Dienstag, 8.August

Heute haben
Nina Berberowa * 1901
Jostein Gaarder * 1952
und
Birgit Vanderbeke * 1956
Geburtstag
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Da Ringelnatz gestern Geburtstag hatte,
passt dieses Gedicht doch haargenau:

Joachim Ringelnatz
Schwebende Zukunft

Habt ihr einen Kummer in der Brust
Anfang August,
Seht euch einmal bewusst
An, was wir als Kinder übersahn.

Da schickt der Löwenzahn
Seinen Samen fort in die Luft.
Der ist so leicht wie Duft
Und sinnreich rund umgeben
Von Faserstrahlen, zart wie Spinneweben.

Und er reist hoch über euer Dach,
Von Winden, schon vom Hauch gepustet.
Wenn einer von euch hustet,
Wirkt das auf ihn wie Krach,
Und er entweicht.

Luftglücklich leicht.
Wird sich sanft wo in Erde betten.
Und im Nächstjahr stehn
Dort die fetten, goldigen Rosetten,

Kuhblumen, die wir als Kind übersehn.
Zartheit und Freimut lenken
Wieder später deren Samen Fahrt.

Flöge doch unser aller Zukunftsdenken
So frei aus und so zart.
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Unser heutiger Buchtipp:

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Éric Vuillard: „Traurigkeit der Erde
Eine Geschichte von Buffalo Bill Cody
Matthes & Seitz Verlag  € 18,00

„Damals konnte der erstbeste Depp eine Stadt gründen, General, Geschäftsmann, Gouverneur, Präsident der Vereinigten Staaten werden; vielleicht ist das immer noch der Fall.“
Wo er recht hat, hat er recht. Das Buch erschien im Original 2012, also weit vor Trumps Präsidentschaft.
Wieder hat Éric Vuillard ein großes Thema in ein schmales Buch gepackt. Und wieder ist es gespickt mit vielen kleinen Beobachtungen, die er in seiner knappen Art auf den Punkt bringt. Wir haben hier schon seine Bücher über den Kongo und den Ersten Weltkrieg vorgestellt. Jetzt also ein Buch zum Thema „Ereignis“. Wobei wir auch wieder bei Trump sind.
Er nimmt sich Buffalo Bill vor, ein Schwätzer und Großkotz, der die Massaker an den Ureinwohnern der USA zu einem Spektakel umbaut und dazu noch die Opfer von damals mitspielen lässt. Genaugenommen sind die Indianerhäuptlinge die eigentlichen Attraktionen. Die Zuschauer wollen die „Mörder“ so vieler amerikanischen Soldaten sehen. Und die Indianer sehen darin eine Chance zu überleben und aus ihren Reservaten zu entkommen.

„Jetzt hebt das große Epos an, der Traum geht weiter. Hunderte von Reitern galoppieren, wirbeln Staubwolken auf (…) Man staunt zunehmend über die schiere Masse, fragt sich, wie viele Reiter in die Manege passen. Sie ist hundert Meter lang und fünfzig breit (…) Die Menge sieht das Trugbild eines amerikanischen Regiments vorüberziehen (…) Das Herz klopft. Endlich wird man die Wahrheit erfahren.“

Aber gerade die Wahrheit kommt bei diesem Spektakel nicht zu tage, sondern es wird die Sicht der weißen Sieger nacherzählt. Somit müssen diese Opfer noch einmal sterben und unter dem Gejohle der Massen sich im Manegensand wälzen.
Und nach der Show wird indianisches Kunsthandwerk an die Zuschauer verkauft. Merchandising, wie auf jedem Rockfestival. Höhepunkt dieses zynischen Dramas war die Verpflichtung von Häuptling Sitting Bull, mit dem sich der „große weiße Held“  in herablassend freundschaftlicher Geste ablichten ließ, wie wir auf einem Foto deutlich sehen können.

„Und worin besteht das Vergnügen? Man weiß es nicht. Man schert sich nicht drum. Man mag den Schwindel, die Angst, die Identifikation, das Schreien, Kreischen, Lachen und Weinen.“

Vuillard schafft es auch hier wieder eine alte Begebenheit so zu beleuchten, dass sie uns wie aus der Gegenwart herausgezogen vorkommt.