In der Tasche hat er einen Gedichtband des Pazifisten Prévert, dafür keinen Schulabschluss, von Deutschland kennt er kaum mehr als „Goethe / Hitler / und Beckenbauer“. Gérard Scappini wurde 1947 in Toulon geboren. 1966 kam er nach Freiburg, um seinen Militärdienst zu absolvieren und blieb danach in Deutschland. Er reiste viele Jahre als Verlagsvertreter durch den Buchhandel.
Heute haben William Golding * 1911 Carlo Fruttero * 1926 Stefanie Zweig * 1932 Gerhard Köpf * 1948 Geburtstag _____________________________________
Winfried Hermann Bauer Oh, guter Mond, du gehst so stille
Mondlicht Versilbert den Regen Auf Straßen und Dächern Leuchtet im Schmutzwasser Leuchtet auf dem Lack der Limousine Leuchtet auf des Messers Schneide Auf dem Jagdbomber Auf der Panzerabwehrkanone Auf dem smarten Display Leuchtet in deinem Fenster Aus meinem Spiegel Silbern Wie die Fischbäuche im bleischweren See Wie der Spionagesatellit Wie der Sichtschutz im Laboratorium Blind einerseits Aber wandlungsfähig Für dreißig Silberlinge Täglich Muss er wandern Immer weiter Oh, guter Mond, du gehst so stille Allein Du bist ein Silberstreif am Horizont… _________________________________________
Unser Bilderbuchtipp:
Text: Jackie McCann, Illustrationen: Aaron Cushley: „Denk dir 100 Menschen„ Aus dem Englischen von Birgit Franz ars edition € 12,00 Sachbilderbuch ab 7 Jahren
Die gesamte Bevölkerung sind ungefähr acht Milliarden Menschen. Wenn wir diese unvorstellbar große Zahl auf 100 Menschen herunterbrechen, dann können wir uns bestimmte Dinge besser vorstellen. Dann zeigt uns das Sachbilderbuch, dass von 100 Menschen zwei rote Haare haben. Es zeigt aber auch, wieviele von den 100 kein festes Zuhause haben, wieviele von den 100 an sauberes Wasser herankommen, wieviele lesen und rechnen können, wieviel Zugang zu elektrischen Strom und zum Internet haben. So bekommen wir eine ungefähre Vorstellung von den Unterschieden und Gemeinsamkeiten auf unserem großen Planeten, auf dem sich gerade so viel verändert.
Schauen Sie einfach kurz in die Leseprobe. ______________________________________
Morgen bei uns in der Buchhandlung:
Dienstag, 20.September, 19.00 Uhr Gérard Scappini: „Ankunft in der Fremde“ Eintritt € 8,00
„Ankunft in der Fremde“ ist ein lyrischer Roman über eine Episode im Leben des jungen Franzosen Pascal: seine Militärzeit in Freiburg. Es ist das Zeitzeugnis einer längst vergangenen Epoche, aus ungewöhnlichem Blickwinkel erzählt. Dabei eröffnen sich Schlaglichter auf ein Erwachsenwerden, die das Buch auch zu einer historischen, interkulturellen Coming-of-Age-Geschichte werden lassen. Für diese Ankunft hat Scappini eine auffällige, jedoch passende Sprache gefunden. Die Setzung in freien Versen, die auch aus einzelnen Wörtern bestehen können, verleihen der angenehm schmucklosen Prosa einen eigenen Rhythmus, der vorantreibt und doch immer wieder in unerwarteten Momenten innezuhalten scheint. So lesen sich die Sätze mal atemlos, mal als vorsichtige Annäherung an Gefühl und Ausdruck. Sie bringen die unbeholfene Aneignung der fremden Sprache zum Ausdruck, einen Prozess der Formsuche und der Selbstfindung.
