Freitag

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Heute haben
Marcel Proust * 1871
Günther Wiesenborn * 1902
Paul Wühr * 1927
Alice Munro * 1931
Kurt Brasch * 1937
Geburtstag

„Longtemps je me suis couché de bonne heure“
Der erste Satz aus der „A la recherche du temps perdu“ von Marcel Proust.
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Ach, was ist das im Moment für ein tolle literarische Zeit.
Rainald Goetz bekommt den Büchner Preis und Nora Gomringer den Bachmann Preis. Grossartig. Da gibt es einigen Nachholbedarf.
Ganz aktuelle Romane stehen gerade nicht an, dafür trudeln aber herrliche Perlen ein. „Sinn und Form“, „Die neue Rundschau“ mit den Briefen von Milena Jesenská aus dem Gefängnis, die Hefte vom Lyrik Kabinett, den wunderbaren japanischen Gedichtband im Secession Verlag und viele wunderbare andere Schätze. So können wir uns hier ein wenig vertiefen, bevor wir wieder mit dem Ritt durch den Neuheiten Tsunami beginnen.
Gestern gab es „Die fünfte Dimension“ von Ulrike Draessner und das hat mir soviel Spaß gemacht, dass ich den letzten Gedichtband von ihr aus dem Regal gezogen habe und erstaunt feststellte, dass das Nashorn-Gedicht im Buchdeckel abgedruckt ist.

subsong

Ulrike Draesner: „Subsong“
Gedichte
Luchterhand Verlag € 18,99
als E-Book € 14,99

Subsong,whispersong oderPlaudergesang ist eine Art meist relativ leisen Gesangs von  Singvögeln. Er unterscheidet sich merklich vom Territorialgesang der jeweiligen Vogelart und tritt auch bei Arten auf, die nicht singen, um Reviere zu markieren. Man hört die Plaudereien von Jungvögeln, die noch nicht um Brutplätze oder Weibchen
konkurrieren, oder von erwachsenen Vögeln außerhalb der Brutzeit. Der Subsong besteht in der Regel aus Rufen und plappernden Lautserienund kann Imitationen beinhalten. Er ist stark individuell geprägt.Subsongs wurden in der Vogelforschung lange ignoriert. Dabei sind siebesonders schön: Es wird familiengeschwätzt, gelallt, versucht, die Kehle geölt. Subsong ist: Melodie hinter der Melodie, Melodie in Teilen, im
Aufbau, auf dem Weg zu etwas Neuem. Halb Rauschen, halb Freude. Die
Ornithologie erwägt: »Möglicherweise handelt es sich um Erprobungen des Vokabulars.« Ohne es zu bemerken beobachtet man Poesie. 

Ulrike Draesner hat hier eine Mischung von Gedichten zusammengestellt, die sich nicht so einfach lesen lassen. die meisten zumindest. Nicht in der gewohnten Reimform ist diese Lyrik, oft in ungewohntem Satzspiegel, auf den Seiten zu finden. Die Autorin, probiert, versucht, verdreht, findet und stellt neu zusammen. Sie entdeckt Altes und kramt in ihren Erinnerungen. Sie geht zurück bis Petrarca und tobt sich in ihren Kindheitshörfehlern bei Beatlesliedern aus.

„weißschenklig stülpt / sekundenschnell hahn sich schwanz / übern kopf stelzt sprühender phallus / der statt zu dringen fluoresziert / konvulsierende schönheit / party im blitz.“

So klangt bei ihr der Petrarcasche Vogelgesang in Neuinterpretation.
Hier wird aus Ernstem Nonsense und daraus vielleicht eine neue Wirklichkeit. Wie in ihrer Rede, geht sie zurück zu den Ursprüngen der Sprache, bricht sie auf und formt neu. Sie kommt auf die kindliche Sprachentwicklung zu sprechen und beginnt mit einem Gedicht „ohne R“. Später klappt es, das Kind kann den Buchstaben ausprechen und das Gedicht „mit R“ beginnt dann so:

paprika mamrika
seit drei tagen kann sie das r und
wie sagte sie »paprika« nach der kita
»mamrika« wir lachten liefen riefen
ros: …

Als Jugendliche hörte sie, wie wir alle, Lieder der Beatles und verstand natürlich einiges falsch, sang trotzdem lauthals mit. Diese Idee hat sie hier verfeinert und wir bekommen auf der linken Buchseite die original Beatlestexte zu lesen und rechts ihre Variationen, wie sie bei ihr im Langzeitgedächtnis wieder aufgetaucht sind.

Yellow Submarine

In the town where I was born,
Lives a man who sailed to sea,
And he told us of his life,
In the land of submarines.
….
We all live in a yellow subamrine

Gelbe Suppmarie

In den Au’n, wo ich war Sporn,
Man im Lift „hu!“ sagte „sieh!“,
rollte uns sein leben vor
tief im Land der Suppmarie

Wir hier drin in’ner gelben Suppmarie

„Poesie wirkt hier als Totengräber der Nostalgie.“, sagt sie selbst über ihre Arbeit. Es ist eine nach vorne gewandte Poesie, ein neues Herausfordern mit Hilfe der Lyrik. „What is Poetry?“, fragt sie in einem Gedicht und dieser Frage geht sie in diesem Buch auf verschiedenste Weise sehr gekonnt nach.

Dazu noch Jay-Z: „Rap is Poetry“

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