Heute haben
Heinrich Mann * 1871
Francis Ponge * 1899
Golo Mann * 1909
Hansjörg Schneider * 1938
Harry Rowohlt * 1945
Dubrava Ugresic * 1949
Patrick McCabe * 1955
Geburtstag
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Ruth Ozeki: „Geschichte für einen Augenblick„
Verlag S.Fischer € 19,99
Gestern erschien das neue, hochgelobte Buch von Ruth Ozeki. Ich habe noch keine Zeile davon gelesen, weiss nur ein wenig über den Roman. Der Verlag schickte uns die folgende Rede der Autorin, die ich gerne mit ihnen teilen möchte.
Ruth Ozeki: Unabhängige Buchhandlungen als Schlüsselart
Dankesrede für die Auszeichnung mit dem Independent Booksellers Week Book Award 2013 in Großbritannien
Wann immer ich eine Stadt besuche, in der ich noch nie war, mache ich mich als Erstes auf die Suche: Ich suche nach unabhängigen Buchhandlungen. Ich bin fest davon überzeugt, dass sich die Gesundheit oder Lebendigkeit eines Viertels daran ablesen lässt, wie viele unabhängige Buchhandlungen es im Vergleich zu, sagen wir, Filialen von „The Gap“ gibt.
Unabhängige Buchhandlungen sind für das kulturelle Klima einer Stadt mehr als das, was in der Ökologie als Indikatorart oder Zeigerart bezeichnet wird, also eine Art, die Aufschluss über eine bestimmte Verfassung der Umwelt gibt. Sie sind vielmehr eine Schlüsselart, eine Spezies, die gemessen an ihrem Vorkommen einen überproportional großen Effekt auf ihre Umgebung hat. Wie ein Schlussstein in der Architektur, der einen Rundbogen erst ermöglicht, definiert sich eine Schlüsselart wie folgt: Wenn man sie entfernt, bricht die ganze Struktur zusammen.
Unabhängige Buchhandlungen sind die Schlüsselart unseres kulturellen Ökosystems. Wenn sie bedroht sind, geraten auch andere Arten in Gefahr. Wenn sie florieren, florieren wir alle. Glücklicherweise wissen wir das, irgendwie. Unabhängige Buchhändler sind ein anpassungs- und widerstandsfähiges Volk, Leser und Autoren sind loyal und stur, und alle miteinander befinden wir uns in einer starken Wechselbeziehung, in einer mutualistischen Symbiose, um bei der Biologie zu bleiben.
Meine Bücher sind nicht leicht zu beschreiben oder einzuordnen. Das wurde mir schon oft gesagt. Sie sind nicht glatt und geschmeidig, sie fallen zwischen die Genres und bringen damit unabsichtlich die Maschinerie des Massenmarketings ins Stottern. Bücher wie meine finden ihre Leser über Mund-zu-Mund-Propaganda und den persönlichen und geduldigen Einsatz, für den unabhängige Buchhändler so berühmt sind. Dafür bin ich dankbar.
Meine Dankbarkeit erstreckt sich aber auf mehr als meine eigenen Bücher, die ihre Leser finden. Bücher wie meine existieren in den Nischen und an den Rändern unseres kulturellen Ökosystems, und ohne unabhängige Buchhändler, die ihnen einen Platz im Regal einräumen, würden Bücher wie diese vermutlich sehr viel seltener geschrieben. Der Platz im Regal macht es überhaupt erst möglich, dass Bücher wie meine existieren, und diese Möglichkeit ist kein passiver, statischer Zustand, sondern aktiv und dynamisch, denn an jeder Möglichkeit entzündet sich eine neue, ein unendlicher, sich fortpflanzender Effekt, den der Autor Steven Johnson in Bezug auf Stuart Kauffman als das Nächstmögliche beschreibt. Ein wunderbares Konzept, „ein Schatten der Zukunft, der über die Ränder des gegenwärtigen Zustands der Dinge lugt, eine Karte all der Wege, auf denen sich die Gegenwart neu erfinden kann“, so Johnson. Als das Nächstmögliche – so entsteht Literatur.
