Am 21.Oktober wurden auf der Frankfurter Buchmesse zum 60.Mal die Deutschen Jugendliteraturpreise vergeben.
Hier finden Sie alle GewinnerInnen und die dazugehörenden Jurybegründungen.
Preisträger 2016 – Bilderbuch
Edward van de Vendel (Text)
Anton van Hertbruggen (Illustration)
„Der Hund, den Nino nicht hatte„
Aus dem Niederländischen von Rolf Erdorf
Bohem Press € 14,95
Ab 5
Jurybegründung
Nino wünscht sich einen Hund, aber er bekommt keinen. Doch sind der kindlichen Phantasie zum Glück keine Grenzen gesetzt, und so kann Nino mit einem imaginierten Hund umherziehen und wilde Abenteuer erleben. Zum Geburtstag bekommt er doch noch einen Hund; nur verhält sich dieser ganz anders als das Tier in Ninos Vorstellung.
Wie Edward van de Vendel erzählerisch hierfür eine Lösung findet und Anton van Hertbruggen diese illustratorisch umsetzt, zeigt die ganze Meisterschaft dieses etwas anderen Hundebilderbuches. Es ist in erdigen Farben gehalten, wodurch alles wie in einem Dämmerzustand wirkt. Das passt zu Nino und seiner Phantasie, das passt aber auch zu dem Wald, in dem der Junge seine imaginierten Abenteuer erlebt. Erzähltext und Illustrationen verschmelzen in diesem Buch zu einer Einheit. Van de Vendels Sprache entfaltet einen eigenen Rhythmus. Rolf Erdorf hat dies feinfühlig übersetzt. Der knappe Text gibt dem Illustrator in seinem Erstlingswerk große Freiheit. Anton van Hertbruggen entwickelt eine eigene Bildsprache und gestaltet damit die eigentliche Geschichte, die kindliche Wünsche und Träume sichtbar macht. Seine vielschichtige und hintergründige Umsetzung lässt verschiedene Deutungen zu und öffnet das Buch beim wiederholten Betrachten immer wieder für neue Geschichten.
Autor und Illustrator versetzen sich tief in die Gedankenwelt von Kindern und thematisieren die grundlegende kindliche Erfahrung, dass Vorfreude oft nicht die tatsächliche Erfüllung findet.
Preisträger 2016 – Kinderbuch
Hayfa Al Mansour: „Das Mädchen Wadjda„
Aus dem Englischen von Catrin Frischer
cbt Verlag € 12,99
ISBN: 978-3-570-16378-8
Ab 11
Jurybegründung
Das Mädchen Wadjda ist das erste Kinderbuch der saudi-arabischen Autorin und eine Adaption ihres gleichnamigen Spielfi lmes. Die elfjährige Wadjda ist ein energisches und mutiges Mädchen, das Regeln und Konventionen nicht einfach hinnehmen will. Sie macht sich ihre eigenen Gedanken über das Leben in Riad im Allgemeinen und das von Frauen im Besonderen. Warum darf sie nicht so wie ihr bester Freund Abdullah Fahrrad fahren? Nichts wünscht sie sich sehnlicher als das grüne Fahrrad im Laden um die Ecke. Doch für Mädchen gehört sich das in diesem Land nicht.
Ein Leben in engen Grenzen, Einblicke in die Problematik der Zweitfrau, die Stellung des Mannes in der arabischen Welt – hier schreibt eine Autorin aus der Innensicht ihres Kulturkreises. Das grüne Fahrrad wird zum Symbol für Rebellion, Freiheit und Gleichberechtigung. Gleichzeitig drückt Wadjda mit ihrem Wunsch nach einem Fahrrad etwas allgemein Kindliches aus. Die spannende und berührende Geschichte führt in eine fremde Welt, sie schärft die Wahrnehmung für den arabischen Kulturraum, vermittelt Weltwissen und wirbt um Verständnis und Verstehen. Sie zeigt, was Freiheit meint, und wie wichtig es ist, sie zu verteidigen.