Heute haben Marie von Ebner-Eschenbach * 1830 Sherwood Anderson * 1876 J.B.Priestley * 1894 Roald Dahl * 1916 Miroslav Holub * 1923 Johannes Poethen * 1928 Geburtstag ________________________________
Winfried Hermann Bauer Auf Messers Schneide
Schattenschwer Lastet der Tag Auf meinen Schultern Dunkle Wolken tragen deine Worte vorüber Ich kann dich nicht hören Sturm droht Hinter dem Vorhang Bis ein fremdes Skalpel aufblitzt Und mit beherztem Schnitt Den Himmel in mir Öffnet Gleißend das Licht ____________________________________________
Bei uns in der Buchhandlung und im Schaufenster:
Harald Koch: Floating Piers Fotoausstellung 16 Tage übers Wasser gehen
Erst einmal war es die Vision eines herausragenden Künstlerehepaares. In der Umsetzung bedeutete dies: 220 000 Schwimmkörper aus Polyethylen. Das Garn aus Wuppertal, 100 000 qm dahliengelber Stoff gewebt in Greven, zugeschnitten und genäht in Lübeck mit Nähmaschinen aus Möglingen. Unzählige Menschen aus den unterschiedlichsten Disziplinen, an Land, zu Wasser und in der Luft, waren an der Umsetzung beteiligt. 16 Tage, die 1.2 Millionen Besucher übers Wasser laufen lassen und ins Schwärmen bringen.
Aber von was reden wir? Von „FLOATING PIERS“ – einem Kunstprojekt, das die Zeitungen mit dem Satz „Christo verzaubert den Iseo-See“ betitelten. Vom 18. Juni bis 3. Juli 2016 konnten wir Teil dieses Zaubers sein. Indem wir über das Wasser gehen und uns auf die Farbe, die Bewegung des Sees, auf Christos Kunstevent und die Landschaft einlassen. Das Künstlerehepaar Christo & Jeanne-Claude hatten wohl 46 Jahre zuvor schon die Idee, Menschen über das Wasser laufen zu lassen. So lange hat es gedauert, bis diese Phantasie dann Realität wurde. An einem wunderbaren Ort – am Iseo-See in Norditalien. Leider konnte Jeanne-Claude dies nicht mehr miterleben, weil sie 2009 starb. Was alle Projekte von Christo & Jeanne-Claude immer auszeichnete war die Begrenzung der Zeit. Ob verhüllter Bundestag oder „The Gates“ in New York, und all die Anderen – nur für einen kurzen Zeitraum war ein direktes „Erleben“ möglich. Ich kann nur sagen – jeder Kilometer Anfahrt, jeder Meter auf dem Stoff wandelnd, jeder Blick auf dieses Projekt – sie waren es wert. Ein Eindruck, der mit Staunen, Ehrfurcht, Spaß und Lebensfreude einhergeht. Dieses Erleben in Bilder umzusetzen, das zu fotografieren, was in diesem Moment das Auge erfasst – das kann nur ein Versuch sein, dieses Event in der Erinnerung zu halten und für nicht Dagewesene sichtbar zu machen. Genau dies sehe ich als Aufgabe für mich als Fotograf.
Harald Koch h.koch.foto@web.de Mobil: 0160 3331600 ____________________________________
Wir freuen uns, dass Steven Uhly den Weg zu uns gefunden hat. Mit im Gepäck sein neuester Roman, der mich von Beginn an fesselte. „Die Summe des Ganzen“ von Steven Uhly liest sich wie ein Krimi, ist ein Kammerspiel mit zwei Männern in einem Beichtstuhl. Es geht um Schuld und Sühne, um eine etwaige Erlösung und die Macht des Herzens. Padre Roque de Gurmán sitzt täglich in seinem Beichtstuhl in einer Kirche bei Madrid. Er hört immer die gleichen Geschichten, vergibt und hört sich dasselbe in einigen Wochen wieder an. Eines Tages taucht ein Fremder auf und möchte eine große Sünde, die er wohl demnächst begehen wird, beichten. Tag für Tag erfahren wir mehr über die Obsession des Fremden. Ist dieses Treffen wirklich zufällig und ist es nicht sogar der Padre, der zuerst eine Beichte ablegt? Eine packende, literarische Lektüre vom Autor u.a. von „Glückskind“ (2012), das von Michael Verhoeven für die ARD verfilmt worden ist. Und vergleichbarbar mit Sándor Márais: „Die Glut“ und Fred Uhlmans: „Der wiedergefundene Freund“.