So sehe ich also unabhängige Buchhandlungen – sie spielen eine Schlüsselrolle in einem lebendigen und sich entfaltenden kulturellen Ökosystem, das vor unendlichen Möglichkeiten nur so brummt. Aus diesem Grund bin ich so geehrt, dass Die Geschichte eines Augenblicks mit dem Preis der Unabhängigen Buchhändler in Großbritannien ausgezeichnet wurde.
Als kleiner Organismus in den unendlichen Weiten des kulturellen Ökosystems verdanke ich es den unabhängigen Buchhändlern, dass es mir möglich ist, zu schreiben und zu gedeihen. Im Namen von Autoren, Lesern und Verlegern in aller Welt danke ich Ihnen dafür, dass Sie unsere Möglichkeiten am Leben erhalten.
(aus dem Englischen von Britt Somann)
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Seit dieser Woche auf DVD:
„Das Mädchen Wadjda„
Regie: Haifaa Al-Masour
DVD € 12,99
Reservieren
[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=d1ETAYu31yE]
Dass dieser Film überhaupt entstehen konnte, ist ein kleines Wunder. Und wie er enstanden ist, grenzt schon fast an Unwahrscheinlichkeit. Die Filmemacherin Haifaa Al Mansour bekam tatsächlich eine Drehgenehmigung von der Saudi-Arabischen Regierung. In einem Land, in dem es keine Kinos gibt, in dem Frauen nicht zu sehen und nicht zu hören sein sollen. In einem Land, in dem sich Frauen in der Öffentlichkeit oft komplett verhüllt bewegen. Und da schwebt ein grünes (!) Fahrrad durch die Luft und das Mädchen Wadjda kann an nichts mehr anderes denken. Nein, das Fahrrad fliegt natürlich nicht. Es ist auf ein Auto montiert und Wadjda sieht nur den oberen Teil. Der Traum vom eigenen Rad, der Traum vor Radeln setzt sich so sehr in ihr fest, dass sie mit allen Mitteln versucht, an Geld zu kommen. Sie arbeitet, sie nimmt am Koran-Vortrag-Wettbewerb teil und sie versucht immer wieder die Erwachsenen, ihre Eltern zu überzeugen, das sie dieses Fahrrad bekommt. Somit sind wir mitten in der Gesellschaft Saudi-Arabiens. Wir hören, was die Lehrerin ihren Schülerinnen immer wieder erzählt, vorträgt, befiehlt. Seid unsichtbar; Mädchen, die ihre Tage haben, nehmen den Koran nur mit einem Taschentuch in die Hand; fahrradfahrende Mädchen bekommen keine Kinder. Die Regisseurin Haifaa Al Mansour, die auch das Drehbuch geschrieben hat, bewegte sich wahrscheinlich auf einem sehr schmalen Grat. Einerseits hat sie Genehmigung des Staates bekommen. Anderseits musste sie wahnsinnig aufpassen, sich an die alltäglichen Gebote zu halten.
Ihre Schauspieler hat Haifaa Al Mansour zwar in Saudi-Arabien gefunden, produziert wurde der Film aber von den Deutschen Gerhard Meixner und Roman Paul, die zuvor schon „Paradise Now“ von Hany Abu-Assad und Ari Folmans „Waltz with Bashir“ herausbrachten. Auch das technische Team sowie der größte Teil des Geldes kamen aus Deutschland.
Entstanden ist ein eindrucksvoller Film, der sogar ein Happy End hat. Ein Film, in dem die Filmemacherin wohl das eine oder andere Zugeständnis an die Regierung machte (Koranzitate), aber tief in das Innere dieser Menschen schaut und uns zeigt, dass wir doch alle gleich sind und dass Kinderträume, die in anderen Ländern ganz leicht erfüllt werden können (Osterzeit – Kinderradzeit), in anderen ein großes Tabu sind.
Der Film hat keine Altersbeschränkung und ist ein wunderbarer Familienfilm für alle.
Ein Gedanke zu „Donnerstag“