In der literarischen Umsetzung ihres Drehbuches gelingt es der Autorin durch interessante Wechsel der Innen- und Außenperspektive, überzeugend darzustellen, wie man sich in einer Gesellschaft mit strengen Normen eine Nische schaff en kann. Die dichte Erzählweise hat Catrin Frischer in ihrer Übersetzung aus dem Englischen gekonnt wiedergegeben.
Kirsten Fuchs:„Mädchenmeute„
Rowohlt Rotfuchs € 9,99
Ab 14
Jurybegründung
Ein Abenteuerbuch mit weiblichen Protagonistinnen, das hat in der Jugendliteratur Seltenheitswert. Hier erleben wir sieben Mädchen, die sich bei einem Sommercamp im Wald begegnen. Doch das Camp erweist sich als dubiose Angelegenheit und die Gruppe beschließt, auf eigene Faust Abenteuerurlaub zu machen. Mit ihrer Ich-Erzählerin, der 15-jährigen Charlotte Nowak, führt Kirsten Fuchs in die Wälder des Erzgebirges, eine Kulturlandschaft mit eigenen Geschichten. Sagengestalten werden lebendig, die Mädchen erleben Grusel und reale Ängste, Gemeinschaft und Auseinandersetzungen. Fuchs erzählt ihre Geschichte dramaturgisch geschickt in einer knappen, in Bildern und Konstruktion sehr lebendigen Sprache. Ein großer Reiz des Buches liegt in der unterschiedlichen Charakterisierung der sieben Figuren. Es sind Typen, die jeder kennt, doch arbeitet die Autorin ohne gängige Rollenklischees. Und Charlotte, die anfangs schrecklich Schüchterne, wächst schließlich über sich hinaus. Selbstironie und Humor sowie mit fortschreitender Handlung auch zunehmende Reflexion gibt die Autorin ihrer Hauptfigur mit und gestaltet auch dadurch einen großartigen Spannungsbogen.
Mädchenmeute ist ein komplexes literarisches Werk mit großer erzählerischer Kraft in seiner Sprache und seinem Bildreichtum. Die Robinsonade in einer bisher unerzählten Landschaft lädt ein zum Nachdenken über viele Themen: über Freundschaft, über die eigene Rolle innerhalb einer sozialen Gruppe, darüber, was Freiheit ist.
Preisträger 2016 – Sachbuch
Kristina Gehrmann: „Im Eisland„
Band 1: Die Franklin-Expedition
Hinstorff Verlag € 16,99
Ab 12
Jurybegründung
Im Frühjahr 1845 brachen unter dem Kommando von Sir John Franklin zwei Schiff e aus England auf, um den Seeweg zwischen dem Nordatlantik und dem Nordpazifik zu finden. Diese Expedition zur Entdeckung der Nordwestpassage endete tragisch. 129Teilnehmer starben im Packeis.
Kristina Gehrmann hat für ihre auf drei Bände angelegte Graphic Novel viele Originalquellen ausgewertet. Die Autorin gestaltet ein anschauliches Panorama des Lebens an Bord, in dem alle Schichten vom Kommandanten bis zu den Schiffsjungen vorgestellt werden. Ausführlich wird der Alltag der Mannschaften geschildert, der durch schwere körperliche Arbeit geprägt ist, aber auch Abwechslung bietet durch Musik, Theateraufführungen und eine Bordbibliothek. Die Schwierigkeiten dieser Expedition deuten sich bereits in diesem ersten Band an, als Krankheitsfälle auftreten und ein Toter zu beklagen ist. Ebenso werden die Sorgen der Kapitäne über den Ausgang der Unternehmung thematisiert. Die detailgetreuen und realistischen Schwarz-Weiß-Illustrationen orientieren sich in der Gesichterdarstellung am Manga-Stil. Die ausgeprägte Mimik der Figuren ermöglicht einen tiefen Einblick in das Seelenleben der Besatzungsmitglieder.