Lesung in der Buchhandlung am Freitag, 16.9. ab 19 Uhr Eintritt € 8,00 ____________________________________________
Und am darauffolgenden Dienstag kommt Gérard Scappini zu uns. Dienstag, 20.9. ab 19 Uhr Eintritt € 8,00
Gérard Scappini: „Ankunft in der Fremde“ Von Toulon nach Freiburg Pendragon Verlag € 17,00
Lange Jahre war Gérard Scappini u.a. in Baden-Württemberg als Buchvertreter unterwegs und schaute zweimal im Jahr bei uns vorbei. Schön, also hier mehr aus seinem Leben zu erfahren. Eine besondere Biografie in einer eigenen Art, diese aufzuschreiben.
Pascal Napolitana aus Toulon in Südfrankreich kommt 1966 nach Freiburg im Breisgau, um seinen Militärdienst im besetzten Deutschland zu absolvieren. Er ist das erste Mal im Ausland und spricht kein Wort deutsch. Und auch sonst ist der junge Pascal noch nicht weit gekommen: er hat keinen Schulabschluss, keinen Beruf und nicht einmal den Führerschein. Doch so nach und nach lernt er die deutsche Sprache, findet Freunde, verliebt sich und kommt in der Fremde an.
„… Für diese Ankunft hat Scappini eine auffällige, jedoch passende Sprache gefunden. Die Setzung in freien Versen, die auch aus einzelnen Wörtern bestehen können, verleihen der angenehm schmucklosen Prosa einen eigenen Rhythmus, der vorantreibt und doch immer wieder in unerwarteten Momenten innezuhalten scheint. So lesen sich die Sätze mal atemlos, mal als vorsichtige Annäherung an Gefühl und Ausdruck. Sie bringen die unbeholfene Aneignung der fremden Sprache zum Ausdruck, einen Prozess der Formsuche und der Selbstfindung.“, schreibt die Badische Zeitung.
Heute haben Joachim Ringelnatz *1883 Luisa Famos * 1930 Josef W.Janker * 1922 Wladimir Sorokin * 1955 Geburtstag ______________________________________
Joachim Ringelnatz Sommerfrische
Zupf dir ein Wölkchen aus dem Wolkenweiß, Das durch den sonnigen Himmel schreitet. Und schmücke den Hut, der dich begleitet, Mit einem grünen Reis.
Verstecke dich faul in der Fülle der Gräser Weils wohltut, weils frommt. Und bist du ein Mundharmonikabläser Und hast eine bei dir, dann spiel, was dir kommt.
Und lass deine Melodien lenken Von dem freigegebenen Wolkengezupf. Vergiss dich. Es soll dein Denken Nicht weiter reichen als ein Grashüpferhupf. _____________________________________
Dienstag, 20.September, 19.00 Uhr Gérard Scappini: „Ankunft in der Fremde“ Bei uns in der Buchhandlung Eintritt frei
Badische Zeitung vom 2.8.22
Man könnte Gérard Scappinis Roman „Ankunft in der Fremde“ lesen wie einen Zeitzeugenbericht. Wie sein Protagonist Pascal Napolitana stammt Scappini aus Toulon – und nachdem der Autor in den beiden Vorgängerbänden über Kindheit und Jugend Pascals in der südfranzösischen Stadt geschrieben hat, geht es nun ins Freiburg der Jahre 1966/67, wo der junge Mann, wie damals der Autor selbst, seinen 16-monatigen Militärdienst ableisten muss. In der Tasche hat er einen Gedichtband des Pazifisten Prévert, dafür keinen Schulabschluss, von Deutschland kennt er kaum mehr als „Goethe / Hitler / und Beckenbauer“. Aus dem ungewohnten Blickwinkel eines französischen Soldaten erzählt der Roman von einer Epoche der Freiburger Geschichte, als die Truppen des ehemaligen Besatzers, seine Kasernen und Verwaltungsgebäude längst Teil des Stadtbilds geworden sind. Die Perspektive ist exklusiv, ja intim. Abhängig ist die von einem bisweilen zaghaften Ich-Erzähler und einem höchst begrenzten Bewegungsradius hinter Kasernenmauern, zwischen Kantinen, Wachposten und schließlich den wenigen Treffpunkten mit Kameraden und neuen Freunden. Nimmt der Ich-Erzähler die Menschen im kalten Freiburg zunächst als misstrauisch und abweisend wahr, tritt er allmählich mit ihnen in Kontakt – mit der Französischstudentin Uschi, radebrechend mit der Verkäuferin, die ihn nach „Weggle oder Milchweggle“ fragt, beim Tanz mit gleichaltrigen Einheimischen, von denen die Soldaten nur an den kurzgeschorenen Haaren zu unterscheiden sind.