In ihrer ersten Graphic Novel gelingt Kristina Gehrmann eine überzeugende Verbindung aus Sachinformationen und dichter Erzählung. Obwohl der Ausgang der Expedition bekannt ist, wird der Spannungsbogen der Handlung aufrecht erhalten und setzt sich auch in den beiden Folgebänden fort.
Preisträger 2016 – Preis der Jugendjury
Peer Martin: „Sommer unter schwarzen Flügeln„
Oetinger Verlag € 19,99
Ab 14
Jurybegründung
Brandaktuell: Die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland hat sich in den letzten fünf Jahren geschätzt verfünfzigfacht. Im syrischen Bürgerkrieg starben in den letzten zwei Jahren über 470.000 Menschen (Die Zeit, 11. 2. 2016).
In Sommer unter schwarzen Flügeln bringt die Syrerin Nuri dem Neonazi Calvin ihre Erfahrungen während der Anfänge des Arabischen Frühlings, die verschiedenen politischen Gruppierungen, das Leid der syrischen Bevölkerung und die Geschichte ihrer Flucht nach Deutschland näher, während Calvin mit seiner Gang einen Anschlag auf das Flüchtlingsheim plant. Nuri erzählt märchenhaft und poetisch, Calvin drastisch und ungeschliffen. Verbindend sind Erfahrungen mit Gruppenzugehörigkeit, Ausgrenzung und Gewalt, die sowohl Nuri als auch Calvin zu vielschichtigen Charakteren reifen lassen. Mit den Protagonisten gewinnt der Leser Verständnis für beide Perspektiven. So wird er mehr und mehr von der Geschichte in den Bann gezogen und mit ihrer Tragik berührt. Dieses beeindruckend ehrliche und mit viel Herzblut geschriebene Buch basiert auf gut recherchierten Fakten. Jedes Kapitel wird mit einem provokanten Zitat eröffnet und mit Anregungen zur weiterführenden Internetsuche abgeschlossen, wodurch das Buch über sich selbst hinausweist und zur Reflexion über die aktuelle politische Lage anregt.
Sonderpreis für den Autor Klaus Kordon für sein schriftstellerisches Gesamtwerk.
Biografie
Klaus Kordon wurde 1943 im Berliner Nordosten geboren und wuchs dort im Prenzlauer Berg auf. Sein Vater starb im Krieg, seine Mutter erzog ihn und seine Brüder allein. Nach dem Tod der Mutter 1956 lebte Klaus Kordon in verschiedenen Jugendheimen. Im Anschluss an seine Schulzeit versuchte er sich in mehreren Berufen, u.a. als Transport- und Lagerarbeiter. An der Abendschule holte er das Abitur nach und studierte Volkswirtschaft. In den folgenden Jahren arbeitete er als Exportkaufmann im Außenhandel der DDR. Zahlreiche Reisen führten ihn beruflich nach Afrika und Asien, insbesondere nach Indien. Während dieser Zeit sammelte Klaus Kordon viele Erfahrungen, die er später in seinen Kinder- und Jugendromanen verarbeitete. Der Plan, mit seiner Familie 1972 über Bulgarien aus der DDR zu fliehen, scheiterte und Klaus Kordon und seine Frau kamen in politische Haft. Nach einjähriger Haftzeit wurden sie 1973 von der Bundesrepublik Deutschland „freigekauft“ und konnten in den Westen Deutschlands ausreisen. Klaus Kordon lebte mit seiner Frau und den beiden Kindern, die erst ein Jahr später die DDR verlassen durften, zunächst in der Nähe von Frankfurt am Main. Seit 1988 wohnt die Familie wieder in Berlin.
Seit 1980 widmet sich Klaus Kordon hauptberuflich dem Schreiben. Viele seiner Werke wurden in verschiedene Sprachen übersetzt und mit namhaften nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet. Zweimal erhielt er den Deutschen Jugendliteraturpreis.