So entsteht eine sehr persönliche emotionale Topografie der fremden Stadt: der Beatkeller und der Brunnen auf dem Münsterplatz, das Lorettobad, wo der Ich-Erzähler im Tausch gegen ein paar Liter abgezweigtes Benzin den Sommer verbringt, die nach Lavendel duftende Badewanne in der Kandelstraße, in der Verena mit ihm sitzt. Die Perspektive bleibt die des jungen Schulabbrechers, der nicht weiß, was er von seiner Zukunft eigentlich erwartet, und nicht versteht, weshalb er in einem offenbar friedlichen Land Krieg spielen und Büros bewachen soll. „Ankunft in der Fremde“ ist damit auch eine Geschichte vom Erwachsenwerden. „Ich lasse mich treiben. Abwartend. Ziellos“: Die bürgerliche Welt bietet dem Ich-Erzähler oft ebenso wenige Orientierung wie jene fremde Stadt, in der er so unvermittelt im tiefsten Winter abgesetzt wurde.
Für diese zögerliche Ankunft hat Scappini eine auffällige, jedoch passende Sprache gefunden. Die Setzung in freien Versen, die auch aus einzelnen Wörtern bestehen können, verleihen der angenehm schmucklosen Prosa einen eigenen Rhythmus, der vorantreibt und doch immer wieder in unerwarteten Momenten innezuhalten scheint. So lesen sich die Sätze mal atemlos, mal als vorsichtige Annäherung an Gefühl und Ausdruck. Sie bringen die unbeholfene Aneignung der fremden Sprache zum Ausdruck, einen Prozess der Formsuche und der Selbstfindung.
Gérard Scappini wurde 1947 in Toulon geboren. 1966 kam er nach Freiburg, um seinen Militärdienst zu absolvieren und blieb danach in Deutschland. Er reiste viele Jahre als Verlagsvertreter durch den Buchhandel.
„Wo der Anfang der Existenz ist, ist auch der Anfang der Literatur. Wenn der Wind durchs Haus geht, muß man sich danach erkundigen, warum es so ist. Die Schönheit ist ein gutes Ding. Aber Schönheit ohne Wahrheit ist böse. Wahrheit ohne Schönheit ist besser. Sie bereitet die legitime Schönheit vor, die Schönheit hinter der Selbstdreingabe, hinter dem Schmerz.“ Wolfgang Weyrauch ________________________________
Der dritte Teil von Gérard Scappinis biographischen Romanen ist erschienen.
Gérard Scappini: „Ankunft in der Fremde„ Von Toulon nach Freiburg Pendragon Verlag € 17,00
Nach „Ungeteerte Straßen“ und „Am anderen Ende der Stadt“ folgt nun der dritte Band der biographischen Romane von Pascal Napolitano. Nach Kindheit und Jugend kommt es zum großen Umbruch in seinem Leben. Er wird zum Militär eingezogen, kann so der Enge des elterlichen Zuhause entfliehen und landet in Freiburg. Ohne Deutschkenntnisse, ohne je im Nachbarland gewesen zu sein, befindet er sich plötzlich in einer Kaserne, abgeschirmt von der Bevölkerung. Die „Abenteuer“ des jungen Mannes, seine „Karriere“ beim Militär, seine Versuche, sich den Freiburger Jugendlichen anzunähern, beschreibt Gérard Scappini wieder in einer Prosa, die an ein langes Gedicht erinnert. (Nicht umsonst liegt auf dem Beifahrersitz des Autos, das er als Chauffeur der Frau des Generals fährt, ein Buch von Prévert. Der Ton, der diesen Roman durchzieht, bringt uns dazu zu schmunzeln, uns über Pascals Tollpatschigkeit zu lachen und gleichzeitig merken wir, wie schwierig die Situation für ihn in diesem fremden Land gewesen ist. Ich freue mich schon auf den nächsten Band dieser autobiographischen Romane. _________________________________________
Montag, 18.Oktober um 19 Uhr in der vh Ulm im Club Orange Thomas Schuler: „Auf Napoleons Spuren“ Eine Reise durch Europa